Freitag, 21. Juni 2013

Die Beobachtung der Beobachtung 2 - Kommunikation und Image



 Das gemeinsame Band zwischen ‚uns‘ kann der andere sein.
Ronald D. Laing*



Im letzten Blog-Beitrag wurde ausgiebig Gorgonenbetrachtung betrieben. Gorgonenbetrachtung bezeichnet im Anschluss an Niklas Luhmann den Umgang mit Paradoxien (vgl. 1991). Zuletzt wurde herausgearbeitet, dass Paradoxien als nicht-eliminierbare Identitätsprobleme jeglicher Informationsgewinnung und –verarbeitung durch Beobachten zugrunde liegen. Der Grund dafür findet sich in der paradoxen Konstitution der Beobachtung als basaler Operation von sozialen und psychischen Systemen. Diese Operation ist das Beobachten im Sinne des Bezeichnens mit Hilfe einer Unterscheidung. Versucht man nun diese Operation selbst zu beobachten, also zu unterscheiden und zu bezeichnen, dann wird das weitere Beobachten blockiert. Genau das wurde im letzten Beitrag getan. Man trifft an diesem Punkt auf die Selbstreferenz der Unterscheidung als sachliche, soziale und zeitliche Paradoxie der Form. Einige der dabei auftretenden Probleme für die Informationsgewinnung und –verarbeitung beobachtender Systeme wurden aufgezeigt. Bei der Beobachtung der Beobachtung als Anwendung einer Unterscheidung auf sich selbst trifft man auf eine für die weitere Entwicklung bzw. Differenzierung eines Systems wichtige Bifurkation. Bei der Selbstreflektion kommt es entweder zum re-entry, des Wiedereintritts der Unterscheidung auf ihrer Innenseite. Das System kann auf diese Weise seinen eigenen blinden Fleck beobachten und Lernen. Durch Selektion und Restabilisierung gelingt es einem System sich selbst zu ändern.


Die andere Möglichkeit ist der Wiedereintritt der Unterscheidung auf der Außenseite des Systems. Bei diesem Fall kommt es zu einem double bind. Das System verwechselt sich selbst mit seiner Umwelt. Dann kann es nicht seinen eigenen blinden Fleck beobachten und somit auch nicht Lernen. Demzufolge kommt es auch nicht zur Differenzierung bzw. Selbständerung der Systemstruktur. Es kommt lediglich zur Steigerung der Eigenkomplexität durch Vermehrung der Systemelemente, ohne dass eine interne Differenzierung und Integration gelingt. Stattdessen entwickelt sich ein regressiver Beobachtungsstil, der auf dem eigenen blinden Fleck beharrt. Zur Kompensation der dabei auftretenden Probleme versucht das System seine Umwelt zu verändern, damit es selbst stabil bleiben kann. Da jedoch in der Umwelt des Systems auch nur beobachtende, sich selbst ändernde Systeme vorkommen, können die Veränderungsbemühungen sich nur darauf beziehen, die Systeme in der Umwelt dahin gehend zu verändern, dass sie sich nicht mehr ändern. Das System versucht also seine Umwelt zum Erstarren zu bringen. Diese Bemühungen sind allerdings selbst nur ein Hinweis auf die eigene innere Erstarrung dieses Systems.

Je nachdem ob es bei der Selbstreflektion zu einem double bind oder zu einem re-entry kam, können zwei verschiedene Beobachtungsstile unterschieden werden: Sthenographie und Euryalastik. Sthenographie bezeichnet einen Beobachtungsstil der sich darauf beschränkt, die Paradoxien offen zu legen und sie direkt zu betrachten. Zu einem Problem der Informationsverarbeitung wird Sthenographie, weil die Beobachtung von Paradoxien keine Unterschiede mehr zulässt, die Unterschiede machen – also eine Information. Sthenographie macht die Paradoxie sichtbar und sich selbst damit blind. Euryalistik bezeichnet dagegen einen Beobachtungsstil, der versucht im Bewusstsein seiner eigenen paradoxen Konstitution trotzdem Unterscheidungstechniken zu suchen, welche die Paradoxien invisibilisieren und dadurch seine Unterscheidungsfähigkeit zurückgewinnt. Da jedes beobachtende System Beobachter beobachten muss und damit beständig mit der eigenen paradoxen Operationsbedingung zu kämpfen hat, könnte jedes beobachtende System auch als Gorgonenbetrachter bezeichnet werden.

Auch in einigen Teilen der Soziologie hat sich Stenographie als Beobachtungsstil inzwischen eingeschlichen. Anstatt die aus der paradoxen Konstitution der Beobachtungsoperation resultierenden Identitätsprobleme ernst zu nehmen, versucht man sich immer noch daran Widerspruchsfreiheit herzustellen oder begnügt sich einfach damit die Paradoxien des Untersuchungsobjekts offen zu legen und sich an ihrer magischen Wirkung zu berauschen. Da das Problem aber in der paradoxen Konstitution der eigenen Beobachtungsoperationen liegt, ist man nicht in der Lage den eigenen blinden Fleck zu beobachten. Als System, das sich darauf spezialisiert hat die Gesellschaft unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu beobachten, wird die Tatsache, dass man nur in der Gesellschaft die Gesellschaft beobachten kann, immer noch nicht ernst genug genommen. Stattdessen beobachten viele soziologische Theorien immer noch so als würden sie die Gesellschaft von außen beobachten. Diese Selbstblindheit führt zu der logischen Konsequenz, dass sich die Gesellschaft ändern muss und nicht der eigene Standpunkt.

Neben den Problemen für soziologische Theoriebildung ergibt sich daraus noch ein weiteres Problem. Zu jedem Beschreibungsangebot der Gesamtgesellschaft gehört auch ein korrespondierendes Menschenbild. Ein weiterer auf diesem Blog bereits mehrfachgeäußerter Kritikpunkt an vielen zeitgenössischen Theorieangeboten ist, dass die Menschen in der soziologischen Theoriebildung entweder ganz vergessen wurden oder nur noch als Marionetten, gleichsam umweltgesteuert, gedacht werden. Soziologische Gesellschaftsbeschreibungen kommunizieren, wenn nicht direkt so doch indirekt, auch ein bestimmtes Menschenbild und damit auch ein Erlebens- und Handlungsmodell. Daraus ergibt sich die Frage, welche Auswirkungen solche menschenvergessenen Gesellschaftsbeschreibungen auf das Erleben und Handeln der Menschen haben, die ihnen Glauben schenken? Bevor diese Frage behandelt werden kann, sind jedoch weitere Vorüberlegungen notwendig, welche diesen Beitrag ausmachen werden.

Während im letzten Beitrag das sachliche Problem von Paradoxien als nicht-eliminierbare Identitätsprobleme für beobachtende Systeme behandelt wurde, geht es in diesem Beitrag um die spezifischen Konsequenzen der Beobachtung der Beobachtung in der Sozialdimension. Und auch dieses Mal wird sich die Betrachtung zunächst um Kommunikation, unabhängig von jeder funktionalen Spezifizierung, drehen. Im Folgenden wird deswegen als Erstes der Unterschied zwischen der Beobachtung der Beobachtung als sachlichem und sozialem Problem herausgearbeitet. Es wird sich zeigen, dass für das Verständnis von Kommunikationsproblemen nicht nur die Beobachtung der Operation als Beobachtung relevant ist, sondern auch die Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person. Erst anhand der Art und Weise wie sich Personen durch ihr Handeln zu anderen Personen in Beziehung setzen, lassen sich funktionale von pathologischen Kommunikationsformen unterscheiden. Es wird sich zeigen, dass das Verstehen hierfür nicht auf der operativen Ebene, sondern auf der strukturellen Ebene eine entscheidende Rolle spielt. Desweiteren soll gezeigt werden, dass die Techniken der Imagepflege entweder ein Teil der Lösung aber auch als Teil dieses Problems betrachtet werden können. Erst auf dieser Grundlage lassen sich Inklusions- und Exklusionsdynamiken angemessen verstehen und analysieren.


I.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist wieder das soziologische Bezugsproblem einer gelingenden Handlungskoordination, wenn zugleich das psychische Erleben der Beteiligten aufgrund von unterschiedlichen Beobachterperspektiven auf denselben Sachverhalt beständig zu divergieren drohen. Aufgrund der operativen Geschlossenheit und Intransparenz psychischer Systeme sind Menschen immer dazu gezwungen sich anderen Personen mitzuteilen, damit eine Handlungskoordination möglich wird. Mit anderen Worten, man muss kommunizieren. In den Funktionsbedingungen von Kommunikation selbst sind jedoch zwei Störungsquellen angelegt, die wiederum die Form der Kommunikation beeinflussen können. Verschiedene Autoren, die mit einem ähnlichen Kommunikationsbegriff arbeiten, sind bereits auf diese Störungsquellen aufmerksam geworden. Zu nennen wären hier unter anderem Jürgen Ruesch und Gregory Bateson (vgl. (2012), Ronald D. Laing (vgl. 1969), Erving Goffman (vgl. 1974) und Niklas Luhmann (vgl. 1984). Alle diese Autoren gehen davon aus, dass an Kommunikation mindestens zwei Menschen teilnehmen, welche sich wechselseitig wahrnehmen und sich der Wahrnehmung durch die andere Person auch bewusst sind. Spätestens wenn sich zwei Menschen gegenseitig in die Augen schauen, kann man nicht mehr ignorieren, dass bereits kommuniziert wird. Entweder weicht man den Blicken des Gegenübers aus und kommuniziert damit, dass man Kommunikation lieber vermeiden möchte oder, sofern man den Blickkontakt hält, ist man mehr oder weniger gezwungen ein Gespräch zu beginnen, bevor die Situation peinlich wird. Denn mit dieser Situation wird die Unendlichkeit doppelt kontingenter Handlungsmöglichkeiten eröffnet und mit jeder Millisekunde des Schweigens steigert sich die selbsterzeugte Unsicherheit des durch die wechselseitige Wahrnehmung konstituierten sozialen Systems.

Alle genannten Autoren sehen in der Kommunikation die Lösung für das Problem der wechselseitigen Intransparenz psychischer Systeme. Trotzdem konnten sie durch unterschiedliche Fragestellungen die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Störungsquellen für Kommunikation legen. Obgleich es also sehr viele Übereinstimmungen bei den genannten Autoren gibt, lassen sich dennoch anhand der Darstellung der unterschiedlichen Fragestellungen zwei allgemeine Probleme herausarbeiten, die bei jeder Kommunikation zum Tragen kommen. Exemplarisch soll dies an den unterschiedlichen Fragestellungen von Bateson und Laing dargestellt werden. Beide arbeiten mit einer Kommunikationstheorie, die versucht das Verhalten von Menschen auf der Grundlage der sozialen Beziehungen zu verstehen, in die Menschen involviert sind. Statt Menschen als isolierte Einzelwesen zu betrachten, werden sie als soziale Wesen betrachtet, deren Art und Weise zu Erleben und zu Handeln sich aus den sozialen Beziehungen ergibt, die sie zu anderen Menschen unterhalten. Bateson und Laing entwickelten diese Herangehensweise aus der psychotherapeutischen Praxis heraus. Das Konzept der Kommunikation erhält für das Verständnis von Wahrnehmungs- und Verhaltensstörungen von Menschen eine zentrale Bedeutung, denn Kommunikation strukturiert die Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten der Menschen. Präzisiert man mit Luhmann Kommunikation als Informationsgewinnung durch die Beobachtung der Beobachtung, lassen sich die zwei Störungsquellen der Kommunikation anhand eines einheitlichen Gesichtspunkts voneinander unterscheiden. Es handelt sich dabei um den Unterschied zwischen der sachlichen und sozialen Entfaltung der Tautologie Beobachtungen zu beobachten.

Pathologien sind aus der Perspektive der kommunikationstheoretisch fundierten Psychotherapie Kommunikationsstörungen. Die Entstehung solcher Kommunikationsstörungen ist wiederum nur aus der Kommunikation verständlich, die sich zwischen den Kommunikationspartnern abspielt. Die Kommunikationspartner, die damit als erstes in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, sind die anderen Familienmitglieder der Patienten. Die Psychotherapie entfaltet somit die Paradoxie, dass Kommunikation sowohl die Quelle seelischer Gesundheit als auch Quelle seelischer Störungen sein kann. Um verschiedene funktionale und pathologische Kommunikationsformen voneinander unterscheiden zu können, wird daher gefragt, wie sich die Kommunikation vollzieht. Dass kommuniziert wird, bestimmt nur den Gegenstandsbereich. Das reicht jedoch nicht aus um innerhalb des Gegenstandsbereichs verschiedene Kommunikationsformen voneinander unterscheiden zu können. Sowohl Bateson (vgl. 1985a, S. 271f.) als auch Laing (vgl. 1976) hatten die Vermutung, dass man am Studium von Krankheitsbildern, wie der Schizophrenie [1], Methoden entwickeln kann, wie man erfolgreiche Kommunikationsformen von pathologischen unterscheiden kann. Nichts desto trotz gingen beide von verschiedenen Fragestellungen aus.


II. 

Bateson analysierte das Verhalten schizophrener Patienten unter der Fragestellung, in welchen Kontexten die nun als dysfunktional beobachteten Verhaltensweisen der Betroffenen vormals funktional waren. Mit diesem Ansatz gelang es ihm die double bind-Situation zu beschreiben (vgl. Bateson 1985a, S. 276ff.). Dabei handelt es sich um eine Situation an der mindestens zwei Personen beteiligt sind und eine der beteiligten Personen mit widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert wird. Solche Bedingungen fand Bateson in den Familien der Betroffenen. Die double bind-Situation besteht aus einem Dilemma, in das die betroffene Person gerät. Sie ist hin und her gerissen zwischen dem Schutz des eigenen Selbst und dem Schutz eines oder beider Elternteile. Beide Ziele scheinen unvereinbar, denn beide können gravierende Konsequenzen haben. Um das Selbst der Eltern aufrecht zu erhalten, ist das Kind gezwungen sich selbst zu verleugnen. Es entspricht damit den Erwartungen der Eltern und gibt sein eigenes Selbst auf. Behauptet das Kind dagegen sein eigenes Bild von sich selbst gegenüber den Eltern besteht die Gefahr, dass das Selbst der Eltern verletzt wird. In diesem Fall entspricht das Kind zwar seinen eigenen Erwartungen, aber nicht denen der Eltern. Das Risiko der Schizophrenie besteht immer dann, wenn sich das Kind in wiederkehrenden Situationen mit diesem Dilemma konfrontiert sieht und den Eltern zu liebe das eigene Selbst aufgibt, um den Erwartungen der Eltern zu entsprechen. Da jedoch Kommunikation innerhalb und außerhalb des Familiensystems stattfindet, muss genauer spezifiziert werden, wie solchen widersprüchlichen Erwartungen entstehen können, welche die betroffene Person in das beschriebene Dilemma bringen.

Dafür stellte Bateson die Hypothese auf, dass schizophrene Personen Probleme damit haben Mitteilungen zu kontextieren (vgl. 1985a, S. 275), d. h. den logischen Typ einer Mitteilung zu erkennen, um sie so einzuordnen, dass angemessene Anschlusshandlungen folgen können. Die Fähigkeit den logischen Typ einer Mitteilung zu erkennen hat eine viel allgemeinere Bedeutung. Sie spielt bei der Lösung vieler sozialer Probleme eine wichtige Rolle, so z. B. für das Verständnis von Humor, das Unterscheiden zwischen Spiel und Nicht-Spiel oder für Lernprozesse (vgl. Bateson 1985a, S. 272ff.). Deswegen bekommt das Studium der Schizophrenie eine weit über die psychotherapeutische Praxis hinausgehende Bedeutung, denn es geht um den Umgang mit Paradoxien. Ausgehend von der Grundprämisse operativer Geschlossenheit psychischer Systeme kann das Verhalten der schizophrenen Patienten nur dann erklärt werden, wenn man herausfindet, welche Informationen für das Erleben der Patienten Unterschiede machen, die Unterschiede machen. Da jedoch Informationen unterschiedlich kontextualisiert werden können und damit auch jeweils andere Unterschiede machen, geht es darum die Kontexte zu identifizieren, in denen die Mitteilungen von Schizophrenen sinnvoll gedeutet werden können. Erst wenn man den Code der Schizophrenen entschlüsselt mit dem sie ihre Informationen kodifizieren, lassen sich geeignete Therapien finden.

Bateson interessierte sich jedoch nicht nur für die zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch für die Kommunikation von anderen Systemtypen. Er war auf der Suche nach einem allgemeineren Ordnungsprinzip geistiger Prozesse, das nicht nur auf soziale und psychische Systeme beschränkt ist, sondern auch auf biologische Systeme angewendet werden kann. Im Formenkalkül von George Spencer-Brown (vgl. 1997) fand Bateson dieses Ordnungsprinzip formuliert. Er hatte die Vermutung, dass Spencer-Browns „Gesetze der Form“ seine aufgestellten Kriterien noch einmal grundlegend modifizieren könnten (vgl. Bateson 1982, S. 113). Und auch Spencer-Brown selbst sah in den Gesetzen der Form das Potential einer allgemeinen, die Grenze von Sozial- und Naturwissenschaften übergreifenden, Anwendbarkeit (vgl. 1997, S. XXXI). Ob der Formenkalkül diese Hoffnungen auch einlösen kann, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Hier geht es nur um die soziologische Fruchtbarkeit des Kalküls, wie es u. a. von Luhmann gesehen wurde. Dieses allgemeine Ordnungsprinzip ist die Beobachtung als Operation des Unterscheidens und Bezeichnens. Die Operation der Beobachtung als Unterscheidung ist immer beides zugleich das Treffen einer Unterscheidung mit dem Zweck etwas zu bezeichnen. Bei der Reflektion einer Unterscheidung kommt es zum Wiedereintritt der Unterscheidung in sich selbst, weil sie versucht sich von sich selbst zu unterscheiden. Statt von einem Ordnungsprinzip könnte man auch von einer allgemeinen Kodifizierungsregel von sozialen und psychischen Systemen sprechen.

Der double bind bildet eine Ursache für Kommunikationsstörungen, wie sie bei Schizophrenen beobachtet werden können. Nimmt man an, dass mit den Gesetzen der Form eine allgemeine Kodifizierungsregel formuliert wird und interpretiert den double bind im Kontext von Spencer-Browns Formenkalkül als Wiedereintritt auf der Außenseite einer Unterscheidung, so hat man eine Theorie darüber wie Schizophrene beobachten. Mit anderen Worten, man hat einen theoretischen Kontext in dem sich die Mitteilungen von schizophrenen Patienten verstehen lassen. Für die Unterscheidung von funktionalen und dysfunktionalen Kommunikationsformen kommt es also darauf an zwischen verschiedenen Formen zu unterscheiden, wie beobachtet wird. Da dieser Ansatz seine Aufmerksamkeit auf die beobachtbaren Mitteilungen der Kommunikationspartner richtet, wird dieser Ansatz auch für soziologische Analysen interessant. Für eine soziologische Analyse, wie das soziale Problem von Menschen gelöst wird, sollte allerdings die Paradoxie der Beobachtungsoperation im Auge behalten werden, sonst verfängt man sich selbst in den unendlichen Verzweigungsmöglichkeiten des eigenen Unterscheidungsnetzwerks. Dieses Problem allein reicht jedoch für das Verständnis sozialer Prozesse nicht aus.

Bei der paradoxen Konstitution der Beobachtungsoperation handelt es sich um das allgemeine Problem jeglicher psychischen und sozialen Informationsverarbeitung. Dieses Problem wird verdoppelt sobald Menschen in Kommunikation verwickelt werden. Dann geht es nicht mehr nur darum, wie Unterscheidungen Unterscheidungen beobachten. Die Paradoxie der Beobachtung der Beobachtung entfaltet sich nun auch sozial, denn der Mitteilungsaspekt jedes Kommunikationsereignisses verweist auf die Form der Mitteilung und damit auch auf die mitteilende Person. Das zweite Problem besteht dann in der Frage, welche Person mit welchen sozial angebotenen Unterscheidungen sich selbst, seinen Kommunikationspartner und die Kommunikation beobachtet. Und auch bei der Beantwortung dieser Frage wird man wieder bei psychotherapeutischen Ansätzen fündig.


III. 

Ronald D. Laing ging bei seiner Suche nach möglichen Ursachen von schizoiden Persönlichkeitsstörungen von einer anderen Annahme als Bateson aus. Laing vermutete, dass sich das Verhalten von schizoiden Personen anhand des Problems der eigenen Sichtbarkeit für andere Personen verstehen lässt (vgl. 1976). Der Ausgangspunkt ist wieder die dyadische Interaktionssituation, wenn sich mindestens zwei Menschen begegnen und sich wechselseitig wahrnehmen und auch das Wahrgenommen-Werden wahrnehmen. Bei einer psychotherapeutischen Behandlung muss daher die Tatsache beachtet werden, „daß sich jeder Mensch gleichzeitig getrennt von seinen Mitmenschen und in Beziehung mit ihnen befindet“ (Laing 1976, S. 22). Dabei handelt es sich um eine andere Beschreibung des Ausgangsproblems, dessen Lösung Kommunikation ist. Das Getrenntsein beschreibt die operative Geschlossenheit psychischer Systeme und das In-Beziehung-Sein die Notwendigkeit sich selbst von den Mitmenschen in der Umwelt zu unterscheiden [2]. Das Problem ist so allgemein formuliert, dass es wieder alle Interaktionssituationen erfasst und keine Situation von vorn herein ausschließt.

Aus psychischer Perspektive ergibt sich daraus das Folgeproblem der eigenen Sichtbarkeit für die anderen Kommunikationspartner. Mit diesem Problem wird jeder Mensch konfrontiert. Es kann, mit anderen Worten, nicht um die Frage gehen, wer der Andere ist, sondern wie mich der Andere sieht – welches Bild macht er sich von mir? Unter Berücksichtigung der operativen Geschlossenheit psychischer Systeme läuft es auf die Frage hinaus, welches Bild mache ich mir von meinem Gegenüber, um ihm gegenüber im Rahmen unsere Beziehung so handeln zu können, dass es ihm möglich ist mich zu verstehen? Darin eingeschlossen ist die Frage, welches Bild mache ich mir vom Bild, das mein Gegenüber von mir hat. Laing/Phillipson/Lee bezeichnen dieses Bild einer anderen Person von jemandem als Meta-Identität (vgl. 1976, S. 14f.). Für die Bildung einer Metaperspektive sind die Beteiligten auf die sichtbaren Informationen angewiesen, die die anderen von sich preisgeben. Daraus entsteht im Verlauf der Interaktion eine Transformation bzw. Modulation der eigenen Identität durch die Perspektiven der anderen Kommunikationspartner. Laing/Phillipson/Lee sprechen von „Refraktionen, die einer Person widerfahren, wenn sie aus den Perspektiven verschiedener Personen betrachtet wird“ (1976, S. 14.).

Spätestens bei Störungen geht es jedoch nicht mehr nur darum, dass man von der anderen Person wahrgenommen wird, sondern wie man von der anderen Person beobachtet wird im Sinne des unterscheidenden Bezeichnens. Genauer ausgedrückt, handelt es sich dabei um die Beobachtung, dass man von einer anderen Person beobachtet wird, oder kurz um die Beobachtung der Beobachtung. Mit dieser Paradoxie hat jeder Mensch zu kämpfen, wenn er in Kontakt mit anderen Menschen tritt. Und erst durch die Reflektion der eigenen Beobachtbarkeit erfährt man sich selbst als autonom handelnde Person. Jeder Mensch tritt in eine Interaktionssituation mit einem bestimmten Bild von sich selbst ein. Wenn dann im Verlauf der Interaktion die Modulation der personalen Identitäten in Gang gesetzt wird, geht es darum zu beobachten für wen die andere Person sich selbst hält und ob die andere Person mich für die Person hält, für die ich mich halte (vgl. Laing 1976, S. 30). Ob man eine Person nun als gesund oder psychotisch betrachten kann, hängt von dem Grad der Konvergenz bzw. Divergenz der Selbstbilder der beteiligten Personen ab, also in wie weit es den Kommunikationspartnern gelingt die andere Person als die zuerkennen, für die sie sich hält. Psychotische Personen sind nach Laing solche Personen, die besondere Schwierigkeiten damit haben Selbstbild und Fremdbild zur Kongruenz zu bringen (vgl. 1976, S. 31f.). Die Divergenz bzw. der Widerspruch zwischen dem Selbst und dem Anderen wird stattdessen immer größer, was sich im sonderbaren Verhalten der betroffenen Personen wiederspiegelt. Am Paradox der Sichtbarkeit des Unsichtbaren – im Sinne der Sichtbarkeit des unsichtbaren psychischen Erlebens im eigenen Handeln – entzündet sich der Wunsch gesehen zu werden und sich zu verbergen. Kommunikation wird damit immer zu einer Gradwanderung auf dieser Paradoxie. Von der Paradoxie der Beobachtung der Beobachtung muss deswegen die Paradoxie der Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person unterschieden werden.


IV.

Sobald zwei Menschen aufeinander treffen und sich gegenseitig wahrnehmen läuft die Kommunikation. Um die selbsterzeugte Unsicherheit doppelt kontingenter Handlungsmöglichkeiten zur reduzieren, muss der Situation ein Ansatzpunkt gegeben werden, am dem sich Kommunikation entfalten kann. Dafür wird die Aufmerksamkeit der beteiligten Personen durch einen der Beteiligten auf etwas gerichtet. Es entsteht ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Durch diese Äußerung offenbart sich aber nicht die volle Komplexität des psychischen Erlebens der mitteilenden Person. Es wird allenfalls ein kleiner Ausschnitt davon beobachtbar. Für das Verständnis der Situation besitzt dieser Unterschied jedoch seine Relevanz, denn für den Fortgang der Kommunikation müssen die mitgeteilten Informationen als Orientierungspunkte genügen. Alles, was sonst noch in den Köpfen der Beteiligten vorgeht, bleibt für Kommunikation irrelevant. Doch gerade aus der Vorstellung über das Verhältnis zwischen dem, was von einem Menschen durch eine Mitteilung sichtbar wird, und dem, was von ihm unsichtbar bleibt, können sich, zum Teil sehr schwerwiegende, psychische Probleme entwickeln. Laing hat das Krankheitsbild der Schizophrenie unter diesem Aspekt analysiert.

Die eigenen Gedanken bleiben aufgrund der operativen Geschlossenheit psychischer Systeme letztlich immer unbeobachtbar. Dies realisiert man spätestens dann, wenn man einmal mit einer Lüge durchgekommen ist. Man operiert autonom in seinen Gedanken und realisiert dieses Alleinsein mit seinen eigenen Gedanken. Man findet zu sich selbst. Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung für echte Beziehungen (vgl. Laing 1976, S. 31). Psychotische Personen haben spezifische Probleme bei dieser Gradwanderung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Da es ihnen nicht gelungen ist das Alleinsein mit den eigenen Gedanken zu erkennen, fühlen sie sich aufgrund der eigenen Sichtbarkeit in besonderer Weise verletzbar. So kann der Glaube entstehen, dass sie für die Kommunikationspartner vollkommen durchschaubar sind. Aufgrund des Glaubens an die vollständige Transparenz des eigenen Selbst werden die betroffenen Personen unfähig zu lügen. Ihr Verhalten lässt sich dann als eine Reaktion auf die Situation wechselseitiger Wahrnehmung verstehen. Präzisiert man das Problem der Beobachtung der Beobachtung in der Sozialdimension auf diese Weise, lässt sich das Verhalten der betroffenen Personen als Techniken verstehen das, was sie für ihr wahres Selbst halten, vor der Beobachtung durch andere Personen zu schützen. Sie behindern damit die Bildung einer Metaperspektive auf ihr wahres Selbst durch den Kommunikationspartner.

Wie geschieht das? Ein erster Schritt dazu ist die Form der Selbstbeobachtung der betroffenen Person. Sie beobachtet die eigenen Äußerungen, die für andere sichtbar werden, nicht als Äußerungen ihres wahren Selbst (vgl. Laing 1976, S. 81 – 90). Das, was für andere sichtbar wird, kann die betroffene Person nicht in die Vorstellung von sich selbst integrieren. Diese Äußerungen sind aus der eigenen Perspektive keine authentischen Äußerungen des wahren Selbst. Wenn sich aus dieser partiellen Ablehnung eine permanente Verleugnung der eigenen Äußerungen als Äußerungen ihres wahren Selbst entwickelt, kommt es zu einer Spaltung des Selbst in ein wahres und ein falsches Selbst. Das wahre Selbst bleibt in dieser Perspektive vor den Blicken der Umwelt verborgen. Jedes Verhalten wird dann zum Ausdruck des Gegenteils von dem, was die betroffene Person eigentlich fühlt und denkt, mit dem Ziel nichts von ihrem wahren Selbst preiszugeben (vgl. Laing 1976, S. 32). So werden in jeder Situation wechselseitiger Wahrnehmung die Blicke der Anderen zu einer potentiellen Existenzbedrohung für ihr Selbst. Um sich vor Verletzungen durch die Umwelt zu schützen, versuchen die Betroffenen zu der Person zu werden, von der sie annehmen, dass sie diese in den Augen der Anderen sind. Praktisch bedeutet das, dass sie lediglich versuchen den Erwartungen der Umwelt zu entsprechen ohne als autonome, entscheidungsfähige Personen in Erscheinung zu treten. Mit dieser Selbstbeobachtungstechnik können sie ihre Angst beruhigen etwas von sich preisgegeben zu haben, denn das, was sie preisgegeben haben, hat nichts mit ihrem wahren Selbst zu tun.

Diese innere Spaltung kann so weit getrieben werden, dass der eigene Körper von diesen Personen nicht mehr in die Vorstellung von ihrem wahren Selbst integriert werden kann. Während es den meisten Menschen gelingt die eigenen Wahrnehmungen, die eigenen Gefühle und das eigene Handeln in ihre Vorstellung von sich selbst zu integrieren und somit Körper und Geist als eine Einheit erfahren, gelingt dies mit den angewöhnten Selbstschutztechniken schizoider Personen nicht mehr. Dem leiblichen Körper fehlt die Resonanzfähigkeit und damit auch das Gefühl biologisch lebendig und real zu sein. Laing bezeichnet diese Körperwahrnehmung als unverkörpertes Selbst (vgl. Laing 1976, S. 55 – 65). Der Körper wird lediglich zu einem Objekt in der Welt der Anderen und zugleich zur Umwelt für das wahre Selbst. Es handelt sich hierbei um einen Versuch einen externen Beobachterstandpunkt gegenüber der Interaktion des Körpers mit den Anderen einzunehmen.

Es sei daran erinnert, dass dieser Versuch einen externen Beobachterstandpunkt einzunehmen im vorangegangen Beitrag mit Bezug auf die Gorgonenmetapher als ein aussichtloser Versuch beschrieben wurde Medusa zu köpfen. Während man dies bei sozialen Systemen noch als Kuriosität betrachten kann, zeigt sich nun welche ernsten, psychischen Folgen solche Versuche, Widerspruchsfreiheit herzustellen, haben können. Der Widerspruch, dass das in der Interaktion sichtbare Selbst nicht Ausdruck des wahren Selbst ist, führt zur Vertiefung dieses Widerspruchs, wenn man versucht die nicht zum Selbst gehörenden Teile auszuschließen. Fatal wird dies, wenn es sich dabei eben um alle die für anderen sichtbaren Informationen über das Selbst handelt. Der Verstand wird vom Körper abgetrennt. Betrachtet man den Kopf als Sitz des Verstandes so findet im übertragenen Sinne eine Enthauptung statt. Dies scheint ein Aspekt der Gorgonenmetapher zu sein. Die Folgen dieser Selbst-Enthauptung sind jedoch für die Betroffenen real und existentiell.

Diese psychologische Entwicklung führt jedoch nicht dazu, dass sich die betroffenen Personen nicht ihrer Selbst bewusst werden. Die Betroffenen sind sich sehr wohl ihrer bewusst und dass sie von anderen Menschen gesehen werden. Sie müssen jedoch Wege finden mit der eigenen Beobachtbarkeit so umzugehen, dass sie für sie erträglich wird und sich zugleich ihrer eigene Identität und Lebendigkeit versichern können. Eine Möglichkeit dies zu tun, ist sich als ein Objekt in einer realen Welt zu fühlen. Das unverkörperte Selbst ist jedoch ein System ohne Feedback. Das bedeutet die eigene Welt hat keine eigene Realität und ist daher unreal. Lebendig kann man sich aber nur in einer realen Welt fühlen, die Rückschlüsse auf die Wirkungen der eigenen Handlungen zulässt. Der Körper befindet sich für das wahre Selbst der Betroffenen in der Welt mit den Anderen. Und für diese Anderen scheint der Körper real zu sein. So wird der Körper als Objekt in der Welt der Anderen zu einem Mittel sich seiner Lebendigkeit zu versichern (vgl. Laing 1976, S. 93f.).

Laing beschreibt noch eine weitere Methode, wie sich schizoide Personen ihrer selbst versichern. Es handelt sich dabei um eine starke Fixierung auf materielle Objekte in der Umwelt. Von einer inneren Spaltung Betroffene sind sehr genaue Selbstbeobachter. Sie sind sich häufig sogar der Gefährdung durch die Diskontinuität des operierenden, temporalen Selbst bewusst. Daraus resultiert jedoch die Gefahr durch Unachtsamkeit das operative Selbst bzw. seine Identität zu verlieren, was von die Betroffenen als eine existentielle Bedrohung angesehen wird. Dieses Problem wird mit Hilfe der intensiven Orientierung an materiellen Objekten gelöst. Das Fortdauern von materiellen Gegenständen in der Zeit kompensiert die temporale Diskontinuität des operativen Selbst. So verhindern Betroffene z. B. durch ständiges auf die Uhr Schauen, dass sie sich selbst im Geschehen verlieren (vgl. Laing 1976, S. 94f). Mit anderen Worten, über materielle Objekte sichern einige schizoide Personen ihre geistige Identität.


V.

Unter dem Gesichtspunkt der Gorgonenbetrachtung wird Laings Studie über das geteilte Selbst relevant, weil auch er darauf hinweist, dass der Gorgonenmythos unter dem Aspekt der Beobachtung der Beobachtung gelesen werden kann. Ihm geht es aber nicht primär um den Umgang mit Paradoxien als Beobachtungsblockaden, sondern um die Entfaltung dieser Paradoxie in der Sozialdimension im Sinne des Bewusstseins Objekt der Beobachtung einer anderen Person zu sein. So weist Laing darauf hin, dass der versteinernde Blick der Medusa die Furcht davor ausdrückt ein Objekt für jemand anderes sein (vgl. Laing 1976, S. 95). Unter Berücksichtigung des Getrenntseins von den Mitmenschen und dem bei jeder Interaktion einsetzenden Modulation der personalen Identitäten geht es darüber hinaus vermutlich auch um die Furcht vor dem Verlust der Kontrolle über die eigene Identität durch den Blick der Anderen. Dieses Bewusstsein über die eigene Beobachtbarkeit und der Gefahr der Transformation der eigenen personalen Identität durch die Metaperspektiven der Kommunikationspartner lässt die Betroffenen in gewisser Weise erstarren.

Laing präzisiert die Metapher sogar noch weiter. Wie oben beschrieben ist eine Möglichkeit mit der Gefahr der eigenen Beobachtbarkeit umzugehen, dass man sich selbst zum Objekt für die Anderen macht; und das nicht nur im Sinne eines Objekts der Beobachtung, sondern im Sinne eines toten Gegenstandes im Unterschied zu einem lebenden Organismus. Die Betroffenen treten den Interaktionspartnern nicht als autonome, zu freien Wahl ihrer Handlungen fähige Person gegenüber, sondern sie versuchen nur den externen Erwartungen gerecht zu werden. Auf diese Weise werden sie nicht Personen mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen oder Zielen, sondern lediglich zu einem Ding, das genauso ist, wie es von der Umwelt erwartet wird. Anstatt zu agieren reagieren die Betroffenen nur noch auf Umweltreize wie eine Maschine. Dieses Vorgehen bezeichnet Laing als Depersonalisierung oder Petrifikation bzw. Erstarrung (vgl. Laing 1976, S. 40f.). Damit kommen die Betroffenen der Gefahr zuvor durch den Kommunikationspartner depersonalisiert zu werden. Sie versteinern also zunächst selbst.

Dies hat jedoch Folgen für ihr Verhalten. Zugleich tendieren sie nun auch dazu die Personen in ihrer Umwelt zu depersonalisieren, also wie Dinge zu behandeln. Diese Depersonalisierung der Personen ihrer Umwelt wird durch die angewöhnten Selbstschutztechniken unterstützt und verstärkt. Die Techniken das wahre Selbst vor der Beobachtung durch die Kommunikationspartner zu schützen, macht es den Kommunikationspartnern unmöglich eine Metaperspektive auf die betroffene Person zu entwickeln. Aus diesem Umstand resultiert die besondere Herausforderung der Psychotherapie. Für die betroffene Person wird es damit wiederum unmöglich eine Vorstellung davon zu bekommen, was die andere Person über sie denkt. Ein wichtiger Aspekt der Depersonalisierung ist auch, ob man den Gegenüber als jemanden behandelt der Gefühle hat oder nicht. Dass es sich bei der Rede von Petrifikation bzw. Erstarrung nicht nur um eine Metapher handelt, sondern um einen empirischen Sachverhalt macht Laing durch den Hinweis auf Schizophrene des hebephren-katatonen Typs (vgl. Laing 1976, S. 167 – 177) deutlich. Sie bilden den Endpunkt dieses Prozesses der Spaltung des inneren Selbst in wahres und falsches Selbst-System. Die Voraussetzungen für solch eine psychische Entwicklung liegen jedoch in den Bedingungen einer zwischenmenschlichen Begegnung – also Kommunikation – selbst.

Bis zu einem gewissen Grad findet diese Depersonalisierung im Alltag ständig statt und ist auch sozial erwünscht. So kann man sich nicht in jeder Situation auf einen Kommunikationspartner als ganze Person einlassen, sondern lediglich auf die situative Rolle, die er annimmt. Depersonalisierung ist also eine Form des Selbstschutzes vor sozialen Bedrohungen der eigenen personalen Identität. Erving Goffman hat diese Formen des Selbstschutzes anhand der öffentlichen Darstellungsformen des Selbst (vgl. 1974) und den Techniken zur Imagepflege (vgl. 1986a) ausführlich untersucht. Sie können daher aus systemtheoretischer Perspektive als Formen verstanden werden mit der Paradoxie der eigenen Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person umzugehen. Das Verhalten von schizoiden Personen ist demzufolge eine besondere Form des Selbstschutzes unter der ständigen Gefahr der eigenen Sichtbarkeit. Man kann in der Interaktion mit anderen Menschen seine eigene Identität gewinnen, wenn man versucht das Selbstbild und das Bild, das die anderen von einem haben, zur Kongruenz zu bringen. So wird das eigene Selbst durch den Blick der anderen reicher bzw. differenzierter. Dann tritt man den Anderen als ein verkörpertes Selbst gegenüber und gelangt zugleich zum Gefühl der Lebendigkeit.

Man kann allerdings seine Identität in der Interaktion mit anderen auch verlieren, wenn man der Gefahr, ein Objekt im Auge des Anderen zu sein, vorausschauend begegnet und sein Verhalten entsprechend anpasst, indem man versucht die Beobachtbarkeit des eigenen Selbst zu verhindern (vgl. Laing 1976, S. 40f.). Ist die Angst vor der eigenen Beobachtbarkeit entsprechend groß, kann die schlichte Existenz der Anderen zu einer Bedrohung für das eigene Selbst werden. Diese Angst beeinträchtigt dann in hohem Maße die Fähigkeit Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung zur Kongruenz zu bringen. Da die Betroffenen durch den quasi-externen Beobachtungsstandpunkt sich von jeglichem Feedback durch die Umwelt abgeschnitten haben, oszilliert ihre Beobachtung nicht mehr zwischen sich und ihrer Umwelt, sondern nur noch zwischen wahren und falschen Selbst-System. Die Divergenz zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung wird damit sogar noch vergrößert. Das wahre Selbst wird immer weiter entleert und die Betroffenen beschreiben sich auch selbst als tot. Das innere Selbst im schizoiden Zustand ist nach Laing deswegen zerrissen zwischen der Furcht und der Sehnsucht lebendig zu sein (vgl. 1976, S. 66 – 81). Informationstheoretisch gewendet, kann man auch formulieren, dass die Betroffenen hin- und hergerissen sind zwischen der Furcht und der Sehnsucht nach Unterschieden, die für das eigene Selbst in Bezug zu Anderen Unterschiede machen.


VI.

Den Untersuchungen von Bateson und Laing ist es zu verdanken, dass sie zwei Faktoren gefunden haben, die in jeder Kommunikationssituation zum Tragen kommen. Das ist zum einen die Paradoxie als universelles Identitätsproblem und zum anderen das Bewusstsein der eigenen Beobachtbarkeit durch den Kommunikationspartner. Ersteres ist ein Problem was außerhalb des menschlichen Einflusses liegt, letzteres ist ein Problem mit dem nur Menschen konfrontiert sind. Kombiniert man beide Faktoren und wendet sie zusammen auf eine zwischenmenschliche Begegnung an, ergibt sich daraus die Einheit der Unterscheidung von System und Umwelt. Worauf man dabei stößt sind die Prozesse der Interpenetration von psychischen Systemen, also in wie weit es gelingt systemeigene Komplexität zur Verfügung zu stellen, um die systemexterne Komplexität – womit in diesem Fall andere psychische Systeme bzw. Menschen gemeint sind – systemintern zu rekonstruieren. Diese Leistung gelingt nur mit den sozial verfügbaren Beobachtungsinstrumenten und kann nur anhand der Operationsweise sozialer Systeme beobachtet werden. Mit anderen Worten, die psychische Irritationsfähigkeit hängt von sozial verfügbaren Unterscheidungen ab, die auch zur psychischen Selbstbeobachtung verwendet werden. Laing spricht in diesem Zusammenhang von der Fähigkeit in eine mit anderen geteilte Welt einzutreten. Der Kognitionswissenschaftler Francisco J. Varela bezeichnet diese Fähigkeit als Intelligenz (vgl. 1990, S. 111).

Entscheidend ist die Feststellung, dass die Nachahmung bestimmter sozial verfügbarer Beobachtungsformen die interpersonelle Wahrnehmung in hohem Maße entweder unterstützen oder behindern kann. Das führt entweder zur Konvergenz oder zur Divergenz von Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung mit gravierenden Folgen für die psychischen Systeme und ihrer Fähigkeit erfolgreich an Kommunikation teilnehmen zu können. Bei der Konvergenz der Perspektiven kommt es zu sinnhaften, fokussierten und vergangenheitsbewussten Beobachtungen. Bei der Divergenz kommt es dagegen zu kontext- bzw. sinnfreien (vgl. Bateson 1985a, S. 275), unkonzentrierten (vgl. Csikszentmihaly 2010, S. 294)  und gedächtnislosen Beobachtungen (vgl. Laing 1976, S. 170). Die Gefahr von letzterem besteht immer dann, wenn das psychische Selbst so stark von sich selbst befangen ist, dass sich die Beobachtung lediglich darauf konzentriert, wie es das eigene, wahre Selbst vor fremden Beobachtungen schützen kann. Bestehende Ängste vor der Beobachtung durch andere werden durch die sozial angebotenen Beobachtungsformen abgeschwächt oder verstärkt.

Sofern man das Bezugsproblem der Soziologie in der Problemstellung sieht, dass es bei divergentem psychischen Erleben unwahrscheinlich ist, dass es zu einer Koordination der Handlungen unter einem gemeinsamen Sinnzusammenhang kommt, ist die soziologische Relevanz dieser psychotherapeutischen Ansätze unmittelbar einsichtig. Sie versuchen zudem nicht Menschen als isolierte Einzelwesen zu verstehen, sondern als Produkt ihrer sozialen Umwelt bzw. den Beziehungen zu anderen Menschen. Das soziologische Potential der psychotherapeutischen Ansätze wurde bereits bei ihrer Entwicklung gesehen (vgl. Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 67, Ruesch/Bateson 2012). Goffman hat diesen Ansatz von der therapeutischen Situation auf Alltagssituationen übertragen. Luhmann hat ihn zu einer allgemeinen Theorie sozialer Systeme (vgl. 1984) ausgebaut und differenzierungstheoretisch gewendet zu einer Gesellschaftstheorie (vgl. 1997) weiterentwickelt. Obwohl Luhmann immer betont hat, dass Kommunikation bzw. Gesellschaft nicht ohne Menschen möglich ist, hat er den Fokus zu stark auf Gesellschaft gelegt. Zusammen mit der Annahme, dass Menschen nicht Teil der Gesellschaft sind (vgl. Luhmann 1984, S. 346), entstand der Eindruck dass Gesellschaft gegenüber den Menschen in der Luhmannschen Systemtheorie hypostasiert wird. Dieser Eindruck wurde in der Rezeption von Luhmann noch verstärkt und auch durch einige Luhmann-Schüler fortgesetzt. Verbunden mit dem abstrakten Begriffsdesign wurde schließlich die empirische Relevanz der soziologischen Systemtheorie kaum noch erkannt. Im Beitrag „Doppelte Kontingenz und die Schematismen der Interaktion“ wurde bereits versucht herauszuarbeiten, dass der empirische Rückbezug der soziologischen Systemtheorie nur möglich ist, wenn man sie aus einer radikal mikrosoziologischen Perspektive liest. Geht man außerdem von der Dyade als methodischen Ausgangspunkt aus, rückt die strukturelle Kopplung von sozialen und psychischen Systemen stärker in den Fokus der soziologischen Aufmerksamkeit. Darüber hinaus bietet dieser Ansatz den Vorteil, dass er auf Triaden oder noch größeren Beziehungsgeflechte erweitert werden kann. Der Endpunkt ist die Weltgesellschaft, denn mit dem sozialen Problem wird jeder Mensch konfrontiert.

Wenn strukturelle Kopplung ein Verhältnis der Interpenetration und der wechselseitigen Irritation beschreibt, dann wird eine darauf ausgerichtete Soziologie nicht darum herumkommen sich stärker zu psychologisieren. Umgekehrt könnte man aber auch sagen, dass die Psychologie soziologisiert wird. Das ist letztlich eine Frage des disziplinären Standpunkts. Worum es geht ist eine Konvergenz der Methoden. Die Gleitschiene, die es ermöglicht von der Dyade bis zur Weltgesellschaft zu gehen, ist die Kommunikationstheorie. Sie begründet die allgemeine Anwendbarkeit der soziologischen Systemtheorie auf jeden Sachverhalt zwischenmenschlicher Beziehungen. Wenn Soziologie noch den Anspruch hat psychologische Entwicklungen wie Entfremdungsprozesse aus ihren sozialen Bedingungen heraus beschreiben und verstehen zu wollen, wird man sich früher oder später auf Kommunikationstheorie einlassen müssen. Psychologisieren bedeutet dann nämlich nur herauszufinden, wie Personen durch ihre soziale Umwelt geprägt werden. Dafür muss man nicht in die konkreten Menschen hineinschauen, sondern lediglich beobachten, wie sie sich und ihre Umwelt bzw. die Personen in ihr beobachten und beschreiben. Vereinfacht ausgedrückt, geht es darum, wie die an der Kommunikation beteiligten Personen in Bezug aufeinander erleben und handeln.


VII.

Ausgehend von dieser Fragestellung entwerfen Laing/Phillipson/Lee einen Analyseapparat, der direkt an der Begegnung zweier Menschen ansetzt. Die sich gegenseitig beobachtenden Personen werden als Ego und Alter bezeichnet. Statt von Erleben und Handeln wird von Erfahrung und Verhalten gesprochen. Laing/Phillipson/Lee stellen nun folgende axiomatische Beobachtungsregeln auf:

„1. Verhalten ist eine Funktion von Erfahrung. 2. Sowohl Erfahrung als auch Verhalten stehen stets in Beziehung zu irgend jemand anderem oder zu irgend etwas anderem als einem selbst.

Das einfachste Schema, um das Verhalten einer Person zu verstehen, muß mindestens zwei Personen und eine gemeinsame Situation umfassen.“ (Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 20)

Man erkennt in diesem Axiom sofort das systemtheoretische Beobachtungssetting. Die an der Kommunikation beteiligten Menschen sind im Prozess der Kommunikation immer beides, Beobachter und Beobachteter, und werden als erfahrend bzw. erlebend und verhaltend bzw. handelnd beobachtet. Erleben und Handeln beziehen sich auf einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit. Das soziale Handeln in Bezug auf den gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit wird durch das psychische Erleben bestimmt. Der Sinn des Handelns erschließt sich im Kontext der personalen Beziehung zueinander und diese Beziehung bildet das soziale System. Dieses soziale System – Ich und Du – ermöglicht die Beobachtung der psychischen Umwelt – Ich oder Du. Für den Ausdruck ihres psychischen Erlebens sind die beteiligten Personen auf die ihnen zur Verfügung stehenden Beobachtungsformen angewiesen, welche sie vormals von ihrer relevanten sozialen Umwelt übernommen haben.

Legt man nun zusätzlich die funktionalistische Annahme zugrunde, dass Kommunikation die Lösung für das Problem der operativen Geschlossenheit psychischer Systeme darstellt, dann wird man mit der Paradoxie konfrontiert, dass es sowohl funktionale als auch dysfunktionale Kommunikationsformen gibt. Dysfunktional kann nicht bedeuten, die Kommunikation bricht einfach ab. Das geschieht aufgrund von Zeitmangel oder Zeitbegrenzung immer irgendwann, denn Situationen können nicht ins Unendliche ausgedehnt werden. Der Kommunikationsabbruch kann für Kommunikation durchaus funktional sein. Es reicht also nicht, sich bloß auf die Kommunikation im Vollzug zu konzentrieren, weil ein Exklusionsereignis noch kein Hinweis auf dysfunktionale Kommunikation ist. Vielmehr muss man sich dafür auf die Beziehung der Kommunikationspartner – also den Kontext – konzentrieren und wie dieser sich unter den Kommunikationsereignissen entwickelt. Statt von Beziehung wurde hier an anderer Stelle unter Bezug auf Goffman von der durch die beteiligten Kommunikationspartner konstituierten symbolischen Ordnung ihrer Images gesprochen. Man kann sich also nicht damit beruhigen, dass solange Kommunikation läuft alles in Ordnung sei. Das würde bedeuten vom Kontext zu abstrahieren und Kommunikation gleichsam sinnfrei zu beobachten als hätte sie keine andere Funktion als sich um ihrer selbst willen zu vollziehen. Ohne Rücksicht auf die Funktion von Kommunikation würde sich der Sinn eines Kommunikationsereignisses also nicht erschließen – sowohl für die Beteiligten als auch für einen soziologischen Beobachter.

Viele Kommunikationsprobleme entstehen eben weil der Kontext gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wurde. Man könnte auch sagen, die Metakommunikation – also die Veränderung des Beziehungsaspekts – wurde nicht richtig verstanden. Aus der Paartherapie ist bekannt, dass Konflikte lange vor sich hin schwelen bevor es schließlich zur endgültigen Trennung kommt. Zumeist lag es daran, dass es den Partnern nicht gelungen ist zu verstehen, wie sie sich gegenseitig sehen. Dies drückt sich nicht direkt in einer Mitteilung aus, sondern indirekt. Sowohl soziale als auch psychische Systeme wären völlig überfordert, müssten immer die Bedingungen des Funktionierens der Kommunikation expliziert werden. Soweit kommt es nur dann, wenn es zu Problemen kommt. Aber auch dann muss es nicht immer dazu kommen. Mit anderen Worten, kann es bei Kommunikationsproblemen zur Selbstreflektion des sozialen Systems und damit auch zur Selbstreflektion der beteiligten psychischen Systeme kommen. Wenn es nicht dazu kommt, droht früher oder später der Abbruch der Kommunikation. Das soll allerdings nicht heißen, dass es nicht auch nach der Selbstreflektion zum Abbruch der Kommunikation kommen kann. Dann besteht aber zumindest Konsens über den unüberbrückbaren Dissens. Vorher wurde dieser Dissens in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt nicht gesehen. Für eine Unterscheidung von funktionalen und dysfunktionalen Kommunikationsformen muss man also genauer analysieren, wie die Kommunikation abläuft. Es gibt dabei einen unmittelbaren Zusammenhang zur Art und Weise, wie Kommunikation beobachtet wird.

Exklusionsdynamiken bzw. Integrationsprozesse lassen sich demnach nicht verstehen, wenn man nicht darauf achtet, wie Kommunikation durch die beteiligten Personen mit den aus der sozialen Umwelt übernommen Beobachtungsschemata beobachtet wird. Versteht man unter Integration die wechselseitige Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten (vgl. Luhmann 1997, S. 631), dann heißt das, danach zu fragen, wie es soweit kommen konnte, dass irgendwann für mindesten einen Kommunikationspartner nur noch die Beendigung einer Beziehung als letzte Handlungsmöglichkeit übrig bleibt? Zur Untersuchung solcher Prozesse wird von der Annahme ausgegangen, dass dabei das psychologische Problem der Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person eine bedeutende Rolle für die Dynamik von Kommunikationsprozessen spielt. Das Selbstbild moduliert sich durch die Perspektiven der anderen Kommunikationspartner, und das nicht immer in der von jemandem selbst gewünschten Art und Weise. Im Verlauf einer Kommunikationssequenz haben die einzelnen Ereignisse Implikationen auf das Selbstbild und die Fremdbilder bzw. Meta-Identitäten. Die Refraktion der Person moduliert also nicht nur in der Sozialdimension, sondern auch in der Zeitdimension. Desweiteren besteht das Problem, dass diese Modulationsprozesse von keinem der Kommunikationspartner allein kontrolliert werden können (vgl. Bateson 1985b, S. 350; Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 41f.). Und schließlich streben Menschen nach Kommunikationspartnern in deren Augen man der ist, der man gerne sein möchte. Selbstbild und Fremdbild bzw. Meta-Identität können also mit solchen Kommunikationspartnern zur Konvergenz gebracht werden. Es gelingt Menschen nicht nur ihr Handeln zu koordinieren, sondern auch ihr Erleben. Das setzt jedoch gemeinsame Kriterien voraus mit denen man eine Situation auf reziproke Weise beobachten kann (Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 27).

Doch gerade diese gemeinsamen Kriterien können in der modernen Gesellschaft immer seltener vorausgesetzt werden, sondern müssen immer öfter erst nach der ersten Begegnung im Verlauf der Kommunikation hergestellt werden. Die Chancen für die Konvergenz der Meta-Identitäten der beteiligten Personen stehen also denkbar schlecht, ebenso wie für gemeinsames, koordiniertes Handeln. Exklusionen sind die Regel und Inklusionen die Ausnahme. Doch selbst wenn Kommunikation stattfindet, ist die Wahrscheinlichkeit für misslungene Kommunikation höher als für erfolgreiche. Es muss also noch einiges mehr im Verlauf von Kommunikationssequenzen geschehen als der bloße, sichtbare Anschluss eines weiteren dreifach kontingenten Ereignisses. Wenn man funktionale von pathologischer bzw. erfolgreiche von nicht-erfolgreicher Kommunikation unterscheiden will, muss man die unsichtbaren Modi erschließen durch die sich Kommunikation reproduziert. Diese Modi sind die Formen, wie sich Personen gegenseitig beobachten. Um diese erschließen zu können, wird man als soziologischer Beobachter darauf verwiesen zu beobachten, wie sich Personen gegenseitig behandeln.


VIII.

Um anhand des Handelns von Personen darauf schließen zu können, wie sie sich gegenseitig erleben, reicht es nicht seine Aufmerksamkeit auf ein Ereignis zu fixieren. Vielmehr müssen ganze Ereignisketten analysiert werden, um die Selektionskriterien für die weiteren Anschlüsse erschließen zu können. Für das Verständnis von Exklusionsprozessen rückt damit der Zeitaspekt jedes Kommunikationsereignisses ins Zentrum der Aufmerksamkeit – das Verstehen. Der Kommunikationsbegriff bei Luhmann fasst ein Ereignis als Einheit einer dreifachen Selektion auf: die Wahl der Mitteilung, die Wahl der mitgeteilten Informationen und die Wahl des Zeitpunkts der Mitteilung. Jedes Ereignis bezieht sich auf ein vorangegangenes Ereignis. Verstehen markiert zunächst nur die zeitliche Differenz zwischen Anschlussereignis und vorangegangenem Ereignis, auf das sich der Anschluss bezieht. Die mitgeteilten Informationen werden dafür noch nicht mit berücksichtigt. Nur so kann Verstehen als die dritte Selektion das Missverstehen mit einschließen (vgl. Luhmann 1984, S. 196; Luhmann 1986, S. 60f.). Damit besagt aber die bloße Faktizität, dass angeschlossen wird, nichts über die Qualität bzw. die mitgeteilten Informationen der Kommunikation. Hier kommt der Unterschied zum Tragen zwischen der dritten Selektion, dem Verstehen, und das, was Luhmann als vierte Selektion bezeichnet, die Annahme oder Ablehnung der dritten Selektion als Prämisse für die eigene Wahl des Anschlusses (vgl. Luhmann 1984, S. 203). So kann gerade die Nicht-Übernahme eines Kommunikationsereignisses als Prämisse der weiteren Anschlussselektion einen vortrefflichen Anlass bieten trotzdem weiterzumachen. Man kann zwar feststellen, dass operativ verstanden wurde, aber im Hinblick auf den angebotenen Sinn nicht verstanden wurde, weil er nicht als Prämisse für die Selektion der weiteren Anschlüsse berücksichtigt wird. Mit anderen Worten, man wird mit der Paradoxie konfrontiert, dass trotz Verstehens nicht verstanden wurde. Der Unterschied um den es dabei geht, ist der zwischen der operativen Ebene und der Beziehungsebene. Mit der Unterscheidung zwischen der dritten und der vierten Selektion hat Luhmann das Problem zwar registriert, aber im Rahmen seiner Theorie nicht gelöst [3].

Der Sachverhalt, um den es dabei geht, ist der reflexive Mechanismus (vgl. Luhmann 2005a) des Verstehens im Sinne des Verstehens des Verstehens. In der Problemstellung des Nicht-Verstehens trotz Verstehen wurde dies zunächst negativ markiert als Fehlen eben jenes Verstehens des Verstehens. Kommunikation validiert und kontrolliert sich nicht an der jeweiligen Erwartung von einem der Kommunikationsteilnehmer, sondern an den Erwartungen, die beide Kommunikationsteilnehmer in Bezug auf die Erwartungen des anderen haben. Für eine Untersuchung, ob es zur Annahme oder Ablehnung eines Kommunikationsangebots gekommen ist, muss die Beobachtung dieses Verstehens 2. Ordnung mit berücksichtigt werden. Die Interpersonal Perception Method (IPM) wie sie von Laing/Phillipson/Lee (vgl. 1976) vorgestellt wurde, stellt einen Versuch dar genau dies zu leisten. Sie unterscheiden zwischen der direkten Perspektive, die man auf einen bestimmten Sachverhalt hat, der Metaperspektive, der eigenen Vorstellung von der Perspektive des Kommunikationspartners auf denselben Sachverhalt, und der Meta-Metaperspektive, der eigenen Vorstellung, die man von der Vorstellung des Kommunikationspartners über die eigene Perspektive auf denselben Sachverhalt hat. Es geht, mit anderen Worten, um die Beobachtung des Erlebens des Kommunikationspartners, die Gegenbeobachtung durch den Kommunikationspartner und die wechselseitige Beobachtung der Gegenbeobachtung durch beide Kommunikationspartner – also das Erleben des Erlebens bzw. die Beobachtung der Beobachtung. Vereinfacht ausgedrückt, es geht um die Beobachtung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Sozialdimension. Das Selbstbild der beteiligten Kommunikationspartner ist dabei ein besonderer gleichsam heiliger Sachverhalt. Analog zu der Unterscheidung der drei Perspektiven wird deswegen zwischen Identität, Metaidentität und Meta-Metaidentität unterschieden. Die Unterscheidung von Perspektiven und Identitäten zielt auf den Unterschied zwischen Sachverhalten und Personen.

Die IPM wurde im Rahmen der Paartherapie entwickelt. Laing/Phillipson/Lee nahmen an, dass die Beziehungsprobleme der therapierten Ehepaare aus den Disjunktionen in den Sichtweisen auf die gemeinsame Beziehung resultierten. Dafür haben sie die direkten Perspektiven, die Metaperspektiven und die Meta-Metaperspektiven der Ehepartner auf die gemeinsame Beziehung, den Ehepartner und auf sich selbst erfragt. Die Befragung erfolgte mit Hilfe von standardisierten Fragebögen. Anhand  der Übereinstimmungen bzw. der fehlenden Übereinstimmungen in der direkten, der Meta- und der Meta-Metaperspektive konnten Laing/Phillipson/Lee die Qualität der Beziehung einschätzen und die Ergebnisse der Befragung für die Therapie nutzen. Neben der Nutzung der Untersuchungsergebnisse für die Therapie eines einzelnen Paares konnten auch Vergleiche zwischen Gruppen von Paaren angestellt werden. Um den Grad der Übereinstimmung hinsichtlich eines bestimmten Sachverhalts einschätzen zu können, unterschieden sie zwischen verschiedenen Formen des Verstehens:

„a) kann Verstehen als die Konjunktion zwischen der Metaperspektive der einen und der direkten Perspektive der anderen Person definiert werden;

b) ist Verstandenwerden die Konjunktion zwischen der Meta-metaperspektive der einen und der Metaperspektive der anderen Person;

c) ist das Gefühl, verstanden zu werden, die Konjunktion der eigenen direkten Perspektive einer Person mit ihrer eigenen Meta-metaperspektive.“ (Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 44; Hervorhebungen im Original)

Ausgehend von den Übereinstimmungen in den direkten Perspektiven, der Metaperspektiven und den Meta-Metaperspektiven der Kommunikationspartner untersuchen Laing/Phillipson/Lee mit Hilfe der Unterscheidung von Verstehen, Verstandenwerden und dem Gefühl, verstanden zu werden, ob diese Übereinstimmungen auch wechselseitig von den Kommunikationspartnern gesehen werden oder nicht [4]. Sie untersuchten, mit anderen Worten, die Selbstbeschreibung des Paares. Diese setzt sich aber aus den Beschreibungen der beiden Ehepartner zusammen. Je größer der Konjunktionen zwischen den Ehepartnern war, desto besser war die Qualität der Beziehung.


IX.

Für die soziologische Systemtheorie nach Luhmann wird die IPM interessant, weil sie eine Methode darstellt, das Verstehen des Verstehens zu untersuchen. Von Vorteil ist dabei, dass die IPM mit demselben Beobachtungssetting startet, das Luhmann in seine Systemtheorie übernimmt. Da Laing/Phillipson/Lee bereits von der operativen Geschlossenheit psychischer Systeme ausgehen, handelt es sich auch um einen Forschungsansatz der bereits mit konstruktivistischen Prämissen arbeitet. Die drei Formen des Verstehens können daher als verschiedene Formen betrachtet werden, wie Personen Feedback über das Erleben des Kommunikationspartners erhalten können. Beide Kommunikationspartner müssen sich dafür am gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit orientieren auf den sich das Erleben und das Handeln der Beteiligten richten. Wichtig ist dabei der Unterschied, wie eine Handlung von der handelnden Person und der erlebenden Person erlebt wird. Da eine Handlung nicht genügend Informationen mitteilt, um auf das Erleben des Kommunikationspartners schließen zu können, erlaubt erst die Beobachtung der selektiven Verkettung der dreifach kontingenten Ereignisse des Kommunikationsprozesses Rückschlüsse auf das Erleben des Kommunikationspartners. So ergeben die realisierten Ereignisse erst im Kontext der potentiell denkbaren, aber nicht realisierten Ereignisse für jeweils einen der Kommunikationspartner einen Sinn.

Die potentiell denkbaren Ereignisse, welche den Hintergrund für das Verstehen liefern, variieren jedoch zwischen den Kommunikationspartnern, wodurch die einzelnen Ereignisse für die Beteiligten zunächst nur ihren subjektiven Sinn gewinnen. Die dreifache Kontingenz der Ereignisse lässt jedoch die Selektivität der Ereignisse sichtbar werden, was auch bedeutet, dass sie so, aber auch anders, hätten realisiert werden können. Dadurch werden die Beteiligten als zur Wahl befähigt und damit erst als Personen im Unterschied zu Dingen beobachtbar. Personen können wählen, Dinge nicht. Personen erleben und handeln, Dinge nicht. Und deswegen können sich auch nur Personen an Kommunikation beteiligen, Dinge jedoch nicht. Dinge können den Kommunikationsprozess unterstützen, sofern sie dazu beitragen das gemeinsame Erleben und das gemeinsame Handeln der Kommunikationspartner zu unterstützen. Sie können jedoch nicht an die Stelle eines Kommunikationspartners einrücken und ihn ersetzen [5].

So weist die dreifache Kontingenz jedes Kommunikationsereignisses darauf hin, dass anders erlebt und anders gehandelt werden kann. Diese Beobachtung bildet den Ansatzpunkt, um anhand der bekannten Informationen auf unbekannte Informationen zu schließen. Unbekannt ist dabei zunächst das Erleben des Kommunikationspartners. Nichts desto trotz können anhand des beobachtbaren Verhaltens Erwartungen hinsichtlich einer möglichen Handlungsstrategie gebildet werden. Über die Bestätigung und Enttäuschung von Erwartungen werden so viele Informationen auskatalysiert, dass Rückschlüsse auf das Erleben des Kommunikationspartners möglich sind, was es wiederum erleichtert das Handeln des Kommunikationspartners zu verstehen. Vom Handeln des Kommunikationspartners wird auf sein Erleben geschlossen und von seinem Erleben wiederum auf sein Handeln. Sofern sich das eigene Erleben und Handeln am Erleben und Handeln des Kommunikationspartners als Prämisse der eigenen Selektionen orientiert, kann man vom Handeln im System sprechen sowie von sozialem Sinn. Von besonderer Bedeutung sind dabei die direkten oder indirekten Implikationen der Ereignisse auf die Meta-Metaidentitäten der Kommunikationspartner - also der Vorstellung davon, wie sie in den Augen der anderen erscheinen. Es kommt darauf an, ob die Kommunikationspartner das Gefühl haben vom anderen verstanden zu werden. Alle Kommunikationsprobleme und damit auch alle Desintegrations- und Integrationsprozesse lassen sich darauf zurückführen, ob die Kommunikationspartner das Gefühl haben vom anderen verstanden worden zu sein oder nicht. 

Die konkreten Beobachtungsschemata zur Beobachtung des Kommunikationspartners variieren von Person zu Person. Für eine soziologische Untersuchung müssen sie empirisch bestimmt werden. Daher kann nur der Feedback-Modus angegeben werden, wie Informationen über das Erleben des jeweils anderen gewonnen werden können. Laing/Phillipson/Lee haben dies mit der Unterscheidung verschiedener Formen des Verstehens versucht. Sie müssen nur in die hier verwendete Terminologie übersetzt werden unter Berücksichtigung, dass alle Kommunikationspartner in einer konkreten Situation Beobachter und Beobachteter sind und als erlebend und handelnd beobachtet werden. Dann können die verschiedenen Formen des Verstehens wie folgt reformuliert werden: 

Verstehen: Person 1 erlebt, dass seine Erwartungen und die Erwartungen von Person 2 übereinstimmen 

Verstanden werden: Person 2 erlebt, dass seine Erwartungen und die Erwartungen von Person 1 übereinstimmen 

Das Gefühl, verstanden zu haben: Person 1 erlebt, dass seine Erwartungen und seine Erwartungen über die Erwartungen von Person 2 übereinstimmen 

Das Gefühl, verstanden zu werden: Person 2 erlebt, dass seine Erwartungen und seine Erwartungen über die Erwartungen von Person 1 übereinstimmen

Für die vollständige Symmetrie des wechselseitigen Beobachtungsverhältnisses musste neben dem Gefühl, verstanden zu werden, noch das Gefühl verstanden zu haben auf Seiten von Person 1 ergänzt werden. Was damit formuliert wurde, ist ein rekursives Verhältnis zur Beobachtung des Erlebens des Kommunikationspartners. Es wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nur das Handeln beobachtbar ist, aber nicht das Erleben. Nichts desto trotz kann auf diese Weise vom beobachtbaren Handeln auf das unbeobachtbare Erleben geschlossen werden, sofern sich die Beobachtung nicht nur auf ein Ereignis konzentriert, sondern die Kommunikationspartner die Kommunikation fortlaufend auf die oben angegebene Weise beobachten. Kein Ereignis allein kann ausreichend über das Erleben der mitteilenden Person informieren. Vielmehr erhält ein aktualisiertes Ereignis seinen Informationswert durch die Beziehung zu den vorangegangenen Ereignissen. Erst in der Rückschau erhält man unter Umständen aus dem Handeln der Beteiligten ausreichende Informationen darüber wie die Beteiligten den gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit und die Beziehung der Beteiligten zueinander erleben. Voraussetzung dafür ist, dass das Geschehen als selektiv und nicht als vorbestimmt, festgelegt oder determiniert erlebt wird. Ohne ein Bewusstsein für die Kontingenz der aktualisierten Ereignisse ist kein Blick unter die Oberfläche möglich.

Dieses rekursive Beobachtungsverhältnis stellt zugleich den Validierungs- und Kontrollmechanismus der Kommunikation dar, denn es hält den Kommunikationsfluss in der Spur der wechselseitigen Perspektiven und der unendliche Horizont doppelt kontingenter Handlungsmöglichkeiten wird auf ein zu bewältigendes Maß an Komplexität reduziert. Die Rückkopplung erfolgt über die beobachtete Konvergenz oder Divergenz zwischen Selbst- und Fremdbild. Den Veränderungen zwischen Selbst- und Fremdbild der Kommunikationspartner im Rahmen einer Kommunikationssequenz kommt damit eine wichtige Rolle für die Dynamik von Desintegrations- und Integrationsprozessen zu. Diese Veränderungen vollziehen sich zumeist sehr diskret und unter Umständen nicht mal für die Beteiligten sofort erkennbar. Ob überhaupt und wie diese Veränderungen beobachtet werden, hängt von den Beobachtungsschemata ab, über die die Beteiligten verfügen.

Ob die Rückkopplung über Gefühle oder eine bewusste Beobachtung erfolgt ist dafür zunächst sekundär. Wichtig ist die positive Rückkopplung, wie sie bereits von Laing/Phillipson/Lee formuliert wird: „Es liegt eine besondere Genugtuung in dem Gefühl, daß man eine andere Person versteht, und in dem Gefühl, daß man von einer anderen Person verstanden wird.“ (1976, S. 44) Es kann davon ausgegangen werden, dass die Verarbeitung, der dafür relevanten Informationen, zu einem Großteil intuitiv erfolgt und nicht über bewusste Reflektion. Letzteres geschieht zumeist erst dann, wenn es zu Problemen oder Konflikten kommt. Das beschriebene emotionale Rückkopplungsverhältnis ist sehr gut mit der Annahme von Randall Collins kompatibel, dass Menschen nach Situationen streben, von denen sie annehmen, dass sie aus ihnen den größten emotionalen Gewinn ziehen können (vgl. 2005, S. 141 – 182). Man kann mit Hilfe von Laing/Phillipson/Lee noch präzisieren, dass sie Situationen anstreben mit Personen zu interagieren, von denen die Menschen annehmen am meisten verstanden zu werden. Für das intuitive oder bewusste Abwägen zwischen verschiedenen Interaktionsalternativen kommt damit die Spannung zwischen Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung zum Tragen, also die Spannung zwischen dem Selbstbild und den Erwartungen, wie man von anderen gesehen wird.

Es ist kaum zu erwarten, dass sich dieses Ideal, dass man nur mit Menschen interagiert, die einen verstehen und die man selbst versteht, in jeder Situation realisieren lässt. Realistischer ist die Annahme, dass sich nur in Ausnahmefällen ein Verständnisgrad der Metakommunikation einstellt, der als annährend vollständige Konjunktion der Metaperspektiven beschrieben werden kann. Am nächsten kommt man diesem Ideal in Intimbeziehungen. Aber wie der nicht nachlassende Bedarf an Paarberatungen zeigt, stellt die Konjunktion der Metaperspektiven selbst in Beziehungen, von denen man annehmen darf, dass in ihnen noch der höchste Grad an gegenseitigem Verständnis erreicht werden kann, eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Daher ist die Annahme berechtigt, dass sich die Dynamik von Kommunikationsprozessen zu einem großen Teil aus dem Eindruck von Erfolg bzw. Misserfolg der Metakommunikation der beteiligten Kommunikationspartner erklären lässt.


X.

Damit man sich an Kommunikation erfolgreich beteiligen kann, müssen psychische Systeme also in der Lage sein zwischen System (ich) und Umwelt (andere) unterscheiden zu können. Umgekehrt gilt aber auch, soziale Systeme müssen Beobachtungsschemata bereitstellen, welche zwischen System (Kommunikation) und Umwelt (Menschen) unterscheiden. Faktisch besteht aufgrund der operativen Autonomie eine unüberwindliche Trennung zwischen sozialen Systemen und psychischen Systemen. Selbst wenn keine adäquaten Beobachtungsschemata für die Beobachtung dieser Trennung bereit stehen, wird er sich auf die eine oder andere Weise in der Kommunikation als Irritation bemerkbar machen. Denn wenn Verhalten eine Funktion von Erfahrung ist, dann werden sich aus Beobachtungsschemata, welche der Differenz zwischen sozialen und psychischen Systemen nicht genügend berücksichtigen, auch nur entsprechende Handlungsskripte ableiten lassen, in welchen sich die ungenügende Differenzierung zwischen System und Umwelt ausdrückt. Wenn Kommunikation sich über die laufende Unterscheidung zwischen System und Umwelt reproduziert, dann ist also nicht irgendeine Umwelt gemeint, sondern die menschliche Umwelt. Kommunikationsstörungen können dann als Folge einer ungenügenden Differenzierung der Semantik verstanden werden, in der sich diese Trennung zwischen sozialen und psychischen Systemen nur ungenügend ausdrückt. Der Erfolg oder Misserfolg eines Kommunikationsangebots hängt mit anderen Worten davon ab, ob Menschen als Personen für Kommunikation relevant werden oder nicht. Alle analytischen Schemata wie Selbstreferenz/Fremdreferenz, Selbstbeobachtung/Fremdbeobachtung und Selbstbeschreibung/Fremdbeschreibung müssen daher immer ineinander verschränkt werden. Die System/Umwelt-Differenz oszilliert in der Differenz von sozialen und psychischen Systemen. Die Frage, wie klar oder unklar diese Trennung zwischen sozialen und psychischen Systemen semantisch vollzogen wird, enthält ein beträchtliches Konfliktpotential und wird zu einer treibenden Kraft der Kommunikation.

Für die soziologische Beobachtung, wie die Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person die Kommunikation beeinflusst, bekommt Goffmans Image-Begriff eine maßgebliche Bedeutung. Goffman widmete sich in seinen Studien ausführlich der Frage, wie Menschen versuchen ihr Selbstbild unter der Bedingung wechselseitiger Wahrnehmung zu schützen. Mit Image bezeichnete Goffman die Verhaltensstrategie einer Person, von der die anderen Kommunikationspartner annehmen, dass sie die Person verfolge (vgl. 1986a, S. 10). Auf der Grundlage des beobachteten Verhaltens einer Person bilden die anderen Personen Erwartungen für das künftige Verhalten dieser Person. Dies ist der soziale Aspekt des Image. Zugleich hat das Image für den Träger auch noch eine psychische Komponente. Sofern die beobachtete Verhaltensstrategie der Person durch die anderen Personen bestätigt wird, erhält der Träger des Image eine positive emotionale Rückkopplung. Der Träger fühlt sich mit seinem Image wohl und gewinnt es lieb (vgl. Goffman 1986a, S. 11). Entsprechend unwohl wird sich der Träger fühlen, wenn seine Verhaltensstrategie, die sich aus seinem Selbst-Erleben ableitet, nicht bestätigt wird.

Goffman beschreibt damit einen Feedback-Mechanismus wie Menschen durch ihre soziale Umwelt irritiert werden können, der nicht nur über bewusste Reflektion, sondern vorwiegend intuitiv funktioniert. Obwohl sich Goffman hauptsächlich auf erfolgreiche Strategien konzentriert, handelt es sich beim Image nicht, wie Collins annimmt (vgl. 2005, S. 345f.), lediglich um die erfolgreiche Behauptung des Selbstbildes. Die beschriebene Feedbackschleife schließt den Misserfolg mit ein. Systemtheoretisch ausgedrückt, beschreibt Goffman den Modus, wie psychische Systeme die Differenz zwischen psychischem Selbstbild und sozialer Fremdbeschreibung erfahren. In diesem Verständnis wird der Image-Begriff hier verwendet. Bei regelmäßiger positiver Bestätigung durch die soziale Umwelt kommt es zu einer starken emotionalen Bindung an das Image und bei häufiger negativer Bestätigung wird die soziale Fremdbeobachtung emotional immer stärker abgelehnt. Man fühlt sich nicht verstanden. Entsprechend sucht man Kontakt zu Personen, von denen man erwartet verstanden zu werden und vermeidet den Kontakt zu Personen, von denen man erwartet nicht verstanden zu werden. Problematisch wird es, wenn man solche Personen nicht findet.

Doch gerade letzteres ist zunächst erst mal sehr wahrscheinlich. Aus dem sozialen Problem der operativen Geschlossenheit und wechselseitigen Intransparenz psychischer Systeme leitet sich eine hohe Wahrscheinlichkeit ab, dass man trotz Kommunikation nicht verstanden wird. Entsprechend groß dürfte daher zunächst das Bedürfnis sein, das eigene Selbst vor den Beobachtungen anderer Personen zu schützen. Denn obwohl Kommunikation das soziale Problem lösen kann, birgt sie zugleich ungeheure Risiken. Man kann missverstanden werden in dem Sinne, dass der Kommunikationspartner einen nicht so sieht, wie man sich selbst sieht. Es besteht also eine große Versuchung Kommunikation zu vermeiden. Andererseits bietet aber auch nur Kommunikation die Möglichkeit im Kontakt mit anderen Menschen sich so erfahren zu können, wie man sich selber sehen möchte. Ansonsten bekommt man überhaupt keine sozial anschlussfähige Vorstellung von sich selbst. Mit der Option sich an Kommunikation zu beteiligen, wird man also mit zwei Möglichkeiten konfrontiert: der Gefahr missverstanden zu werden und der Chance verstanden zu werden. Jede Selbstschutztechnik ist darauf ausgerichtet, die Gefahren zu meiden und die Chancen zu nutzen. Wenn Kommunikation mit dem Kontakt zu anderen Menschen verbunden ist, dann liegt aus Sicht der Beteiligten die Gefahr mitverstanden zu werden und die Chance verstanden zu werden in den Kommunikationspartnern.

Bei divergentem psychischen Erleben ist damit zu rechnen, dass die Gefahren gegenüber den Chancen überwiegen. Selbst wenn sich Menschen an Kommunikation beteiligen, ist es deswegen wahrscheinlicher, dass sie ihr eigenes Selbstbild über das der Kommunikationspartner stellen und entsprechend handeln. Es kommt zu einer Situation in der jeder zur Bedrohung für den anderen wird. Kommunikation würde dann zu einer sehr stressigen und frustrierenden Angelegenheit werden. Formuliert man das Hobbsche Problem des Kampfes aller gegen alle unter konstruktivistischen Prämissen neu, dann wird Kommunikation zu einem Kampf um die Deutungshoheit des Selbst. Kommunikationsvermeidung wäre dann die Aufgabe dieses Kampfes. Goffmans Studien haben aber auch gezeigt, dass Kommunikation nicht in einen Kampf ausarten muss. Die Techniken der Imagepflege können im eröffneten Problemhorizont als Formen der Kooperation um die Deutungshoheit des Selbst verstanden werden. Goffman beschreibt nämlich nicht nur Selbstschutztechniken, sondern auch Handlungsweisen, deren Zweck es ist das Selbst einer anderen Person zu schützen oder, sofern es bereits zu Verletzungen gekommen ist, die Verletzungen durch den Verursacher wieder zu bereinigen.

Beim Image als Verhaltensstrategie handelt es sich also um soziale Erwartungsbildung und den Versuch für das Selbstbild oder zumindest für Teile davon Zustimmung zu erhalten. Die Frage ist, ob dies mit oder gegen die anderen Kommunikationspartner geschieht. Aufgrund der emotionalen Bindung an das Selbstbild ist leicht einzusehen, dass sich daraus ein hohes Konfliktpotential ergibt. Imagepflege bekommt dadurch eine Doppelfunktion. Zum einen bieten sie einen Schutz für das psychische Selbst vor verletzenden Fremdbeobachtungen durch die soziale Umwelt. Zum anderen unterstützen sie die soziale Anschlussfähigkeit der Person indem sie Handlungsskripte zur Verfügung stellen mit denen eine positive Fremdbeobachtung durch die soziale Umwelt ermöglicht wird. Nimmt man den Selbstschutz ausschließlich in die eigene Hand und schließt die Kommunikationspartner davon aus, wie man sich selbst sehen möchte, so wird dies zwangsläufig zu Kommunikationsproblemen führen, denn diese Verhaltensweisen werden unter anderem negative Auswirkungen auf das Selbst-Erleben der Kommunikationspartner haben. Wenn Verhalten eine Funktion von Erfahrung ist, wird sich dies auch im Handeln der betroffenen Person ausdrücken, indem sie versuchen wird sich vor dieser Art der in der Behandlung sich ausdrückenden Fremdwahrnehmung zu schützen. Imagepflege wird damit zur Lösung des Problems der Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person. Mithin lässt sich jegliche Kommunikation als Reaktion auf die Situation der Beobachtung der Beobachtung durch eine andere Person verstehen. Die Funktion des psychischen Selbstschutzes ist damit jeder Kommunikation eingeschrieben. Ob sie aber mit der sozialen Funktion von Kommunikation das gemeinsame Erleben und Handeln der Kommunikationspartner zu koordinieren erfüllt, ist eine empirische Frage.


XI.

Soziale Systeme und psychische Systeme sind beobachtende Systeme. Beobachten bedeutet die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, um es gegenüber allem anderen für den weiteren Fortgang der Kommunikation als relevant zu markieren und zum Zentrum der gemeinsamen Aufmerksamkeit zu machen. Imagepflege bzw. psychischer Selbstschutz erfolgt durch Kommunikation und demzufolge auch in Form von Beobachtungen. Sie stellt immer auf die Beziehung der Kommunikationspartner zueinander ab, also wie die Kommunikationspartner durch ihr Verhalten für sich und andere als Person beobachtbar werden und welche Auswirkungen dies auf den personalen Status der anderen Kommunikationspartner hat. Imagepflege wird damit zu einem ständigen Spiel zwischen Beobachtbarkeit und Unbeobachtbarkeit, zwischen dem, was anderen Personen vom eigenen Selbst gezeigt wird, und dem, was nicht gezeigt wird. Was gezeigt wird, hängt davon ab, ob man annimmt dafür Zustimmung bei den anderen Kommunikationsteilnehmern zu finden.

Wenn man an Kommunikation teilnehmen will, muss man Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Man wird als Person für andere beobachtbar. Durch Beobachten werden Informationen gewonnen. Das gilt auch für das beobachtbare Verhalten von Personen. Man selbst möchte zwar durch sein Verhalten die Aufmerksamkeit der anderen in einer Weise auf sich lenken, sodass man für sich selbst und andere in einem möglichst positiven Licht erscheint. Aufgrund des tendenziell divergierenden psychischen Erlebens der Kommunikationspartner gibt es jedoch keine Garantie, dass er die Form, in der man die Aufmerksamkeit auf sich zieht, versteht und einen so sieht, wie man gesehen werden möchte. Ein weiteres Problem jeder Beobachtung ist, dass sie nicht erschöpfend informieren kann. Vollständiges Informiert-Sein bezüglich eines Sachverhalts ist unmöglich und gilt auch für das Wissen über Personen. Man wird Personen niemals vollständig kennen können. Man kann sich nicht einmal selbst vollständig kennen. Das Wissen über sich selbst und andere wird immer unvollständig und lückenhaft sein. Kurz gesagt, wird es immer blinde Flecken in Bezug auf das eigene Selbstbild geben. Das gilt für jeden Menschen.

Sich beobachtbar zu machen indem man die Aufmerksamkeit anderer auf sich zieht, heißt dann sich der Gefahr auszusetzen, dass andere Personen einen selbst auf die eigenen blinden Flecke im Selbstverständnis hin beobachten können. Diese Informationen sind in der Regel nicht sehr vorteilhaft und werden unter Umständen genau deswegen gegen die Imageträger eingesetzt. Die Unvollständigkeit des eigenen Image macht jeden Menschen verletzlich für die Beobachtungen anderer. Möchte man sich jedoch selbst besser kennen lernen, muss man die eigene Beobachtbarkeit als Risiko in Kauf nehmen. Denn nur durch die Beobachtung, wie man durch andere beobachtet wird, kann man sich selbst kennen lernen. Das bedeutet, man muss sich erst der Beobachtbarkeit durch andere aussetzen, um wissen zu können, wo die eigenen blinden Flecke liegen. Nur wenn man weiß, wie man von anderen gesehen wird, kann man die eigenen blinden Flecken schließen. Auf diese Weise kann man zwar viele Informationslücken im eigenen Image füllen, um für andere ein geschlosseneres Bild abzugeben. Trotzdem wird man niemals alle Lücken schließen können, denn es liegt in der Logik der Beobachtung selbst, dass es immer blinde Flecke geben wird. Daraus sollte man jedoch nicht den Schluss ziehen von vornherein darauf zu verzichten danach zu streben sich selbst kennen zu lernen. Lernen, Veränderung, Entwicklung, Differenzierung und Evolution von beobachtenden Systemen werden durch das Entdecken und Auffüllen solcher blinden Flecken angestoßen.

Die Beobachtung der eigenen blinden Flecke im Selbstbild, egal ob durch jemand anderen oder durch sich selbst, ist in der Regel keine angenehme Erfahrung. Man wird offensichtlich von anderen nicht verstanden und möglicherweise versteht man sich sogar selbst nicht mehr. Stellt jemand in einer bestimmten Situation das eigene Image infrage, wird man in Verlegenheit gebracht (vgl. Goffman 1986b). Man ist verwirrt und weiß unter Umständen nicht, was man nun tun soll. Hier vernichtet Verhalten Erfahrung (vgl. Laing 1969, S. 19). Das Verhalten eines Kommunikationspartners vernichtet die (Selbst-)Erfahrung des anderen. Man ist nicht mehr in der Lage an der aktuellen Kommunikation weiterhin teilzunehmen. Imagepflege ist darauf ausgerichtet solche Situationen zu vermeiden. Sie konzentriert sich aber nicht nur auf das eigene Selbstbild, sondern auch auf das Selbstbild der Kommunikationspartner. Das Wissen darüber, wie sich der andere sieht, wird zu einer wichtigen Voraussetzung, um überhaupt sinnvoll Imagepflege in Bezug auf andere Personen betreiben zu können. Erfolgreiche Imagepflege, die alle Kommunikationsteilnehmer schützt, verbindet die Sorge um das eigene Selbst mit der Sorge um das Selbst der anderen. Um das eigene Bedürfnis, verstanden zu werden, zu befriedigen, muss man etwas dazu beitragen, dass Bedürfnis der anderen zu befriedigen, dass auch sie verstanden werden wollen. Man muss sich also schon aus Eigeninteresse darum bemühen, den Kommunikationspartner zu verstehen.

Imagepflegetechniken stellen mit anderen Worten sicher, dass sich eine Person durch andere Personen verstanden fühlen kann. Dies kann auf zwei Arten geschehen. Erstens indem Imagepflegetechniken Handlungsskripte zur Verfügung stellen, die zumindest vermeiden, dass man den Eindruck bekommt, von anderen Personen so gesehen zu werden, wie man sich selbst nicht sehen möchte. Dafür ist ein relativ geringes Maß an metakommunikativem Verstehen notwendig und läuft noch sehr ritualisiert ab. Zweitens kann die Imagepflege eine Form annehmen, bei der sich eine Person durch die anderen Personen verstanden fühlen kann, weil die Handlungsweisen zeigen, dass die Person von ihren Kommunikationspartnern so gesehen wird, wie sie sich selbst sieht. Dies ist nur mit einem relativ hohen Maße an metakommunikativem Verstehen möglich, wie es sich in Intimbeziehungen mit der Zeit einspielt. Diese Kommunikation kann nicht mehr nach strengen Regeln ablaufen, sondern muss so flexibel sein, dass Fehler möglich sind. Hier kann es nicht mehr nur darum gehen zu vermeiden, dass andere die eigenen blinden Flecken nicht sehen, sondern um den verständnisvollen Umgang mit ihnen. Nur so kann man den Kommunikationspartner und sich selbst kennen lernen.


XII.

Mit der Angst aus der Sicht der anderen nicht als der gesehen zu werden als den man sich selbst sieht, gehen Menschen auf unterschiedliche Weise um. Die Intensität der Angst richtet sich danach, wie stark die Gefährdung des eigenen Selbstbildes durch die Beobachtungen von anderen Personen empfunden wird. Beobachtbarkeit wird in Abhängigkeit davon entweder stärker als Gefahr oder als Risiko bzw. Chance wahrgenommen. Überwiegt die Angst vor der Beobachtung durch andere Personen mit den potentiell negierenden Implikationen auf das eigene Selbstbild, werden die Betroffenen eher versuchen, die Gefahr der Beobachtbarkeit zu vermeiden. Überwiegt dagegen das Bedürfnis von anderen verstanden zu werden, so werden diese Personen Beobachtbarkeit als Risiko in Kauf nehmen, um die Chancen darauf, verstanden zu werden, zu nutzen. Bereits Sigmund Freud hatte erkannt, dass die menschlichen Beziehungen eine Quelle des Leids sein können (vgl. 1994, S. 43). Doch genauso können sie eine Quelle des Glücks sein. Begreift man Glück als das Gefühl verstanden zu werden, wird das Streben nach Glück zum Streben nach dem Gefühl verstanden zu werden. Dieses Glück kann man nur im Rahmen von menschlichen Beziehungen durch Kommunikation erfahren. Doch um dieses Glück erfahren zu können, muss man eine beträchtliche Hürde nehmen. Diese Hürde besteht in der sehr wahrscheinlichen Möglichkeit, dass das eigene Selbstbild durch fremde Beobachtungen infrage gestellt wird. Dadurch bekommt man das Gefühl nicht verstanden worden zu sein. Dies ist das Leid, dass durch den Kontakt zu anderen Menschen erfahren werden kann.

Freud unterscheidet zwei Formen, wie sich das Streben nach Glück im Handeln der Menschen realisiert: zum einen durch Handlungen, die ein intensives Erleben von Lustgefühlen ermöglichen, und zum anderen durch Handlungen, die auf die Vermeidung von Leid ausgerichtet sind (vgl. 1994, S. 42.ff). Nur bei der ersten Handlungsstrategie handelt es sich um Glück durch Lustgewinn im engeren Sinne. Die zweite Handlungsstrategie ist lediglich eine Form von Unlustvermeidung. In dieser Form besteht das Glück lediglich darin kein Leid zu erfahren. Für den Lustgewinn aus menschlichen Beziehungen muss Beobachtbarkeit als Risiko in Kauf genommen werden, denn Beobachtbarkeit ist die Voraussetzung, um von anderen verstanden werden zu können. Für die Unlustvermeidung muss Beobachtbarkeit im Rahmen von menschlichen Beziehungen dagegen als Gefahr betrachtet werden, denn Beobachtbarkeit bietet für andere die Möglichkeit, dass man selbst in einer Form behandelt wird, die nicht dem eigenen Selbstbild entspricht. In der Konsequenz wird man vor zwei Alternativen gestellt, wie man das Selbstbild schützen kann: sich zeigen oder sich verbergen, sich an Kommunikation beteiligen oder Kommunikation vermeiden, Inklusion oder Exklusion.

Die Variante der prinzipiellen Kommunikationsvermeidung aus Selbstschutz wählen nur die wenigsten Menschen. Doch es ist auch durch Kommunikation möglich, dass etwas gezeigt wird, um etwas anderes zu verbergen. Diese Möglichkeit ist in der Funktionsweise der Beobachtungsoperation selbst angelegt. Beobachtung bedeutet, durch das Treffen einer Unterscheidung etwas zu bezeichnen. Die Aufmerksamkeit wird durch das Operieren auf etwas gerichtet. Zugleich wird man dadurch für alles andere blind, weil es nicht im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Ist man sich dieser Konsequenz des Beobachtens bewusst, so kann durch die selektive Verkettung von Beobachtungen die Aufmerksamkeit gelenkt werden und zugleich auch von anderem abgelenkt werden. Jeder professionelle Taschendieb oder Geheimdienstagent nutzt diesen Umstand aus. Auch jeder Politiker, Anwalt, Verkäufer, Schauspieler, Künstler oder Verführer ist sich darüber bewusst. Und in schwächeren Formen weiß auch jeder Mensch diese Funktionsbedingung der Beobachtung für sich zu nutzen. Ruesch/Bateson gehen sogar soweit anzunehmen, dass erst das Auftreten von Täuschungen als Beweis betrachtet werden kann, dass es in einer Gruppe zu einem geteiltem Bewusstsein der wechselseitigen Wahrnehmung – also Kommunikation – gekommen ist (vgl. 2012, S. 237). Dies hat gravierende Folgen für die Beobachtung von Personen und in der Konsequenz auch für die Beobachtung der Kommunikation selbst. Jede Kommunikation kann entweder darauf hin beobachtet werden, was dadurch gezeigt wird oder darauf hin, was durch das Zeigen verborgen wird. Da jede Mitteilung auch auf eine mitteilende Person verweist, transformiert sich die allgemeine Funktion der Aufmerksamkeitslenkung durch Kommunikation auf die mitteilende Person. Je nachdem ob man auf Beobachtbarkeit als Risiko oder Gefahr disponiert ist, wird die Beobachtung der Kommunikationspartner daran orientiert, was der Kommunikationspartner zeigt oder was er verbirgt bzw. welche Informationen er über sich zulässt und welche nicht. 

Sich an Kommunikation zu beteiligen, heißt immer auch mit Implizitem, Nicht-Gezeigtem zu rechnen. Ohne Redundanzen kann Kommunikation nicht funktionieren. Je mehr Informationen in einer bestimmten Situation notwendig sind, damit sich die Kommunikationspartner gegenseitig verstehen, desto unvertrauter sind die Kommunikationspartner miteinander. Umgekehrt bedeutet das auch, je weniger gesagt werden muss, damit sich die Kommunikationspartner gegenseitig verstehen, desto vertrauter sind sie miteinander. Für das gegenseitige Verstehen sind bereits zu viele Informationen redundant als dass sie jedes Mal mitkommuniziert werden könnten. Es würde darauf hinaus laufen, die gemeinsame Beziehung zu reflektieren. Dass kann zu einer schweren Belastungsprobe für die Beziehung werden, denn es können Informationen entstehen, die zeigen wie berechtigt oder unberechtigt das bisherige Vertrauen in die Beziehung war. Das Funktionieren von Kommunikation kann sich also auch gerade an dem zeigen, was nicht explizit mitgeteilt wurde.

Dieser Zusammenhang zwischen Informationsfülle und Vertrauen soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Eine Situation zwischen zwei Ehepartnern könnte folgendermaßen ablaufen:

Er: „Schatz, ich gehe noch mal kurz zum Supermarkt.“

Sie: „Der Wetterbericht hat Regen angesagt. Nimm doch einen Schirm mit, damit Du nicht nass wirst, wenn es regnen sollte.“

Er: „OK, dann nehme ich besser den Schirm mit. Danke, dass du mich daran erinnerst. Bis später.“

Er steckt den Schirm ein und geht.

Die Situation könnte aber auch folgendermaßen ablaufen:

Er: „Schatz, ich gehe nochmal kurz zum Supermarkt.“

Sie: „Der Wetterbericht hat Regen angesagt.“

Er steckt für sie gut sichtbar den Schirm ein und sagt: „Danke, dass du mich daran erinnerst. Bis später.“

Und geht.

Entscheidend ist im zweiten Fall, was im Vergleich zum ersten nicht gesagt wurde. Trotzdem versteht der Ehemann, was seine Frau von ihm erwartet. Die Mitteilung der Frau verbirgt nichts, sondern stützt sich durch das Weglassen bestimmter Informationen, hier die konkrete Aufforderung den Schirm mitzunehmen, lediglich darauf, dass er auch weiß, dass er bei Regen nass werden kann und er sich davor schützen kann. Obwohl sie ihn nicht explizit zur Mitnahme des Regenschirms auffordert, zeigt er durch das Einstecken des Regenschirms, dass er verstanden hat und sie sich auch verstanden fühlen kann. Problematisch wird es, wenn die Kommunikation daraufhin gegenbeobachtet wird, was nicht gesagt wurde. Die Situation hätte zum Beispiel auch folgendermaßen ablaufen können:

Er: „Ich gehe noch mal kurz zum Supermarkt.“

Sie: „Der Wetterbericht hat Regen angesagt. Nimm doch einen Schirm mit, damit Du nicht nass wirst, wenn es regnen sollte.“

Er: „Du brauchst mich nicht daran erinnern, ich habe den Wetterbericht selbst gehört. Traust Du mir nicht mal zu selber so weit zu denken?“.

Er nimmt den Schirm und geht.

Diesmal wurde die Mitteilung der Frau dahingehend beobachtet, welches Bild des Mannes dadurch kommuniziert wird. Statt die Zuvorkommenheit seiner Frau zu würdigen, versteht der Mann die Mitteilung als Bevormundung und damit als Angriff auf sein Selbstbild. Entsprechend defensiv ist sein Kommunikationsstil. Ob die Mitteilung der Frau tatsächlich zuvorkommend oder bevormundend war, ist in diesem Fall nicht relevant und ebenso, ob die Reaktion des Mannes berechtigt war. Um das beurteilen zu können, bräuchte ein externer Beobachter weitere Information über die bisherige Beziehung der beiden.

Trotzdem machen die zwei verschiedenen Reaktionen auf dieselbe Mitteilung zwei unterschiedliche Beobachtungsstile deutlich. Die erste Reaktion zeugt vom Vertrauen (vgl. Luhmann 2000) des Mannes in das, was die Frau sagt. Weder in der Sach- noch in der Sozialdimension werden die mitgeteilten Informationen der Frau als Anlass genommen dies als einen Angriff auf das Selbstbild des Mannes zu verstehen. Vielmehr werden die Chancen der Mitteilung gesehen über die Sachebene implizit auch die Beziehungsebene zu bestätigen. Das Bewusstsein über die wechselseitige Wahrnehmung ist stark ausgeprägt. Und das alles geschieht mit relativ wenig expliziten Informationen. Die zweite Reaktion lässt dagegen auf ein Misstrauen auf der Seite des Mannes gegenüber der Frau schließen. Statt als Hinweis auf den möglichen Wetterwechsel versteht er die Mitteilung der Frau nun als Zweifel an seinen geistigen Fähigkeiten, was ihn auch als Person schlecht aussehen lässt und Spannungen auf der Beziehungsebene nach sich zieht. Hier wird die Gefahr der Mitteilung gesehen und trotz Übereinstimmung in der Sachebene wird sie als Anlass genommen, die Beziehungsebene zu hinterfragen. Offenbar gibt es auf dieser Ebene einen Dissens, der sich nun an einem beliebigen Thema auskatalysiert. Das Bewusstsein über die wechselseitige Wahrnehmung ist nur schwach ausgeprägt. Deswegen sind vergleichsweise viele Informationen nötig, denn die Redundanzen der Kommunikation müssen expliziert werden. Während die vertrauende Beobachtung mit relativ wenigen Informationen auskommen kann, steigt bei der misstrauenden Beobachtung mit jeder weiteren Operation der Informationsbedarf, um sich eines bestimmten Sachverhalts zu versichern. Anstatt das Gespräch durch den Weggang des Mannes zu beenden, hätte sich im letzteren Beispiel auch ein längerer Streit entzünden können, welche die anfänglichen Verletzungen auf beiden Seiten vertieft hätte. Statt Unsicherheit zu absorbieren, wird die Unsicherheit durch den defensiven Kommunikationsstil des Mannes gesteigert.


XIII.

Die Frage danach, was gezeigt und was verborgen wird, verweist auf ein tieferliegendes Problem, nämlich auf das grundlegende Paradox der Informationsverarbeitung: der Herausforderung mit bekannten und unbekannten Informationen kalkulieren zu müssen. Wie im letzten Beitrag ausführlich gezeigt wurde, bedeutet das vom Beobachteten auf das Unbeobachtete zu schließen, vom Gezeigten auf das Nicht-Gezeigte. Dafür reicht es nicht von einzelnen Ereignissen bzw. Elementen auf das Nicht-Gezeigte zu schließen, sondern man sollte das Gesamtbild einer Sequenz selektiver Ereignisverkettungen berücksichtigen - inklusive der eigenen Beiträge dazu, denn man ist selbst ein Teil der gemeinsam geteilten Welt. Wie in einem Bild, in dem jeder einzelne Pinselstrich eine bestimmte Funktion in der Gesamtkomposition erfüllt, so ergeben erst alle Ereignisse zusammen im Rahmen der gemeinsamen Beziehung ein einigermaßen schlüssiges Bild. Erst die Gesamtschau lässt auch sinnvolle Rückschlüsse auf das zu, was nicht gezeigt wurde. Selbst heterogene sich widersprechende Elemente können dann im Zusammenspiel mit den anderen Elementen ein schlüssiges Bild abgeben. Bei dem, was nicht gezeigt wurde, handelt es sich aber zunächst nicht um etwas, was vor der Beobachtung durch den Kommunikationspartner verborgen bleiben sollte, sondern einfach um notwendige Redundanzen für das Funktionieren von Kommunikation. Alle Redundanzen zu explizieren, würde jede Situation in eine Reflektionsschleife führen, die kein Ende findet. Stattdessen würde die Kommunikation nur auf ihre eigenen paradoxen Funktionsbedingungen stoßen.

Das kann passieren, wenn sich die Beobachtung nur partiell auf Einzelereignisse konzentriert und daraus auf abstraktere Sachverhalte geschlossen wird. Die dabei auftretenden Inkonsistenzen nähren erste Zweifel an der Gültigkeit des Sachverhalts. Anstatt jedoch die eigene Beobachtung zu hinterfragen, wird der Sachverhalt hinterfragt, was den Verdacht nährt, dass noch etwas anderes dahinterstecken könnte als das, was der Anschein erweckt. Nun wird das Gezeigte auf das hin beobachtet, was möglicherweise durch das Gezeigte verborgen wird. Die Mitteilung guter Absichten kann ja nur ein Beleg dafür sein, dass man eigentlich etwas Schlechtes im Schilde führt. Die beständigen Liebensbeweise können nur belegen, dass man nicht geliebt wird, denn wäre es so, müsste die Liebe nicht ständig unter Beweis gestellt werden. Auf diese Art kann alles als Beweis des Gegenteils beobachtet werden. Es kommt zu einer systematischen Verzerrung der durch diese Form der Beobachtung gewonnenen Informationen, welche jedoch den Zweifel weiter unterstützen und die Unsicherheit beständig steigern. Die Unendlichkeit doppelt kontingenter Handlungsmöglichkeiten bricht bei dieser Beobachtungsform wieder auf. Das Bewusstsein für Alternativen lässt jegliches Vertrauen in die aktualisierten Ereignisse als Orientierungspunkte für die Wahl der eigenen Anschlusshandlung erodieren. Hat man sich einen solchen misstrauenden Beobachtungsstil angewöhnt, sind die Voraussetzungen geschaffen für die Bildung von diversen Wahrnehmungs- und Verhaltensstörungen. Paranoia wäre ein Beispiel für einen solchen misstrauenden Beobachtungsstil. Der allerdings nur funktioniert, solange er nicht auf sich selbst angewendet wird. Denn das hieße dem eigenen Vertrauen in das eigene Misstrauen gegenüber anderen zu misstrauen. Da sich dieser Beobachtungsstil auch in der Gegenbeobachtung durch den Kommunikationspartner spiegelt, kann sich die paranoide Beobachtung auch nicht ernsthaft auf ihre Umwelt einlassen. Während auf der operativen Ebene kommuniziert wird, findet keine Kommunikation auf der Beziehungsebene statt. Deswegen benötigt die misstrauende Beobachtung immer mehr Informationen, denen sie aber auch nur misstrauen kann. Durch diesen letztlich unstillbaren Informationsbedarf mündet Misstrauen in einem unendlichen Regress, der jede Kommunikation mit Sicherheitserwartungen belastet, die letztlich nicht erfüllt werden können.

Der soziologische Beobachter wird nun mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass trotz Kommunikation nicht kommuniziert wird, dass etwas Gezeigt wird, obwohl nichts gezeigt wird - Unterschiede, die keine Unterschiede machen. Den Kommunikationspartnern gelingt es bei misstrauender Beobachtung nicht ein Image aufzubauen. Die Kommunikation operiert in der Sozialdimension blind. Wenn es den Kommunikationspartnern nicht gelingt Annahmen über die Verhaltensstrategie einer bestimmten Person zu machen, dann heißt das sie können keine Erwartungen über diese Person bilden. Sie hat kein Image. Daneben gibt es noch den Fall, dass die betroffene Person durch widersprüchliches Verhalten ein falsches Image aufbaut (vgl. Goffman 1986a, S. 13). Auch in diesem Fall wissen die Kommunikationspartner nicht, was sie von der betreffenden Person erwarten sollen. Die Informationen in der Sozialdimension sind chaotisch und machen auch in diesem Fall die Beteiligten blind für das Selbstverständnis des Kommunikationspartners. Erwartungen schaffen Vertrauen und absorbieren Unsicherheiten in Bezug auf eine ungewisse Zukunft. Erwartungen zu bilden, bedeutet auch, dass die individuell attributierten Verhaltensmöglichkeiten eines Kommunikationspartners durch einen Beobachter eingeschränkt werden. Das Ergebnis dieser Beobachtung bezeichnet Luhmann als Form der Person (vgl. 2005c, S. 142). Sie ist eine Form zur Beobachtung der menschlichen Umwelt eines sozialen Systems.

Wenn Image den Unterschied zwischen psychischer Selbstbeschreibung und sozialer Fremdbeschreibung bezeichnet, dann ist die Form Person die soziale Fremdbeschreibung. Sowohl Verhaltensstrategien, die zu keinem Image führen, als auch Verhaltensstrategien, die zu einem falschem Image führen, sind Selbstdarstellungsformen, die es den Kommunikationspartnern nicht erlauben Erwartungen zu bilden. Zugleich ist es den Kommunikationspartnern nicht möglich ihre eigenen Verhaltensmöglichkeiten in Bezug auf den anderen einzuschränken. Die wechselseitige Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten wird also durch derartige Formen der Selbstdarstellung verhindert. Eine Integration der Kommunikationspartner ist also bei derartiger Kommunikation nicht möglich und somit auch keine Handlungskoordination. Egal, ob keine Information oder widersprüchliche Informationen bezüglich des Selbstverständnisses des Kommunikationspartners beobachtet werden können, in beiden Fällen deuten Kommunikationsformen, die keine klaren Rückschlüsse auf die psychische Selbstbeschreibung zulassen, auf eine Störung der Beziehungsebene hin. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Risiko der Exklusion bei unklaren Informationen hinsichtlich der Beziehungsebene beträchtlich ansteigt, denn die bestehenden Unsicherheiten werden mit der Zeit gesteigert statt absorbiert. Die Differenz zwischen psychischer Selbstbeschreibung und Person bzw. den mit beiden verbundenen Horizonten an Verhaltensmöglichkeiten vergrößert sich immer mehr und es kommt der Zeitpunkt, an dem die Unsicherheit so groß ist, dass die Fortsetzung der Kommunikation emotional oder bewusst als so unerträglich erfahren wird, dass ein Abbruch der Fortsetzung vorgezogen wird.


XIV.

Aus den vorangegangenen Überlegungen lässt sich nun folgende Hypothese ableiten: Je nachdem ob man die Beobachtbarkeit des eigenen Selbst durch eine andere Person als eine Chance oder als Gefahr für das eigene Selbst empfindet, sinkt oder steigt die Exklusionswahrscheinlichkeit dieser Person. Sofern Beobachtbarkeit als Chance empfunden wird, entwickelt sich daraus eine offensive Verhaltensstrategie zum Lustgewinn aus menschlichen Beziehungen durch die Teilnahme an Kommunikation. Entsprechend offen und expressiv wird die Selbstdarstellung sein. Das Wissen um die eigene Unvollkommenheit lässt die Person mit Imageverletzungen locker und gelassen umgehen, denn man weiß auch, dass jeder andere genauso unvollkommen und verletzlich ist wie man selbst. Dies macht es auch einfacher sich in die Lage des Kommunikationspartners zu versetzen und die Schutzbedürfnisse des Kommunikationspartners zu respektieren und auf sie einzugehen. Die unendliche Komplexität doppelt kontingenter Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten, welche durch die wechselseitige Beobachtung eröffnet wird, wird durch Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und Beobachtung reduziert. Dieses Vertrauen wächst aus der eigenen Verletzlichkeit, denn sie stellt zugleich die Irritierbarkeit für die Umwelt sicher. Wird Beobachtbarkeit dagegen als Gefahr für das eigene Selbst empfunden, wird sich daraus eine defensive Verhaltensstrategie entwickeln, die den Zweck verfolgt Imageverletzungen, und damit Unlust, zu vermeiden. Das Engagement dieser Personen, sich an Kommunikation zu beteiligen, ist entsprechend gedämpft. Ihre Selbstdarstellung wird sich eher vorsichtig und introvertiert gestalten. Das Wissen um die eigene Verletzlichkeit führt dazu, dass man sich vorwiegend auf sich selbst konzentriert und den anderen nur unter dem Gesichtspunkt wahrnimmt, wie man sich vor seinen, das eigene Selbst potentiell negierenden, Beobachtungen schützen kann. Dass der andere genau dasselbe Problem hat, wird nicht gesehen. Entsprechend egozentrisch wird das Erleben und Handeln sein. Die eigene Verletzlichkeit wird lediglich als persönlicher Makel wahrgenommen, den es vor den anderen zu verbergen gilt. Zugleich wird es als legitim empfunden, andere diese Verletzlichkeit spüren zu lassen. So trägt nicht nur die Vermeidung von Verletzungen des eigenen Selbstbildes zum eigenen Glück bei, sondern unter Umständen auch das Wissen um das Leid der anderen.

Offensive und defensive Imagebildung als Reaktion auf die Situation wechselseitiger Beobachtbarkeit sind zunächst nur idealtypische Unterscheidungen. Das Bild wird sofort komplexer, wenn man diese Unterscheidung auf einzelne Beziehungen anwendet. So kann eine Person im Rahmen der Beziehung zu einer Person, z. B. dem Chef, eher defensiv agieren, in der Beziehung zu einer anderen Person, z. B. einem Freund, eher offensiv. Erst die Summe der Beziehungen einer Person zu anderen Personen und wie sie sich in ihnen verhält, lässt einen Schluss auf den Verhaltenstypus der Person als Ganzes zu [6]. Doch selbst dann lässt sich die Exklusionswahrscheinlichkeit noch nicht sicher bestimmen, denn ein weiterer Faktor muss noch berücksichtigt werden: die soziale Umwelt der Person. Sofern sich eine Person, welche die Beobachtbarkeit durch andere für sich als eine Gefahr empfindet, in einem sozialen Milieu agiert, dass eher eine offensive Imagebildung bevorzugt und fördert, dann ist die Exklusionswahrscheinlichkeit der betreffenden Person folglich relativ hoch. Befindet sich eine Person, welche die wechselseitige Verletzlichkeit durch Beobachtung erkannt hat, in einem sozialen Milieu, das eher defensive Formen der Selbstdarstellung bevorzugt, dann wäre auch die Exklusionswahrscheinlichkeit dieser Person entsprechend höher als derjenigen, die sich diesem defensiven Kommunikationsstil angepasst haben.

Nichts desto trotz bleibt das Vertrauensproblem bestehen. Offensive Imagebildung fördert das Vertrauen in sich selbst und in andere. Defensive Imagebildung fördert dagegen Misstrauen in sich selbst und in andere. Die moderne Gesellschaft macht die Bedingung der wechselseitigen Beobachtbarkeit durch technische Errungenschaften wie Fernsehen und Internet in verstärktem Maße bewusst. Damit einher geht auch ein gesteigertes Bewusstsein für die Kontingenz der eigenen Person. Diese, das eigene Selbst negierende, Erkenntnis ist zunächst ein schwerer Schlag, der sich aber aushalten lässt, sobald man sieht, dass es jedem anderen genauso geht und die einzige Chance zu erfahren, wer man ist, darin besteht mit anderen zu kommunizieren und zu beobachten, auf welche Weise sich das eigene Selbst in den eigenen Handlungen ausdrückt und wie dies von anderen beobachtet wird. Die moderne Gesellschaft fördert daher verstärkt offensive Strategien der Imagebildung.

Eine Folge davon ist die Entwicklung, welche zumeist als Individualisierung bezeichnet wird. Personen sind heute nicht mehr nur Mitglied einer einzigen Gruppe oder Gemeinschaft. Vielmehr sind sie heute Teil diverser sozialer Beziehungen mit und ohne Gruppenbezug. Entsprechend differenziert müssen psychische Systeme sein, um der Komplexität der sozialen Umwelt gerecht zu werden. Die Rede von Individualisierung reflektiert also eigentlich nur die gesellschaftliche Entwicklung in Bezug auf die soziale Konstruktion der Menschen. Letztlich kennt nur jeder für sich selbst alle sozialen Beziehungen, in die er involviert ist. Im Gegensatz zu vormodernen Gemeinschaftsformen, kann die moderne Gesellschaft den Menschen nicht mehr vorgeben, wer sie als Person zu sein haben. Kommunikation kann jedem nur einzelne Anhaltspunkte dafür liefern. Das Gesamtbild, das sich daraus ergibt, muss jeder für sich selbst zusammensetzen und mit seinem Selbstbild abgleichen. Die Kommunikation der modernen Gesellschaft zeichnet sich deswegen auch durch einen gesteigerten Bedarf an Informationen hinsichtlich der Sozialdimension aus. Lediglich offensive Imagebildung kann diesen Informationsbedarf zugleich befriedigen und begrenzen. Defensive Imagebildung zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass sie die Beobachtung von Informationen in der Sozialdimension verhindert, was den Informationsbedarf zugleich immer weiter vergrößert. Dieser Kommunikationsstil war möglicherweise in vormodernen Gemeinschaftsformen mit starker Aversion gegen Individualität angemessen. Der Informationsbedarf wurde einfach durch die Autorität der Gruppe oder des Führers begrenzt. Expressive Rollen wurden hier lediglich den Führern zugestanden. In einer sich immer weiter differenzierenden Gesellschaft ist ein solcher Kommunikationsstil unangemessen, weil er zum einen die Menschen als Einzelpersonen sozial zum Verschwinden bringt und zum anderen sich keine gesellschaftsweit funktionierende Autorität installieren lässt, die den Informationsbedarf durch wirksame Reflexionsblockaden begrenzen könnte. Je stärker sich die Kommunikation an die besondere Beziehung, die zwischen Einzelpersonen besteht, anpassen muss, desto unangepasster wird eine defensive Strategie der Imagebildung. Denn dafür benötigt sie einen entsprechenden Informationsreichtum in der Sozialdimension, welchen defensive Imagebildung verhindert, weil sie eher dazu geeignet ist sich zu verstecken.

Als Konsequenz muss die moderne Gesellschaft das menschliche Bedürfnis nach Selbstschutz anerkennen. Sie kann aber nicht jede Möglichkeit, wie dies mit Hilfe von Kommunikation erfolgen kann, anerkennen. Wie die vorangegangenen Überlegungen zeigen sollten, besteht ein Konflikt zwischen der psychischen und sozialen Funktion des Selbstschutzes. Der Wunsch sozial im bestmöglichen Licht da zu stehen, kann durch offensive Imagebildung unterstützt werden und durch defensive Imagebildung behindert werden. Während jedoch offensive Imagebildung die Intelligenz der Menschen fördert, wird diese Fähigkeit durch defensive Imagebildung beeinträchtigt. Die Fähigkeit in eine mit anderen geteilte Welt einzutreten, deren Bestandteil man ist, wird nicht gefördert, wenn man in der Sozialdimension blind operiert. Um verstanden zu werden, muss man auch verstehen können. Das geht nicht, wenn man nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Diese Informationen können bei einer ersten Begegnung aber nicht mehr vorausgesetzt werden, sondern katalysieren sich erst im Verlauf der Kommunikation aus. Entsprechend sind Kommunikationstechniken notwendig, die mit solchen Unsicherheiten rechnen und zugleich die relevanten Informationen hervorbringen. Es kann dann nur noch erwartet werden, dass die Kommunikationspartner über solche Techniken verfügen. Imagepflegetechniken, die mit solchen aus der eigenen Beobachtbarkeit resultierenden Risiken rechnen, können dies leisten. Defensive Techniken nehmen dagegen eine Form an, die psychisch zunächst zweckmäßig erscheinen, sozial gesehen jedoch das Gegenteil bewirken und die Exklusion fördern.


XV.

Für den soziologisch ungeübten Beobachter mag das Vorangegangene zunächst ziemlich verwirrend erscheinen. Die Beobachtung der Beobachtung durch andere Personen hält so viele Irrwege und Sackgassen bereit, dass man gar nicht weiß, wie man mit diesen Risiken umgesehen soll. Wie soll man bei all diesen Ambivalenzen noch wissen, was von einem erwartet wird? Jede Handlungsalternative könnte die falsche sein. Wenn man etwas tut, kann es falsch sein. Wenn man nichts tut, kann es auch falsch sein. Egal, was man tut, es könnte falsch sein. Eine unheimliche Situation in der man sich fühlt als wäre man gelähmt. Das ausgelöste Unbehagen ist so groß, dass man den Drang verspürt Kommunikation, und damit den Kontakt zu anderen Menschen, generell zu vermeiden. Am besten tritt man überhaupt nicht als Person in Erscheinung.

Das Unbehagen gründet jedoch in einem naiven Verständnis von absoluter Wahrheit bzw. absolutem Sein, das sich spätestens bei der Erkenntnis über die soziale Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht mehr aufrechterhalten lässt. Nur in einer solch naiven Sichtweise besitzen Unterscheidungen wie richtig/falsch eine Funktion zum Verbriefen von letztgültigen Wahrheiten. Schein und Sein lassen sich aber nicht mehr auseinanderhalten. Der Schock darüber, dass es keine externen Halteseile gibt, die einem einen sicheren Stand im Leben geben, stellt alle erkenntnistheoretischen Gewissheiten infrage, inklusive der Frage nach dem wahren Selbst. Die Verunsicherung durch diesen Schock ist so tiefgreifend, dass man sich in die eigene Innerlichkeit zurückzieht. Die europäischen Sozial- und Geisteswissenschaften haben sich von diesem Schock bis heute nicht erholt. Erleben wird über alles gestellt und kann weder durch das eigene noch durch fremdes Verhalten irritiert werden. Nur die, dem sozialen Zugriff entzogene, psychische Wirklichkeit besitzt noch ihre eigene Wahrheit. Sofern man eine derart fatalistische Einstellung zur Realität der Beobachtung gewinnt, ist die Voraussetzung geschaffen für eine Entwicklung hin zu einer schizoiden Persönlichkeitsstörung, die in Extremfällen zur Erstarrung – also der Unfähigkeit sich an Kommunikation zu beteiligen – führen.

Es sollte jedoch deutlich geworden sein, dass der Ausgangspunkt zum Verständnis einer solchen psychischen Entwicklung in den Bedingungen der Kommunikation selbst liegen, nämlich der wechselseitigen Wahrnehmung und Beobachtung durch die Kommunikationspartner. In der Kommunikation kann also sowohl das Heil als auch das Verderben für Menschen liegen. Das führt zurück zur Frage nach dem Unterscheidungskriterium für funktionale und pathologische Kommunikation. Funktionale, der menschlichen Umwelt angepasste, Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Menschen ihn ihrer Umwelt als Einzelpersonen mit autonomer Entscheidungsfähigkeit beobachtbar macht. Die Freiheit zur eigenen Entscheidung kann jedoch nur eine bedingte, konditionierte Freiheit sein und keine unbedingte, absolute Freiheit, denn auch die Alternativen, zwischen denen man sich entscheiden kann, werden durch den Entscheider konstruiert. Man entscheidet also nur im Rahmen selbst bestimmter Möglichkeiten. Pathologisch kann Kommunikation werden, wenn Menschen nicht als autonome Personen wahrgenommen werden. Dies jedoch nicht nur Fallweise in vereinzelten Situationen, sondern als ein systematisches Beobachtungsschema mit dazugehörigen Handlungsskripten.

Desweiteren spielt der Grad der Intimität einer Beziehung eine wichtige Rolle. Während es zu verschmerzen ist, wenn sich der Bäcker oder der Anwalt nicht für den eigenen Liebeskummer interessiert, würde man dies Freunden oder dem Therapeuten ziemlich übel nehmen. Professionelle Distanz, wie sie die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft heute erfordert, ist daher keine pathologische Erscheinung der Verdinglichung, sondern selbst wiederum eine Selbstschutztechnik, um sich vor der, für einen Einzelnen nicht zu bewältigenden, Komplexität des psychischen Erlebens aller Menschen zu schützen. Das Bedürfnis nach dem Gefühl verstanden zu werden und nach zwischenmenschlicher Intimität ist nachvollziehbar und sozial akzeptiert. Die Herausforderung der modernen Gesellschaft besteht jedoch darin zu erkennen, von wem man eine Erwiderung auf dieses Bedürfnis erwarten kann und von wem nicht. Eine unbedingte Menschenliebe würde jeden überfordern und als Norm den Wunsch nach Intimität in eine Zumutung pervertieren. Zum Selbstschutz gehört es also auch dazu sich nicht auf jedes menschliche Erleben bis zum Durchblick auf das wahre Selbst des Kommunikationspartners einlassen zu müssen. Entsprechend sorgfältig wählen Menschen heute ihre Freunde aus und noch sorgfältiger ihre Lebenspartner. Niemand wird ernsthaft behaupten können alle Menschen, die er jemals getroffen hat, gleich gut zu kennen. Tragischer Weise hat man aber die Wahrnehmungs- und Verhaltensstörungen, mit denen sich heute vermutlich jeder in einer mehr oder weniger ausgeprägten Form herumschlagen muss, von Personen übernommen, von denen man glaubte sie besonders gut zu kennen.

Wenn also weder die Depersonalisierung an sich noch der Grad der zwischenmenschlichen Distanz manifeste Kommunikationsstörungen sind, was dann? Auch diesmal wird man wieder auf die Funktionsweise der Beobachtungsoperation selbst zurück verwiesen. Mit jeder Beobachtung wird die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet. Zugleich wird damit etwas ausschlossen, entweder alles andere oder etwas bestimmtes anderes. Immer wenn die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird, steht etwas anderes nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen gleichbedeutend ist mit einer Negation oder Ablehnung dessen, was nicht im Fokus der Aufmerksamkeit steht? Hier kommt eine Eigenschaft von Informationseinheiten zum Tragen, die in der Informationstheorie als multiplikativ bezeichnet wird (vgl. Ruesch/Bateson 2012, S. 200). Im Rahmen des Formenkalküls stellt eine Bezeichnung eine solche Informationseinheit dar. Im Fall der Unterscheidung schwarz/weiß bedeutet ‚schwarz‘ zugleich ‚nicht weiß‘ und umgekehrt bedeutet ‚weiß‘ zugleich ‚nicht schwarz‘. Man beachte zu dem, dass derselbe Sachverhalt durch Negation mit doppelt so vielen Informationen dargestellt wird. Während ‚schwarz‘ nur eine Informationseinheit ist, besteht ‚nicht-weiß‘ durch die Negation plus der Position aus zwei Informationseinheiten. Ein Beobachtungsstil der konsequent auf Negationen zur Informationskatalyse setzt, hat also doppelt so viele Informationen zu bewältigen, wie eine Beobachtung, die auf positive Ausdrücke setzt. Die Informationsverarbeitung wird durch die Negationen mit einem beständigen Rauschen belastet und erfordert mehr Zeit (vgl. Luhmann 2005b, S. 43).

Ein weiterer Nachteil einer negationsbasierten Beobachtung ist, dass damit noch nicht die andere Seite der Unterscheidung positiv bestimmt ist. ‚Nicht weiß‘ könnte auch ‚rot‘, ‚blau‘, ‚grün‘, ‚gelb‘ usw. bedeuten. Mit anderen Worten, der Kontext, in dem ein Unterschied einen Unterschied macht, bleibt unklar. Die Bezeichnung steht nur für sich selbst und ist eigentlich noch gar keine Information. Es bleibt dem Beobachter überlassen, wie er die Bezeichnung kontextualisiert, um ihr einen Sinn zu verleihen. Ein negationsbasierter Beobachtungsstil hat also ein größeres Informationsaufkommen zu bewältigen. Wen außerdem der Kontext unklar bleibt, in dem eine Negation einen Unterschied macht, der einen Unterschied macht, dann ist dem Misstrauen Tür und Tor geöffnet. Misstrauendes Beobachten assoziiert zweckfrei und ziellos die anderen Seiten einer Unterscheidung. Auch dabei spielen Negationen eine wichtige Rolle. Der Zweck dieses Operierens besteht darin keinen Zweck zu haben außer Unsicherheit so zu reduzierten, dass die Unsicherheit durch die Reduktion noch größer wird. Die Funktion dieser Beobachtungsform besteht letztlich darin diesen Effekt vorzuführen, um sich damit selbst zu bestätigen. Problem und Lösung sind identisch. Die Beobachtung sabotiert sich systematisch selbst und der soziale Sinn erodiert. Übrig bleibt zunächst nur subjektiver Sinn, der sich aber langfristig auch nicht halten lässt, eben weil er sozial nicht bestätigt wird.

Dass die damit verbundenen Kommunikationsprobleme inzwischen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, zeigt die aktuelle Diskussion um das generische Maskulinum. Die Frage, ob durch das generische Maskulinum Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung systematisch vergessen werden, zeigt, dass dieses Problem potentiell negierender Implikationen einer Bezeichnung bereits gesamtgesellschaftlich relevant geworden ist. Die Bezeichnung ‚Mann‘ kann im Rahmen der Unterscheidung von Mann/Frau auch als ‚nicht Frau‘ gelesen werden. Die Frage ist allerdings, ob durch das generische Maskulinum eine solche Bedeutung mit ausgedrückt werden soll bzw. ob eine solche Lesart gerechtfertigt ist? Im Anbetracht der offensichtlichen Tatsache, dass heute in fast jedem Beruf auch Frauen tätig sind, lässt den Verdacht einer männlichen Dominanz schon fast paranoid erscheinen [7]. Das Misstrauen speist sich vermutlich seinerseits aus einer sehr selektiven Wahrnehmung und gibt mehr Auskunft über den eigenen, misstrauischen Beobachtungsstil als den ihrer Umwelt. So muss denn auch die obige Frage verneint werden, und das aus zwei Gründen. Zum einen liegt es in der Logik der Beobachtungsoperation selbst, dass sie operativ von Moment zu Moment lediglich auf etwas Bestimmtes und nichts anderes die Aufmerksamkeit richten kann. Komplexitätsreduktion bedeutet noch lange nicht, dass die andere Seite der Unterscheidung vergessen wurde. Zum zweiten kann man auch kaum davon ausgehen, dass differenzenübergreifende Generalisierungen wie das generische Maskulinum einen Hinweis darauf sein können, dass jemand systematisch diskriminiert wird. Immerhin kann sich jeder relativ leicht vom Gegenteil überzeugen, dass z. B. der Friseurberuf zum überwiegenden Teil nicht von Männern ausgeübt wird. Wenn der konventionelle Sprachgebrauch den offensichtlichen Verhältnissen nicht gerecht wird, dann muss das nicht unbedingt auf eine Diskriminierung hindeuten, sondern dann ist der common sense möglicherweise schlauer als es die Kritik suggeriert. Lösungen, wie die Ersetzung des generischen Maskulinums durch das generische Femininum, zeigen auf welchem theoretischen Niveau – sofern man das überhaupt so nennen kann – die Diskussion aktuell geführt wird. Hier zeigen sich bereits einige Charakteristika dessen, was weiter oben als defensive Imagepflege bezeichnet wurde – nur dass dies hier stellvertretend für alle Frauen geschieht. Gerade die Konzentration auf einzelne Aspekte und nicht auf das ganze Bild sorgt für eine schleichende Abweichungsverstärkung der Metaperspektiven.

Mit „ganzem Bild“, kann im Rahmen einer Informationstheorie, die auf der Unterscheidungslogik Spencer-Browns basiert, nur gemeint sein, die andere Seite der Unterscheidung im Auge zu behalten. Neben der Sprache gibt es auch noch das, was damit beschrieben wird. Nur weil das, was beschrieben wird, durch die Sprache nicht adäquat wiedergegeben wird, muss das noch nicht bedeuten, dass etwas unterdrückt wird. Diese Schlussfolgerung ist nur unter der Annahme einer Eins-zu-Eins-Relation von Denken und Sprechen gerechtfertigt. Eine solche Eins-zu-Eins-Relation zwischen Denken und Sprechen besteht jedoch nicht (vgl. Ruesch/Bateson 2012, S. 258f.). Dabei würde es sich um ein überdeterminiertes System handeln, dass versucht seine relevante Umwelt Eins-zu-Eins ins System zu spiegeln. Ein solches System beruht jedoch nicht auf Unterscheidungen und ist daher auch nicht in der Lage Informationen zu katalysieren. Es kann lediglich indizieren, aber nicht reflektieren, weil es in diesem System keine andere Seite der Unterscheidung als Position gibt. Die andere Seite ist immer leer. Kontingenz als Hinweis auf andere Möglichkeiten kann es in diesem System nicht geben. Damit wird jegliche Möglichkeit zum Vergleich ausgeschaltet und damit auch die Möglichkeit von anderen Formen – noch nicht Informationen – ausgeschaltet [8]. Es empfiehlt sich daher zuerst die Funktion des kritisierten Zeichengebrauchs zu analysieren, bevor man zu dem Mittel greift, dass man eigentlich kritisiert – nämlich Unterdrückung durch Zensur.

Eine der Fragen, die die moderne Gesellschaft zu klären hat, ist, ob sie auf jede potentiell wahrgenommene Negation, durch die sich jemand abgelehnt oder diskriminiert fühlt, Rücksicht nehmen kann. Oder anders, muss sie jedes psychische Erleben bedingungslos ernstnehmen? Funktionale Differenzierung scheint diese Frage ganz klar mit Nein zu beantworten. Anhaltspunkte für eine komplexere Antwort lassen sich in diesem Text finden. Jeder sollte sich darüber bewusst sein, dass letztlich jeder Mensch mit demselben Problem der Beobachtbarkeit durch andere Personen zu kämpfen hat. Es gibt jedoch historisch, kulturell und individuell verschiedene Möglichkeiten mit diesem Problem umzugehen. Nicht jede davon ist gleich gut geeignet, um von anderen so verstanden zu werden, wie man sich selbst sieht. Offensive und defensive Imagepflege ist damit noch keine Unterscheidung von funktionalen und pathologischen Kommunikationsformen. Beide Formen werden sich zu einem gewissen Grad immer die Waage halten, denn zu viel Distanz ist genauso unverträglich wie zu viel Intimität. Was von einem Menschen als Verletzung bzw. Ablehnung empfunden wird, muss ein anderer nicht genauso empfinden. Somit gilt es heute genauer zu prüfen, ob das Empfinden berechtigt ist oder nicht. Möglicherweise handelt es sich bei einer empfundenen Verletzung bloß um eine unberechtigte Erwartung darüber, was man dem Kommunikationspartner zumuten kann. Was sich an diesen verschiedenen Formen, das Selbst zu schützen, zunächst zeigt, ist, dass sogar Gefühle kontingent geworden sind und damit veränderbar.

Erst wenn die defensive Haltung gegenüber der eigenen Beobachtbarkeit überhandnimmt und sich in der Depersonalisierung eine allgemeine Ablehnung gegenüber anderen Menschen ausdrückt, dann wird sich diese psychologische Entwicklung in der modernen Gesellschaft für den Betroffenen in einer zunehmenden Frustration durch Kommunikationsbeteiligung bemerkbar machen, welche sich auch im Verhalten ausdrücken wird. Defensives Verhalten kann berechtigt sein, es kann sich aber auch als Beharren auf den eigenen Gefühlen ohne Rücksicht auf die Kommunikationspartner entpuppen. Dadurch wird die Frustration auch für die Kommunikationspartner zumindest spürbar und das Verlangen erneut mit dieser Person in Kontakt zu treten nicht gerade gestärkt. Depersonalisierung und die zwischenmenschliche Distanz können dann nur Irritationen – und damit Indikatoren – sein, welche die Möglichkeit des Vorliegens einer Kommunikationsstörung anzeigen. Sie sind jedoch keine verlässlichen Symptome für eine Kommunikationsstörung. Vielmehr kann man nur anhand der vorliegenden Indikatoren versuchen ein schlüssiges Bild zu konstruieren. Erst in der Gesamtschau der vorliegenden und nicht vorliegenden Symptome und deren Ausprägung kann man beurteilen, ob man es mit einer systematischen Kommunikationsstörung zu tun hat oder nicht. Auf der Grundlage der im letzten Beitrag entwickelten Epistemologie handelt es sich bei den Ergebnissen aber nicht um letztgültige Wahrheiten, sondern lediglich um vorläufige Arbeitshypothesen, die durch neue Informationen auch irritiert und modifiziert werden können.

Ist man bereit sich auf den vorgestellten Beobachtungsapparat einzulassen, verlieren allerdings Unterscheidungen wie Gesundheit und Krankheit oder Normalität und Abweichung ihre Funktion. Gesundheit oder Krankheit werden dann zu Problemen von Beobachtern, die mit diesem Schema beobachten. Hinweise auf Kommunikationsstörungen bestimmen noch nicht, bei wem eine inadäquate Anpassung an seine soziale Umwelt vorliegt. Sie sind eben zunächst nur Irritationen, die für sich allein noch keine Auskunft darüber geben, was vor sich geht. Sie können lediglich als Hinweise betrachtet werden, dass ein unvollständiges Bewusstsein über die eigene Beobachtbarkeit durch andere Personen vorliegt. Alternativ kann man auch von falschen Erwartungen darüber, von anderen Personen verstanden zu werden, sprechen. Unter Umständen kann sich das seltsame Verhalten eines Psychotikers als normale und gesunde Reaktion auf eine erfahrene Depersonalisierung herausstellen. Gesellschaftlich relevant werden solche falschen Erwartungen auf Verständnis, wenn sie sozial anschlussfähig werden und sich zu Freund/Feind-Zuschreibungen verfestigen, bei denen auf der Feind-Seite alle die Menschen eingeordnet werden von denen man glaubt nicht verstanden worden zu sein.

Es geht also nicht darum die Betroffenen zu stigmatisieren. Das Ziel ist es vielmehr die Beobachtung dafür zu schärfen, wie man selbst durch sein Verhalten auf andere wirkt. Es geht um das Kunststück trotz der operativen Geschlossenheit psychischer und sozialer Systeme durch Kommunikation ihre Irritationsfähigkeit anzuregen und Impulse zur Selbständerung zu geben. Dass dies möglich ist, zeigen empathische Kommunikationsformen, die in besonderem Maße die Unterschiede in der Sozialdimension berücksichtigen. Sie zeigen vor allem, wie wichtig es ist ein Vokabular zur Verfügung zu haben, mit dem man das eigene Erleben sozial anschlussfähig ausdrücken kann. Sie vollziehen, mit anderen Worten, die schärfere semantische Differenzierung zwischen sozialen und psychischen Systemen und sorgen für einen entsprechenden Informationsreichtum in der Sozialdimension. Man kann die verstärkte Popularisierung psychologischer Terminologien als Pathologisierung kritisieren. Der Erfolg zeigt jedoch zugleich einen entsprechenden Bedarf danach sein eigenes bewusstes und emotionales Erleben sozial anschlussfähig auszudrücken, als Einzelperson in Erscheinung zu treten um Verstanden zu werden (vgl. Illouz 2009). Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft hat jedoch auch zu einem stärkeren Bewusstsein darüber geführt, wem man welche Informationen über sich selbst mitteilen kann. Der Zweck besteht darin, sowohl sich selbst als auch andere nicht in Verlegenheit zu bringen und die Teilnahmefähigkeit an Kommunikation für alle zu bewahren.

Defensive Imagebildung reagiert auch auf dieses Risiko des Verlustes der Teilnahmefähigkeit. Die betroffenen Personen versuchen jedoch ihre menschliche Umwelt nur dahingehend zu verändern, dass sie sich nicht mehr verändert. Nach der inneren Erstarrung, versuchen sie ihre Umwelt zum Erstarren zu bringen. Dann muss nicht mehr mit einer Bedrohung des Selbst gerechnet werden. Sich stärker auf die Sichtweisen seiner Kommunikationspartner einzulassen, kann dabei helfen die emotionalen und kognitiven Verkrampfungen zu lösen. Will man das Verhalten eines Menschen ändern, muss man zuerst seine Wahrnehmung von ihm verändern (vgl. Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 36). Das gilt auch für die Selbstwahrnehmung. Ist das Selbst im Fluss (vgl. Csikszentmihaly 2010), kann man auch in einer sich verändernden Umwelt nach außen hin seine Identität bewahren. Eine gefühlte Verletzung ist dann noch nicht gleich ein Weltuntergang. Ist man dagegen im Inneren erstarrt, kann jede Information zur potentiellen Existenzbedrohung werden. Man ist nur noch Spielball anonymer Mächte. Zweifel und Misstrauen sind wie Stöcke, die einem zwischen die Beine geworfen werden, und den psychischen Informationsfluss in seinem freien Lauf behindern. Zweifel in Maßen bewahren die Irritations- und Lernfähigkeit. Beständiger Zweifel bringt den Fluss zum Erliegen und sorgen für Dauerfrustration. Wie sich diese Frustrationen ausdrücken, kann sehr verschieden sein. Dahinter verbirgt sich jedoch eine Entwicklung, die immer demselben Muster folgt. Der beständige Zweifel ist zum Teil sozial induziert, zum Teil psychisch bedingt. Je nachdem ob man Beobachtbarkeit als Chance oder als Gefahr empfindet und von seiner sozialen Umwelt darin bestärkt wird, kann damit eine Entwicklung angestoßen werden, an deren Ende man im Idealfall zu einem Fels in der Brandung wird oder im schlimmsten Fall zu einem Korken auf dem Ozean [9].


[1] Der Begriff Schizophrenie wird mangels Alternativen hier im Anschluss an Laing lediglich als Etikett für die Bezeichnung bestimmter Personen  verwendet (vgl. 1969, S.108). Es empfiehlt sich die etymologische Bedeutung des Wortes Schizophrenie im Gedächtnis zu behalten: Schizo = gebrochen und Phrenos = Seele oder Herz (vgl. Laing 1969, S. 119).

[2] Auch Erich Fromm wählte als theoretischen Ausgangspunkt die unüberwindliche Trennung der Menschen voneinander, um davon ausgehend die Frage zu stellen, wie es ihnen trotzdem gelingen kann zu einer geistige Übereinstimmung zu gelangen (vgl. 1995, S. 22f.).

[3] Luhmann hatte zwar bereits mit Blick auf den Beobachtungsbegriff formuliert: „Verstehen heißt: selbstreferentiell situiertes Beobachten im Hinblick auf die Selbstreferenz eines anderen Systems“ (1986, S. 85). Er hat das Problem aber nicht bis auf das Selbst-Erleben der Kommunikationsteilnehmer zurückgerechnet.

[4] Im Anschluss an die Unterscheidung der drei Perspektiven unterscheiden Laing/Phillipson/Lee drei Formen der Übereinstimmung auf diesen Ebenen. Stimmen die direkten Perspektiven der Partner bezüglich desselben Sachverhalts überein, wird von Übereinstimmung gesprochen. Stimmen die Metaperspektiven überein –, beide Partner erkennen, dass sie bezüglich desselben Sachverhalts übereinstimmen –, wird dieser Fall als Verstehen bezeichnet. Stimmen die Meta-Metaperspektiven überein – beide Partner erkennen, dass sie erkannt habe, dass sie bezüglich desselben Sachverhalts übereinstimmen –, wird von Realisation gesprochen (vgl. Laing/Phillipson/Lee 1976, S. 80 – 84)

[5] Dies sei auch im Hinblick auf das mit Latours ANT häufig proklamierte Desiderat einer Soziologie der Dinge angemerkt. Materielle Dinge sind keine selbstreferentiell operierenden Systeme und sind daher auch nicht in der Lage aus einem selbst konstruierten Horizont von Handlungsmöglichkeiten zu wählen. Oder einfacher, Dinge und Objekte beobachten nicht. Bei Mensch-Objekt-Verhältnissen kann demzufolge auch nicht die für Kommunikation konstitutive Situation doppelter Kontingenz entstehen und ebenso wenig das Problem der Handlungskoordination bei divergentem Erleben. Konstruiert man das Bezugsproblem der Soziologie auf diese Weise stellt sich die Frage, an welchem Bezugsproblem sich eine Soziologie der Dinge eigentlich abarbeiten will, denn ein soziales Problem, bei dem mindesten zwei Menschen involviert sind, entsteht bei einer Mensch-Ding-Beziehung nicht. Es empfiehlt sich statt von der Mensch-Ding-Beziehung von der zwischenmenschlichen Begegnung auszugehen. Dann sieht man zum einen, dass die Handhabung von Dingen durch Kommunikation geprägt ist, und zum anderen, dass dann das, die Wahrnehmung von Mensch-Ding-Beziehungen strukturierende, Kausalitätsprinzip auch wieder auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen und in dieser Beziehung zu einem Problem werden kann.

[6] Die Unterscheidung von offensiver und defensiver Imagebildung korrespondiert mit der Unterscheidung von Lerntypen bei Ruesch/Bateson. Sie unterscheiden zwischen instrumentellen und pawlowschen Subjekten. Instrumentelle Subjekte streben nach positiven Gewinnen. Entsprechend richten sie ihre Beobachtungsgewohnheiten so ein, dass klares Feedback für ihre Erwartungen möglich wird. Das betrifft auch die Kontexte, in denen positive Gewinne erwartet werden können. Pawlowsche Subjekte versuchen dagegen eher negative Ereignisse zu vermeiden, weil sie gelernt haben, dass sie keine Kontrolle über ihre Umwelt haben. Entsprechend fatalistisch wird die Orientierung zur Welt (vgl. Ruesch/Bateson 2012, S. 244f.). Ebenso ist hier Fritz Heiders Unterscheidung von charaktervollen eigenbedingten und schwachen fremdbedingten Menschen einzuordnen (vgl. 2005, S. 93). In allen Fällen geht es um die Beobachtung, dass aufgrund bestimmter Erfahrungen ein bestimmtes Verhalten zu erwarten ist, dass durch Wiederholung zur Entwicklung eines bestimmten Charakters führt.
Mit offensiver und defensiver Imagebildung sind zunächst die Ausgangsunterscheidungen benannt. Das Bild differenziert sich noch weiter, wenn man berücksichtigt, dass die Mitteilung zwar sehr expressiv gehalten ist, die Informationen jedoch nur Misstrauen kommunizieren. Die Abwehrtechniken schizoider Personen sind mitunter sehr emotional und expressiv. Auch Protest kann durch einen solchen Kommunikationsstil gekennzeichnet sein. Hier ist es gerade das Missverhältnis zwischen sinngemäßem Inhalt und emotionalen Ausdruck, das die Mitteilung für andere Personen zu einer Zumutung macht. Wobei die Zumutung weniger in der mitgeteilten Information liegt, sondern im implizit mitgeteilten psychischen Erleben.
Diese Implikationen können an dieser Stelle nur angedeutet werden. Es geht hier zunächst nur darum das Grundmuster der Kodifikation des Selbst zu skizzieren. Das wird sich weiter differenzieren, wenn man mit den angebotenen Unterscheidungen tatsächlich arbeitet und auf die entsprechenden re-entries der Beobachtungsschemata aufmerksam wird – in diesem Fall, dass defensive Imagebildung auch sehr offensiv und aufmerksamkeitsträchtig erfolgen kann.

[7] Damit soll weder das tatsächliche Vorkommen von Diskriminierung noch eine mit dem Geschlecht korrelierte Ungleichverteilung von Männern und Frauen auf Berufe und Führungspositionen bestritten werden. Trotzdem muss der Glaube, dass man mit einer einfachen Sprachregelung derartige Probleme aus der Welt schafft, als Teil des Problems statt als Teil der Lösung betrachtet werden. Denn mit der Änderung der Sprache sind noch längst nicht die Konflikte beseitigt. Vielmehr gären diese außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung weiter vor sich hin. Kommt es dann mal zu Patzern wie dem von Rainer Brüderle zeigt sich an den öffentlichen Reaktionen wie sexistisch viele Menschen trotzdem noch denken. Es verdeutlicht die Gefahr dieses Sonntagsreden-Syndroms. Durch öffentliche Beteuerungen, wie liberal und aufgeklärt man sei, wird das schlechte Gewissen beruhigt. Durch Lippenbekenntnisse ändert sich jedoch noch nichts an der Praxis. Sie zeigen nur, wie wenig man über die Mechanismen von Diskriminierung weiß.
Ähnliches darf wohl für die Diskriminierung von Migranten vermutet werden. Man könnte auch so fragen: glaubt irgendjemand, wenn man das Wort „Neger“ per Gesetz verbieten würde, dass das irgendeinen Nazi davon abhalten wird, es trotzdem weiter zu denken und unter seines gleichen auch zu benutzen? Vermutlich nicht. Sprachregelungen sind ein geeignetes Mittel die Probleme zu verdrängen anstatt sich mit ihnen auseinander zu setzen, um geeignete Lösungen zu finden. Eines der Nachteile ernsthafter Problemanalyse besteht nämlich darin zu sehen, welches Ausmaß die Probleme unter Umständen haben und was man bisher alles versäumt hat. Stattdessen täuschen offizielle Sprachregelungen unter Umständen ein Verstehen vor, dass es faktisch nicht gibt, denn die Faktizität alltäglicher Diskriminierung zeigt, dass nicht verstanden wurden. Und zumindest auf Seiten derer, die Zensur bevorzugen, wird auch nicht realisiert, dass nicht verstanden wurde. Wenn es hart auf hart kommt, hält man sich einfach die Ohren zu oder geht. Die Unfähigkeit liegt unter anderem daran, dass die eigene Unterscheidungspraxis ebenso diskriminierend ist, wie die ihrer Gegner. Würde man die eigene Wahrnehmung und Beobachtung hinterfragen, würde man ziemlich viele formale Ähnlichkeiten in den Beobachtungsgewohnheiten finden. Der einzige Unterschied besteht nur darin, dass Freund und Feind vertauscht sind. Im Vordergrund steht bei beiden Seiten die klare Unterscheidbarkeit von Freund und Feind. Diskriminierung durch Diskriminierung bekämpfen zu wollen, wird den bestehenden Konflikt allerdings nur perpetuieren, aber niemals lösen. In der Differenz Freund/Feind ist Feindschaft die dominante Seite und Freundschaft die rezessive. Reproduziert wird Feindschaft, nicht Freundschaft. Sie ist an Misstrauen gebunden und wird im Zweifelsfall auch auf die Freunde angewendet.
Nach Rasse und Geschlecht haben unterschieds-averse Personen inzwischen die nächsten Dimensionen wie Aussehen und Alter gefunden, in denen man skandalisierbare Unterschiede beobachten kann. Wo das hinführt kann man hier nachlesen. In letzter Konsequenz müssten Informationen abgeschafft werden, denn die multiplikative Eigenschaft von Informationen lässt sich nicht unterdrücken. Letztlich würde das bedeuten Kommunikation als solche abzuschaffen - die beste Möglichkeit seine Umwelt zum Verschwinden zu bringen.

[8] Genau das ist die Funktion des „Neusprech“ in George Orwells „1984“. Neusprech stellt als Zeichensystem den Versuch dar eine solche Eins-zu-Eins-Relation zwischen Denken und Sprechen in den Köpfen der Menschen zu installieren. Es gibt jeweils nur einen Signifikant der einem Signifikat zugeordnet ist. Es handelt sich um ein überdeterminiertes System, in dem jegliche Möglichkeit von Vergleich und Erkenntnis eliminiert wird. Aufgrund der multiplikativen Eigenschaft von Informationsstücken ist ein solches System praktisch jedoch unmöglich.

[9] Einer von Laings Patienten beschrieb sein Selbst-Erleben in einer schizoiden Phase als schwimmender Korken im Ozean  (vgl. 1976, S. 41). 


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