Donnerstag, 28. November 2013

Die Beobachtung der Beobachtung 3.1 – Funktionale Differenzierung



In den ersten beiden Teilen der Reihe „Die Beobachtung der Beobachtung“ wurde der Beobachtungsbegriff, wie er von Niklas Luhmann ab seinem ersten Hauptwerk „Soziale Systeme“ (1984) entwickelt wurde, weiter präzisiert. Ausgangspunkt war die Annahme, dass der Kommunikationsbegriff und der Beobachtungsbegriff [1] innerhalb von Luhmanns Systemtheorie stärker gegeneinander differenziert und integriert werden müssen, denn die theoretische Beziehung der beiden Begriffe zueinander war noch zu diffus. Diese Unklarheit ist allerdings nur ein Symptom und verweist auf die grundlegendere, theoretische Beziehung zwischen psychischen und sozialen Systemen. Frühere Ansätze unterschieden hier noch zwischen intrapersonaler und interpersonaler Kommunikation (vgl. Ruesch/Bateson 2012). Luhmann reservierte den Kommunikationsbegriff aber für die Operationen sozialer Systeme, also  für interpersonale Kommunikation. Somit können die Operationen psychischer Systeme nicht als Kommunikation bezeichnet werden. Um diese Kluft überbrücken zu können, entwickelte Luhmann den Begriff der Beobachtung [2]. Dieser schloss an die „Laws Of Form“ (1997) von George Spencer-Brown an. Spencer-Brown entwickelte die „Laws Of Form“ aus zwei Annahmen, die er als gegeben voraussetzt: die Idee der Bezeichnung und der Idee der Unterscheidung. Das, was Spencer-Brown als Form bezeichnet, ist die Einheit von Unterscheidung und Bezeichnung. Demnach, kann man nichts bezeichnen ohne eine Unterscheidung zu treffen. Deswegen beginnt Spencer-Brown die Entfaltung der „Laws Of Form“ mit der Anweisung: triff eine Unterscheidung! Jede Unterscheidung besteht allerdings aus zwei Seiten. Eine Bezeichnung muss sich von etwas unterscheiden. Das ist immer die andere Seite der Unterscheidung, die auch immer eine Bezeichnung ist. Operativ kann immer nur eine Seite der Unterscheidung realisiert werden. Trotzdem ist die andere Seite imaginär mit appräsentiert. Luhmann bezeichnet dann die Aktion eine Unterscheidung zu treffen, um etwas zu bezeichnen, als Beobachtungsoperation. Da man aber nicht zwei Bezeichnungen auf einmal realisieren kann, sondern nur nacheinander, ist Zeit notwendig, um die andere Seite der Unterscheidung zu bezeichnen. Unterscheidungen sind daher nichts Statisches. Sie können nur temporalisiert gedacht werden. Beobachten vollzieht sich als Oszillieren zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Die Beobachtung der Beobachtung – Exkurs über Massenmedien



Die Entstehung der Massenmedien ist möglicherweise nur das Ergebnis einer nachlaufenden technischen Entwicklung der Verbreitungsmedien, die den Anforderungen der modernen funktional differenzierten Gesellschaft noch nicht genügte. Das ändert sich nun mit den Möglichkeiten, die das Internet als technische Infrastruktur für Informationsverbreitung bietet. Aktuell geht man noch von der Annahme aus, dass die soziale Evolution der technischen Entwicklung hinterherrennt, so z. B. Dirk Baecker mit seiner next society (vgl. 2007). Das was er als nächste Gesellschaft beschreibt, wird hier als eine Beschreibung der modernen Gesellschaft interpretiert. Der Vorschlag lautet die umgekehrte Variante zu testen: die technische Entwicklung läuft der sozialen Entwicklung hinterher. Das Internet ist das Verbreitungsmedium der modernen Gesellschaft und verhilft ihr erst dazu ihre Möglichkeiten voll zu entfalten. Es bricht die Gatekeeperfunktion der etablierten Massenmedien und eröffnet den Kampf um die Deutungshoheit zwischen all jenen, die sich berufen fühlen Experte für ein bestimmtes Thema zu werden. Mit anderen Worten, das Internet hat den Kampf um Aufmerksamkeit erst richtig eröffnet.

Dienstag, 24. September 2013

Ein Jahr Beobachter der Moderne



Liebe Leserinnen & Leser,



heute möchte ich aus meiner üblichen Rolle fallen und statt in der distanzierten man-Schreibweise in eine subjektive Schreibweise wechseln. Der Anlass ist der erste Jahrestag dieses Blogs. Genau vor einem Jahr, am 24.09.2012, habe ich den ersten Text „Politik meets The Big Bang Theory oder Warum die Piratenpartei nicht politikfähig ist“ veröffentlicht. Was ich damals zum politischen System im Allgemeinen und zur Piratenpartei im Speziellen geschrieben habe, hat jetzt so kurz nach der Bundestagswahl nichts an Aktualität verloren. Hinsichtlich der Piratenpartei darf man gespannt sein, ob die zur nächsten Bundestagswahl überhaupt nochmal antritt. Doch zu einem freudigen Anlass, wie einem Jubiläum, ist Politik das falsche Thema, denn es regt nur unnötig auf. Deswegen gehe ich darauf an dieser Stelle nicht weiter ein.

Freitag, 21. Juni 2013

Die Beobachtung der Beobachtung 2 - Kommunikation und Image



 Das gemeinsame Band zwischen ‚uns‘ kann der andere sein.
Ronald D. Laing*



Im letzten Blog-Beitrag wurde ausgiebig Gorgonenbetrachtung betrieben. Gorgonenbetrachtung bezeichnet im Anschluss an Niklas Luhmann den Umgang mit Paradoxien (vgl. 1991). Zuletzt wurde herausgearbeitet, dass Paradoxien als nicht-eliminierbare Identitätsprobleme jeglicher Informationsgewinnung und –verarbeitung durch Beobachten zugrunde liegen. Der Grund dafür findet sich in der paradoxen Konstitution der Beobachtung als basaler Operation von sozialen und psychischen Systemen. Diese Operation ist das Beobachten im Sinne des Bezeichnens mit Hilfe einer Unterscheidung. Versucht man nun diese Operation selbst zu beobachten, also zu unterscheiden und zu bezeichnen, dann wird das weitere Beobachten blockiert. Genau das wurde im letzten Beitrag getan. Man trifft an diesem Punkt auf die Selbstreferenz der Unterscheidung als sachliche, soziale und zeitliche Paradoxie der Form. Einige der dabei auftretenden Probleme für die Informationsgewinnung und –verarbeitung beobachtender Systeme wurden aufgezeigt. Bei der Beobachtung der Beobachtung als Anwendung einer Unterscheidung auf sich selbst trifft man auf eine für die weitere Entwicklung bzw. Differenzierung eines Systems wichtige Bifurkation. Bei der Selbstreflektion kommt es entweder zum re-entry, des Wiedereintritts der Unterscheidung auf ihrer Innenseite. Das System kann auf diese Weise seinen eigenen blinden Fleck beobachten und Lernen. Durch Selektion und Restabilisierung gelingt es einem System sich selbst zu ändern.

Dienstag, 9. April 2013

Die Beobachtung der Beobachtung



Die letzten beiden Beiträge enthielten unter anderem die Beobachtung, dass sowohl die neueren soziologischen Systemtheorien als auch andere soziologische Theorien gegenwärtig des Öfteren durch einen Beobachtungsstil gekennzeichnet sind, den Niklas Luhmann als Gorgonenbetrachtung bezeichnete  (vgl. 1991, S. 58). Gorgonenbetrachtung bezeichnet den Umgang mit Paradoxien. Luhmann versuchte verschiedene Möglichkeiten mit Paradoxien umzugehen anhand der mythologischen Figuren der Gorgonen zu unterscheiden. Die Gorgonen sind die drei schrecklichen Schwestern, deren Häupter mit Haaren aus Schlangen besetzt sind. Jeder, der sie anblickt, wird zu Stein erstarren. Diese Erstarrung ist das Risiko, dem man sich aussetzt, wenn man versucht die Gorgonen zu betrachten. Und dieses Risiko besteht im übertragenen Sinne ebenso, wenn man versucht Paradoxien zu beobachten. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten mit diesem Risiko umzugehen. Jede der drei Schwestern steht für eine bestimmte Form mit diesem Risiko umzugehen.

Medusa, die einzige Sterbliche im Bunde der Drei, konnte durch Enthauptung getötet werden. Auf Paradoxien bezogen, bedeutet das, Paradoxien auszuschließen bzw. zu vermeiden. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien stand die Tradition der Logik, deren Bemühungen sich darauf konzentrierten Systeme von Aussagen widerspruchsfrei zu halten. Die Zweite im Bunde ist Stheno. Ihre Unsterblichkeit zeigt an, dass das Risiko der Erstarrung nicht zu eliminieren ist. So steht man lediglich vor der Wahl sich abzuwenden und der Erstarrung zu entgehen oder man schaut sie an und erstarrt. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien steht die Tradition der Theologie mit ihren Versuchen Gott zu beobachten. Wobei das Kunststück darin besteht, das Unbeobachtbare, das Transzendentale – nämlich Gott – zu beobachten, was allerdings dann doch wieder zu sehr ambitionierten Formen führte, dies zu tun. Auch die Beobachtungsgewohnheiten postmoderner Theorien haben sich darauf spezialisiert Paradoxien zu beobachten. Doch im Gegensatz zur Theologie beschränken sich diese Theorien darauf das Paradox offen zu legen und sich an ihrer hypnotischen Macht zu berauschen. In den Bann von Stheno gezogen, lässt man alle Hoffnung fahren. Die Schockstarre kann jedoch selbst wieder zu ungeheurer, infantiler Geschwätzigkeit führen. Die undifferenzierte Textproduktion der Postmodernen dient dann nur noch dem Versuch andere mit den eigenen Ängsten und Unsicherheiten anzustecken. Die dritte Schwester ist schließlich Euryale. Auch sie kann nicht getötet werden. Euryale steht jedoch für den Versuch trotz ihrer Existenz nicht zu erstarren. Statt sich auf die Beobachtung der Paradoxie zu konzentrieren, versucht man kreative Möglichkeiten zu finden die Paradoxie zu invisibilisieren. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien steht die Tradition der Rhetorik. Paradoxieentfaltung bedeutet dann Unterscheidungen anzusetzen um das scheinbar Sinnlose in eine sinnvolle Form zu überführen.

Im Umgang mit Paradoxien hat sich der Versuch sie auszuschließen als wenig fruchtbar erwiesen. Selbst nach der Enthauptung behält der Kopf der Medusa seine versteinernde Wirkung. Also muss man sich wohl oder übel mit der Aussichtlosigkeit der Tötungsversuche abfinden. Das Erstarrungsrisiko ist universell, denn das Problem der Paradoxien ist universell. Man kann sie nicht ausschließen, man kann lediglich versuchen mit ihnen umzugehen. So bleibt nur die Alternative zwischen Erstarrung oder Wegschauen, zwischen Paradoxiebetrachtung oder Paradoxieentfaltung, zwischen Sthenographie oder Euryalistik. Die Ursache für Sthenographie ist aber nicht zuerst in den betroffenen Theorien zu suchen. Mit diesem Problem ist die Gesellschaft als Beobachtungsobjekt selbst behaftet und gilt zuerst für Gesellschaft als Prozess. Versteht man unter Gesellschaft die Gesamtheit der stattfindenden Kommunikationen, bezieht sich das auf die einzelnen Ereignisse durch die sich die Gesellschaft als soziales System reproduziert. Kommunikation, und damit auch Gesellschaft, ist unabhängig von jeglicher funktionalen Spezialisierung paradox konstituiert, wenn man sie zugleich als ein sich selbst beobachtendes System begreift. Das Problem liegt dann bereits in der paradoxen Konstitution ihrer Operationen als Beobachtungen (vgl. Luhmann 1993).

Mit diesem Problem muss auch eine wissenschaftliche Disziplin umgehen, die sich der Erforschung sozialer Prozesse verschrieben hat – und das in doppelter Weise. Zum einen ist der Beobachtungsgegenstand Gesellschaft mit diesem Problem behaftet. Die Beobachtung der Gesellschaft kann zum anderen nur in der Gesellschaft stattfinden. Die Soziologie ist wiederum ein Teilsystem im funktionalen Subsystem der Wissenschaft der Gesellschaft und operiert damit in der Gesellschaft. Sie kann keinen archimedischen Punkt außerhalb der Gesellschaft einnehmen und sich wie ein externer Beobachter verhalten. Die soziologische Beobachtung der Gesellschaft ist nur in der Gesellschaft mit den Mitteln der Gesellschaft möglich (vgl. Luhmann 1997, S. 1128ff.). Die Soziologie ist daher auch selbst von diesem Problem betroffen, auch sie ist paradox konstituiert. Jeder Versuch sich trotzdem wie ein externer Beobachter zu verhalten, kommt dem Versuch gleich Medusa zu köpfen.

Das universelle Problem der paradoxen Konstitution der Gesellschaft muss damit also auch bei soziologischer Theoriebildung beachtet werden. Doch wenn man sich die aktuellen Theorieangebote anschaut, fällt bei einem Großteil die fehlende Sensibilität für dieses Problem auf. Statt sich an kreativer Paradoxieentfaltung zu versuchen, beschränkt man sich bei der Theoriebildung darauf soziale Probleme auf tautologische oder paradoxe Formulierungen zu zuspitzen ohne jedoch den Versuch zu unternehmen sich wieder aus der selbstgestellten Falle zu befreien [1]. Das Problem ist also weniger Gorgonenbetrachtung an sich, sondern die Sthenographie, welche es bei der Problemkonstruktion belässt. Die häufig konstatierte Krisenhaftigkeit der modernen Gesellschaft erscheint unter diesem Aspekt zunächst nur als Krise der Selbstbeschreibungsformen der Gesellschaft. Die Krise resultiert nicht aus wie immer gearteten widersprüchlichen Entwicklungsprinzipien der Gesellschaft, sondern ist zunächst ein Symptom, dass immer dann auftritt, wenn man sich bei der Gesellschaftsbeschreibung für Sthenographie oder gar das Köpfen der Medusa entscheidet. Das Risiko der Erstarrung liegt mit anderen Worten in den Funktionsbedingungen von Kommunikation selbst, ebenso wie die Chance der kreativen Paradoxieentfaltung. Konzentriert man sich aber nur auf den Aspekt der Krise, kann sie auch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Einer der Wenigen, der den Versuch Euryalistik zu betreiben – im vollen Bewusstsein des Problems -, trotzdem gewagt hat, war Niklas Luhmann. Er entwickelte seine Systemtheorie der Gesellschaft unter Berücksichtigung des Problems, dass die wissenschaftliche Beobachtung der Gesellschaft nur in der Gesellschaft stattfinden kann und niemals außerhalb. Deswegen schlug er als eine Möglichkeit soziologischer Paradoxieentfaltung eine reflektierte Autologie vor (vgl. Luhmann 1997, S. 1128 – 1142), die sich dem Problem der Gesellschaftsbeschreibung in der Gesellschaft stellt. Die Lösung besteht darin einen Begriff der Beobachtung zu entwickeln, der nicht bloß als vage Analogie zur menschlichen Wahrnehmung verstanden werden kann, sondern eine Beschreibung ermöglicht, wie soziale Systeme mit dem Problem ihrer paradoxen Konstituierung umgehen und trotzdem Informationen produzieren und weiterverarbeiten können.

Im Folgenden soll es deswegen darum gehen die Grundzüge der systemtheoretischen Beobachtungstheorie nach zu zeichnen. Es wird aber nicht allein bei einer reinen Darstellung von Luhmanns Beobachtungstheorie bleiben. Die Darstellung ist von der Grundannahme geprägt, dass es im Anbetracht der weiteren Theorieentwicklungen nach dem Tode Luhmanns noch zu viele Unklarheiten hinsichtlich der einzelnen Teile der Systemtheorie und ihrer Beziehungen zueinander gibt. Luhmanns Systemtheorie ist, anders ausgedrückt, in sich selbst noch nicht ausreichend differenziert, um noch das zu leisten, was sie verspricht. Dies trifft auch auf die Beziehung zwischen Kommunikationstheorie und Beobachtungstheorie zu. Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, für den hier verfolgten Zweck die Kommunikationstheorie stärker gegen die Beobachtungstheorie zu differenzieren. Dabei wird der von Luhmann vorgegebenen Richtung gefolgt. So wird im Folgenden der Versuch unternommen Gregory Batesons Informationsbegriff, George Spencer-Browns Kalkül der Form und Niklas Luhmanns Systemtheorie stärker ineinander zu integrieren als es Luhmann getan hat. Das Ergebnis wird eine soziologische Informationstheorie sein, mit der sich Identitäten, welche durch Unterscheidungsgebrauch konstruiert wurden, rekonstruieren lassen. Dies war bereits das erklärte Ziel Luhmanns. Was dabei herausgeschält wird, ist aber nicht nur eine soziologische Informationstheorie, sondern zugleich der Versuch dem Erfordernis einer reflektierten Autologie gerecht zu werden, denn es wird der Versuch unternommen Informationen darüber zu gewinnen, wie Informationen gewonnen werden können.

Sonntag, 10. März 2013

Doppelte Kontingenz und die Schematismen der Interaktion


Im letzten Beitrag wurden einige Auswüchse der ersten und zweiten Generation neuerer soziologischer Systemtheorien nach dem Tode Niklas Luhmanns kritisiert. Die aufgezeigten Probleme beschränken sich aber nicht allein auf die neueren Systemtheorien sondern scheinen vielmehr Symptome zu sein, von denen die deutsche Soziologie als Gesamtdisziplin betroffen zu sein scheint. Das damit verbundene Unbehagen artikuliert sich in letzter Zeit auch vermehrt im Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Trotz unterschiedlicher theoretischer Perspektiven kommen die verschiedenen Autorinnen und Autoren zu ähnlichen Diagnosen hinsichtlich des Zustands der Disziplin. Ganz allgemein formuliert, besteht das Problem darin, dass die Komplexität der modernen Gesellschaft nach wie vor die etablierten Selbstbeschreibungssemantiken der Gesellschaft vor scheinbar unüberwindbare Herausforderungen stellen. Bisher sticht in der gesamtgesellschaftlichen als auch der soziologischen Wahrnehmung vorwiegend die Krisenhaftigkeit der Moderne hervor. Die Frage ist allerdings, handelt es sich tatsächlich um das Charakteristikum der modernen Gesellschaft oder nur um eine Krise ihrer Selbstbeschreibungsformate? So wird zwar das Fehlen eines gesellschaftsweit gültigen Narrativs beklagt, dass noch für alle Menschen eine Orientierung bieten könnte und einige wissenschaftliche Beobachter haben die Bemühungen um ein wissenschaftliches Beschreibungsangebot bereits aufgegeben – Stichwort Postmoderne. Doch betonen nicht gerade die Klagen die Notwendigkeit einer solchen modernen Beschreibung der modernen Gesellschaft? Der Versuch dies zu leisten, gestaltet sich allerdings immer mehr wie die Quadratur des Kreises. Doch möglicherweise besteht genau darin das Kunststück.

Mittwoch, 13. Februar 2013

Das Unbehagen an der Systemtheorie



Diesem Blog dient unter anderem die soziologische Systemtheorie Niklas Luhmanns als Grundlage für die hier vorgestellten Gedanken. Bereits mit dem Namen „Beobachter der Moderne“ wird Niklas Luhmann die Reverenz erwiesen. Seine Theorie der Gesellschaft erregt bis heute vor allem dadurch Aufsehen, dass sie Menschen nicht mehr als Teile der Gesellschaft betrachtet wie dies klassische soziologische Theorien getan haben und viele soziologische Ansätze bis heute tun. Der Grund für diese Theorieentscheidung ist die Annahme, dass soziale Systeme operativ geschlossen sind. Das bedeutet die jeweiligen Operationen eines sozialen Systems schließen rekursiv an die eigenen Operationen an. Dass dies nicht nur eine theoretische Annahme ist, sondern auch eine empirische Tatsache lässt sich schon allein dadurch einsichtig machen, dass auch psychische Systeme operativ geschlossen sind. Gedanken schließen immer nur an Gedanken an. Sie schließen operativ immer an die eigenen Gedanken an und niemals an fremde Gedanken. Und genauso wie Operationen eines psychischen Systems niemals in die Operationen eines anderen psychischen Systems eingreifen können, so können auch die Operationen eines sozialen Systems niemals in die Operationen eines psychischen Systems eingreifen. Wenn man die Gesellschaft als ein soziales System beschreibt, dessen Operationen sich von denen psychischer Systeme unterscheiden, dann können mit Psychen ausgestattete Menschen nicht Teile der Gesellschaft sein, sondern sie müssen zur Umwelt der Gesellschaft gehören.

Dienstag, 8. Januar 2013

Vorüberlegungen zu einer systemtheoretischen Image-Theorie am Beispiel des Amokläufers



Der letzte Blog-Beitrag, der sich der Analyse des sogenannten Trollens widmete, wurde am 6. Dezember 2012 veröffentlicht. Acht Tage später bekam eine Passage des Textes „Kontingenz, Kritik und das Internet“ unerwarteterweise eine traurige Aktualität: 

„Es kann zwar vermutet werden, dass es sich bei den meisten Trollen um Personen handelt, die sich aufgrund ihrer strengen moralischen, politischen oder religiösen Ansichten mehr oder weniger selbst isoliert haben. Trotzdem sollte man sich darüber im Klaren sein, was es bedeutet, wenn eine Person mit einer derartig hohen Aufladung an negativen Emotionen wieder in die Lebenswelt anderer Menschen einbricht. Durch das Mobbing via Internet kann man eine vage Ahnung davon bekommen. Das Spektrum reicht wahrscheinlich von Mobbing über Stalking bis tätlichen Angriffen, Terror und im schlimmsten Fall Amokläufen.“ 

Die Rede ist vom Amoklauf des zwanzigjährigen Adam Lanza in der Stadt Newton im US-Bundesstaat Connecticut am 14. Dezember 2012. Über die Motive von Adam Lanza rätselt man bis heute.

Die im Troll-Text implizit enthaltene These lautete, dass es sich bei Amokläufen ebenso wie beim Trollen um eine Folgeerscheinung von sozialen Exklusionsprozessen handelt. Ausgehend von einer interaktionstheoretischen Perspektive wurde versucht das Muster sozialer Prozesse zu beschreiben, die Menschen dazu treibt Situationen mit face-to-face-Kontakten zu meiden, welche psychologischen Folgen diese sozialen Exklusionsprozesse auf die betroffenen Menschen haben und wie sich diese psychologischen Folgen wieder in Kommunikationsprozessen bemerkbar machen. Amokläufe sind die extremste Form in der sich soziale Entfremdung ausdrückt. Um solche tragischen Ereignisse künftig verhindern zu können, gilt es die Ursachen dafür zu identifizieren. Erklärungsangebote gibt es einige. So wurden wenig überraschend wieder die Ego-Shooter für solche Taten verantwortlich gemacht. Ebenso erwartbar wurde auch die laxe Waffengesetzgebung der USA genannt. Aber es gab auch einen neuen Erklärungsansatz der in der fehlenden Krankversicherungspflicht die Ursache für Amokläufe sieht, weil auf diese Weise vielen US-amerikanischen Staatsbürgern die Möglichkeit genommen wird benötigte psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.