Samstag, 8. März 2014

Die Beobachtung der Beobachtung 3.2 – Die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung



Der letzte Text schloß mit der Annahme, dass man für die Unterscheidung verschiedener Kommunikationsformen seine Aufmerksamkeit auf die Form der Codierung der Kommunikationsangebote richten muss. Man wird, mit anderen Worten, auf die Sozialdimension des Sinns verwiesen und damit auf Kommunikationstheorie inklusive der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. Es kann, mit anderen Worten, nicht nur um die Feststellung gehen, dass kommuniziert wird, sondern um die Frage, wie kommuniziert wird. Systemtheoretische Arbeiten der letzten Jahre haben sich zu wenig mit der Frage beschäftigt, wie kommuniziert wird, und sich lediglich mit der Feststellung begnügt, dass Kommunikation kommuniziert. Die systemtheoretische Aufmerksamkeit hat sich auf die bloße Verifikation dieser Tautologie fixiert, ohne dass es gelungen ist diese Tautologie zu paradoxieren und zu entfalten. Die Konzentration lag zu stark auf der Sachdimension des Sinns. Es ging lediglich darum den systemtheoretischen Gesellschaftsbegriff über Luhmann hinausgehend präziser zu bestimmen. Damit wurde allerdings ein Großteil des analytischen Potentials des durch Luhmann zur Verfügung gestellten Begriffsapparates verschenkt, denn man hat sich nur mit der Theorie aber kaum mit der Gesellschaft beschäftigt. Diese Theorieentscheidung führte zur Aufgabe des Theorems funktionaler Differenzierung (vgl. Karafillidis 2009, Baecker 2013), was aus der hier angelegten Perspektive weniger als Weiterentwicklung, sondern eher als Rückbau von Luhmanns Gesellschaftstheorie erscheint. Man hat sich lediglich damit begnügt die paradoxe Konstitution von Kommunikation offenzulegen, was hier im Anschluss an Luhmann als Sthenographie (vgl. 1991) bezeichnet wird, ohne sich dafür zu interessieren, welche Formen der Entparadoxierung die Gesellschaft für die einzelnen sozialen Probleme gefunden hat, die im letzten Text rekonstruiert wurden. Mit anderen Worten, die systemtheoretischen Ansätze nach Luhmann haben sich lediglich darauf kapriziert die Selbstreferenz der Kommunikation zu beobachten und blieben dadurch selbst eigentümlich selbstreferentiell in ihrer Beobachtungsweise.


Wie bereits mehrfach betont, wird der Grund hier darin gesehen, dass die zentrale Bedeutung des mit der sozialen Matrix formulierten Kommunikationsmodells (vgl. Ruesch/Bateson 2012) und der aus ihr abgeleiteten sozialen Probleme für die systemtheoretische Theoriearchitektur verkannt wurde. Eines der grundlegenden Missverständnisse bezüglich der funktional-analytischen Vorgehensweise der Systemtheorie liegt in der Annahme, die Probleme, für die bestimmte kommunikative Phänomene die Lösung sind, müssten erst noch gefunden, mithin konstruiert werden (vgl. Karafillidis 2010, S. 60ff.). Luhmann kombinierte jedoch die Kommunikationstheorie mit einem Äquivalenzfunktionalismus. Danach lässt sich jedes soziale Problem durch die Asymmetrisierung der Alter-Ego-Konstellation nach der Zurechnung von erlebend oder handelnd aus der sozialen Matrix ableiten (vgl Luhmann 1997, S. 335ff.). Das Ausgangsproblem der Unsicherheitsabsorption durch Komplexitätsreduktion transformiert sich dann in die im letzten Text dargestellten sozialen Problemkonstellationen. Mit dem äquivalenz-funktionalistischen Ansatz wird die Sachdimension berücksichtig und erlaubt die Beobachtung, wie sich bestimmte Semantiken an den einzelnen Problemkonstellationen auskatalysieren und dann mit der Zeit differenzieren. Differenzierung ist ein evolutionärer Prozess und erfordert daher zwangläufig die Berücksichtigung der Zeitdimension. Für die Analyse der Autopoiesis der Gesellschaft ist jeder Sinndimension ein theoretischer Ansatz zugeordnet: der Sachdimension die Differenzierungstheorie, der Sozialdimension die Kommunikationstheorie und der Zeitdimension die Evolutionstheorie (vgl. Luhmann 2005b, S. 213). Diese drei Theorien stehen jedoch nicht unabhängig nebeneinander, sondern beziehen sich alle auf dasselbe Phänomen. Systemdifferenzierung ist ein evolutionärer Prozess. Wenn soziale Systeme Kommunikationssysteme sind, dann richtet sich die soziologische Aufmerksamkeit auf die Evolution von Kommunikationssystemen. Deswegen besteht die Herausforderung für die empirische Arbeit mit der soziologischen Systemtheorie gegenwärtig darin, diese drei Theorien zu kombinieren. Bereits Luhmann stellte fest: „Keine dieser Theorien kann auf die Mitwirkung der anderen verzichten“ (1997, S. 1138). Hier wird diese Herausforderung angenommen.

Die Kombination von Differenzierungs-, Kommunikations- und Evolutionstheorie bietet einen Ansatzpunkt für die Analyse, wie Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden, um jeweils eines der sozialen Probleme zu lösen und zugleich Erwartungen und Erwartungserwartungen über die Zeit stabil zu halten. Der Startpunkt der Analyse von sozialen Prozessen ist das Axiom: Verhalten ist eine Funktion von psychischem Erleben. Erleben zeigt sich im Verhalten jedoch nur indirekt bzw. vermittelt über die Ausdrucksmittel, welche die soziale Umwelt den Menschen zur Verfügung stellt. Der Zweck von Ausdrucksmitteln ist es die Aufmerksamkeit eines Beobachters auf etwas zu fokussieren und zu lenken. Aufmerksamkeitsfokussierung wurde im Anschluss an Luhmann auch als Beobachten beschrieben. Luhmann wiederum beschrieb die Operation der Beobachtung (vgl. Luhmann 1990, S. 73ff.) im Anschluss an George Spencer Brown (1997) als Bezeichnen im Rahmen einer Unterscheidung. Wobei mit Bezeichnen zunächst nur Indizieren, Anzeigen oder Hinweisen gemeint ist und eben dadurch die Funktion erfüllt, die psychische Aufmerksamkeit zu fokussieren und zu lenken. In diesem Verständnis wird auch soziales Handeln zu einer Form der Beobachtung, weil dadurch die Aufmerksamkeit eines Adressaten auf etwas fokussiert wird. Aus Spencer Browns Formkalkül kann dann ein weiteres Axiom abgeleitet werden: Bezeichnen bzw. Indizieren ist die Funktion einer Unterscheidung. Mit diesem Axiom erhält man eine allgemeine Codierungsregel mit der das beobachtbare Verhalten von Menschen in die Unterscheidungen dekomponiert werden kann, die das beobachtete Verhalten zur Folge haben. Davon ausgehend kann dann formuliert werden: Verhalten ist codiertes Erleben. Verhalten - eigenes und fremdes - hat außerdem Rückwirkungen auf Erleben - eigenes und fremdes. Durch diese Rückkopplungen des Erlebens im Verhalten und des Verhaltens im Erleben, kommt es zur wechselseitigen Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten. Es wird sukzessiv eine große Menge an Handlungsmöglichkeiten aussortiert und dadurch bestimmte Handlungen wahrscheinlicher. So kommt es zur wechselseitigen Bildung von Erwartungen bezüglich des zukünftigen Verhaltens der Beteiligten und zugleich zur Selbstkonditionierung des sozialen Systems und der Beteiligten Personen. Diese Selbstkonditionierungen lassen sich also über die Analyse des beobachtbaren Verhaltensstroms entschlüsseln, weil er die Organisation des psychischen Erlebens der beteiligten Kommunikationspartner widerspiegelt. Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich bereits um eine Form die Tautologie »Kommunikation kommuniziert« sachlich, sozial und zeitlich zu paradoxieren und für sozialwissenschaftliche Zwecke zu entfalten.


I

Für diese Form der systemtheoretischen Analyse gilt es jedoch einen wichtigen Aspekt des Untersuchungsgegenstandes zu beachten. Funktionale Differenzierung wird durch symbolische Generalisierung zu einem selbstkonditionierenden Prozess. Dieser Prozess wurde auch als sukzessive Trennung vormals gegebener Multifunktionalitäten beschrieben. Das soziale Ausgangsproblem der Handlungskoordination bei divergierendem psychischem Erleben wird fortlaufend differenziert und der symbolische Bezug auf die abgeleiteten sozialen Problemstellungen wird durch die Gestaltung der Kommunikationsangebote präzisiert und verdichtet. Kommunikation reagiert damit auf die Möglichkeit der Ablehnung eines Kommunikationsangebots, die zunächst genauso wahrscheinlich ist, wie die Annahme eines Kommunikationsangebots, und erst mit Hilfe symbolischer Generalisierung unwahrscheinlicher wird. Im letzten Text zeigte sich allerdings, dass jede dieser Problemstellungen der Kristallisationspunkt für mehrere Funktionssysteme der Gesellschaft ist. Das bedeutet, die Identifikation einer sozialen Problemstellung ist nicht gleichbedeutend mit der Identifikation eines Funktionssystems der Gesellschaft. In der Konsequenz bedeutet das weiterhin, dass man mit der Identifikation einer sozialen Problemstellung auch noch kein Kommunikationsmedium identifiziert hat. Für die Unterscheidung der einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft ist es daher notwendig die Formen der symbolischen Generalisierung voneinander zu unterscheiden. Symbolische Generalisierungen sind jedoch das Ergebnis von historischen Steigerungs- bzw. Konditionierungsprozessen, welche es zu rekonstruieren gilt. Dafür ist allerdings ein wichtiger Unterschied zu beachten, nämlich der zwischen Kommunikationsmedien und ihrer symbolischen Generalisierung. Die Verbreitung von Erwartungen und Erwartungserwartungen lässt sich also erst über symbolische Generalisierung so stark ausweiten, dass sich die Kommunikationspartner nicht mehr aus einer früheren Begegnung bereits kennen müssen. Mit anderen Worten, symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien ermöglichen durch die Stabilisierung personenunabhängiger Verhaltenserwartungen die Kommunikation zwischen füreinander wechselseitig unbekannten Personen und somit auch die erfolgreiche Annahme eines Kommunikationsangebots. Damit wird eine beträchtliche Entlastung der psychischen Erlebnisverarbeitung erreicht. Die Unendlichkeit bzw. überwältigende Komplexität doppelt kontingenter Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten wird durch symbolische Generalisierungen und der Kristallisation zu funktionsspezifischen Rollenerwartungen bereits auf einen endlichen Horizont wechselseitiger Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten reduziert, was es den beteiligten Personen erleichtert ihr Handeln zu koordinieren ohne dass dadurch bereits bestimmte Ergebnisse der Koordination im Vorhinein festgelegt wären.

Das soziale Ausgangsproblem und die daraus abgeleiteten Probleme sind historisch invariabel. Menschen waren schon immer mit diesen Problemen konfrontiert und werden es auch immer sein, solange die Menschheit existiert. Die sozialen Probleme werden also niemals endgültig gelöst werden, sondern immer nur vorübergehend. Und so sind es die Erfolgserlebnisse, die Menschen dazu motivieren trotzdem weiterzumachen. In historischer Perspektive wurden und werden lediglich unterschiedliche Lösungen für dieselben Probleme ausprobiert, bei Erfolg tradiert und irgendwann möglicherweise wieder aufgegeben, wenn es ihnen nicht mehr gelingt die kognitiven und emotionalen Bedürfnisse der Menschen zu stillen. Die aktuelle Lösung besteht in der zunehmenden Ausbreitung der funktionalen Differenzierung und Spezifizierung von Kommunikation. In der Geschichte wurden bereits andere Lösungen für dieselben Probleme ausprobiert. So lief die symbolische Generalisierung bei segementärer Differenzierung über die Mitgliedschaft zu einem Stamm und bei stratifikatorischer Differenzierung über hierarchisch geordnete Verhältnisse der Über- und Unterordnung. In beiden Differenzierungsformen werden die Erwartungen und Erwartungserwartungen durch die Orientierung an Personen stabilisiert. Erst bei funktionaler Differenzierung wird der Personenbezug völlig aufgegeben. Dies gilt aber nur für die Ebene der Gesamtgesellschaft, auf die sich auch die Unterscheidung der verschiedenen Differenzierungsformen bezieht. Dass Personen für die Kommunikation natürlich nicht vollständig irrelevant werden, zeigt sich erst auf den Systembildungsebenen Interaktion und Organisationen. Wobei es auf diesen Ebenen dann um die Frage nach dem Vorrat an gemeinsam geteilten Symbolen geht. Diese Frage zielt auf die Differenz in den Wissensbeständen der Kommunikationspartner. Diese Differenz stellt aber nicht auf ein Verhältnis von mehr oder weniger Wissen ab, sondern auf die funktionale Äquivalenz der verschiedenen Lösungen für dieselben Probleme. Die Unterscheidung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft kann daher auch als eine Unterscheidung verschiedener Verbreitungsgrade von gemeinsam geteilten Erwartungen und Erwartungserwartungen verstanden werden.

Wenn die sozialen Probleme über die Zeit dieselben bleiben und nur die Lösungen variieren, dann impliziert dieser Sachverhalt, dass jedes Kommunikationsangebot potentiell auf alle Kommunikationsmedien, wie Macht, Knappheit, Schönheit, Wahrheit, Aufmerksamkeit, Transzendenz oder Intimität, rekurrieren kann und somit auch auf ihren Sinn im jeweiligen Medium hin beobachtet werden kann. Dieser Sachverhalt wird auch als Polykontexturalität (vgl. Luhmann 1997, S. 88) bezeichnet. Wenn funktionale Differenzierung zu einer Trennung vormals gegebener Multifunktionalitäten führt, dann kommt Polykontexturalität als Kommunikationsbedingung erst langsam mit dem Übergang zur Moderne richtig zum Tragen. Im Umkehrschluss konnte ein Kommunikationsereignis in früheren Differenzierungsformen mehrere Probleme auf einmal lösen. Für segmentär differenzierte Gesellschaften, in denen jedes Ereignis im Kontext des eigenen Mythos ein Sinn verliehen wurde, könnte man daher auch von Monokontexturalität sprechen. Obwohl funktionale Differenzierung und symbolische Generalisierung versuchen diese Multifunktionalitäten aufzulösen, bleibt die potentielle Multifunktionalität ein allgemeines Merkmal von Kommunikation. Ein Rückfall in frühere Problemlösungsvarianten ist also nicht ausgeschlossen. Es kommt auf die Reichweite der Koordinationserfordernisse an, ob eine Semantik funktional oder pathologisch auf die Autopoiesis der Gesellschaft wirkt und somit selbst zu einem Problem wird. Die Weltgesellschaft lässt sich nur schwerlich mit der Semantik eines tribalen Stammes zusammenhalten. Es wird daher angenommen, dass je mehr Menschen ein bestimmtes Koordinationsproblem betrifft, desto präziser muss der Bezug auf dieses Problem symbolisch generalisiert sein, um der Lebenswirklichkeit der Menschen gerecht zu werden. 

Aus diesem Umstand folgt nicht, dass alle anderen Kommunikationsmedien bis auf das für die Lösung des Problems relevante funktionslos geworden sind. Vielmehr werden alle Kommunikationsmedien für die Erhöhung, mithin Konditionierung der Annahmewahrscheinlichkeit eines Kommunikationsangebots in Anspruch genommen. Ein politisches Kommunikationsangebot zum Beispiel unterbreitet nicht nur eine glaubwürdige Drohung mit Gewalt, sondern erhebt auch Anspruch darauf wahr zu sein, knapp bzw. einzigartig zu sein, eine gewisse Ästhetik zu besitzen, spricht die unerreichbaren psychischen Systeme an und geht ohne zu intim zu werden auf das Erleben der Adressaten ein. Trotzdem entscheidet am Ende das Kriterium der politischen Macht über Annahme oder Ablehnung des Angebots, weil es um die Lösung des spezifischen Problems, wer auf der Grundlage einer kollektiv bindenden Entscheidung legitim mit physischer Gewalt drohen darf, geht. Alle anderen Kommunikationsmedien können die Annahme oder Ablehnung des Kommunikationsangebots als politisches beeinflussen. Analog kann man das für ein wirtschaftliches, künstlerisches, wissenschaftliches, religiöses, intimes oder erziehendes Kommunikationsangebot durchspielen. Entscheidend ist, welches soziale Problem gelöst werden muss und wie die einzelnen Kommunikationsmedien die Aufmerksamkeit darauf lenken, um eine Handlungskoordination zu ermöglichen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Selbstbeschreibung und die wissenschaftliche Fremdbeschreibung voneinander abweichen bzw. dass ein Kommunikationsangebot vorgeblich eine politische Lösung ist, es sich aber eigentlich um eine religiöse Lösung handelt. Darauf wird im Folgenden noch genauer eingegangen. Vorerst lautet die praktische Konsequenz, dass jede Kommunikationssequenz im Hinblick auf die Funktionsweise der einzelnen Kommunikationsmedien analysiert werden muss, um beobachten zu können, wie die Aufmerksamkeit der Kommunikationspartner durch symbolische Generalisierung konzentriert oder abgelenkt wird.

Für dieses Ziel muss ein rekursives Rückkopplungsverhältnis zwischen den Operationen eines sozialen Systems und seiner Semantik zugrunde gelegt werden. Dann lässt sich der Zusammenhang zwischen der Eröffnung und Verschließung bestimmter Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten durch strukturelle Merkmale einer Semantik klären. Ausgehend von der Annahme, das Verhalten codiertes Erleben ist, wird an jedem Kommunikationsangebot zwischen Mitteilung und Information unterschieden. Diese Unterscheidung entspricht in einer groben Annährung der von Form und Inhalt. Aus systemtheoretischer Perspektive ist jedoch auch der Inhalt eine Form – eine Form im Medium Sinn. Der Begriff »Form« bezeichnet im Anschluss an Spencer Brown (1997) die Einheit von Unterscheidung und Bezeichnung. Die durch das Verhalten eines Kommunikationsteilnehmers mitgeteilten Informationen können dann als das Ergebnis eines komplexen Unterscheidungsarrangements verstanden werden, welches das Erleben des Kommunikationsteilnehmers strukturiert. Gelingt es dieses Unterscheidungsarrangement zu identifizieren und im Hinblick auf seine Funktionalität für das zu lösende soziale Problem – den Kontext – zu interpretieren, hat man den Sinn in der Sachdimension entschlüsselt. Die Unterscheidung von Mitteilung und Information ist selbst wiederum eine Form, die einen Unterschied markiert, nämlich den zwischen dem, was mitgeteilt wird, und wer es mitteilt. Die Unterscheidung der Mitteilung von der Information richtet die Aufmerksamkeit auf die mitteilende Person und damit auf die Form, wie Informationen mitgeteilt werden. Es geht, mit anderen Worten, um die Unterscheidung verschiedener Stile eine Information mitzuteilen, sei es durch nonverbales Verhalten, Sprache, Schrift oder die ganze Bandbreite audio-visueller Gestaltungsformen.  Immer geht es um die Form, wie die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Sachverhalt gelenkt wird. Je stärker die Form der Mitteilung die mitgeteilten Informationen dominiert, desto stärker treten die mitteilende Person und ihre Form des Erlebens in den Vordergrund. Durch die Unterscheidung verschiedener Formen, wie man Informationen mitteilen kann, gelingt es das Erleben einer bestimmten Person bezüglich des zu lösenden sozialen Problems zu entschlüsseln. Analysiert man nun den Beitrag dieser Formen für die Lösung eines bestimmten sozialen Problems, hat man den Sinn in der Sozialdimension entschlüsselt. Vereinfacht ausgedrückt, in der Sachdimension lässt sich das soziale Problem identifizieren, das durch die Koordination des Verhaltens gelöst werden soll, und in der Sozialdimension, wie die einzelnen Kommunikationsteilnehmer dieses Problem erleben. Da sowohl die mitgeteilten Informationen als auch die Form der Mitteilung im Hinblick auf ihren Beitrag zur Lösung eines bestimmten sozialen Problems analysiert werden, ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich gegenseitig in ihrer Funktion behindern können und so unter Umständen das soziale Problem gar nicht lösen, sondern es verstärken. Die Mitteilung und mitgeteilten Informationen können also nicht unabhängig voneinander untersucht werden. Zusammen bilden sie die Form der Codierung eines Kommunikationsangebots.

Im Hinblick auf die Zeitdimension, d. h. im Hinblick auf die Annahme oder Ablehnung eines Kommunikationsangebots, hat die Form der Codierung einen maßgeblichen Einfluss darauf, ob es gelingt die Annahme des Kommunikationsangebots zu motivieren oder nicht. Die Annahme eines Kommunikationsangebots wird aber nicht dadurch motiviert, dass die Selektivität des Angebots als solche erkennbar ist, wie gelegentlich angenommen wird (vgl. Baecker 2005,S. 178ff.; Karafillidis 2009, S. 222ff.). Denn das würde nur bedeuten, ein Kommunikationsangebot in seiner Kontingenz zu beobachten. Da Kontingenz ein allgemeines Merkmal moderner Kommunikation ist, wird durch die Selektivität als solche noch kein Unterschied markiert, der zur Annahme motivieren kann. Stattdessen werden dadurch analytisch jegliche Unterschiede zwischen verschiedenen Kommunikationsangeboten aufgelöst. Auf diesem Wege findet man nicht heraus, warum ein bestimmtes Kommunikationsangebot zur Annahme motivieren kann, sondern expliziert nur das Problem der Unwahrscheinlichkeit eines kommunikativen Anschlusses. Wenn alle Kommunikationsangebote in ihrer Selektivität gleich sind, bleibt es ein Rätsel, warum einige doch mit einer größeren Annahmewahrscheinlichkeit rechnen können. Die soziologische Herausforderung besteht darin herauszufinden, wie ein Kommunikationsangebot trotz seiner Kontingenz als annehmbar erscheint. Das bedeutet herauszufinden, welche Unterschiede für den Adressaten einen attraktiven Unterschied machen und dadurch zur Annahme motivieren. Dafür ist die Einheit der Unterscheidung von Information und Mitteilung relevant und damit die Form der Codierung bzw. Gestaltung eines Kommunikationsangebots. Auch das jeweils gewählte Verbreitungsmedium spielt eine wichtige Rolle dabei, wie die Aufmerksamkeit auf etwas fokussiert wird, und trägt somit maßgeblich zum Erfolg eines Kommunikationsangebots bei. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt man auch, wenn man Aufmerksamkeit, wie an anderer Stelle geschehen, selbst als Kommunikationsmedium betrachtet. Die Annahme- bzw. Erfolgswahrscheinlichkeit eines Kommunikationsangebots zu erhöhen, bedeutet dann die Verfeinerung und Verdichtung der Form der Aufmerksamkeitsfokussierung. Bei diesem Prozess handelt es sich um den Prozess symbolischer Generalisierung, der zugleich als funktionale Differenzierung bezeichnet wird. Eine wichtige Konsequenz aus dieser Überlegung ist, dass sich Luhmanns Unterscheidung von Verbreitungsmedien und Erfolgsmedien nicht mehr aufrechterhalten lässt (vgl. Luhmann 1997, S. 202ff.). Verbreitungsmedien und Kommunikationsmedien tragen zusammen zum Erfolg bei, sodass das eigentliche Erfolgsmedium die Codierung selbst ist.

Moderne Lösungen setzen für die Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit beim Erleben des Adressaten an, der dazu motiviert werden soll das Kommunikationsangebot als Prämisse der weiteren Informationsverarbeitung anzunehmen, was zugleich bestimmte Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten eröffnet und andere dafür verschließt. So erscheint die Selektivität des Kommunikationsangebots für den Adressaten gerade deswegen nicht mehr kontingent, weil an dem Kommunikationsangebot abzulesen ist, dass sein Erleben trotz anderer Möglichkeiten bei der Auswahl berücksichtigt und eben deswegen vom Mitteilenden gewählt wurde. Dadurch wird der Adressat dazu motiviert das Angebot anzunehmen und sich im Rahmen eines bestimmten sozialen Problems für dessen Lösung durch die Teilnahme an der Kommunikation zu engagieren. Man kann hier an das von Erving Goffman beschriebene gemeinsame spontane Engagement in einer Situation denken (vgl. 1971b, S. 124ff.). Für die Adressaten eines Kommunikationsangebots transformiert sich der Zusammenhang zwischen Motivation und Selektion in die Frage, warum man sich in einer Situation engagieren sollte, um damit die gemeinsame symbolische Ordnung, die durch die Kommunikationsteilnehmer und der Form ihrer Beteiligung konstituiert wird, aufrecht zu erhalten. Da diese Einschränkung von Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten mit Rücksicht auf den Kommunikationspartner wechselseitig erfolgt, ergibt sich daraus die Möglichkeit Integrations- und Desintegrationsprozesse zu beschreiben.

Die funktionale Differenzierung der Kommunikation konzentriert sich letztlich bei der Codierung nur darauf die störenden Einflüsse der anderen Kommunikationsmedien hinsichtlich des jeweils zu lösenden Problems zu minimieren und die unterstützenden Einflüsse zu konzentrieren und zu verdichten, um die Wahrscheinlichkeit einer Annahme zu erhöhen. Störend sind dabei solche Informationen, die in der Perspektive des Adressaten keinen Sinn ergeben. Unterstützend wirken dagegen solche Informationen, die in der Perspektive des Adressaten einen Sinn ergeben. Die Konzentration auf das Erleben des Kommunikationspartners allein reicht allerdings noch nicht aus, denn es geht darum die Unsicherheiten zu absorbieren, die durch das zu lösende soziale Problem entstehen. Neben der Gestaltung des Kommunikationsangebots, um es in der Sozialdimension attraktiv zu machen, muss es auch noch das soziale Problem lösen, dass unabhängig von den beteiligten Personen immer wieder auftritt. Die Kunst der Kommunikation besteht deshalb darin sowohl die beteiligten Personen in ihrem Selbst-Erleben zu berücksichtigen als auch das soziale Problem zu lösen, von dem die Kommunikationspartner betroffen sind. Der entscheidende Faktor bei der Evaluierung des Erfolgs ist für die Kommunikationsteilnehmer das Gefühl des Verstanden-Werdens - sowohl hinsichtlich der Situationsdefinition als auch der Betroffenheit von einem Problem. Die meisten Konflikte entstehen heute vor allem deswegen, weil man sich nicht auf eine Beschreibung des gemeinsamen Problems einigen kann. Dabei geht es im Kern um Unstimmigkeiten in der Codierung eines Kommunikationsangebots. Moderne, funktional spezifizierte Kommunikation zeichnet sich gerade durch die Verfahren aus, solche Codierungsprobleme zu überwinden. Verfahren sind ergebnisoffen und nehmen das Ergebnis des Kommunikationsprozesses nicht vorweg (vgl. Luhmann 1983). Dadurch unterscheiden sich Verfahren von Techniken. Techniken sind Prozesse, bei denen bereits am Anfang klar ist, wie das Ergebnis ausfallen wird. Und gerade weil moderne Kommunikationssequenzen ergebnisoffen beginnen, ist die Mitwirkung der beteiligten Personen erforderlich, damit ein für alle Beteiligten befriedigendes Ergebnis herauskommt. Erwartungen können sich dann nur noch über die Regeln des Verfahrens bilden, aber nicht mehr über das Ergebnis eines Verfahrens.

Die Fokussierung auf das jeweilige soziale Problem kann die anderen Kommunikationsmedien also nicht vollständig ausschalten. Um die Annahme eines Kommunikationsangebots zu motivieren konzentriert sich dann die Organisation des Verfahrens darauf die anderen Kommunikationsmedien für die jeweilige gesellschaftliche Funktion in Anspruch zu nehmen, indem z. B. die Wahrheit bestimmter Informationen, die einer bestimmten politischen Entscheidungsoption zugrunde liegen, durch wissenschaftliche Erkenntnisse entweder untermauert oder bestritten werden. Es wird, mit anderen Worten, das jeweilige Angebot bzw. die jeweilige Lösung semantisch verdichtet oder es ist zu viel Rauschen in der Komposition – was natürlich immer eine Frage der Beobachtungsformen des Adressaten bzw. Beobachters ist. Dem entsprechend müssen die Codierungsregeln aller Beteiligten rekonstruiert werden, um zu verstehen, warum ein bestimmtes Kommunikationsangebot angenommen wird oder nicht. Das Risiko bei solchen Motivations- oder Abwehrstrategien ist jedoch, dass der Eindruck entstehen kann, dass die Annahme eines politischen Kommunikationsangebots von wissenschaftlicher Wahrheit abhängen würde. Dann würde der Wahrheitscode den Machtcode gleichsam überschreiben. Wenn ein Politiker ein Kommunikationsangebot wissenschaftlich codiert, dann sind die Adressaten keine Politiker oder Bürger mehr, sondern Personen, die an wissenschaftlicher Wahrheit interessiert sind. Was kaum eine politische Relevanz besitzen würde und entsprechend wenig Aussicht auf die Annahme als politisches Kommunikationsangebot hätte. Die Erfahrungen aus Faschismus und Kommunismus sollten außerdem gelehrt haben, dass bei der glaubhaften Drohung mit Gewalt wissenschaftliche Wahrheit keine Rolle mehr spielt. Ähnliches hatte zuvor bereits die Inquisition bezüglich des richtigen Glaubens vorgeführt. Genauso spielt wissenschaftliche Wahrheit auch keine Rolle, wenn es um die Entscheidung geht, wer in der nächsten Legislaturperiode gegebenenfalls mit Gewalt drohen darf. Hier hat man es also bereits mit einem Codierungsproblem zu tun. Fokussiert man die soziologische Beobachtung auf den jeweiligen Kontext bzw. das jeweilige Bezugsproblem, kann man also analysieren, wie die Beteiligten jeweils das Bezugsproblem beobachten und wie die einzelnen Kommunikationsmedien zur Lösung des jeweiligen Bezugsproblems beitragen oder es verschlimmern.


II

Der Sachverhalt, dass jedes Kommunikationsangebot unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert und begriffen werden kann, hat gravierende Auswirkungen auf sozialwissenschaftliche Theoriebildung und die Bewertung der bisherigen Ergebnisse. Wenn der analytische Ausgangspunkt einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung lediglich eines der Kommunikationsmedien ist, dann lässt sich Gesellschaft entweder als Ökonomie oder als Politik oder als ästhetisches Projekt oder als Aberglaube oder – je nachdem wieviel zwischenmenschliche Nähe man bevorzugt – als solidarische Gemeinschaft oder entsolidarisierte Gesellschaft der Individuen beschreiben. Egal ob Macht, Knappheit, Schönheit, Wahrheit, Aufmerksamkeit, Transzendenz oder Intimität der theoretische Referenzpunkt ist, jedes Mal lässt sich ein einigermaßen konsistentes Bild zeichnen. Da man aber zugleich alle anderen Kommunikationsmedien außeracht lässt, handelt es sich zugleich um ein sehr einseitiges und damit verzerrtes Bild der Gesellschaft. Im Folgenden wird dieses Problem genauer verdeutlicht. Dabei wird es zum einen darum gehen, die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten methodischen Konsequenzen anzuwenden. Diese stellen auch neue Anforderungen an die schriftliche Darstellung der Analyse. Das Folgende ist nur ein erster Versuch auf der Suche nach einer gangbaren Darstellung. Zum anderen wird das Codierungsproblem an einem wissenschaftlichen Kommunikationsangebot dargestellt. Das erlaubt es zugleich auf die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem sozialwissenschaftlicher Theoriebildung einzugehen. Ein Paradebeispiel für beide Probleme sind die Studien von Michel Foucault. Obgleich er die strukturelle Kopplung der Kommunikationsmedien Macht und Wahrheit untersucht hatte, war das Ergebnis eine Gesellschaftstheorie, die Kommunikationsprozesse im Allgemeinen als »Politik« und Organisationsprozesse im Besonderen als »Regierung« beschreibt. Damit hat er bestimmte, sicherlich nicht zu bestreitende Aspekte, von Kommunikationsprozessen hervorgehoben, auf der anderen Seite aber die anderen Kommunikationsmedien sträflich vernachlässigt. 

Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, wird nun zunächst das Bezugsproblem der Politik als Kontext angelegt, in dem Foucaults Analysen interpretiert werden. Das Bezugsproblem der Politik besteht darin, dass ein Mitteilender (Ego) durch sein Handeln den Adressaten (Alter) zu einer Handlung motivieren will. Um die Annahme eines Kommunikationsangebots zu motivieren, wird sehr häufig mit dem Angebot einer Vermeidungsalternative gearbeitet. Dafür werden die Präferenzen des Adressaten berücksichtig und zwei oder mehr Handlungsalternativen angeboten, von denen zumindest eine die Präferenzen des Adressaten berücksichtigt und genau deswegen damit gerechnet werden kann, dass sie vom Adressaten angenommen wird. Foucault hatte ein feines Gespür dafür, wie auf diese Weise Personen dazu motiviert werden bestimmten Handlungen auszuführen. Solange es sich um Handlungen handelt, die man freiwillig ausführt, registriert man die Macht in der Regel gar nicht als solche oder, wenn doch, betrachtet man dies eher als unproblematisch. Foucault konzentrierte sich allerdings nur auf solche Kommunikationsangebote, bei denen alle Alternativen vom Adressaten nicht präferiert werden. Eine der Alternativen wird aber noch weniger präferiert als die andere, so dass man erwarten kann, dass sich der Adressat für die Annahme des kleineren Übels entscheiden wird. Da aber auch in diesen Fällen Wissen über die Präferenzen des Adressaten notwendig ist, gelang es Foucault mit seinen Analysen die Paradoxien der Macht und der Wahrheit offenzulegen. Er untersuchte aber nur Kommunikationstechniken, die den Zweck haben Personen bestimmte Handlungen gegen ihren Willen ausführen zu lassen. Trotzdem hielt er diese Kommunikationstechniken für ein allgemeines Merkmal von Kommunikation und generalisierte sie bis auf ein gesellschaftstheoretisches Niveau. Auf diese Weise konnte er die Gesellschaft nur als einen riesigen Überwachungsapparat beschreiben, die die Menschen nur durch das Wissen über ihrer eigene Beobachtbarkeit kontrolliert. Diese Sichtweise verwandelte allerdings die Autonomie des Subjekts zu einem großen Mysterium, da es einer unentrinnbaren, externen Kontrolle unterworfen wurde.

Um Menschen etwas gegen ihren Willen tun zu lassen, muss man glaubwürdige Vermeidungsalternativen anbieten können. Dafür ist jedoch ein entsprechendes Wissen über die Präferenzen des Adressaten notwendig. Derartiges Wissen bekommt man nicht aus den Massenmedien, sondern nur aus der direkten Interaktion. Daran sieht man, dass Macht auch eine gewisse Intimität zwischen den Kommunikationspartnern voraussetzt. Macht konstituiert sich also erst, wenn der Mitteilende (Ego) auf der Grundlage von Erwartungen über das Erleben des Adressaten (Alter) handelt. Die Anwendung von Macht tangiert also auch die Problemstellungen von Wissenschaft (Wahrheit), Religion (Transzendenz), Liebe (Intimität) und Erziehung (Personenveränderung). Die Fokussierung auf das Angebot von nicht präferierten Vermeidungsalternativen eröffnet allerdings einen zu engen Analyserahmen und hat damit das Potential jegliche Kommunikationsprozesse als Politik zu beschreiben – speziell, wenn man sich nicht nur auf Situationen beschränkt in denen die Anwendung physischer Gewalt zum Problem wird, sondern auch das, was zumeist als symbolische Gewalt bezeichnet wird. Das führte zu dem Eindruck, dass Menschen durch Kommunikation immer zu etwas gezwungen werden, was sie eigentlich nicht wollen. Die damit ausgelöste Verunsicherung bzw. Angst hat sich zumindest in Teilen der Sozialwissenschaften inzwischen fest etabliert und tradiert.

Diese Verunsicherung lässt sich reduzieren, wenn man die Vermeidungsalternativen auf die mögliche Anwendung von physischer Gewalt reduziert und lediglich Kommunikationsangebote, die mit der Drohung von physischer Gewalt arbeiten, als politische Macht begreift. Denn das ist das Bezugsproblem des gesellschaftlichen Funktionssystems Politik, welches mit der Durchsetzung der kollektiv bindenden Entscheidung, dass zur Verfolgung der eigenen Interessen keine Gewalt zum Einsatz kommt, gelöst wird. Vereinfacht ausgedrückt, ist der Zweck politischer Kommunikation die Vermeidung von gewaltsamen Konflikten, das aber notfalls auch mit Gewalt. Der Vorteil bei einer Drohung von Gewalt ist, dass man sich nicht auf das Erleben des Adressaten einlassen muss und gerade dadurch kann Macht personenunabhängig konditioniert werden. Bei der Drohung mit physischer Gewalt werden Menschen nicht mehr als autonom Handelnde Personen behandelt, sondern durch den einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang von Drohung mit Gewalt und Ausführung der befohlenen Handlung auf triviale Maschinen in Sinne Heinz von Försters (vgl. 1997, S. 34ff.) reduziert. Politik löst zwar ein bestimmtes menschliches Problem. Da man jedoch bei der Anwendung von Gewalt vom Erleben des Betroffenen absehen kann, behandelt man ihn nicht mehr als autonom handelnde Person, sondern wie ein Ding. Das Opfer der Gewalt wird im Sinne Ronald D. Laings depersonalisiert (vgl. 1972, S. 18ff.).

Die Lösung von Konflikten, bei denen keine physische Gewalt im Spiel ist, wird in der modernen Gesellschaft den anderen Funktionssystemen überlassen bzw. den betroffenen Kommunikationspartnern. Wenn man dagegen jeden Konflikt als Anwendungsfall von Gewalt begreift, erscheint Kommunikation zwangläufig als eine Form der Politik. Es ist jedoch eine der Errungenschaften der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft, dass Konflikte durch entsprechende, funktionssystemeigene Konfliktlösungsverfahren isoliert werden, damit sie sich nicht ausweiten. Stellt man die Legitimität solcher Verfahren grundsätzlich infrage, ist der Grundstein für eine ungehinderte Ausbreitung von Konflikten gelegt. Eine Variante dies zu tun, ist die Gleichsetzung von physischer und symbolischer Gewalt. Entsprechend missverständlich ist eine Beschreibung von Kommunikation als Politik, die letztlich nur eine selektive Wahrnehmung verallgemeinert und dann als richtungsweisend für weitere Beschreibungen verwendet wird. Die soziale Funktion einer solchen Beschreibung besteht daher auch nur darin jegliche Kommunikationsprozesse als Anwendung von Gewalt zu beschreiben. Dieser Analogieschluss vom menschlichen Körper auf das psychische Erleben, hat den psychologischen Effekt, dass die Unterlegenen eines Konflikts nicht mehr bereit sind die Legitimität einer Lösung anzuerkennen, wenn sie zu ihren Ungunsten ausfällt. Denn nur der Staat darf legitim mit Gewalt drohen, niemand sonst. Foucault hat durch seinen Analyseansatz ein unerschöpfliches Protestpotential  erschlossen und damit die theoretischen Weichen für eine solche ungehinderte Ausbreitung von Konflikten gestellt.

Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Entstehungszeitpunkt kann man sehen, dass die Probleme dieser verzerrten Sichtweise immer mehr zu Tage treten. Die Freiheit des Einzelnen bleibt bis heute das größte Problem poststrukturalistischer Ansätze im Anschluss an Foucault. Dieses Problem ist jedoch, wenn man das so sagen darf, hausgemacht. Denn bereits der theoretische Ausgangspunkt lässt keine andere Möglichkeit zu, außer Menschen als unmündige Herrschaftsobjekte zu betrachten, die nur durch die Anwendung von physischer Gewalt geändert werden können. Letztlich hat sich Foucault und haben sich seine Nachfolger bis heute lediglich darauf konzentriert, wie man alles dazu benutzen kann Menschen zu unterwerfen und gefügig zu machen. Sicherlich senkt eine glaubwürdige Drohung mit Gewalt die Wahrscheinlichkeit für die Ablehnung einer Anweisung beträchtlich. Doch bereits Luhmann wies darauf hin, dass die Anwendung von Gewalt als Scheitern von Macht betrachtet werden muss, denn nur die glaubwürdige Drohung mit Gewalt und nicht die tatsächliche Anwendung von Gewalt konstituiert ein Machtverhältnis in einem politischen Sinne (vgl. Luhmann 2000, S. 55f.; 2003, S. 64f.). Wenn man Gewalt anwenden muss, war die Drohung offenbar nicht abschreckend. Beobachtet man mit diesem Verständnis von Politik Foucaults Analysen dessen, was er als Politik beschreibt, dann sieht man, dass es ihm weniger um das soziale Problem der gewaltsamen Durchsetzung von Interessen, sondern um die Verhaltensänderungen von Menschen mit Hilfe von physischer Gewalt geht. Damit hat er sich eigentlich auf Erziehungsmethoden spezialisiert, die mit Gewalt arbeiten, um eine Änderung einer Person herbeizuführen. Er übernimmt und reproduziert damit zugleich, allerdings unter negativem Vorzeichen, die autoritäre Sichtweise der politischen Machthaber, welche die Anwendung von Gewalt mit Macht verwechseln. Da politische Kommunikation nur mit der Rollenverteilung von Machthaber und Machtunterlegener funktioniert, handelt es sich um die Perspektive der Opfer solcher willkürlichen Gewalt, die Foucault einnimmt.

An Studien wie »Überwachen und Strafen« (1976) kann man die Mischung aus Abscheu gepaart mit einem gehörigen Maß an Voyeurismus an dem Leid anderer Menschen kaum ignorieren, der sich in der gleichsam psychotischen Furcht vor der Beherrschung durch eine fremde, anonyme Macht chronifiziert hat und aus dem poststrukturalistische Beobachter bis heute ihre Motivation ziehen. Um dieses Bild vom unterworfenen, unmündigen und abhängigen Subjekt aufrecht zu erhalten, müssen sich die Analysen mit immer neuen Superlativen überbieten, um noch dieselbe Wirkung zu erzielen. Kommunikation generell als symbolische Gewalt zu beschreiben, kommt diesem Ziel sehr entgegen. Doch gerade diese aus dem Analogieschluss vom Körper auf das psychische Erleben resultierende Übertreibung ist der Versuch einer Gesellschaftstheorie, die aber immer weniger auf wissenschaftliche Aufmerksamkeit und immer mehr auf massenmediale Aufmerksamkeit schielt, und vermittelt darüber auch auf politische [1]. Die Theoriegeschichte des Poststrukturalismus ist daher nicht nur ein gutes Beispiel für eine verzerrte Gesellschaftsbeschreibung, die lediglich zwei Kommunikationsmedien berücksichtigt, sondern auch dafür, wie langsam die Codierung modifiziert wird und sich dadurch neue massenmediale und politische Anschlüsse öffnen, sich dafür aber die wissenschaftlichen Anschlüsse immer weiter verschließen. Dies hat sich im Verlauf der NSA-Affäre ziemlich deutlich gezeigt, für deren feuilletonische Aufarbeitung sehr häufig Foucault bemüht wurde.

Dass sich poststrukturalistische Theorien zu derart schillernden Kommunikationsangeboten entwickeln konnten, liegt daran, dass im Grunde versucht wird eine gewisse Vorstellung vom Funktionieren sozialer Prozesse gesellschaftsweit zu verbreiten, das darin besteht, dass Menschen durch ihre Umwelt zu Verhaltensweisen gezwungen werden, die sie freiwillig nicht ausführen würden. Und so gelingt es schließlich das geradezu unglaubliche Skandalon zu entdecken, dass Menschen, obwohl sie glauben etwas freiwillig zu tun, dies doch gegen ihren Willen tun – so sieht es zumindest in diesem Theorierahmen aus. Die Menschen erscheinen als vollständig fremdgesteuert. Die gesellschaftstheoretische Botschaft lautet dann, dass die Gesellschaft Menschen mit Gewalt zu Handlungen zwingt, die sie nicht wollen. Gesellschaft bzw. Kommunikation beginnt aber erst, wenn mindestens zwei Menschen beteiligt sind. Aus dieser kommunikationstheoretischen Perspektive lautet die Botschaft jedoch, dass Menschen sich gegenseitig gewaltsam zu Handlungen zwingen, die sie nicht wollen. Obgleich dies von poststrukturalistischer Seite nie so explizit formuliert wird, ist es die logische Konsequenz. Sie kann in diesem Theorierahmen aber nicht ausgedrückt werden. Dennoch wird sie vorreflexiv zumindest registriert. Der soziale Effekt ist, dass sich die Menschen gegenseitig nur noch misstrauen können, weil jeder andere Mensch eine potentielle Gefahr darstellt. Daher müssen Techniken entwickeln werden, um sich gegen diese Bedrohung durch andere Menschen zu schützen. Die Attraktivität eines solchen Kommunikationsangebots speist sich aus der Mischung von Abscheu vor der Gewalt, die man durch andere selbst erleiden kann, und der Faszination an der Gewalt, die man anderen antun kann. Die Diskursanalyse lebt zu einem beträchtlichem Maße von der Suggestion einer politischen Lösung dieses Problems.


III

Diese politische Beschreibung von zwischenmenschlichen Beziehungen, wie sie von Foucault angeboten wurde, ähnelt aus psychologischer Perspektive der psychotischen Wahrnehmung von Paranoiden. Diese Ähnlichkeit ist aus der hier angelegten Perspektive das Ergebnis dieser einseitigen Konzentration auf ein psychisches Problem, nämlich der verständlichen Furcht vor gewaltsamen Veränderungen des Selbst, dessen Lösung jedoch kommunikativ auf mehrere Funktionssysteme der Gesellschaft aufgeteilt wurde: auf das politische System, dass sich auf die Gewaltprävention konzentriert, und das gegebenenfalls auch durch die Anwendung von Gewalt; auf das Erziehungssystem, das sich auf die gewaltlose Veränderung von Personen konzentriert; und auf Religion, die durch ihren Bezug auf Transzendenz zugleich auf die Veränderungsmöglichkeiten in Bezug auf die Menschen und ihre Umwelt aufmerksam macht [2]. Diese Einseitigkeit hat zu einer verzerrten Wahrnehmung zwischenmenschlicher Beziehungen geführt, die lediglich ein gegenseitiges Misstrauen fördert. Der Begriff »Psychose« bezeichnet letztlich nichts anderes als eine verzerrte Wahrnehmung. Foucaults Diskursanalyse stellt unter diesem Gesichtspunkt den Versuch dar, eine psychotische Wahrnehmung als wissenschaftliche Wahrheit zu rationalisieren. Da es jedoch um die Furcht vor und damit zugleich um den Protest gegen die Anwendung von physischer Gewalt geht, ist die Botschaft zwar formal wissenschaftlich codiert. Der Inhalt richtet sich jedoch an die Politik, denn es geht um ein politisches Problem - eben die Anwendung von Gewalt und im weiteren, aber das ist eben kein politisches Problem mehr, dann auch um die Anwendung von symbolischer Gewalt. Zugleich wird damit indirekt die Hoffnung auf eine übergeordnete, gottgleiche Instanz geschürt, die jeden Konflikt nach personenunabhängigen, gleichsam objektiven und unveränderlichen Maßstäben lösen könnte. Eine derartige Hoffnung hegen allerdings nur Personen, die in einem Konflikt unterlegen sind und zugleich nicht mit den Folgen ihres eigenen Handelns konfrontiert werden wollen, mithin die Verantwortung für ihr Handeln lieber einer externen Instanz zurechnen wollen.

Foucault befand sich mit diesem Verständnis von Kommunikation, die er als Diskurs bezeichnet, in dem Dilemma sich zwischen Politik oder Wissenschaft entscheiden zu müssen. Er entschied sich für Wissenschaft, hat aber nicht erkannt, dass das seinen Analysen zugrunde liegende Problem wissenschaftlich nicht zu lösen ist. Entsprechend empathisch blieb der Protest, jedoch ohne dass klar wurde, wie dieses Problem gelöst werden könnte. Man darf gespannt sein, wie dieses Dilemma sich zwischen Wissenschaft und Politik entscheiden zu müssen, von seinen Nachfolgern aufgelöst wird. Für wissenschaftliche Anschlussfähigkeit müsste eine stärkere, wissenschaftliche Selbstreflexion stattfinden. Diese würde jedoch in letzter Konsequenz zu der Erkenntnis führen, dass der Poststrukturalismus lediglich einen psychischen Abwehrreflex gegen die Umwelt - damit sind andere Menschen gemeint - artikuliert. Die eigene, absolute Freiheit des Erlebens und Handels wird immer durch die Existenz anderer Menschen beschränkt. Somit können andere Menschen aus dieser Perspektive immer nur als Freiheitsbedrohung und damit als Feinde der eigenen Selbstentfaltung wahrgenommen werden, was ein entsprechend generalisiertes Misstrauen gegen andere Personen nährt. Da dieses misanthropische Ressentiment so direkt nicht formuliert werden kann, flüchtet man sich in die Anklage irgendwelcher anonymen Machtstrukturen. Zugleich wird damit die Möglichkeit geboten, die Verantwortung für sein eigenes Handeln scheinbar theoretisch begründet zurückzuweisen. Das macht diesen Ansatz besonders für Personen attraktiv, die mit ihrer Kommunikationsteilnahme weniger erfolgreich sind.

Für politische Anschlussfähigkeit müsste sich der Poststrukturalismus nur zu diesem misanthropischen Ressentiment bekennen. Denn letztlich geht es eben um die Verbreitung dieses Ressentiments, das schon allein dadurch politisch wird, weil es implizit in einer Freund/Feind-Unterscheidung in einem existentiellen Sinne begründet ist. Da jedoch aus poststrukturalistischer Perspektive jeder Mensch für jeden anderen eine potentielle Freiheitsgefährdung darstellt, würden damit die psychischen Voraussetzungen für den Hobbesschen Krieg aller gegen alle gelegt. Die Lösung würde dann auch nur wieder darin bestehen Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Dies würde einen Teufelskreis wechselseitigen Misstrauens in Gang setzen, aus dem es kein Entkommen gibt. Wenn man allerdings von der Erwartung ausgeht, dass sich Menschen nur gegenseitig Gewalt antun wollen und diese Neigung sich auch nicht ändern lässt, dann kann auch Hobbes‘ Staatsvertrag nur eine Lösung sein, die mit Zwang arbeiten muss, weil sie Menschen zu etwas zwingt, was sie eigentlich nicht wollen. In einem solchen Szenario wäre kaum ein spontanes Engagement der Beteiligten zu erwarten, um die etablierte symbolische Ordnung aufrecht zu erhalten. Wäre sie nicht einseitig durch die Drohung mit Gewalt gestützt, würde sie aufgrund mangelnder Mitwirkung der Bedrohten einfach zusammenbrechen [3]. Genau dieses Schicksal ist vielen kommunistischen Regimen widerfahren.

Kommunikationstheoretisch ist der Poststrukturalismus als Kommunikationsangebot sehr breit aufgestellt. Er spielt auf die Bezugsprobleme der Politik, der Erziehung, der Religion und der Liebe an. Dies gelingt, weil der Analogieschluss von physische auf symbolische Gewalt als Generalisierungspfad genutzt wird, um ein umfassendes Bedrohungsszenario für psychische Systeme zu beschreiben, in dem jegliche Kommunikation die Autonomie des Selbst beschneidet. Diese funktionale Streuung der poststrukturalistischen Botschaften erklärt sich daraus, dass Foucaults Bezugsproblem, dass seine Analysen leitete, letztlich ein psychisches und kein soziales Problem ist. Das Selbst-Erleben der beteiligten Kommunikationspartner ist in jeder sozialen Situation betroffen. Aber nur für die, denen es nicht gelingt attraktive Kommunikationsangebote zu unterbreiten, wird das Selbst-Erleben zu einem mitunter schmerzhaften und existentiellen Problem. Es geht also um die Kontingenz der Erlebensmöglichkeiten, die aber als politisch relevanter Konflikt beschrieben wird. Kommunikation bzw. Gesellschaft als gleichsam gewaltsame Veranstaltung zu beschreiben, bietet die Möglichkeit, dass andere dieses psychische Problem auch nachfühlen können. Würde man diese Beschreibung ernst nehmen, wäre die Konsequenz aus Rücksicht auf das Selbst-Erleben anderer Personen jegliche Handlungen zu unterlassen. Kommunikation wäre unterbunden und das Problem gelöst. Es ist offensichtlich, dass es sich hierbei um eine Lösung handelt, die keine ist.

Die soziale Funktion einer derartigen Vorgehensweise besteht darin, die Annahme eines letztlichen politischen Lösungsangebots dadurch zu motivieren, dass man sie in einer wissenschaftlichen Form kommuniziert. Mit anderen Worten, die vorgeblich wissenschaftliche Form camoufliert den letztlich politischen Inhalt der Botschaft, die allerdings nur über die eigene Unfähigkeit informiert, Konflikte selbstständig zu lösen. Die Ironie des poststrukturalistischen Abenteuers besteht darin, dass das Problem mit der Lösung verwechselt wird. Was ist schon damit gewonnen, wenn man auf die Kontingenz menschlichen Erlebens und Handelns hinweist, außer dass auf das soziale Grundproblem der Divergenz psychischen Erlebens aufmerksam gemacht wird? Zugleich wird auch die Lösung für das Problem gehalten, denn was problematisiert wird, sind die Lösungen, wie Kommunikation das Problem der Handlungskoordination bei divergentem psychischem Erleben löst. Wenn das angestrebte Ideal jedoch ein von Kommunikation gleichsam unberührtes und unberührbares Subjekt ist, so kann die Lösung nur in der Nichtteilnahme an Kommunikation bestehen. Dieses Abschneiden von jeglichem Feedback aus der Umwelt hat den Zweck die Kontingenz der eigenen Existenz zu invisibilisieren. Es handelt sich, mit anderen Worten, um einen Versuch der Sinngebung. Da sich ein autonomes und bewusstes Selbst aber nur durch den Kontakt mit anderen Personen bilden kann, weil man nur durch die Interaktion mit anderen eine Vorstellung von sich selbst und der Welt entwickeln kann, wird auf diese Weise die Divergenz des psychischen Erlebens nur noch weiter vorangetrieben. Diese Flucht in die eigene Subjektivität macht eine Lösung des sozialen Grundproblems unmöglich. Die Botschaft, dass Menschen sich gegenseitig in ihren Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten einschränken, perpetuiert also nur das soziale Grundproblem und macht es genau dadurch zu einem politischen Problem. Dadurch wird verständlich, wieso sich sowohl der Zorn als auch alle Hoffnungen poststrukturalistischer Beobachter auf die Politik richten.


IV

Jeder Theorieansatz der seinen begrifflichen Rahmen zu eng und damit seine analytische Perspektive zu weit absteckt, geht also das Risiko ein, eine verzerrte Beschreibung zu produzieren. Egal für welchen Begriff man sich entscheidet, die Umwelt lässt sich immer unter diesem einen Begriff in eine Form bringen. Jede dieser Beschreibungen besitzt eine gewisse Plausibilität. Egal ob man Gesellschaft nun als Überwachungs-, Kontroll-, Risiko-, Netzwerk-, Wissens-, Informations- oder Spaßgesellschaft beschreibt. Es gelingt immer einen gewissen sozialwissenschaftlich relevanten Aspekt herauszuarbeiten. Weil es aber eben nur eine Unterscheidung ist, mit der das Phänomen Gesellschaft als Ganzes analytisch angeschnitten wird, können die daraus resultierenden Beschreibungen keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit beanspruchen (vgl. Luhmann 1997, S. 1132). Da man jedes beliebige Phänomen mit jedem beliebigen Begriff beobachten kann, können derartige Beschreibungen nur eine partielle Plausibilität für sich in Anspruch nehmen. Mit anderen Worten, die Komplexitätsreduktion ist zu stark und vereinfacht das zu beschreibende Phänomen zu sehr. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn das Treffen einer Unterscheidung mit einem gewaltsamen Akt verglichen wird. Das Ergebnis dieser Beobachtung kann der Komplexität des beobachteten Phänomens nicht gerecht werden, weil es weder einer Beobachtung noch einer Beschreibung gelingen kann, die Komplexität eines Phänomens voll zu erfassen. Es wird dem zugrunde liegendem Problem aber nicht gerecht die Lösung als symbolische Gewalt zu beschreiben. Desweiteren ist auch die Vorstellung völlig verfehlt, ein Zeichen, eine Bezeichnung oder eine Beschreibung würde das, worauf sie die Aufmerksamkeit lenken, abbilden oder repräsentieren. Diese Vorstellung würde der Annahme entsprechen, dass man die Komplexität der Umwelt Eins zu Eins in das System spiegeln könnte, was zu der Schlussfolgerung führt, dass gar keine Reduktion der Komplexität notwendig wäre bzw. das zugrunde liegende Problem gar nicht erst in den Blick kommt. Da allerdings Beobachtung bzw. Fokussierung der Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes anderes notwendigerweise unberücksichtigt lassen muss, kann eine Abbild-Theorie keinen adäquaten Zugang zum Verständnis sozialer Probleme liefern. Außerdem sind derartige Vorstellungen bereits empirisch widerlegt (vgl. Varela 1997, Maturana/Varela 2005).

An diesem Problem wird weiterhin deutlich, wie sich die Eigenschaften des Untersuchungsgegenstandes auf die Mittel seiner Untersuchung auswirken. Wenn dasselbe Phänomen in verschiedenen Begriffen beschrieben werden kann und verschiedene Phänomene mit denselben Begriffen, dann stellt sich das Problem der Multifunktionalität nicht nur in der Kommunikation, sondern auch in einem der wichtigsten Kommunikationsmedien - der Sprache selbst. Darüber hinaus kann Sprache auch auf sich selbst angewendet werden. D. h. man kann Sprache mit Hilfe der Sprache beobachten bzw. Sprache kann sich selbst beobachten (vgl. von Foerster 1997, S. 50; Maturana/Varela 2005, S. 227f.). Damit entsteht eine selbsterzeugte Unsicherheit in Form eines unendlichen Raums an Ausdrucksmöglichkeiten des eigenen Erlebens und Koordinationsmöglichkeiten des gemeinsamen Handelns. Aufgrund der funktionalen Äquivalenz verschiedener Ausdrucks- und verschiedener Koordinationsmöglichkeiten kann man auch von der Multifunktionalität der Sprache sprechen. Immer geht es um die Lösung eines bestimmten sozialen Problems. Mit nonverbalen Gesten ist keine Selbstbeobachtung möglich. Sie können die Aufmerksamkeit nur auf etwas anderes lenken als sie selbst. Erst mit einer Sprache, die auch Abwesendes thematisieren kann, ist es möglich, dass die Aufmerksamkeit auf die Form der Aufmerksamkeitslenkung selbst gerichtet werden kann. Durch diesen reflexiven Mechanismus (vgl. Luhmann 2005a) eröffnen sich völlig neue, unüberschaubare Möglichkeiten der Beobachtung, die mit gestischem Hindeuten nicht möglich wären.

Dieses Merkmal ist es, das menschliche von tierischer Kommunikation unterscheidet. Sprachen, die Abwesendes thematisieren können, bieten die Möglichkeit zur Selbstreflexion. Die Sprachen, die Tiere entwickelt haben, sind dagegen nicht auf sich selbst anwendbar und bieten daher auch keine Möglichkeit der Selbstreflexion. Dementsprechend ist mit tierischer Kommunikation keine Selbstbeobachtung möglich. Ebenso können sich aber auch die beteiligten Tiere nicht selbst beobachten. Haben menschliche Sprachen eine gewisse sachliche, zeitliche und soziale Differenzierung erreicht, ist es nicht nur möglich dass eine Sprache sich selbst beobachten kann, sondern dass Menschen sich mit Hilfe der Sprache selbst und andere beobachten können. Entsprechend kann man tierische Sprachen auch als egozentrische Sprachen bezeichnen und menschliche Sprachen als allozentrische Sprachen (vgl. Spitz 1978, S. 15). Hier wird die Unterscheidung von allozentrischen und egozentrischen Sprachen im Folgenden als das psychologische Gegenstück zur gesellschaftstheoretischen Unterscheidung von polykontexturalen und monokontexturalen Beobachtungsverhältnissen verwendet. Eine egozentrische Perspektive kann sich auch in einer menschlichen Sprache ausdrücken. Die Unterscheidung von allozentrischen und egozentischen Sprachen zielt also auf bestimmte Formen ab, sich als Person zu seiner Umwelt in Beziehung zu setzen. Menschliche Sprachen bieten ab einem gewissen Differenzierungsgrad zumindest die Möglichkeit sich durch reflexive Mechanismen von einer egozentrischen Perspektive zu emanzipieren, um die Perspektiven anderer Menschen sprachlich nachvollziehen zu können. Erst dadurch wird Interpenetration – die Berücksichtigung des Erlebens des Kommunikationspartners für die Wahl der eigenen Anschlusshandlungen [4] – überhaupt möglich, die über Empathie als eine vorwiegend vorreflexive, wahrnehmungsgesteuerte und mimetische Verhaltenskoordination weit hinausgeht. Mit fortschreitender funktionaler Differenzierung wird diese Fähigkeit, sich in die Lage seiner Kommunikationspartner zu versetzen, immer stärker erwartet, denn ohne bleiben eine Unmenge an Kommunikationsmöglichkeiten verschlossen. Reflektierte Autologie (vgl. Luhmann 1997, S. 1141f.). in Form von selbstbewusstem Handeln wird damit von jeder Person erwartet. Wer sich nicht darüber bewusst ist, wie sein Verhalten in einem bestimmten Kontext von anderen Personen verstanden wird, wird Probleme damit haben erfolgreich an Kommunikation teilzunehmen.


V

Das Funktionssystem Wissenschaft löst dieses Problem der Multifunktionalität der Sprache durch Theoriebildung und methodische Überprüfung. Theoriebildung bedeutet dann die weitere Differenzierung der verwendeten Begriffe in Anhängigkeit von den Ergebnissen der methodischen Überprüfung. Doch gerade im Anbetracht der totalisierenden und damit verzerrten Perspektive, die eine Reduktion auf einen Begriff wie Überwachungsgesellschaft mit sich bringt, müsste das Kontingenzbewusstsein gestärkt werden, in dem man z. B. fragt, was spricht gegen eine solche Beschreibung. Darüber lässt sich zumeist bereits die theoretische Reichweite und damit die Verallgemeinerbarkeit bzw. Generalisierbarkeit von Begriffen abschätzen. Je umfassender der theoretische Anspruch ist, desto differenzierter bzw. komplexer muss das Theoriegebäude sein. Dies macht verständlich, wieso unter diesen Voraussetzungen Metaphern keine adäquate Theoriebildung mehr erlauben. Metaphern und Analogien mögen heute vielleicht noch unter künstlerischen Gesichtspunkten faszinieren, unter wissenschaftlichen jedoch nicht mehr. Sie können allenfalls noch als Ausgangspunkte für Theoriebildung und empirischer Forschung dienen. Was vom kommunizierten Inhalt auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten noch haltbar ist, erweist sich erst, wenn sie durch die Mühlen aus Theoriebildung und methodischer Überprüfung abgeschliffen wurden. Das ist dann zumeist nicht allzu viel. Geschieht dies nicht, ist die Gefahr relativ hoch, dass man die Eigenschaften des metaphorischen Vergleichsgegenstandes für die substantiellen Eigenschaften des Untersuchungsgegenstandes hält. Spätestens wenn man den Vergleich wörtlich versteht und nicht mehr metaphorisch, dann ist es bereits zu einer Verwechslung von Untersuchungs- und Vergleichsgegenstand gekommen [5].

Um diesem Risiko vorzubeugen, sind eine methodische Überprüfung und eine theoretische Reflexion notwendig. Da eine Theorie selbst zum Objekt wissenschaftlicher Beobachtung werden kann, ist zumindest in den Sozialwissenschaften eines der entscheidenden Prüfungskriterien die Frage, wie eine Theorie selbst in das von ihr gezeichnete Bild ihrer Umwelt passt. Mit anderen Worten, wie stellt sich die Theorie im eigenen Analyserahmen dar? Dabei zeigt sich, ob eine Theorie sich selbst bzw. ihre Form der Beobachtung bei der Beobachtung mit berücksichtigt. Ist dies nicht der Fall, weil sie ihren Gegenstand so behandelt als hätte sie nichts damit zu tun, dann ist Vorsicht geboten. Wird die Bedingung, dass die Beobachtung der Gesellschaft nur in der Gesellschaft möglich ist, ernstgenommen, dann dürfte dieser Eindruck eigentlich nicht entstehen. Begriffe können die Umwelt aber niemals vollständig beschreiben und erklären. Deswegen muss das in der Wissenschaft produzierte Wissen immer unter Vorbehalt stehen. Selbst bei konsequenter methodischer Prüfung und theoretischer Reflexion besitzt das gewonnene Wissen nur eine vorläufige Plausibilität und kann nicht als endgültige Wahrheit behandelt werden. Denn die methodische Überprüfung führt, wenn nicht zur Falsifizierung, so doch zumindest zu einer Differenzierung der theoretischen Begriffe und auch der verwendeten Methode selbst, was immer präzisere Beschreibungen und Erklärungen ermöglicht. Zugleich wird durch diese Differenzierung der Theorie auch ihre Irritationsfähigkeit erhöht. Hier macht sich funktionale Differenzierung direkt in der wissenschaftlichen Arbeit bemerkbar.

Das Problem, dass sich dasselbe Phänomen mit verschiedenen Begriffen bzw. mit verschiedenen Unterscheidungen beobachten lässt, kann durch die Annahme gelöst werden, dass dieses Phänomen tatsächlich in der Umwelt des Beobachters existiert, auf das sich die Beobachtung bezieht. Das bedeutet nichts anderes als dass es ohne eine Umwelt auch kein System geben könnte, dass sich von ihr unterscheiden kann. Verschiedene Systeme bzw. Beobachter können ein Phänomen unterschiedlich beobachten. Und so legt gerade das Vorhandensein kontingenter Beschreibungsangebote desselben Phänomens die Vermutung über die nicht-kontingente Existenz dieses Phänomens nahe. Je mehr Beobachter dasselbe Phänomen anders - nicht gleich! - beschreiben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Phänomen einen Wirklichkeitsstatus unabhängig von den Operationen des Beobachters hat. Man stößt hier auf einen imaginären Eigen-Wert (vgl. von Foerster 1997, S. 45) unabhängig von der semantischen Form, in der das Phänomen beschrieben wird. Da jedes System nur durch Beobachten im Sinne des unterscheidenden Bezeichnens Informationen über seine Umwelt gewinnen kann, gibt es immer eine Möglichkeit durch den Abgleich von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den verschiedenen Beschreibungen nicht nur das beobachtete Phänomen als imaginären Eigen-Wert auszukatalysieren, sondern man findet auch Anknüpfungspunkte und Übersetzungsmöglichkeiten für die verschiedenen Semantiken. Zwar lässt sich keine Perspektive vollständig in eine andere Perspektive übersetzen. Anhand der Gemeinsamkeiten lassen sich aber die Unterschiede verstehen. Das eine vollständige Kongruenz der Perspektiven nicht möglich ist, liegt letztlich an der vom jeweiligen System verwendeten Ausgangsunterscheidung. Solange man aber von der Annahme ausgeht, dass verschiedene Systeme ihre Aufmerksamkeit auf dasselbe Phänomen in ihrer gemeinsamen Umwelt richten, gibt es auch eine Verständigungsmöglichkeit.

Wenn man diese Annahme aufgeben würde, gäbe es zwischen verschiedenen Systemen keine Verständigungsmöglichkeiten mehr. Der Konstruktivismus hat in dieser Hinsicht für einige gravierende Missverständnisse hinsichtlich des Wirklichkeitsstatus der Objekte wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gesorgt. Der radikale Konstruktivismus hat im Prinzip die Annahme aufgegeben, dass es eine Umwelt und damit die Objekte, die im Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit stehen, gibt. Daraus ergab sich ein radikalisierter Allozentrismus, der üblicherweise als Relativismus bezeichnet wird. Dieser Relativismus zeichnet sich dadurch aus, dass er jede Form der Beobachtung kontextlos – d. h. ohne Rekurs auf ein spezifisches Bezugsproblem - kontingent setzt. Ihm fehlten darüber hinaus Kriterien, mit denen ein Angebot attraktiver erscheinen konnte als andere. Und gerade darin fand der Relativismus die Begründung für die eigene Notwendigkeit. Der besondere Clou besteht darin, mit der Anerkennung der Kontingenz konkurrierender Theorieangebote, diese damit zugleich als beliebig abzulehnen. Postmoderne Theorien auf der anderen Seite haben zwar nicht die Vorstellung aufgegeben, dass es erforschbare Phänomene gibt. Stattdessen wird einfach die Tatsache ignoriert, dass man dasselbe Phänomen aus verschiedenen Perspektiven beobachten kann. Daraus ergab sich wiederum ein radikalisierter Egozentrismus, der einfach ignoriert, dass verschiedene Menschen unterschiedlich erleben können, und gerade aus dieser Divergenz des psychischen Erlebens seine politische Verve gewinnt. Im Ergebnis können beide Theorieströmungen gleichsam dogmatisch die Richtigkeit der eigenen Perspektive behaupten. Der Preis dafür ist allerdings die Negation anderer konkurrierender Perspektiven.

Damit entpuppen sich beide Ansätze als Immunisierungsstrategien gegen Widerspruch [6]. Auf diese Weise lässt sich die Kontingenz des eigenen Standpunkts ausblenden - »ertragen« wäre wohl die bessere Bezeichnung - und zugleich die notwendige Richtigkeit des eigenen Standpunkts behaupten. Sie docken dafür aber am Alltagsverständnis von Menschen an, die nicht mit der wissenschaftlichen Arbeit vertraut sind, und spielen dann das wissenschaftliche Wissen um die soziale Konstruiertheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit gegen das naiv-realistische Alltagsverständnis aus. Diese Kommunikationsstrategien erfüllen die Funktion die Annahmewahrscheinlichkeit des kommunizierten Wissens bei einem Laienpublikum zu erhöhen. Das ist zwar zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, denn jedes Kommunikationsangebot hat mit dem Problem einer potentiellen Ablehnung zu kämpfen. Erfolg haben derartige Theorieangebote aber nur bei Personen, die weniger an wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern mehr an der Selbstbestätigung ihrer egozentrischen Weltsicht interessiert sind.

Zugleich wird mit dieser Strategie, die Annahmewahrscheinlichkeit des Theorieangebots zu erhöhen, jegliche Grundlage zerstört, auf der noch eine Verständigung möglich wäre. Das soziale Grundproblem divergenten psychischen Erlebens wird mit dem Verweis auf kontingente Beobachtungsmöglichkeiten nur exemplifiziert bzw. offengelegt. Wird jedoch nur auf der Einzigartigkeit und Nicht-Negierbarkeit des eigenen Erlebens bestanden, ist eine Lösung dieses Problems unmöglich [7]. Diese Formen der Komplexitätsreduktion bzw. Unsicherheitsabsorption stellen eine Form der Sicherheit her, die sich durch die Form ihrer Herstellung selbst gefährden. Das soziale Grundproblem, die Handlungskoordination bei divergentem psychischem Erleben, kann auf diese Weise offensichtlich nicht gelöst werden, sondern wird nur noch weiter verschärft. Die einzige Möglichkeit das soziale Grundproblem, das letztlich alle Menschen betrifft, zu lösen, besteht in der Handlungskoordination zur Lösung dieses gemeinsamen Problems, um auf eine Konvergenz der divergierenden Perspektiven hinzuarbeiten – allerdings ohne diese Konvergenz jemals vollständig zu erreichen. Es gilt daher auch die Gründe für diese Unmöglichkeit zu verstehen und mit dieser Restunsicherheit umzugehen. Wird jedoch die Existenz des gemeinsamen Problems oder eine andere Beschreibung des gemeinsamen Problems bestritten, dann kann jeder erleben und handeln wie er oder sie will. Eine Stabilisierung gemeinsamer Erwartungen ist dann nicht mehr möglich. Ohne einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit – der Forschungsgegenstand – und ohne das Bewusstsein über die wechselseitige Beobachtbarkeit – die beteiligten Personen – kann es daher nur soziales und psychisches Chaos geben. Eine Wissenschaft, die diese beiden Voraussetzungen von Kommunikation - ein gemeinsamer Forschungsgegenstand und ein Bewusstsein der beteiligten Wissenschaftler über die wechselseitige Beobachtbarkeit – ignoriert, würde sich die eigene Arbeitsgrundlage entziehen.


VI

Um diese Probleme zu lösen, geht die soziologische Systemtheorie in der hier vorgestellten Fassung von der Annahme aus, dass es die soziale Matrix und die aus ihr ableitbaren Probleme, wirklich gibt und nicht nur theoretische Konstrukte sind. Beschreibt man den theoretischen Ausgangspunkt auf diese Weise, dann wird damit zum einen berücksichtigt, dass es einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit gibt und dass es zum anderen auch ein Bewusstsein für die wechselseitige Beobachtbarkeit der beteiligten Personen - also Aufmerksamkeit für die Aufmerksamkeitsfokussierung anderer Personen - geben muss, damit eine Handlungskoordination möglich wird. Wenn man die verschiedenen Kommunikationsformen als Formen der Aufmerksamkeitslenkung begreift, dann findet die Soziologie darin ihre Untersuchungsgegenstände. Zur Selbstbeobachtung – Aufmerksamkeit für die eigene Aufmerksamkeitsfokussierung – kommt es aber erst, wenn es zu Koordinationsproblemen kommt. Dass sich inzwischen Sozialwissenschaften etabliert haben, deren Aufgabe darin besteht ihre Aufmerksamkeit auf die Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung zu lenken, weist auf das Ausmaß der Koordinationsprobleme hin, mit denen die moderne Gesellschaft inzwischen konfrontiert ist. Historisch betrachtet, entstand die Soziologie in der Übergangsphase von stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung. Mit den daraus entstandenen Problemen kämpfen die Gesellschaft und mit ihr die Soziologie bis heute. Insofern wäre das Selbstverständnis der Soziologie als »Krisenwissenschaft« durchaus berechtigt. Aktuell beschränken sich die Aktivitäten der Sozialwissenschaften überwiegend darauf, die sozialen Probleme offenzulegen und damit Paradoxien zu konstruieren - sie beschränken sich also auf Sthenograhpie.

Insofern greift das soziologische Selbstverständnis als Krisenwissenschaft zu kurz, wenn das lediglich bedeuten sollte ein Desinteresse für die gesellschaftlichen Lösungen zu pflegen, die ohne die Hilfe der Soziologie gefunden werden. Und es darf wohl angenommen werden, dass das die meisten Lösungen betrifft. Häufig geht es sogar soweit, dass die gesellschaftlichen Lösungen als Symptome des Problems gelesen werden und nicht als deren Lösung. Daher muss eine soziologische Theorie darauf achten, durch die Form ihrer Beschreibung von Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung die Koordinationsprobleme nicht noch zu verschlimmern. Eines der häufigsten Probleme bei aktuellen Theorieangeboten ist, dass die moderne funktional differenzierte Gesellschaft als stratifikatorisch oder gar segmentär differenziert und damit vormodern oder nicht modern beschrieben wird (vgl. Latour 2008). Dabei handelt es sich um Versuche mit vormodernen Beobachtungsformen die moderne Gesellschaft zu beschreiben. Der Übergang von der Vormoderne zur Moderne ist also auch in den Sozialwissenschaften bisher nur zum Teil vollzogen wurden. Daraus erklärt sich auch die weit verbreitete kulturkritische und konservative Haltung vieler Soziologen – auch solcher, die sich selbst für progressiv halten. Diese Haltung ist ein Symptom dafür, dass auch Teile der Sozialwissenschaften bereits den Anschluss an die gesellschaftliche Entwicklung verpasst haben und nun nur noch die Unübersichtlichkeit, die Möglichkeitsüberschüsse, den Entscheidungsdruck und die daraus resultierende Überforderung und Erschöpfung beklagen können. Dahinter verbirgt sich allerdings nur die Klage über die narzisstische Kränkung, dass die Welt nicht so ist, wie man es erwartet hat. Aber anstatt sich selbst zu ändern, wird die Forderung, dass sich die Welt den eigenen Erwartungen anzupassen habe, in die Form einer wissenschaftlichen Theorie verpackt.

Die obige Dekonstruktion der Foucault’schen Diskursanalyse sollte zeigen, dass es tatsächlich solche Ansätze gibt, die durch die Form ihrer Beschreibung von Kommunikation dazu beitragen die Koordinationsprobleme zu perpetuieren und zu steigern. Da Foucault die Perspektive der Machtunterlegenen einnimmt, reproduziert er damit auch eine hierarchische und vormoderne Beobachtungsweise unter modernen Kommunikationsbedingungen. Da dieser Standpunkt niemals verlassen wird, handelt sich dabei zugleich um eine egozentrische Perspektive, was auf eine fehlende Autologie hinweist. Das zeigt sich auch daran, dass die Beobachtung der Gesellschaft in der Gesellschaft so erfolgt als würde sie gleichsam von außen erfolgen – was jedoch faktisch unmöglich ist. Es sollte allerdings nicht der Fehlschluss begangen werden, dass es sich bei diesem Theoriemanöver um einen notwendigen Distanzierungsschritt im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit handelt. Projiziert man diesen Beobachtungsmodus auf die soziale Matrix zurück, also eine alltägliche zwischenmenschliche Begegnung, dann handelt es sich dabei um eine Form sich selbst aus einer Situation herauszurechnen. Die betreffende Person ist zwar faktisch an der Interaktion beteiligt, handelt zugleich aber so als hätte sie mit der Situation nichts zu tun. Diese Form des Umgangs mit Bedrohungen des Selbst-Erlebens gleicht denen von schizoiden Personen, die sich damit gleichsam von der äußeren und inneren Wirklichkeit abschneiden (vgl. Laing 1972). Die Beobachtungsweise von Theorieansätzen ohne eine reflektierte Autologie kann man daher nicht nur als egozentrisch verzerrt, sondern auch als entfremdet bezeichnen. Hinsichtlich der Folgen für das psychische Selbst-Erleben muss man eine solche Semantik als schizogen (vgl. Laing 1973, S. 77f.) bezeichnen, denn sie ermöglicht nur eine egozentrische Pseudo-Bestätigung und ein langsames Abdriften in ein falsches Selbst-System. Darüber hinaus mündet sie in einen unendlichen Regress, denn die Distanzierung von und Kritik der gebräuchlichen Kommunikationsformen führt nicht zu neuen Lösungsvorschlägen, die das Problem beheben, sondern nur zur erneuten Distanzierung von der eigenen Form der Distanzierung, wenn registriert wird, dass man der Lösung des Problems nicht näher kommt. Da der Fehler jedoch im Beobachtungssystem liegt und nicht in der Umwelt, kann die Distanzierung von der vorherigen Distanzierungsform immer nur wiederholt werden, ohne jemals einen inneren Halt zu finden. Dieser reflexive Mechanismus der Distanzierung von der Distanzierung zwingt zum fortlaufenden Widersprechen der eigenen Aussagen und damit zur fortlaufenden Selbstverleugnung.

Obgleich es also faktisch unmöglich ist die Gesellschaft außerhalb der Gesellschaft zu beobachten, ist es nicht ausgeschlossen, dass durch bestimmte Formen der Beobachtung der Eindruck entstehen kann, dass es trotzdem möglich sei. Solche Beobachtungsangebote finden dann gerade bei Personen Resonanz, die ebenfalls das Gefühl haben ausgeschlossen zu sein. Damit wird unter der semantischen Oberfläche einer wissenschaftlichen Theorie nur das Gefühl der eigenen Inferiorität reproduziert. Dieses Gefühl besitzt ohne Zweifel seine eigene Wahrheit und Wirklichkeit. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es die Aufgabe einer wissenschaftlichen Theorie sein kann lediglich dieses Gefühl zu bestätigen. Denn dieses Gefühl lässt Personen das Bewusstsein über die eigene Beobachtbarkeit vergessen. Kontingenzbewusstsein wird durch die obsessive Fixierung auf das eigene Erleben und dem Beharren auf der Zwangsläufigkeit dieses Erlebens wirksam ausgeschaltet [8]. Jede abweichende Perspektive – und das ist eigentlich jede andere Perspektive – wird dann nur noch als Verletzung des Selbst oder eben als symbolische Gewalt bzw. Politik verstanden, da man das Gefühl bekommt gerade durch die andere Perspektive im Selbst-Sein beschnitten zu werden ohne das man etwas dagegen tun kann. Das daraus folgende Verhalten ist dann nur noch Protest, Abwehr und Kampf. Konflikte in der Beobachtung und Beschreibung der gemeinsam geteilten Welt, zu der man auch selbst gehört, können allerdings immer nur zur wechselseitigen Negation des psychischen Erlebens führen (vgl. Maturana/Varela 2012, S. 264). Das Beharren auf der eigenen Subjektivität wäre damit die Abwehr gegen symbolische Gewalt und zugleich, da dies nur mit der Negation des Erlebens anderer Menschen einhergehen kann, auch die schärfste Form der Ausübung symbolischer Gewalt. Diese Formen der Unsicherheitsabsorption intensivieren nur die Erfahrung des Problems und verstärken damit die Unsicherheit.

Die Situation wird auch nicht besser, wenn man sich als Wissenschaftler aus Respekt vor dem Erleben anderer Menschen darauf beschränkt nur dieses Erleben zu bestätigen. Sicherlich wäre das für die eigene Anschlussfähigkeit sehr zuträglich, aber auch mit einem hohen Risiko verbunden. Diese Strategie, die Annahmewahrscheinlichkeit der eigenen Kommunikationsangebote zu erhöhen, läuft darauf hinaus bloß die Perspektive des Zielpublikums zu übernehmen und in einer Theoriesprache zu reproduzieren. Dies würde die Adressaten aber nur in ihrer Perspektive bestätigen, aber nichts zur Lösung des Bezugsproblems der Wissenschaft beitragen. Mit der wissenschaftlichen Arbeit wird notwendigerweise eine kontingente Perspektive auf ein Phänomen entwickelt, die über die Perspektive des Publikums hinausgeht. Und durch diesen eigenen Beobachterstandpunkt unterscheidet sich wissenschaftliche Kommunikation von anderen Kommunikationsangeboten. Nur dadurch gelingt es das Publikum zu irritieren, mithin zum Lernen anzuregen. Wenn man sich allerdings darauf spezialisiert hat, nur das diffuse Gefühl der Inferiorität, das auch maßgeblich das Selbstbild des Publikums prägt, zu bestätigen, sind die Rahmenbedingungen für Lernprozesse denkbar schlecht. Dieser Versuch kommt letztlich nicht über den Ausdruck des Mitgefühls hinaus. Man würde sich bei dieser Vorgehensweise also auch die Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit entziehen.


VII

Mit dem Kommunikationsmodell der sozialen Matrix werden bestimmte Annahmen über die Funktionsbedingungen von Kommunikation gemacht. Diese Annahmen fungieren zugleich als Erwartungen, die bestätigt oder enttäuscht werden können. Wenn allerdings bestimmte kommunikative Phänomene diesen Annahmen widersprechen sollten, dann ist das zunächst noch keine Enttäuschung dieser Erwartungen, sondern es ist zu fragen, wie der Eindruck entstehen kann, dass es sich anders verhalten könnte. Soziale und psychische Systeme operieren autonom, was bedeutet, dass es keine einseitigen Abhängigkeitsverhältnisse und auch keine Kontrolle eines Systems über ein anderes geben kann. Wenn dennoch dieser Eindruck entstehen sollte, ist daher zu fragen, wie durch die Formen der wechselseitigen Beobachtung dieser Eindruck entstehen kann. Ob und wie es zum Auftreten dieses Eindrucks kommt, ist also eine empirische Frage. Erwartungsenttäuschungen führen allerdings nicht zur hermetischen Abdichtung der Theorieanlage, um ihre Richtigkeit auch kontrafaktisch behaupten zu können, sondern führen zur Differenzierung der Theorieanlage und damit zur Erhöhung der Irritationsfähigkeit bzw. der informationellen Offenheit. Die Funktionsweise der Unterscheidung als Zwei-Seiten-Form wird hier dazu genutzt, das Vorkommen einer anderen Möglichkeit, eben die jeweils andere Seite einer Unterscheidung, anzuzeigen. Durch Kombination, Differenzierung und Integration verschiedener Unterscheidungen zu einem Unterscheidungsnetzwerk konstruiert sich ein hoch komplexes Erwartungssensorium. Mit anderen Worten, da Kontingenz bereits auf der beobachtungstheoretischen Ebene in die Theorie implementiert wird, lässt sich das Irritationspotential zweckbezogen immer weiter erhöhen.

Zugleich wird nicht ausgeschlossen, dass das, was hier als soziale Matrix bzw. als einfaches soziales System beschrieben wird, anders beobachtet und beschrieben werden kann. Diese Kontingenz lässt sich aber aushalten, wenn man sich darüber bewusst ist, dass andere Personen dieselben Probleme anderes lösen. So bietet jede andere Perspektive die Möglichkeit den Horizont potentieller Beobachtungsmöglichkeiten zu erweitern. Denn andere Perspektiven bieten die Möglichkeit einen Sachverhalt unter einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten und sich begreiflich zu machen. Die Anerkennung der eigenen Kontingenz wird damit zum Ausgangspunkt einer allozentrischen Beobachtungsweise, die gerade auch für wissenschaftliche Kommunikation unerlässlich ist. Denn wer Schwierigkeiten hat andere Sichtweisen zu akzeptieren, kann kaum darauf hoffen selbst auf Akzeptanz zu stoßen – außer bei Personen, die die gleichen Schwierigkeiten haben. Obgleich mit dem hier vorgestellten Ansatz anerkannt wird, dass jeder mit denselben Problemen konfrontiert wird, wird nicht jede Lösung als gleich berechtigt anerkannt. Aus diesem Grund können die oben geschilderten Lösungen des radikalen Konstruktivismus und des Poststrukturalismus nicht als geeignete Lösungen für das Bezugsproblem der Wissenschaft betrachtet werden. Durch den Rückbezug auf und Ableitung der Folgen aus der sozialen Matrix lassen sich die verschiedenen Lösungen eines sozialen Problems vergleichen und auf ihre Funktionalität oder Pathologie hin prüfen. Wie sich gezeigt hat, haben der radikale Konstruktivismus und der Poststrukturalismus lediglich eine psychische Funktion, jedoch keine soziale.

Der systemtheoretische Beobachtungsapparat erlaubt es damit eine Beobachtungsposition einzunehmen, die Luhmann als Position dritter Ordnung bezeichnet und als „Reflexion der Bedingungen der Möglichkeit der Beobachtung zweiter Ordnung und ihrer Folgen für das, was dann noch gemeinsame Welt oder Beschreibungen ermöglichende Gesellschaft sein kann“ (1997, S. 1117) beschreibt. Dies wurde im Vorangegangenen getan. Es ist das Verharren in einer egozentrischen und übergeordneten Beobachterposition, die systematisch die Möglichkeit der Beobachtung zweiter Ordnung und damit den Übergang zu einer allozentrischen und heterarchischen Beobachterposition verhindert. Auf dieser Grundlage kann es nicht gelingen mit anderen Personen eine gemeinsame Welt zu konstruieren, weil die egozentrischen und schizogenen Semantiken dieses Ziel ad absurdum führen. Eine Beobachterposition dritter Ordnung ist aber nicht das alleinige Privileg eines systemtheoretischen Beobachters. Jedes System, dass sich an die Polykontexuralität der modernen Gesellschaft anpasst, entwickelt eine derartige Perspektive, um die sachliche, soziale und zeitliche Komplexität verarbeiten zu können. Denn erst mit der Beobachterposition dritter Ordnung kommt es zur rekursiven Schließung der Beziehung zwischen den Operationen und der semantischen Struktur, die diese Operationen möglich macht. Hinsichtlich der Selbstbeobachtung von psychischen Systemen bedeutet das die Etablierung einer Feedbackschleife zwischen Erleben (Struktur) und Handeln (Operation), die nicht nur das eigene Erleben berücksichtigt, sondern auch das der anderen Beteiligten. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich die sich öffnenden und schließenden Möglichkeitsräume für das Erleben und Handeln der beteiligten Kommunikationspartner zu beobachten. Und erst dadurch eröffnet sich dann auch die Möglichkeit konstruktive Kritik zu üben, die über ein schlichtes Nein hinausgeht und das Erleben der kritisierten Person berücksichtigt. 

Der Schlüssel dafür ist der im Kommunikationsmodell der sozialen Matrix begründete Äquivalenzfunktionalismus. Die Funktionsweise der Beobachtung als Operation von Unterscheiden und Bezeichnen liefert eine allgemeine Codierungsregel, mit der für jede soziale Situation das Erleben der beteiligten Personen rekonstruiert und deren Handlungen vor dem Kontext der sozialen Probleme interpretiert werden können. Für den Erfolg von Kommunikationsangeboten ist das Zusammenspiel der einzelnen Kommunikationsmedien entscheidend. Entsprechend muss dieses Zusammenspiel soziologisch untersucht werden. Konsequent umgesetzt, würde das bedeuten den Sinn eines Kommunikationsangebots für jedes Kommunikationsmedium klären und wie es von den beteiligten Personen verstanden wird. Dies ist eine extrem umfangreiche Aufgabe, die auch in diesem Text nur ansatzweise umgesetzt werden konnte. Eine ausführliche Rekonstruktion die alle Kommunikationsmedien berücksichtigt, hätte an dieser Stelle den Rahmen gesprengt. Es sollte hier zunächst ausprobiert werden, wie die in Abschnitt I dargelegten Anforderungen überhaupt umgesetzt werden können. Dies ist sicherlich noch nicht perfekt gelungen, aber die Entwicklungsrichtung konnte zumindest angedeutet werden. 


VIII

Kommunikationsangebote können also mit Hilfe der Kommunikationsmedien unterschiedlich codiert werden und lenken damit die Aufmerksamkeit eines Beobachters. Sie lösen auf diese Weise das soziale Grundproblem der Handlungskoordination bei divergentem psychischem Erleben. Jedes Kommunikationsangebot kann angenommen oder abgelehnt werden. Die Chancen für Annahme und Ablehnung sich gleich verteilt. Erst durch symbolische Generalisierungen kann ein Kommunikationsangebot sinnhaft so verdichtet werden, dass doch mit einer höheren Annahmewahrscheinlichkeit gerechnet werden kann. Entscheidend ist der symbolisch generalisierte Problembezug. Um das Risiko verzerrter Beschreibungen durch eine zu hohe Generalisierung zu reduzieren, werden hier Kommunikationstheorie, funktionale Analyse und Evolutionstheorie miteinander kombiniert. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass man nicht ignorieren kann, dass man Sachverhalte untersucht, an denen Menschen beteiligt sind. In der Konsequenz bedeutet das auch, dass man von den Problemen, die man untersucht, auch selbst betroffen sein kann und auch Lösungen anwendet, die man wiederum untersuchen kann. Mit anderen Worten, mit dieser Vorgehensweise kann auch der eigene Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand reflektiert werden. Aufgrund der eigenen Betroffenheit und Beteiligung am Kommunikationsgeschehen kann es daher nicht mehr darum gehen, den eigenen Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand vollständig auszuschalten. Man kann ihn aber durch diese methodischen Vorkehrungen minimieren, weil man zum einen die Auswirkungen der eigenen Beobachtungen und Beschreibungen beobachten kann und gezwungen wird, die eigene theoretische Position und methodische Vorgehensweise zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern.

Nichts desto trotz werden immer wieder Theorien angeboten, die so tun als könnten sie sich aus dem sozialen Geschehen herausnehmen. Neben den Risiken einer egozentrisch verzerrten und entfremdeten Beschreibung ergibt sich auch das Risiko der Verdinglichung der Kommunikation, auf das immer wieder von verschiedenen Seiten nach wie vor hingewiesen wird. Aber bei der Untersuchung des menschlichen Zusammenlebens kann man den menschlichen Einfluss auf die Untersuchungsmethoden nicht ignorieren. Auch hierfür ist Foucaults Diskusanalyse wieder ein gutes Beispiel, denn er beschreibt Macht als entmenschlichten und absoluten Mechanismus. Macht wird gleichsam als eine Sache beschrieben, mit der Menschen nichts zu tun haben. Macht löst aber so wie jedes andere Kommunikationsmedium ein menschliches Problem. Deswegen ist diese Verdinglichung des Untersuchungsgegenstandes nur um den Preis der Depersonalisierung der Menschen zu haben. Wenn die Machtmechanismen unentrinnbar und unveränderbar sind, dann müssen es zwangsläufig auch die Menschen sein, die ihnen unterworfen sind. Damit spricht man Menschen ihre Reflektions-, Entscheidungs-, Handlungs- und Veränderungsfähigkeit ab. Mit anderen Worten, die Autonomie des Subjekts wird negiert, was wiederum fatale Auswirkungen auf Personen hat, die diesem Menschenbild Glauben schenken. Da man diesem Problem nicht entkommt, weil es ein konstitutives Element der Theorie ist, beginnt eine endlose Spirale fortlaufender Distanzierung bzw. Entfremdung [9]. Da auch nicht klar ist, wie ein Ausweg aus diesem Dilemma gefunden werden kann, wird die Lösung in der Teilnahmeverweigerung sowie der Ablehnung und Zerstörung der unverstandenen Problemlösungsstrategien gesehen.

Auf diese Rückwirkungen des eigenen Handelns wurde man zuerst in der Psychologie aufmerksam. Mit zunehmender Erfahrung bei der Therapie von Patienten konnte man nicht ignorieren, dass das eigene Verhalten als Therapeut die Verhaltensweisen des Patienten beeinflusst. Der Erfolg oder Misserfolg einer Therapie hängt damit in starkem Maße vom Verhalten des Therapeuten ab. Ruesch/Bateson untersuchten daher die kulturellen Rahmenbedingungen unter denen der Therapeut arbeitet, um sich darüber klar zu werden, wie eine bestimmte Therapie vom Patienten angenommen wird (vgl. 2012). Trotzdem blieb das Problem, dass man als Therapeut Gefahr läuft eine Pathologie im Verhalten einer Person durch das eigene Verhalten erst zu erzeugen. Eine andere Lösung bestand darin, die von der Psychotherapie verwendeten Formen interpersoneller Wahrnehmung vollständig infrage zu stellen und das Konzept der Geisteskrankheit als einen Mythos zu beobachten (vgl. Szasz 2013) [10]. Luhmann machte die Soziologie auf dasselbe Problem mit der Formel aufmerksam, dass eine Beobachtung und Beschreibung nur in der Gesellschaft mit den Mitteln der Gesellschaft möglich ist (vgl. Luhmann 1997, S. 1128 – 1141). Daraus folgt, dass die soziologischen Gesellschaftsbeschreibungen auch einen Einfluss auf die Gesellschaft haben werden. Und auch hier können die Formen der Gesellschaftsbeschreibungen bzw. -diagnosen die Veränderung der Gesellschaft in eine funktionale oder pathologische Richtung beeinflussen. 

Wenn die Gesellschaft nur mit den gesellschaftlich angebotenen Mitteln beschrieben werden kann, dann hängen die angebotenen Beschreibungen maßgeblich von den kulturellen Rahmenbedingungen ab, die sie ermöglichen. Auch heute kann die psychotherapeutische oder soziologische Beobachtung noch vor dem Hintergrund einer implizit angenommen Vorstellung einer normativen, Einheit stiftenden Gemeinschaft erfolgen, die noch eine klare Beobachtung von Mitgliedern und Abweichlern ermöglichte. Unter modernen, polykontexturalen Beobachtungsverhältnissen reicht eine derart schlichte Beobachtung von Personen als konform oder deviant nicht mehr aus, um der Komplexität des Erlebens und Handelns einer Person gerechtzu werden. Die Beobachtung einer Abweichung oder Pathologie wird unter polykontexturalen Beobachtungsbedingungen zu einer Frage des Standpunktes. Die kritische Soziologie konnte jedoch ihre eigene Legitimität nur über die Vorstellung der Dysfunktionalität, Pathologie oder Krankheit der bestehenden Gesellschaft behaupten. Diese Vorliebe für Kritik statt für Affirmation ließ sich nur mit dem letztlich politischen Ziel der Gesellschaftsveränderung begründen, welches wiederum aus der diagnostizierten Pathologie der Gesellschaft abgeleitet wurde. Dafür ist jedoch eine klare Vorstellung darüber notwendig, wie die Gesellschaft beschaffen sein sollte. Diese Vorstellung wird in der Regel aber nicht sehr klar formuliert, weil unterstellt wird, dass er von mehr oder weniger allen Menschen geteilt wird. Doch gerade diese Unterstellung wird mit dem Übergang zur modernen Gesellschaft immer enttäuschungsanfälliger, eben weil es diesen gemeinsam geteilten Sinnhorizont nicht mehr gibt. Entsprechend fallen kritische Beobachter häufig nur durch ihre ausgedrückte Enttäuschung darüber auf, dass die Gesellschaft nicht so ist, wie erwartet.

Auch hier stößt man wieder auf das Problem der fehlenden Differenzierung von wissenschaftlicher, politischer und auch erziehender Codierung, die es verhindert hat, dass man in den Sozialwissenschaften mit der gleichen Radikalität die Vorstellung einer kranken Gesellschaft kritisiert hat, wie in der Psychologie die Vorstellung, dass psychische Probleme biologisch bedingte Krankheiten sind. In der Konsequenz hätte man nicht nur die Tradition der Kritik, sondern auch ihren konstituierenden Mythos einer kranken Gesellschaft als ein ebensolches Herrschaftsinstrument entlarven müssen, wie die Herrschaftsinstrumente, die man kritisiert. Bis heute gibt es allerdings starke Bemühungen diese unhaltbare Position (vgl. Laing 1973, S. 99 - 121) zwischen den unvereinbaren Zielen der Analyse und der Veränderung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Da jedoch wissenschaftliche Analyse und politische oder erzieherische Veränderung unterschiedliche soziale Probleme lösen, blockieren sich Analyse und Veränderung gegenseitig. Dieses Problem kann ohne die Reflexion der eigenen Beobachtungsbedingungen nur noch über die Tradierung von Befindlichkeiten und Dogmatisierung derartiger problemverstärkender theoretischer Standpunkte gelöst werden, was die Perspektivendivergenz allerdings nur verschärft. 

Sowohl in der Psychologie als auch in der Soziologie war und ist also, in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Maße ein fehlendes Bewusstsein über wechselseitige Beobachtbarkeit das Problem. Eigentlich ist es sogar ein zweifaches Problem, das zum einen aus dem Sachverhalt besteht, dass der Untersuchungsgegenstand sich der eigenen Beobachtbarkeit durch einen anderen Beobachter bewusst ist und sein Verhalten entsprechend ändern kann, und das zum anderen aus dem Sachverhalt besteht, dass man potentiell selbst der Untersuchungsgegenstand sein könnte. Der zweite Sachverhalt beschreibt auch einen reflexiven Mechanismus, nämlich die Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeitsfokussierung bzw. der Beobachtung der Beobachtung. Dann besteht das Problem in einer mangelnden Reflexivität hinsichtlich des eigenen Verhaltens. Mangelnde Reflexivität geht auf einen Mangel an Negationsbereitschaft des eigenen Erlebens zurück, also sich selbst gleichsam als Teil des Geschehens kontingent zu setzen, um zumindest zu registrieren, dass es auch andere Lösungsmöglichkeiten für dasselbe Problem geben kann. Dieser Mangel an Negationsbereitschaft des eigenen Erlebens geht jedoch mit der Negation des Erlebens anderer Menschen einher. Und gerade derartige Kommunikationsangebote, die die Ablehnung und Missachtung des Kommunikationspartners mehr oder weniger direkt gleich mitliefern, haben in der modernen Gesellschaft immer weniger Chancen auf eine Annahme als Prämisse der weiteren Informationsverarbeitung.

Hinsichtlich des Problems der Verdinglichung könnte man nach der bisherigen Analyse auch formulieren, dass gerade der Versuch einer Verdinglichungsvermeidung das Verdinglichungsrisiko erst heraufbeschwört, denn eine sicherlich realistische Möglichkeit wird kurzer Hand zur allgemeinen gesellschaftlichen Wirklichkeit erklärt. Das Problem wird durch diesen Fehlschluss also geradezu herbei geredet [11]. Alles was dann noch als Lösung in Frage kommt, macht das Problem nur noch schlimmer, weil man auf eine Wirklichkeit reagiert, die nur durch den verwendeten Beobachtungsapparat entsteht und die notwendige Präzision bei der Indikation des Problems vermissen lässt. Das erspart zwar ein genaueres Hinschauen und bedeutet zunächst eine Entlastung. Da man aber zumeist nur gegen Windmühlen kämpft, wird der Problemdruck mit der Zeit trotzdem größer. Mangelnde Reflexivität produziert damit paradoxe Effekte. Der Versuch, eine bestimmte Wirkung zu erzielen, bewirkt das Gegenteil. Je mehr man sich auch bemüht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, desto mehr rückt das Ziel in immer weitere Ferne. Man fühlt sich bei diesem Phänomen an die Qualen des Tantalos erinnert. Dabei wird der gefühlte Handlungsdruck, der in einen blinden politischen Aktionismus mündet, nur durch die fehlende Reflektion erzeugt, welche wiederum durch die Behauptung der eigenen egozentrischen Beobachtungsperspektive blockiert wird. Dieser Beobachtungsstil verhindert, anders ausgedrückt, dass negative Folgen des eigenen Handelns auf sich selbst zugerechnet werden. Dieser selektive Umgang mit Feedback unterstützt die Bildung einer verzerrten Wahrnehmung, die nur Erfolge sich selbst und Misserfolge der Umwelt zurechnet. Der daraus resultierende Kommunikationsstil kann jedoch mit der Zeit immer weniger Erfolge verbuchen und erhält daher immer weniger positives Feedback, was schließlich zu einem völligem Ignorieren des Feedbacks führt, weil man keine geeigneten Kriterien mehr für die Prüfung des Erfolgs findet. So bleibt am Ende nur noch die gewaltsame Selbstbehauptung – symbolisch und im schlimmsten Fall physisch. 


IX

Wie kommt es zu diesen paradoxen Effekten? Reflektion ist eine von zwei Leistungskomponenten der Negation. Die zweite Leistungskomponente ist Generalisierung (vgl. Luhmann 2005c, S. 43f.). Das legt den Schluss nahe, dass die paradoxen Effekte auf eine bestimmte Art des Negationsgebrauchs zurückgehen. Dieses Problem stellt sich nicht auf einer kommunikationstheoretischen Ebene, sondern auf einer informationstheoretischen [12] bzw. epistemologischen Ebene. Die vorangegangenen Ausführungen dienten dem Zweck, das Bewusstsein für dieses Problem zu schärfen, das aus der Multifunktionalität der Kommunikation erwächst. Dieses Problem wirkt sich auch auf soziologische Theoriebildung aus und produziert entsprechend paradoxe Kommunikationsangebote, die im Versuch ein bestimmtes Ziel zu erreichen genau das Gegenteil bewirken. Ein Beispiel dafür ist der Versuch das politische Bezugsproblem mit Hilfe von wissenschaftlichen Mitteln lösen wollen.

Wenn man sich heute in den Sozialwissenschaften über eine mangelnde gesellschaftliche Relevanz und Aufmerksamkeit beklagt, dann liegt es daran, dass man sich bis heute nicht über die eigenen inneren Konflikte bewusst ist, die eine mangelnde funktionale Differenzierung mit sich bringt. Dieses Problem wird in der außerwissenschaftlichen Umwelt sicherlich nicht in der Schärfe gesehen, in der es hier dargestellt wurde. Nichts desto trotz geht der mangelnde Erfolg auf das informationelle Rauschen der paradoxen Effekte zurück, die beim Publikum zumindest Zweifel daran aufkommen lassen, ob der Mitteilende sein Publikum verstanden hat. Im Ergebnis produziert man entweder gar kein Image oder ein falsches Image (vgl. Goffman 1971a, S. 13), was bedeutet, dass es entweder gar nicht gelingt Erwartungen beim Publikum zu wecken oder falsche Erwartungen, die irgendwann zwangsläufig enttäuscht werden müssen. In beiden Fällen ist die Anschlussfähigkeit – zunächst nur der betroffenen Person, mit der Zeit dann aber unter Umständen auch einer ganzen Gruppe, wenn dasselbe Verhaltensmuster nicht nur bei einer Person beobachtet werden kann – akut gefährdet. Obgleich man bereits aus dem Vorangegangen bereits Hinweise entnehmen kann, wie man mit dem Problem der Multifunktionalität der Kommunikation anders umgehen kann, geht es hier um den tieferliegenden Zusammenhang zwischen Reflexion und Generalisierung durch den Gebrauch von Negationen. Durch die Analyse der Funktion des Negationsgebrauchs für Sinnkonstitution lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen für Reflexion und Generalisierung ermitteln. Dieser Aufgabe wird sich der nächste Beitrag widmen. Erst danach lässt sich ein adäquates Verständnis für die Prozesse symbolischer Generalisierung entwickeln.

Zusammenfassend lässt sich bis jetzt bereits Folgendes festhalten. Wie sich gezeigt hat, stellt sich das Problem der Multifunktionalität von Kommunikation in der Sprache erneut. Entsprechend ist eine Theorie notwendig, die dieses Problem reflektieren und entsprechende Konsequenzen für die eigenen Beobachtungsverfahren zieht. Beobachten heißt Komplexität reduzieren und damit zugleich Unsicherheit absorbieren. Es kann jedoch nicht das Ziel sein, Komplexität und Unsicherheit zu eliminieren – so verlockend das auch sein mag. Es kann nur das Ziel sein Beobachtungsverfahren zu entwickeln, um mit Unsicherheit umgehen zu können bzw. überwältigende Komplexität in zu bewältigende Komplexität reduzieren zu können. Multifunktionalität bedeutet auch, dass man ein Kommunikationsangebot aus verschiedenen Perspektiven heraus verstehen kann, sei es aus wirtschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher, künstlerischer, höchst persönlicher Perspektive usw. Anders ausgedrückt, unter polykontexturalen Beobachtungsbedingungen ist jedes Kommunikationsangebot mehrdeutig. Sozialwissenschaftliche Forschung darf jedoch nicht der Illusion erliegen, dass sie diese Mehrdeutigkeit in Eindeutigkeit verwandeln kann bzw. diese Unsicherheit in Sicherheit. Dies wäre der direkte Weg, um der Gesellschaft als Forschungsgegenstand ihre operative Autonomie abzusprechen und sie gleichsam zu verdinglichen. Da jedoch keine Gesellschaft ohne Menschen denkbar ist, verdinglicht bzw. depersonalisiert man auf diese Weise die Menschen gleich mit. Wie inzwischen deutlich geworden sein sollte, handelt es sich bei diesem Eindruck um ein semantisches Artefakt einer egozentrisch verzerrten und entfremdeten Beobachtungsweise und nicht um eine reale Wahrnehmung. Solche schizogenen Semantiken produzieren sinnhafte Fata Morganas. Sobald jedoch Menschen daran glauben und ihr Handeln entsprechend an dieser Vorstellung orientieren, wird es zu einer self fulfilling prophecy. Diese gesellschaftliche Gefahr soziologischer Theoriebildung ist bisher von Soziologen zu wenig beachtet worden, eben weil viele soziologische Ansätze nach wie vor den Eindruck erwecken als könnte man die Gesellschaft gleichsam von außen und folgenlos beobachten. Weder kann man die Gesellschaft ohne die Mittel der Gesellschaft beobachten, noch bleiben die Versuche, dies trotzdem zu tun, folgenlos.

Es wird Zeit, dass Soziologen endlich aufhören das politisch Wünschenswerte als wissenschaftliche Theorie zu verkaufen. Der Politikbegriff der Diskursanalyse stellt letztlich auf die Negation des eigenen Erlebens durch das Verhalten von anderen Personen ab. Im hier angelegten Verständnis meint das politisch Wünschenswerte dann den Wunsch, dass andere Menschen die Welt genauso sehen, wie man selbst. Dieser egoistische und infantile Wunsch wird unerfüllt bleiben, weil es nicht möglich ist, dass andere Menschen die Welt genauso sehen, wie man selbst. Kommunikation ist und bleibt die Lösung für dieses Problem. Diese Lösung bringt es allerdings mit sich, dass man auf die Kontingenz des eigenen Erlebens aufmerksam wird. In der modernen Gesellschaft muss man sich etwas einfallen lassen, damit andere trotz dieser Kontingenz die eigenen Kommunikationsangebote annehmen. Ganz abstrakt formuliert, lautet die Lösung: Beobachte Beobachter! Wie das für eine konkrete Situation umgesetzt werden kann, muss jeder selbst herausfinden. Es ist immer nur möglich Hinweise zu geben, wie man in einer bestimmten Situation verfahren kann, um eine Lösung zu finden. Es wird daher nicht nur Zeit, dass Soziologen aufhören das politisch Wünschenswerte als wissenschaftliche Theorie zu verkaufen, sondern auch anfangen ihren Forschungsgegenstand ernst zu nehmen. Ansonsten machen sie die Probleme, die sie angeblich lösen wollen, nur noch schlimmer und die Soziologie verliert irgendwann vollends ihre gesellschaftliche Relevanz und wird Opfer der Geister, die sie selbst gerufen hat.





[1] Siehe dazu auch „Die Beobachtung der Beobachtung - Exkurs über Massenmedien“.

[2] Siehe für diese Funktionsbestimmung der Religion hier.

[3] Eine Variante mit diesem Problem umzugehen und die Macht des Herrschers zu brechen, ist den eigenen Tod billigend in Kauf zu nehmen. Die Drohung mit physischer Gewalt wäre dann keine Vermeidungsalternative mehr und hätte somit auch kein motivierendes Potential. Islamistische Selbstmordattentate beruhen auf diesem Kalkül und demonstrieren die Machtlosigkeit des politischen Machthabers. Da Gewalt aber nur mit Gegengewalt beantwortet wird, demonstrieren sie zugleich auch die Machtlosigkeit der Selbstmörder. Gewaltsame Auseinandersetzungen, egal ob zwischen Staaten oder einzelnen Personen, offenbaren daher nur die wechselseitige Machtlosigkeit übereinander und kommunizieren die gegenseitige Ablehnung.

[4] Siehe ausführlich zum Thema Interpenetration das entsprechende Kapitel in „Soziale Systeme“ (Luhmann 1984) und den Text „Die Beobachtung der Beobachtung 2 - Kommunikation und Image“, der die Paradoxie der Form sozial entfaltet und ein anderes Schlaglicht auf Interpenetrationsprozesse wirft. Es wurde gezeigt, dass auch die Form der Selbstdarstellung einen großen Einfluss auf die Annahme oder Ablehnung eines Kommunikationsangebots haben kann, je nachdem, ob die wechselseitige Beobachtbarkeit als Bedrohung oder als Chance für das eigene Selbst gesehen wird.

[5] Siehe für ein Beispiel der Verwechslung von Liebe mit Politik hier.

[6] Im Anschluss an Francisco J. Varela könnte man den radikalen Konstruktivismus und den Poststrukturalismus als Methoden interpretieren mit der Cartesianischen Angst umzugehen (vgl. 1997, S. 56f.). Varela unterscheidet zwei Formen der Suche nach epistemologischen Haltepunkten - wobei diese Haltepunkte innen oder außen gefunden werden können. Zum einen beschreibt er das fundament-orientierte Denken, das nach einer internen Grundlage für die objektive Erkenntnis der äußeren Welt sucht, und zum anderen das, was er als Nebelbank der Illusion bezeichnet. Letztere Theorietradition ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Vorstellung aufgegeben hat, dass es noch einen Haltepunkt für Erkenntnis gibt und deswegen in völliger Relativität versinkt. Es ist offensichtlich, dass sich der radikale Konstruktivismus in dieser Nebelbank der Illusion verlaufen hat. Entsprechend handelt es sich beim Poststrukturalismus um ein fundament-orientiertes Denken. Obgleich er konstruktivistisch argumentiert, kann er sich mit der sozialen Konstruiertheit der Dinge nicht abfinden und hypostasiert dem gegenüber die Notwendigkeit des je individuellen Erlebens. Um die scheinbare Objektivität der Welt zu retten, flüchtet er sich in die Subjektivität des Erlebens. Bei diesem Theoriemanöver handelt es sich um das letzte Gefecht des repräsentationalen Denkens, das davon ausgeht Wahrnehmung würde die äußere Welt abbilden und die verwendeten Zeichen die äußere Welt repräsentieren. Dieser Versuch unter konstruktivistischen Bedingungen ein realistische Epistemologie zu entwerfen, wird hier als naiver Konstruktivismus bezeichnet. Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie ist ein weiteres Beispiel für naiven Konstruktivismus. Siehe dazu hier.

[7] Dieses Problem tritt gerade auch bei feministischen Theorien verstärkt auf, da für diese die Annahme, dass Frauen qualitativ anders erleben als Männer, konstitutiv ist. Ansonsten bräuchte man ja auch keine feministische Theorie. Wenn die zu kritisierende Ungleichheit allerdings bereits in der Theorie derartig festgeschrieben wird, wie soll dann eigentlich die angestrebte Gleichheit der Geschlechter erreicht werden? Dann kann man eigentlich nur darauf beharren, dass Frauen anders erleben als Männer und sich damit abfinden, dass Männer und Frauen nicht zusammen leben können. Auch hier ist das Problem hausgemacht und sagt mehr über die egozentrische Sichtweise der Beobachterinnen als über das beobachtete Phänomen.

[8] Gerade weil für die Betroffenen ihr erlebtes Leiden eine geradezu zwingende Notwendigkeit hat, die sich auch in der Interaktion in einer sehr expressiven Ausdrucksweise genauso zwingend darstellt, kann mit diesem Verhalten das eigene Leiden dazu benutzt werden, um andere Personen scheinbar zu etwas zu zwingen. Deswegen bezeichnet Thomas Szasz ein derartiges Verhalten als zwingende Strategie (vgl. 2013, S. 236). Obgleich die Versuchung groß ist, auf das Leiden von anderen zu reagieren und Abhilfe zu schaffen, muss betont werden, dass es sich auch dabei um ein Kommunikationsangebot handelt, dass man annehmen oder ablehnen kann und nicht zwingend ist. Auf die selektive Annahme solcher Kommunikationsangebote, die Hilfsbedürftigkeit anzeigen, haben sich diverse Systeme der Personenveränderung, wie Erziehung, Krankenbehandlung, Psychotherapie oder soziale Hilfe, spezialisiert. Und gerade in der Medizin ist man dann auf das Problem aufmerksam geworden, dass Personen Hilfsbedürftigkeit auch vortäuschen können (vgl. Szasz 2013, S. 65ff.). Auch Soziologen sind nicht davor gefeit auf die sich selbst als hilfsbedürftig beschreibenden Personen zu reagieren. Siehe dazu hier. Es soll allerdings nicht bestritten werden, dass die Betroffenen hilfsbedürftig sind. Es erscheint allerdings äußerst fraglich, ob die von den Betroffenen präferierten Lösungen tatsächlich die gewünschte Abhilfe schaffen.

[9] Aus dieser sich beständig wiederholenden Distanzierung erklären sich auch die immer wieder enthusiastisch gefeierten Mode-Theorien insbesondere bei linken Soziologen. Der neueste Hype dieser poststrukturalistischen und postmodernen Theoriebildungstradition ist Latours ANT. Obgleich sie in ihrer Form durch die theoretische Konsequenz durchaus beeindrucken kann – vor allem Latour 2010 –, ist der wissenschaftliche Wert dieses Ansatzes gleich Null, denn das Ziel, was Latour verfolgt, besteht darin die gemeinsame Welt vor ihren vielfältigen Deutung zu schützen. Das kann man nicht ernsthaft als wissenschaftlich bezeichnen, weil es auch dabei letztlich nur um das Beharren auf dem eigenen egozentrischen Standpunkt geht. Doch gerade die Gleichsetzung von lebenden Menschen und toten Dingen ergibt eine depersonalisierende, anti-humanistische Sicht auf Menschen, an der sich zeigt, dass die ANT die zur Theorie geronnene Wahrnehmung eines psychotischen Bewusstseins ist.
Bei Foucault lässt sich die depersonalisierende Sichtweise auch aus seiner Biographie heraus verstehen. Als Sohn eines Arztes und Pathologen hat er die Arbeitsweise seines Vaters auf die Analyse von Kommunikationsprozessen übertragen und sie wie eine Leiche seziert – auch eine Form symbolischer Gewalt. Siehe dazu hier.

[10] Ironischerweise kommt Foucault zu einer ähnlichen Problemanalyse wie Szasz (vgl. Foucault 1968; Foucault 1969). Szasz arbeitete jedoch bereits mit einer Kombination aus Kommunikationstheorie und funktionaler Analyse und es gelang ihm zu zeigen, dass die Beobachtung einer Krankheit oder Pathologie eine Frage des jeweiligen theoretischen Standpunktes ist. Foucault versuchte dagegen solche theoretischen Standpunkte, die es erlauben eine Pathologie zu beobachten, als Herrschaftsinstrumente zu entlarven und damit wiederum diese zu pathologisieren. Während es Szasz gelang das Rollenmuster von Arzt und Patient zu hinterfragen und damit auch die Perspektive des Arztes auf den Patienten, versuchte Foucault lediglich dieses Rollenmuster umzukehren. Er tat damit genau das, was er kritisierte, und reproduzierte zugleich das Problem. Gleichwohl sah auch Szasz, dass die Vorstellung von Verhaltensstörungen als biologisch determinierte Krankheiten dazu genutzt wurde bestimmte Interessen durchzusetzen. Szasz‘ problemorientierter Ansatz erlaubte es ihm eine differenzierte Analyse, eine Kritik und Lösungsvorschläge zu formulieren – etwas zu dem poststrukturalistische und postmoderne Ansätze aufgrund ihrer Ignoranz für andere Ansätze bis heute nicht fähig sind.

[11] Die Psychologie bezeichnet dieses Phänomen als Projektion. Das bedeutet, das eigene Erleben wird der Umwelt unterstellt – also anderen Menschen. Die realistische Möglichkeit, die von einem Beobachter als allgemein gültige Tatsache gehalten wird, ist dann zunächst nur in einem Fall real geworden – bei dem so Beobachtenden selbst. Deswegen kann Gregory Bateson in Bezug auf die Mitteilungen schizophrener Patienten davon ausgehen, dass es sich nicht um Beschreibungen einer äußeren Wirklichkeit handelt, sondern um die Beschreibungen der eigenen Erfahrung (vgl. Bateson 1981a, S. 262f.). Es darf vermutet werden, dass dies nicht nur auf Personen zutrifft, bei denen eine Schizophrenie diagnostiziert wurde. Bei Schizophrenen fällt nur die aufmerksamkeitsträchtige Form der Mitteilung stärker auf. Achtet man dagegen auch auf die mitgeteilten Informationen, also das semantische Beobachtungsmuster, sieht man erst, wie leicht es ist sich in einem double bind bzw. einer unhaltbaren Position zu verfangen. Bateson war durch seine Forschungsarbeit zu der Annahme gelangt, dass man anhand des Studiums der extremen Kommunikationsformen von Schizophrenen etwas über die allgemeine Funktionsweise von Kommunikation lernen kann (vgl. Bateson 1981b).

[12] Zum Unterschied zwischen Kommunikations- und Informationsbegriff, sieheDie Beobachtung der Beobachtung. Darin wurde der systemtheoretische Kommunikationsbegriff stärker gegen den Beobachtungsbegriff differenziert. Da der Kommunikationsbegriff den Informationsbegriff beinhaltet, wurde die damit erzeugte Paradoxie mit dem Begriff der Beobachtung im Anschluss an Luhmann, Spencer-Brown und Bateson entfaltet. Damit wurde es zumindest innerhalb des Rahmens der soziologischen Systemtheorie nach Luhmann möglich zwischen Kommunikationstheorie und Informationstheorie zu unterscheiden. 


Literatur 
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Baecker, Dirk (2013): Beobachter unter sich. Eine Kulturtheorie. Suhrkamp Verlag Berlin 
Bateson, Gregory (1981a): Epidemiologie einer Schizophrenie. In ders: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 262 – 269 
Bateson, Gregory (1981b): Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie. In ders: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 270 – 301 
Foucault, Michel (1968): Psychologie und Geisteskrankheit. 15. Auflage Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Foucault, Michel (1969): Wahnsinn und Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Goffman, Erving (1971a): Techniken der Imagepflege. In ders.: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 10 - 53 
Goffman, Erving (1971b): Entfremdung in der Interaktion. In ders.: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 124 - 150 
Karafillidis, Athanasios (2010): Soziale Formen. Fortführung eines soziologischen Programms. transcript Verlag Bielefeld 
Laing, Ronald D. (1972): Das geteilte Selbst. Eine existentielle Studie über geistige Gesundheit und Wahnsinn. Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 
Laing, Ronald D. (1973): Das Selbst und die Anderen. Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 
Latour, Bruno (2008): Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Latour, Bruno (2010): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Luhmann, Niklas (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Luhmann, Niklas (1991): Sthenographie und Euryalistik. In: Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, K. Ludwig (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen und Sinnzusammenbrüche. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 58 – 82 
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Luhmann, Niklas (2000): Die Politik der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 
Luhmann, Niklas (2003): Macht. 3. Auflage Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Hamburg
Luhmann, Niklas (2005a): Reflexive Mechanismen. In ders.: Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. 7. Auflage VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden. S. 116 – 142 
Luhmann, Niklas (2005b): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: ders: Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. 5. Auflage VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden. S. 212 – 240 
Luhmann, Niklas (2005c): Über die Funktion der Negation in sinnkonstituierenden Systemen. In ders: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. 2. Auflage VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden, S. 41 – 57 
Maturana, Humberto R./Varela, Francisco J. (2012): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. 5. Auflage S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 
Ruesch, Jürgen/Bateson, Gregory (2012): Kommunikation. Die soziale Matrix der Psychiatrie. 2. korrigierte Auflage Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg 
Spencer Brown, George (1997): Laws Of Form. Gesetze der Form. Bohmeier Verlag Lübeck 
Spitz, René A. (1978): Nein und Ja. Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Klett-Cotta Stuttgart 
Szasz, Thomas (2013): Geisteskrankheit – ein moderner Mythos. Grundlagen einer Theorie des persönlichen Verhaltens. Aktualisierte und erweiterte Ausgabe Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg 
Varela, Francisco J. (1997): Erkenntnis und Leben. In: Simon, Fritz B. (Hrsg.): Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der Systemischen Therapie. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 52 – 68 
von Foerster, Heinz (1997): Abbau und Aufbau. In: Simon, Fritz B. (Hrsg.): Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der Systemischen Therapie. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 32 - 51

5 Kommentare:

  1. Zunächst einmal ist dieser Text eine hervorragende Problembeschreibung und für mich eine gute Zusammenfassung vieler Beobachtungen in einer neuen Qualität.Ich habe lediglich eine Frage.
    Bei der an einigen Stellen des Textes zur Veranschaulichung der Perspektivendifferenzen und -divergenzen aufgezählten Funktionssysteme der modernen Gesellschaft fällt an keiner Stelle das Wort "Recht" oder Rechtssystem , welches selbst unter den fortgeschritten polykontexturalen Bedingungen heute doch immer noch am ehesten sprachlich kulturell "verschleift" (Ladeur) die Einheit der Gesellschaft kulturell zu (re)konstruieren sucht, auf der unendlichen Suche nach sich selbst. Auch dies macht es vielen Beobachtern auch heute noch schwer, diese flüchtige, teilstabile Veranstaltung als "Horizontbegriff" (Nassehi) zu verstehen.
    Ist dies Zufall oder nicht ?

    lg Walter Mengel

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  2. Das ist eine gute Frage, weil ich es so noch gar nicht gesehen hatte. Trotzdem ist es, um Ihre Frage zu beantworten, kein Zufall – aus mehreren Gründen.

    Der Erste ist recht einfach. Wenn man die methodologischen Ausführungen des Textes ernstnehmen würde, müsste man die Implikationen, die jedes Kommunikationsangebot für jedes Kommunikationsmedium hätte, darstellen. Das hätte den Text wahrscheinlich mindestens doppelt so lang gemacht. Ich musste mich also etwas beschränken, um den Text nicht ausufern zu lassen. So bin ich ja nicht nur auf die Implikation in Bezug auf Recht nicht eingegangen, sondern auch in Bezug auf Wirtschaft, Kunst und Liebe. Auch in Bezug auf diese Funktionssysteme hätte man sicherlich noch interessante Sachen finden können. Es wäre aber am Ende darauf hinausgelaufen, für jedes Funktionssystem dasselbe pathologische Grundmuster herauszuarbeiten, nämlich der Konflikt zwischen dem eigenen psychischen Erleben und dem Verhalten anderer Personen, das dem eigenen Erleben zuwiderläuft.

    Der zweite Grund besteht darin, dass meinem Eindruck nach das Recht in poststrukturalistischen Theorien kaum eine Rolle spielt. Dies scheint mir eine Konsequenz aus der theoretischen Behandlung von Macht zu sein, die ja für diese Ansätze das Hauptproblem ist. In Abschnitt II 5. Absatz bin ich zu der Diagnose gekommen, dass es diesen Ansätzen letztlich darum geht alle aktuellen Konfliktlösungsmöglichkeiten zu delegitimieren. Dazu gehört auch, aber nicht nur, das Recht. Implizit lassen sich also schon einige Aussagen zum Recht im Text finden. Ausgehend von der Feststellung, dass es der Diskusanalyse mehr darum geht soziale Konflikte zu schüren als sie zu lösen, war für mich zum Recht nicht viel mehr zu sagen.

    Daraus ergibt sich ein dritter Grund. Das Recht spielt meines Eindrucks nach in den behandelten Ansätzen kaum eine Rolle, eben weil das Machtproblem so stark im Fokus steht bzw. das was dann zum Recht gesagt wird nur zur dessen Delegimitierung beiträgt. Für die Analyse dieses theorieimmanenten Problems habe ich mich dann auch darauf konzentriert, wie es sich aus einer systemtheoretischen Perspektive darstellt. Daran anknüpfend war es mir dann wichtig auf die allgemeine Funktion der Delegitimierung von allen gesellschaftlichen Konfliktlösungsverfahren, auf die psychologischen Folgen und auf die Folgen für die wissenschaftliche Arbeit hinzuweisen.

    ...

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  3. ...

    Je nach thematischen Interessen kann dann natürlich der Eindruck entstehen, dass ich das eine oder andere ausgelassen habe. Mir kam es aber darauf an, über die benannten Untersuchungsergebnisse hinaus den methodischen Ansatz zu skizzieren, der natürlich noch weiter ausgearbeitet werden muss. Eine intensivere Untersuchung der poststrukturalistischen Delegitimierungsstrategien in Bezug auf das Recht wäre sicherlich eine Extra-Studie wert. Hier sollte man sich aber nicht von den Versuchen beeindrucken lassen und der Versuchung widerstehen Recht als kulturellen Einheitsbegriff als Kontext für eine solche Studie anzulegen. Zumindest aus einer systemtheoretischen Perspektive verbietet sich das, denn der Einheitsbegriff ist ja „Kommunikation“ und das Problem, das Recht löst, nur eines von mehreren. Hier findet sich also noch ein vierter Grund. Ansonsten würde man nämlich Gefahr laufen auch in einen monokontexturalen Beobachtungsmodus zu verfallen. Außerdem entstehen in der Gesellschaft auch genug Konflikte, die niemals rechtlich relevant werden. Da diskusanalytische Ansätze aber immer die Perspektive der Konfliktunterlegenen einnehmen, kommt nach der Delegitimierung der bestehenden Konfliktlösungsverfahren der Vorschlag Kommunikation insgesamt zu verrechtlichen, d. h. jeder Konflikt soll durch das Recht bzw. den Staat gelöst werden. Ich weiß gar nicht genau wie stark eigentlich in diskursanalytischen Ansätzen eine Unterscheidung zwischen Politik und Recht gemacht wird. Letztlich läuft es aber darauf hinaus die Hoffnung, um nicht zu sagen Illusion, zu kreieren, dass der Staat so eine Art Weißer Ritter für die Schwachen, Unterdrückten und Verlierer sein soll. Da sich diskursanalytische Ansätze zugleich aber am meisten darin gefallen ein Bild des Staates als eine Art Schwarzen Ritter zu malen, bleibt es das große Mysterium, wie diese gleichsam wundersame Verwandlung vom Schwarzen zum Weißen Ritter vonstatten gehen soll. Und hier kommt man wieder zu dem pervertierten Machtbegriff zurück, der Macht nur als psychisches Problem und nicht als Lösung für ein soziales Problem begreift. Selbst wenn der Machtgebrauch neue Probleme erzeugt, kann die Lösung nicht darin bestehen auf Macht zu verzichten. Und hier kommt dann das Recht als Zweitkodierung bzw. als Selbstbegrenzung von politischer Macht ins Spiel. Dabei geht es aber nicht darum Macht mit Hilfe des Rechts zu neutralisieren, sondern nur um die Unterscheidung von legitimen und nicht-legitimen Machtgebrauch. Diese Funktion des Rechts ist aber nur äußerst schwer zu erkennen, wenn man Machtgebrauch generell für illegitim hält. Die Ausklammerung des Rechts orientierte sich also aus meiner Sicht im Wesentlichen an der Stellung des Rechts im analysierten Theorieansatz.

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