Samstag, 23. August 2014

Die Beobachtung der Beobachtung 3.3 – Wissen in der modernen Gesellschaft

Im vorletzten Beitrag wurde Niklas Luhmanns Theorie funktionaler Differenzierung kommunikationstheoretisch rekonstruiert. Diese Rekonstruktion bildete den theoretischen Hintergrund, vor dem im letzten Beitrag die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung behandelt wurde. Diese Probleme wurden am Beispiel poststrukturalistischer und postmoderner Theorien im Anschluss an Michel Foucault verdeutlicht. Es muss allerdings betont werden, dass es nicht nur speziell um die Diskusanalyse von Foucault geht. Wenn von postmoderner Theorie die Rede ist, wird damit ein Theoriekomplex bezeichnet, der sich durch die im letzten und diesem Text dargestellte Form der Beobachtung bzw. Aufmerksamkeitsfokussierung auszeichnet. Es zählt die Form der Beobachtung und nicht die Selbstbeschreibung. Deswegen wird zum Beispiel auch die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour dazu gezählt. Obwohl sich Latour selbst nicht als postmodern beschreibt, entspricht seine Theorie genau der Beobachtungsweise, die hier als postmodern beschrieben wird. Mithin betrifft dies viele Ansätze mit macht- oder wissenskritischen Ansprüchen. Obgleich sich diese Ansätze nicht durchgängig als Sozialwissenschaften verstehen, werden damit aber Aussagen über den Phänomenbereich gemacht, für den üblicherweise die Sozialwissenschaften zuständig sind. Der letzte Text konzentrierte sich vor allem auf die Implikationen des diskursanalytischen Machtbegriffs. Als Ergebnisse der Untersuchung konnte unter anderem festgehalten werden, dass postmoderne Theorien keine wissenschaftlichen, sondern politische Zwecke verfolgen, dadurch systematisch eine wissenschaftliche Arbeit hintertreiben und schließlich, dass sie lediglich ein Mittel sind die persönliche Inferiorität zu bestätigen und ihr Ausdruck zu verleihen. Es geht nur darum eine Differenz im Erleben im Vergleich zu anderen Personen zu betonen. Poststrukturalistische und postmoderne Ansätze sind außerdem mit so vielen begrifflichen Verwechslungen durchsetzt, dass sie als schizogene Semantik betrachtet werden müssen. Wer seine Aufmerksamkeitsfokussierung daran orientiert, wird früher oder später mit erheblichen Störungen des eigenen Erlebens und Handelns kämpfen müssen. 

Auch dieser Beitrag wird sich mit den Problemen postmoderner Theorien beschäftigen. Eine grundlegende Annahme postmoderner Theoriebildung im Anschluss an Foucault besteht in der Prämisse „Wissen ist Macht“. Um einen Teil dieser Prämisse drehte sich bereits der letzte Beitrag. In diesem Beitrag wird es nun um die postmoderne Theorie des Wissens im Anschluss an Jean-François Lyotard gehen. Sie wird einer Art Revision unterzogen, um eine Theorie des Wissens in der modernen Gesellschaft zu entwickeln. Dafür wird es notwendig sein von der Theorie funktionaler Differenzierung zur allgemeinen Theorie sozialer Systeme zu wechseln, denn Wissen ist ein so allgemeines Erfordernis für die Koordination des menschlichen Erlebens und Handelns, dass es nicht auf einzelne Funktionssysteme, wie die Wissenschaft, begrenzt ist.

Schon der letzte Text verfolgte das allgemeinere Ziel, die Funktionsweise der Negation für die Sinnkonstitution zu erkunden. Dieses Ziel wird auch mit diesem Text weiterverfolgt. Die postmoderne Theorie des Wissens bietet hierfür einen guten Untersuchungsgegenstand, weil sie, das ist die These dieses Textes, das Problem des Sinnverlustes durch die Art der Theoriebildung erst selbst erzeugt und keine Lösungen dafür anbieten kann. Der Fokus postmoderner Beobachtungen liegt auf der Problembetrachtung. Diese Art der Beobachtung wird auch als Sthenographie bezeichnet. Dadurch wird die postmoderne Theorie Teil des Problems, das sie beschreibt. Der Grund dafür liegt in der Überbetonung der Performativität der Kommunikation. Methodisch wird nur noch der Form der Mitteilung, aber nicht mehr den mitgeteilten Informationen Aufmerksamkeit geschenkt, um die Frage zu klären, wie erfolgreiche Kommunikation funktioniert. Dieses Problem wird von Lyotard und anderen als Legitimationsproblem behandelt. Die Überbetonung der Performanz führt allerdings zu einer Fehleinschätzung der sozialen Funktion der Kritik, die sich in Lyotards Fassung nur in radikaler Negation erschöpft. Ziel der Kritik soll eigentlich die Veränderung der Gesellschaft sein. Postmoderne Kritik führt jedoch in letzter Konsequenz zur Zerstörung des Wissens und zum Sinnverlust. Eine Veränderung der Gesellschaft wird in dieser Perspektive zu einer Unmöglichkeit.

Dem gegenüber soll hier eine Theorie über die Funktion des Wissens in der modernen Gesellschaft entwickelt werden. Wissen wird hier nicht nur als beständig mitlaufende, wechselseitige Erwartung der Kommunikationspartner behandelt (vgl. Luhmann 1990, S. 122), sondern darüber hinausgehend als ein Ergebnis von Differenzierungsprozessen. Das soll heißen, der Prozesscharakter der Gesellschaft rückt im Folgenden stärker in den Mittelpunkt. Gerade im Vergleich zu postmodernen Theorien des Wissens wird sich zeigen, dass Wissen nicht mit dem Kommunikationsmedium Macht gleichgesetzt werden kann, sondern dass Wissen in die Lage versetzt Veränderungen anzuregen – egal ob in Bezug auf soziale Systeme, psychische Systeme oder deren Umwelten. Nur durch Wissen ergibt sich überhaupt die Möglichkeit etwas verändern zu können. Solche Möglichkeiten werden durch die Art postmoderner Aufmerksamkeitsfokussierung systematisch verhindert. Im Zuge der Untersuchung wird nicht nur ein Gegenentwurf zum postmodernen Wissen entwickelt, sondern auch einige Beobachtungen des vorherigen Beitrags aus einer anderen Perspektive nochmals bestätigt.