Donnerstag, 5. Mai 2016

Die Regeln der Form


Es ist immer einfach, das Unbekannte zu erklären, indem man das Walten einer übermenschlichen und eigenmächtigen Kraft postuliert. Das ist ein sehr menschliches Phänomen.
Isaac Asimov

Das Problem liegt nie sosehr darin, einen Schlüssel oder zwei oder drei oder n Schlüssel zu finden, sondern eine Sprache zu sprechen, welche der Joker Rechnung trägt.
Michel Serres


Es lässt sich heute eine weit verbreitete Faszination an Paradoxien aller Art beobachten. Das gilt nicht nur für systemtheoretische und postmoderne Ansätze, sondern gesamtgesellschaftlich – unabhängig davon ob sich diese Faszination aus einer Vorliebe oder aus der Ablehnung paradoxer Formulierungen ergibt. Das liegt möglicherweise daran, dass sich aus dem Umgang mit Paradoxien sehr viel über Kommunikation und damit unter anderem auch über die Funktionsweise der Gesellschaft erfahren lässt. Im Zuge dieser Beschäftigung mit Paradoxien kam es jedoch zu einer Distanzierung, Ironisierung, Relativierung und Dekonstruktion sehr vieler sinnhafter Orientierungspunkte in Form von sozial geteilten Semantiken. Egal wie es geschieht, in jedem Fall wurde den kritisierten Semantiken ihre soziale Funktion abgesprochen. Stattdessen hält man nun die Paradoxie selbst für den neuen Orientierungspunkt. Damit wurde allerdings semantischer Beliebigkeit und Willkür der Weg bereitet, was die sozialen Verstehens- und Verständigungschancen minimiert und das Konfliktpotential ebenso stark erhöht hat. 

Man kann diese Faszination an Paradoxien aber auch als ein Interesse an Negativität interpretieren. Dann kann man vermuten, dass dieses Interesse möglicherweise ein gewisses Bedürfnis nach Transzendenz befriedigt. In vormodernen Zeiten konnten sich für dieses Thema noch die Religionen zuständig erklären und gleichsam ein Diskursmonopol beanspruchen. In der entzauberten Welt der Moderne füllt die Psychologie die entstandene Lücke mehr schlecht als recht aus. Statt dabei zu helfen, die innere Widersprüche zu lösen, belässt sie es häufig bei der Pflege dieser Widersprüche. Hauptsache man ist wieder genussfähig, wenn man schon nicht funktioniert. Funktionieren dürfen die Anderen. Die postmoderne Bewegung konnte nach der wissenschaftlichen Entzauberung der Welt nur noch einen allgemeinen Sinnverlust beklagen. Wobei man den Verdacht nicht los wird, dass lediglich der Verlust der eigenen Illusionen beklagt wird. Die Lösung sieht die Postmoderne in der Flucht in die Subjektivität. Widerspruchsfreiheit lässt sich aus der postmodernen Perspektive offenbar nur noch durch die narzisstische Besetzung der Welt erreichen, um das Leiden an ihr zu lindern. Die Kontingenz anderer Perspektiven dient nur zur zweifelhaften Begründung, sich nicht mehr mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Umso radikaler werden dann andere Perspektiven abgelehnt, obwohl man sich zugleich nach Diversität sehnt. Das sorgt für einige Unruhe.

Der naive Umgang mit Paradoxien ist heute sehr weit verbreitet und hat sich zu einer Art sozialen und psychischen Reflexions- und Entwicklungsblockade entwickelt. Diese geistige Verwahrlosung führt derzeit zur Verhärtung der Frontlinien. Die Sozial- und Geisteswissenschaften haben, indem sie sich für politische Zwecke einspannen ließen, auch ihren Teil dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte. Speziell deren Beitrag lässt sich zum großen Teil durch das Fehlen einer Theorie über Negativität erklären. Das politische Engagement ist nur eine Verlegenheitslösung, um mit diesem Defizit umzugehen. Es gibt viele Vermutungen, Hoffnungen und Befürchtungen über Negativität. Aber eine ausgearbeitete Theorie steht nicht zur Verfügung. Selbst den für Paradoxien sensibilisierten Systemtheoretikern ist das nicht gelungen. Bisher fehlte auch ihnen jegliches Problembewusstsein. 

Vor diesem Hintergrund erscheint es umso notwendiger dem Thema Negativität mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Der folgende Text ist eigentlich ein Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit George Spencer-Browns »Gesetze der Form« (1999 [1969]). Der Fokus liegt aufgrund der geschilderten Probleme auf der Funktion von Negationen und Negativität für Beobachtungs- bzw. für Erkenntnisprozesse. Negationen und Negativität sind erst an zweiter Stelle ein kommunikationstheoretisches Problem. Zu aller erst sind sie kognitionswissenschaftliche und erkenntnistheoretische Probleme. Auf derselben Ebene ist die im Folgenden vorzustellende Beobachtungstheorie angesiedelt. Der Ausgangspunkt ist die Frage: für welches Problem kann Unterscheiden als Lösung betrachtet werden? Diese Frage wurde trotz des funktionalistischen Ansatzes in der neueren soziologischen Systemtheorie bis heute nicht gestellt. Dieser Text konzentriert sich auf die Beantwortung dieser Frage. 

Als Erstes wird die Quintessenz des Textes vorgestellt, welche ich als die »Regeln der Form« bezeichne. Spencer-Browns »Gesetze der Form« sind keine strenge Theorie über Negativität. Sie erlauben es aber mit Negativität zu kalkulieren. Etwas Ähnliches versuche ich mit den »Regeln der Form«  allerdings ohne einen neuen Kalkül zu präsentieren. Es geht nicht darum Spencer-Browns Kalkül zu ersetzten. Es soll lediglich ein anderer Blick auf das Problem der Negativität geworfen werden. Auch bei den »Regeln der Form« handelt es sich nicht um eine Theorie über die Funktion von Negativität, sondern um Anweisungen für den Umgang mit Negativität bzw. mit Nichts. Die Theorie, die diesen Regeln zu Grunde liegt, wird in den nachfolgenden Erläuterungen vorgestellt. 

Negativität wird darin als Unterschiedslosigkeit begriffen. Ohne Unterschiede, die Unterschiede machen, kann es weder Informationen noch Sinn geben. Die Lösung für das Problem der Unterschiedslosigkeit ist dementsprechend Unterscheiden. Es kann aber nicht nur darum gehen, dass unterschieden wird, sondern wie unterschieden wird. Anhand des Umgangs mit Unterschiedslosigkeit werden drei Beobachtungsweisen voneinander unterschieden. Im Zuge dessen wird außerdem gezeigt, dass der Umgang mit Unterschiedslosigkeit eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von komplexen Beobachtungsformen spielt. Der strikt an der Beobachtung von Veränderungen und Entwicklungen orientierte Ansatz erlaubt es am Schluss eine evolutionäre Beobachtungstheorie anzudeuten.

Mittwoch, 19. August 2015

Über Amok und Terror



Jetzt erleben wir diese neue Phase des alten Kampfes, der nicht mehr Kampf der heute vom Leben gefüllten Form gegen die alte, leblos gewordene ist, sondern den Kampf des Lebens gegen die Form überhaupt, gegen das Prinzip der Form.
Georg Simmel*
           

Sterben ist nichts Besonderes. Das Knifflige ist das Leben.
Red Smith


Das Jahr 2015 ist noch längst nicht vorbei, aber bereits jetzt kann man wohl ohne zu übertreiben sagen, dass dieses Jahr unter den Zeichen von Amok und Terror steht. Man denke nur an den blutigen Überfall auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« am 7. Januar 2015. Am 24. März 2015 wurde die Germanwings-Maschine 4U9525 durch den Copiloten in voller Absicht zum Absturz gebracht und kostete weitere 149 Menschen das Leben. Am 17. Juni 2015 wurden neun Mitglieder einer schwarzen Kirchengemeinde in Charleston von einem 21jährigen Weißen erschossen. Als Motiv gab er Rassismus an. Am 26. Juni 2015 ereigneten sich an einem Tag Anschläge in Frankreich, Tunesien und Kuweit mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund. Rätsel gibt speziell der Fall von Saint-Quentin-Fallavier nahe Lyon auf, da die Tat viele Merkmale islamistischer Anschläge trägt und der Täter sich zunächst auf den Islam berief, später aber diese Angabe wieder revidierte. Es steht zu befürchten, dass sich zum Jahresende noch weitere Ereignisse dieser Art aufzählen lassen. Betrachtet man darüber hinaus ähnliche Ereignisse, wie die islamistische Anschlagsserie in Midi-Pyrénées im Jahr 2012 so scheint es immer schwieriger zu werden Terroranschläge und Amoktaten voneinander zu unterscheiden. Die Vorbereitung und die Ausführungsmodi werden ähnlicher und man kann nicht genau sagen, ob es sich bei Amokläufen um privatistischen Terror einzelner Personen und bei Selbstmordanschlägen um ideologisch verbrämte Amokläufe handelt.

Die Grenzen scheinen zu verschwimmen. Die bekannten Kategorien zur Beobachtung solcher Phänomene erlauben anscheinend keine eindeutige Bestimmung mehr. Auf der Grundlage dieses Eindrucks wird nun von einigen Beobachtern die Vermutung geäußert, dass es keinen Unterschied mehr zwischen Amok und Terror gibt. Einzeltäter, wie Amokläufer und Terroristen, werden als »Hybride« (Kron/Heinke 2011, S. 284) bezeichnet, um auf das Versagen der bekannten Kategorien aufmerksam zu machen. Sofern man nicht über die reine Deskription hinausgeht, ist dieser Eindruck durchaus nachvollziehbar. Bedeutet das aber schon, dass diese beiden Kategorien ihren Zweck verloren haben? Funktionieren sie wirklich nicht mehr zur Beobachtung der sozialen Wirklichkeit? Aus einer solchen Schlussfolgerung würden sich zwei Konsequenzen ergeben. Man kann dann entweder behaupten, es gäbe weder Amok noch Terror oder es gäbe sowohl Amok als auch Terror. Aber was wäre mit diesen Lösungen gewonnen?

Diese Frage wird umso dringlicher, wenn nicht ersichtlich ist, welche Kategorien an ihre Stelle treten sollen. Die Rede von »Hybriden« scheint lediglich eine Verlegenheitslösung zu sein, die sich mit einem Missstand abgefunden hat. Sie weist lediglich darauf hin, dass sich bestimmte Unterscheidungen offenbar nicht mehr dazu eignen, einen Unterschied zu markieren, der einen Unterschied macht. Gelöst wird dieses Problem durch die Rede von »Hybriden« jedoch nicht. Vielmehr werden unter diesem Begriff die verschwimmenden Kategorien zusammengezogen ohne dass dadurch das Gemeinsame im Verschiedenen bezeichnet wird. Das Gemeinsame scheint sich im Verschiedenen zu erschöpfen. Mit der Rede von »Hybriden« ist keine Abstraktions- bzw. Generalisierungsleistung verbunden, ein Erkenntnisgewinn nicht ersichtlich. Sie scheint stattdessen erst das herbeizuführen, von dem angenommen wird, das es ein Merkmal der sozialen Wirklichkeit ist. 

Daher ist der Eindruck, dass vormals distinkte Kategorien zu verschwimmen scheinen, noch längst kein Hinweis auf neue Qualitäten der beobachteten Phänomene, sondern lediglich ein Hinweis auf die Schwachstelle der beobachtenden Theorie, die nicht mehr in der Lage ist die Komplexität der beobachteten Phänomene angemessen begrifflich zu erfassen. Vielleicht müssen gar keine neuen Kategorien erfunden, sondern die alten einfach nur sorgfältiger ausgearbeitet werden? Zu einfach gestrickte Kategorien werden sehr schnell durch den Gegenstand, den sie bezeichnen sollen, ad absurdum geführt. Diesem Problem kann man nur Herr werden, wenn man die Beobachtungsmittel anpasst. Sei es durch Differenzierung der Bezeichnung zu einer Beschreibung, sei es durch das Oszillieren zwischen zwei Begriffen (vgl. Luhmann 1992, S. 124), um beide in Abhängigkeit voneinander in einer konditionierten Koproduktion (vgl. Spencer Brown 1997 [1969], S. IXf.) zu differenzieren. Letzteres soll im Folgenden versucht werden. Hier wird der große Vorteil der soziologischen Systemtheorie zum Tragen kommen, nämlich dass man die Phänomene mit einer komplexen Erwartungshaltung konfrontieren und die interessierenden Phänomene methodisch kontrolliert de- und rekonstruieren kann.

Samstag, 23. August 2014

Die Beobachtung der Beobachtung 3.3 – Wissen in der modernen Gesellschaft

Im vorletzten Beitrag wurde Niklas Luhmanns Theorie funktionaler Differenzierung kommunikationstheoretisch rekonstruiert. Diese Rekonstruktion bildete den theoretischen Hintergrund, vor dem im letzten Beitrag die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung behandelt wurde. Diese Probleme wurden am Beispiel poststrukturalistischer und postmoderner Theorien im Anschluss an Michel Foucault verdeutlicht. Es muss allerdings betont werden, dass es nicht nur speziell um die Diskusanalyse von Foucault geht. Wenn von postmoderner Theorie die Rede ist, wird damit ein Theoriekomplex bezeichnet, der sich durch die im letzten und diesem Text dargestellte Form der Beobachtung bzw. Aufmerksamkeitsfokussierung auszeichnet. Es zählt die Form der Beobachtung und nicht die Selbstbeschreibung. Deswegen wird zum Beispiel auch die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour dazu gezählt. Obwohl sich Latour selbst nicht als postmodern beschreibt, entspricht seine Theorie genau der Beobachtungsweise, die hier als postmodern beschrieben wird. Mithin betrifft dies viele Ansätze mit macht- oder wissenskritischen Ansprüchen. Obgleich sich diese Ansätze nicht durchgängig als Sozialwissenschaften verstehen, werden damit aber Aussagen über den Phänomenbereich gemacht, für den üblicherweise die Sozialwissenschaften zuständig sind. Der letzte Text konzentrierte sich vor allem auf die Implikationen des diskursanalytischen Machtbegriffs. Als Ergebnisse der Untersuchung konnte unter anderem festgehalten werden, dass postmoderne Theorien keine wissenschaftlichen, sondern politische Zwecke verfolgen, dadurch systematisch eine wissenschaftliche Arbeit hintertreiben und schließlich, dass sie lediglich ein Mittel sind die persönliche Inferiorität zu bestätigen und ihr Ausdruck zu verleihen. Es geht nur darum eine Differenz im Erleben im Vergleich zu anderen Personen zu betonen. Poststrukturalistische und postmoderne Ansätze sind außerdem mit so vielen begrifflichen Verwechslungen durchsetzt, dass sie als schizogene Semantik betrachtet werden müssen. Wer seine Aufmerksamkeitsfokussierung daran orientiert, wird früher oder später mit erheblichen Störungen des eigenen Erlebens und Handelns kämpfen müssen. 

Auch dieser Beitrag wird sich mit den Problemen postmoderner Theorien beschäftigen. Eine grundlegende Annahme postmoderner Theoriebildung im Anschluss an Foucault besteht in der Prämisse „Wissen ist Macht“. Um einen Teil dieser Prämisse drehte sich bereits der letzte Beitrag. In diesem Beitrag wird es nun um die postmoderne Theorie des Wissens im Anschluss an Jean-François Lyotard gehen. Sie wird einer Art Revision unterzogen, um eine Theorie des Wissens in der modernen Gesellschaft zu entwickeln. Dafür wird es notwendig sein von der Theorie funktionaler Differenzierung zur allgemeinen Theorie sozialer Systeme zu wechseln, denn Wissen ist ein so allgemeines Erfordernis für die Koordination des menschlichen Erlebens und Handelns, dass es nicht auf einzelne Funktionssysteme, wie die Wissenschaft, begrenzt ist.

Schon der letzte Text verfolgte das allgemeinere Ziel, die Funktionsweise der Negation für die Sinnkonstitution zu erkunden. Dieses Ziel wird auch mit diesem Text weiterverfolgt. Die postmoderne Theorie des Wissens bietet hierfür einen guten Untersuchungsgegenstand, weil sie, das ist die These dieses Textes, das Problem des Sinnverlustes durch die Art der Theoriebildung erst selbst erzeugt und keine Lösungen dafür anbieten kann. Der Fokus postmoderner Beobachtungen liegt auf der Problembetrachtung. Diese Art der Beobachtung wird auch als Sthenographie bezeichnet. Dadurch wird die postmoderne Theorie Teil des Problems, das sie beschreibt. Der Grund dafür liegt in der Überbetonung der Performativität der Kommunikation. Methodisch wird nur noch der Form der Mitteilung, aber nicht mehr den mitgeteilten Informationen Aufmerksamkeit geschenkt, um die Frage zu klären, wie erfolgreiche Kommunikation funktioniert. Dieses Problem wird von Lyotard und anderen als Legitimationsproblem behandelt. Die Überbetonung der Performanz führt allerdings zu einer Fehleinschätzung der sozialen Funktion der Kritik, die sich in Lyotards Fassung nur in radikaler Negation erschöpft. Ziel der Kritik soll eigentlich die Veränderung der Gesellschaft sein. Postmoderne Kritik führt jedoch in letzter Konsequenz zur Zerstörung des Wissens und zum Sinnverlust. Eine Veränderung der Gesellschaft wird in dieser Perspektive zu einer Unmöglichkeit.

Dem gegenüber soll hier eine Theorie über die Funktion des Wissens in der modernen Gesellschaft entwickelt werden. Wissen wird hier nicht nur als beständig mitlaufende, wechselseitige Erwartung der Kommunikationspartner behandelt (vgl. Luhmann 1990, S. 122), sondern darüber hinausgehend als ein Ergebnis von Differenzierungsprozessen. Das soll heißen, der Prozesscharakter der Gesellschaft rückt im Folgenden stärker in den Mittelpunkt. Gerade im Vergleich zu postmodernen Theorien des Wissens wird sich zeigen, dass Wissen nicht mit dem Kommunikationsmedium Macht gleichgesetzt werden kann, sondern dass Wissen in die Lage versetzt Veränderungen anzuregen – egal ob in Bezug auf soziale Systeme, psychische Systeme oder deren Umwelten. Nur durch Wissen ergibt sich überhaupt die Möglichkeit etwas verändern zu können. Solche Möglichkeiten werden durch die Art postmoderner Aufmerksamkeitsfokussierung systematisch verhindert. Im Zuge der Untersuchung wird nicht nur ein Gegenentwurf zum postmodernen Wissen entwickelt, sondern auch einige Beobachtungen des vorherigen Beitrags aus einer anderen Perspektive nochmals bestätigt.

Samstag, 8. März 2014

Die Beobachtung der Beobachtung 3.2 – Die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung



Der letzte Text schloß mit der Annahme, dass man für die Unterscheidung verschiedener Kommunikationsformen seine Aufmerksamkeit auf die Form der Codierung der Kommunikationsangebote richten muss. Man wird, mit anderen Worten, auf die Sozialdimension des Sinns verwiesen und damit auf Kommunikationstheorie inklusive der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. Es kann, mit anderen Worten, nicht nur um die Feststellung gehen, dass kommuniziert wird, sondern um die Frage, wie kommuniziert wird. Systemtheoretische Arbeiten der letzten Jahre haben sich zu wenig mit der Frage beschäftigt, wie kommuniziert wird, und sich lediglich mit der Feststellung begnügt, dass Kommunikation kommuniziert. Die systemtheoretische Aufmerksamkeit hat sich auf die bloße Verifikation dieser Tautologie fixiert, ohne dass es gelungen ist diese Tautologie zu paradoxieren und zu entfalten. Die Konzentration lag zu stark auf der Sachdimension des Sinns. Es ging lediglich darum den systemtheoretischen Gesellschaftsbegriff über Luhmann hinausgehend präziser zu bestimmen. Damit wurde allerdings ein Großteil des analytischen Potentials des durch Luhmann zur Verfügung gestellten Begriffsapparates verschenkt, denn man hat sich nur mit der Theorie aber kaum mit der Gesellschaft beschäftigt. Diese Theorieentscheidung führte zur Aufgabe des Theorems funktionaler Differenzierung (vgl. Karafillidis 2009, Baecker 2013), was aus der hier angelegten Perspektive weniger als Weiterentwicklung, sondern eher als Rückbau von Luhmanns Gesellschaftstheorie erscheint. Man hat sich lediglich damit begnügt die paradoxe Konstitution von Kommunikation offenzulegen, was hier im Anschluss an Luhmann als Sthenographie (vgl. 1991) bezeichnet wird, ohne sich dafür zu interessieren, welche Formen der Entparadoxierung die Gesellschaft für die einzelnen sozialen Probleme gefunden hat, die im letzten Text rekonstruiert wurden. Mit anderen Worten, die systemtheoretischen Ansätze nach Luhmann haben sich lediglich darauf kapriziert die Selbstreferenz der Kommunikation zu beobachten und blieben dadurch selbst eigentümlich selbstreferentiell in ihrer Beobachtungsweise.

Donnerstag, 28. November 2013

Die Beobachtung der Beobachtung 3.1 – Funktionale Differenzierung



In den ersten beiden Teilen der Reihe „Die Beobachtung der Beobachtung“ wurde der Beobachtungsbegriff, wie er von Niklas Luhmann ab seinem ersten Hauptwerk „Soziale Systeme“ (1984) entwickelt wurde, weiter präzisiert. Ausgangspunkt war die Annahme, dass der Kommunikationsbegriff und der Beobachtungsbegriff [1] innerhalb von Luhmanns Systemtheorie stärker gegeneinander differenziert und integriert werden müssen, denn die theoretische Beziehung der beiden Begriffe zueinander war noch zu diffus. Diese Unklarheit ist allerdings nur ein Symptom und verweist auf die grundlegendere, theoretische Beziehung zwischen psychischen und sozialen Systemen. Frühere Ansätze unterschieden hier noch zwischen intrapersonaler und interpersonaler Kommunikation (vgl. Ruesch/Bateson 2012). Luhmann reservierte den Kommunikationsbegriff aber für die Operationen sozialer Systeme, also  für interpersonale Kommunikation. Somit können die Operationen psychischer Systeme nicht als Kommunikation bezeichnet werden. Um diese Kluft überbrücken zu können, entwickelte Luhmann den Begriff der Beobachtung [2]. Dieser schloss an die „Laws Of Form“ (1997) von George Spencer-Brown an. Spencer-Brown entwickelte die „Laws Of Form“ aus zwei Annahmen, die er als gegeben voraussetzt: die Idee der Bezeichnung und der Idee der Unterscheidung. Das, was Spencer-Brown als Form bezeichnet, ist die Einheit von Unterscheidung und Bezeichnung. Demnach, kann man nichts bezeichnen ohne eine Unterscheidung zu treffen. Deswegen beginnt Spencer-Brown die Entfaltung der „Laws Of Form“ mit der Anweisung: triff eine Unterscheidung! Jede Unterscheidung besteht allerdings aus zwei Seiten. Eine Bezeichnung muss sich von etwas unterscheiden. Das ist immer die andere Seite der Unterscheidung, die auch immer eine Bezeichnung ist. Operativ kann immer nur eine Seite der Unterscheidung realisiert werden. Trotzdem ist die andere Seite imaginär mit appräsentiert. Luhmann bezeichnet dann die Aktion eine Unterscheidung zu treffen, um etwas zu bezeichnen, als Beobachtungsoperation. Da man aber nicht zwei Bezeichnungen auf einmal realisieren kann, sondern nur nacheinander, ist Zeit notwendig, um die andere Seite der Unterscheidung zu bezeichnen. Unterscheidungen sind daher nichts Statisches. Sie können nur temporalisiert gedacht werden. Beobachten vollzieht sich als Oszillieren zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Die Beobachtung der Beobachtung – Exkurs über Massenmedien



Die Entstehung der Massenmedien ist möglicherweise nur das Ergebnis einer nachlaufenden technischen Entwicklung der Verbreitungsmedien, die den Anforderungen der modernen funktional differenzierten Gesellschaft noch nicht genügte. Das ändert sich nun mit den Möglichkeiten, die das Internet als technische Infrastruktur für Informationsverbreitung bietet. Aktuell geht man noch von der Annahme aus, dass die soziale Evolution der technischen Entwicklung hinterherrennt, so z. B. Dirk Baecker mit seiner next society (vgl. 2007). Das was er als nächste Gesellschaft beschreibt, wird hier als eine Beschreibung der modernen Gesellschaft interpretiert. Der Vorschlag lautet die umgekehrte Variante zu testen: die technische Entwicklung läuft der sozialen Entwicklung hinterher. Das Internet ist das Verbreitungsmedium der modernen Gesellschaft und verhilft ihr erst dazu ihre Möglichkeiten voll zu entfalten. Es bricht die Gatekeeperfunktion der etablierten Massenmedien und eröffnet den Kampf um die Deutungshoheit zwischen all jenen, die sich berufen fühlen Experte für ein bestimmtes Thema zu werden. Mit anderen Worten, das Internet hat den Kampf um Aufmerksamkeit erst richtig eröffnet.

Dienstag, 24. September 2013

Ein Jahr Beobachter der Moderne



Liebe Leserinnen & Leser,



heute möchte ich aus meiner üblichen Rolle fallen und statt in der distanzierten man-Schreibweise in eine subjektive Schreibweise wechseln. Der Anlass ist der erste Jahrestag dieses Blogs. Genau vor einem Jahr, am 24.09.2012, habe ich den ersten Text „Politik meets The Big Bang Theory oder Warum die Piratenpartei nicht politikfähig ist“ veröffentlicht. Was ich damals zum politischen System im Allgemeinen und zur Piratenpartei im Speziellen geschrieben habe, hat jetzt so kurz nach der Bundestagswahl nichts an Aktualität verloren. Hinsichtlich der Piratenpartei darf man gespannt sein, ob die zur nächsten Bundestagswahl überhaupt nochmal antritt. Doch zu einem freudigen Anlass, wie einem Jubiläum, ist Politik das falsche Thema, denn es regt nur unnötig auf. Deswegen gehe ich darauf an dieser Stelle nicht weiter ein.