Donnerstag, 5. Mai 2016

Die Regeln der Form


Es ist immer einfach, das Unbekannte zu erklären, indem man das Walten einer übermenschlichen und eigenmächtigen Kraft postuliert. Das ist ein sehr menschliches Phänomen.
Isaac Asimov

Das Problem liegt nie sosehr darin, einen Schlüssel oder zwei oder drei oder n Schlüssel zu finden, sondern eine Sprache zu sprechen, welche der Joker Rechnung trägt.
Michel Serres


Es lässt sich heute eine weit verbreitete Faszination an Paradoxien aller Art beobachten. Das gilt nicht nur für systemtheoretische und postmoderne Ansätze, sondern gesamtgesellschaftlich – unabhängig davon ob sich diese Faszination aus einer Vorliebe oder aus der Ablehnung paradoxer Formulierungen ergibt. Das liegt möglicherweise daran, dass sich aus dem Umgang mit Paradoxien sehr viel über Kommunikation und damit unter anderem auch über die Funktionsweise der Gesellschaft erfahren lässt. Im Zuge dieser Beschäftigung mit Paradoxien kam es jedoch zu einer Distanzierung, Ironisierung, Relativierung und Dekonstruktion sehr vieler sinnhafter Orientierungspunkte in Form von sozial geteilten Semantiken. Egal wie es geschieht, in jedem Fall wurde den kritisierten Semantiken ihre soziale Funktion abgesprochen. Stattdessen hält man nun die Paradoxie selbst für den neuen Orientierungspunkt. Damit wurde allerdings semantischer Beliebigkeit und Willkür der Weg bereitet, was die sozialen Verstehens- und Verständigungschancen minimiert und das Konfliktpotential ebenso stark erhöht hat. 

Man kann diese Faszination an Paradoxien aber auch als ein Interesse an Negativität interpretieren. Dann kann man vermuten, dass dieses Interesse möglicherweise ein gewisses Bedürfnis nach Transzendenz befriedigt. In vormodernen Zeiten konnten sich für dieses Thema noch die Religionen zuständig erklären und gleichsam ein Diskursmonopol beanspruchen. In der entzauberten Welt der Moderne füllt die Psychologie die entstandene Lücke mehr schlecht als recht aus. Statt dabei zu helfen, die innere Widersprüche zu lösen, belässt sie es häufig bei der Pflege dieser Widersprüche. Hauptsache man ist wieder genussfähig, wenn man schon nicht funktioniert. Funktionieren dürfen die Anderen. Die postmoderne Bewegung konnte nach der wissenschaftlichen Entzauberung der Welt nur noch einen allgemeinen Sinnverlust beklagen. Wobei man den Verdacht nicht los wird, dass lediglich der Verlust der eigenen Illusionen beklagt wird. Die Lösung sieht die Postmoderne in der Flucht in die Subjektivität. Widerspruchsfreiheit lässt sich aus der postmodernen Perspektive offenbar nur noch durch die narzisstische Besetzung der Welt erreichen, um das Leiden an ihr zu lindern. Die Kontingenz anderer Perspektiven dient nur zur zweifelhaften Begründung, sich nicht mehr mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Umso radikaler werden dann andere Perspektiven abgelehnt, obwohl man sich zugleich nach Diversität sehnt. Das sorgt für einige Unruhe.

Der naive Umgang mit Paradoxien ist heute sehr weit verbreitet und hat sich zu einer Art sozialen und psychischen Reflexions- und Entwicklungsblockade entwickelt. Diese geistige Verwahrlosung führt derzeit zur Verhärtung der Frontlinien. Die Sozial- und Geisteswissenschaften haben, indem sie sich für politische Zwecke einspannen ließen, auch ihren Teil dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte. Speziell deren Beitrag lässt sich zum großen Teil durch das Fehlen einer Theorie über Negativität erklären. Das politische Engagement ist nur eine Verlegenheitslösung, um mit diesem Defizit umzugehen. Es gibt viele Vermutungen, Hoffnungen und Befürchtungen über Negativität. Aber eine ausgearbeitete Theorie steht nicht zur Verfügung. Selbst den für Paradoxien sensibilisierten Systemtheoretikern ist das nicht gelungen. Bisher fehlte auch ihnen jegliches Problembewusstsein. 

Vor diesem Hintergrund erscheint es umso notwendiger dem Thema Negativität mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Der folgende Text ist eigentlich ein Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit George Spencer-Browns »Gesetze der Form« (1999 [1969]). Der Fokus liegt aufgrund der geschilderten Probleme auf der Funktion von Negationen und Negativität für Beobachtungs- bzw. für Erkenntnisprozesse. Negationen und Negativität sind erst an zweiter Stelle ein kommunikationstheoretisches Problem. Zu aller erst sind sie kognitionswissenschaftliche und erkenntnistheoretische Probleme. Auf derselben Ebene ist die im Folgenden vorzustellende Beobachtungstheorie angesiedelt. Der Ausgangspunkt ist die Frage: für welches Problem kann Unterscheiden als Lösung betrachtet werden? Diese Frage wurde trotz des funktionalistischen Ansatzes in der neueren soziologischen Systemtheorie bis heute nicht gestellt. Dieser Text konzentriert sich auf die Beantwortung dieser Frage. 

Als Erstes wird die Quintessenz des Textes vorgestellt, welche ich als die »Regeln der Form« bezeichne. Spencer-Browns »Gesetze der Form« sind keine strenge Theorie über Negativität. Sie erlauben es aber mit Negativität zu kalkulieren. Etwas Ähnliches versuche ich mit den »Regeln der Form«  allerdings ohne einen neuen Kalkül zu präsentieren. Es geht nicht darum Spencer-Browns Kalkül zu ersetzten. Es soll lediglich ein anderer Blick auf das Problem der Negativität geworfen werden. Auch bei den »Regeln der Form« handelt es sich nicht um eine Theorie über die Funktion von Negativität, sondern um Anweisungen für den Umgang mit Negativität bzw. mit Nichts. Die Theorie, die diesen Regeln zu Grunde liegt, wird in den nachfolgenden Erläuterungen vorgestellt. 

Negativität wird darin als Unterschiedslosigkeit begriffen. Ohne Unterschiede, die Unterschiede machen, kann es weder Informationen noch Sinn geben. Die Lösung für das Problem der Unterschiedslosigkeit ist dementsprechend Unterscheiden. Es kann aber nicht nur darum gehen, dass unterschieden wird, sondern wie unterschieden wird. Anhand des Umgangs mit Unterschiedslosigkeit werden drei Beobachtungsweisen voneinander unterschieden. Im Zuge dessen wird außerdem gezeigt, dass der Umgang mit Unterschiedslosigkeit eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von komplexen Beobachtungsformen spielt. Der strikt an der Beobachtung von Veränderungen und Entwicklungen orientierte Ansatz erlaubt es am Schluss eine evolutionäre Beobachtungstheorie anzudeuten.


Die Regeln der Form

1. Regel – Indikation:
Jeder Ausdruck hat den Zweck auf etwas anderes zu verweisen als sich selbst. [sachlich]
Verweisen heißt, dass die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird. [psychisch & sozial]

2. Regel – Unterscheidung:
Jeder Ausdruck kann seinen Zweck nur im Unterschied zu einem Ausdruck mit einem anderen Zweck erfüllen.
Wenn ein Ausdruck auf nichts verweist, dann ist der Ausdruck in einen anderen zu verändern. [zeitlich]

3. Regel – Wiedereintritt:
Wenn ein Ausdruck auf sich selbst verweist, ist er äquivalent zu einem Ausdruck, der auf nichts verweist. Dann ist der Ausdruck ebenfalls in einen anderen zu verändern.

Konsequenzen - Kanon Null:
Nichts verweist auf alles. Deswegen ist Nichts unbedingte Selbstreferenz.
Alles verweist auf etwas. Deswegen ist Alles bedingte Selbstreferenz.
Weil jeder Ausdruck auf etwas verweist, ist alles etwas und nicht Nichts.
Unterscheiden schließt nichts aus. Unterscheiden ist deswegen perfekter Einschluss.
Wenn der Zweck eines Ausdrucks vom Zweck eines anderen Ausdrucks abhängt, ist der Prozess des Verweisens die konditionierte Koproduktion beider Zwecke. Zwei Zwecke bilden eine Funktion.


Eine Verfahrensweise für Nichts

Bei den »Regeln der Form« handelt es sich um eine extrem komprimierte Zusammenfassung der ersten zwei Kapitel der »Gesetze der Form«. Sie enthalten die Idee der Bezeichnung, die Idee der Unterscheidung, die Anweisung »Triff eine Unterscheidung« sowie das Gesetz des Nennens und das Gesetz des Kreuzens (vgl. Spencer-Brown 1999 [1969], S. 1 – 7). In der Kombination, wie sie in den »Regeln der Form« ausgedrückt sind, werden sie zu einer Verfahrensweise, wie mit Nichts, dem Null-Wert, als Ergebnis einer Negation oder einer Aufhebung umgegangen werden sollte, um die Beobachtungsfähigkeit zu erhalten.

Die »Regeln der Form« gehen damit nicht über die »Gesetze der Form« hinaus. Sie konzentrieren sich vielmehr auf einen bestimmten Aspekt des Unterscheidens, der im Formenkalkül implizit enthalten ist, aber von Spencer-Brown kaum explizit erläutert wird. Wer jedoch gemäß den Gesetzen der Form kalkuliert, erkennt, dass ihnen ein Prinzip zugrunde liegt. Es kann folgendermaßen ausdrückt werden: Vermeide einen Hinweis auf Nichts.


Unterschiedslosigkeit als Problem

Aber warum soll ein Hinweis auf Nichts vermieden werden? Was ist das Besondere an Nichts? Die Antwort lautet: Nichts ist das einzige Phänomen, bei dem die Bezeichnung und das Bezeichnete im Hinblick auf die Fokussierung der Aufmerksamkeit denselben Zweck erfüllen. Die Aufmerksamkeit wird durch Nichts oder einen Hinweis auf Nichts nicht auf etwas gerichtet, sondern sie wird zerstreut.

Deswegen verzichtete Spencer-Brown darauf Nichts extra zu bezeichnen. Er nennt die Leerstelle zwar leeren Raum und behandelt sie als einen einfachen Ausdruck (vgl. Spencer-Brown 1999 [1969], S. 5f.). Die Leerstelle kann jedoch auch für sich selbst stehen, denn sie steht für die »Abwesenheit der Form« (Spencer-Brown 1999 [1969], S. 5). Nichts und Hinweise auf Nichts stellen damit die Ausnahme von der 1. Regel dar, dass ein Ausdruck auf etwas anderes verweist als er selbst, denn Bezeichnung und Bezeichnetes sind in diesem Fall identisch.

Das Problem, vor das man mit einem Verweis auf Nichts gestellt wird, ist daher Unterschiedslosigkeit. Aus diesem Problem ergibt sich erst die Notwendigkeit zum Unterscheiden und Verweisen. Deswegen gibt Spencer-Brown die einfache Anweisung »Triff eine Unterscheidung« (Spencer-Brown 1999 [1969], S. 3). Die Operation, eine Unterscheidung zu treffen, um etwas zu indizieren, wird auch als Beobachten (vgl. Luhmann 1992, S. 68 – 121) bezeichnet. Mit einer Beobachtungsoperation wird in einem Moment beides getan: Unterscheiden und Indizieren. Eine Unterscheidung kann niemals direkt, gleichsam in Aktion, beobachtet werden. Anhand der realisierten Bezeichnungen kann nur nachträglich auf die benutzten Unterscheidungen zurück geschlossen werden.

Die Anweisung »Triff eine Unterscheidung« wurde mit Rücksicht auf das Problem, vor das man mit einem Hinweis auf Nichts gestellt wird, in die Anweisung, jeden Hinweis auf Nichts in einen anderen Hinweis zu verändern, umgewandelt, sofern auf etwas anderes verwiesen werden soll als auf Nichts. Das Andere, was nicht Nichts ist, muss also von Nichts unterschieden werden. Dies gelingt nur durch das Treffen einer Unterscheidung, um auf etwas und nicht Nichts zu verweisen. Dazu wird ein separater Ausdruck benötigt. Somit wird ein Hinweis auf Nichts in einen Hinweis auf etwas anderes verändert. Verändern bedeutet dabei eine andere Bezeichnung zu wählen. Insofern ist die 2. Regel der Form eine Abwandlung von Spencer-Browns Anweisung.

Weil Nichts nur auf sich selbst verweist und damit die Aufmerksamkeit zerstreut, ist es jedem psychischen Beobachter selbst überlassen, worauf er seine Aufmerksamkeit stattdessen richten will. Das kann im Prinzip alles Mögliche sein. Mit anderen Worten, Nichts verweist auf alles. Nichts kann daher auch als das Nicht-Realisierte betrachtet werden, während Alles im Unterschied dazu reine Potentialität darstellt. Wirklich ist Nichts nur als Nicht-Realisiertes. Das macht es irreal. Seine Wirkung besteht darin die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten und sie dadurch zu zerstreuen. Richtet man seine Aufmerksamkeit stattdessen auf Alles, wird sie ebenfalls zerstreut, denn sie wird auf nichts Bestimmtes gerichtet. Alles verweist auf das Realisierbare. Das Realisierbare ist aber noch nicht realisiert. Deswegen ist Alles als reine Potentialität ebenso irreal wie Nichts.

Ein Ausdruck, der auf Nichts verweist, und ein Ausdruck, der auf alles verweist, sind daher funktional äquivalent. Sie erfüllen beide denselben Zweck – die Aufmerksamkeit zu zerstreuen. Die Anweisung, einen Hinweis in einen anderen zu verändern, gilt damit auch, wenn ein Hinweis auf Alles verweist.


Der Wiedereintritt der Unterschiedslosigkeit ins Unterschiedene

Es ist jedoch auch möglich, dass ein Ausdruck auf sich selbst verweist. Der Ausdruck verliert in diesem Fall ebenfalls seinen Zweck. Dies kann geschehen, wenn er wiederholt wird. Diesen Fall beschreibt Spencer-Brown im Gesetz des Nennens (vgl. 1999 [1969], S. 2). Es macht keinen Unterschied, ob ein Ausdruck einmal oder mehrmals realisiert wird. Wiederholtes Nennen verweist auf Bekanntes. Die mitgeteilte Information wird redundant. Durch die Wiederholungen verlagert sich die Aufmerksamkeit mit der Zeit von dem, worauf verwiesen wird, auf den Ausdruck selbst. Der Zweck einer Wiederholung kann daher nicht identisch sein mit dem Zweck des wiederholten Ausdrucks.

Bei der Wiederholung eines Ausdrucks hat man lediglich die Wahl seine Aufmerksamkeit auf das Bezeichnete oder die Bezeichnung zu richten. Wenn die Auswahl nur in diesen beiden Alternativen besteht, wird die Aufmerksamkeit immer wieder auf das Bezeichnete gerichtet. Auch wenn der Ausdruck selbst die Aufmerksamkeit erregt, stößt er sie trotzdem immer wieder ab. Denn die Aufmerksamkeit auf den Ausdruck zu lenken, hieße die Kontingenz des Ausdrucks zu beobachten. Das hieße, den Blick auf alle anderen Möglichkeiten zu richten, worauf man seine Aufmerksamkeit richten kann, was die Aufmerksamkeit wiederum zerstreuen würde. Um dies zu vermeiden, spielt sich mit der Zeit eine Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen Bezeichnung und dem Bezeichneten ein. Der Ausdruck wird dann durch seine wiederholte Verwendung, um auf dasselbe zu verweisen, eindeutig

Es gibt einen zweiten Fall, bei dem ein Ausdruck auf sich selbst verweist. Es kann passieren, dass ein Ausdruck auf verschiedene Phänomene verweist. Der Ausdruck ist also mehrdeutig. Er verweist nicht auf Alles, er ist aber auch nicht eindeutig. Auch dann kann der Ausdruck seinen Zweck nicht erfüllen, denn er verweist nicht auf einen, sondern auf mehrere Sachverhalte gleichzeitig. Die Aufmerksamkeit wird ebenfalls zerstreut. Und gerade weil der Ausdruck seinen Zweck nicht erfüllt, macht er auch in diesem Fall auf sich selbst aufmerksam.

Dieser Fall wird im Gesetz des Kreuzens beschrieben (vgl. Spencer-Brown 1999 [1969], S. 2). Kreuzen bedeutet, dass die zweite Bezeichnung einer Unterscheidung realisiert wird, von der sich die andere Bezeichnung unterscheidet. Beide Bezeichnungen zusammen bilden im Sinne von Gregory Bateson einen Unterschied, der einen Unterschied macht (vgl. 1987 [1979], S. 123). Wird wieder die erste Bezeichnung realisiert, handelt es sich um ein Wieder-Kreuzen. Die Bezeichnung verweist nun aber auf verschiedenes und kann ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Weil die Aufmerksamkeit deswegen zerstreut anstatt auf etwas gerichtet wird, gilt: »Wieder-Kreuzen ist nicht Kreuzen« (Spencer-Brown 1999 [1969], S. 2).

Wieder-Kreuzen ist damit auch eine Form der Wiederholung. Durch das wiederholte Kreuzen wird auf dasselbe und auf etwas anderes verwiesen. Durch diese Bedeutungsanreicherung ist im Vergleich zum Zweck vor dem Kreuzen bereits etwas Neues ins Aufmerksamkeitsfeld gerückt, auch wenn noch kein Ausdruck zur Verfügung steht, um darauf zu verweisen. Ob es sich bei einem Ausdruck um das Ergebnis eines Wieder-Nennens oder Wieder-Kreuzens handelt, lässt sich nur nachträglich prüfen. Beim Wieder-Kreuzen handelt es sich um die Form der Wiederholung, die Georg F. W. Hegel als Akkretion bezeichnete.

Spencer Brown bezeichnet diese Selbstindikation durch Wieder-Kreuzen als Aufhebung (vgl. 1999 [1969], S. 5). Eine Aufhebung ist nicht dasselbe wie eine Negation. Bei einer Negation wird ein Hinweis auf etwas in einen Hinweis auf Nichts geändert. Bei einer Aufhebung verweist der Ausdruck dagegen nach dem Wieder-Kreuzen nicht auf dasselbe wie vorher. Aber auch danach verweist der Ausdruck nicht auf Nichts, sondern er verweist auf etwas anderes. Diese Mehrdeutigkeit hebt den Zweck des Ausdrucks auf. Er wird aber gerade nicht in einen direkten Hinweis auf Nichts geändert. Trotzdem erfüllen die Ausdrücke in beiden Fällen nicht ihren Zweck.

Eben weil man seine Aufmerksamkeit in einem Moment nicht auf zwei Sachverhalte gleichzeitig richten kann, wird man vor die Wahl gestellt, worauf man seine Aufmerksamkeit richten will: die Bezeichnung, das Bezeichnete oder etwas anderes. Man hat immer die Wahl, worauf man seine Aufmerksamkeit richten will. Eine Unterscheidung zu treffen, kann – muss aber nicht – daher zugleich bedeuten, eine Entscheidung zu treffen. In jedem Fall weisen Nichts und Alles darauf hin, dass der Prozess des Beobachtens ein selektives Geschehen ist. Denn beide Ausdrücke machen die Auswahl einer Unterscheidung und eines Ausdrucks notwendig. Dies kann naiv, also durch eine Unterscheidung, oder reflektiert, also durch eine Entscheidung, geschehen.


Kompensation des Wiedereintritts ohne Differenzierung

Die vorangegangenen Annahmen zur Selbstindikation von Ausdrücken gelten für alle Ausdrücke. Egal ob ein Ausdruck einfach oder komplex ist, wenn er auf Nichts oder sich selbst verweist, ist er funktional äquivalent zum einfachen Ausdruck »Nichts«. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf einfache Ausdrücke bzw. das Unterscheiden durch Bezeichnen. Jede Bezeichnung ist im Sinne von Spencer-Brown ebenfalls ein einfacher Ausdruck. Wenn ein einfacher Ausdruck auf verschiedene Phänomene zugleich verweist, entsteht die Notwendigkeit die Aufmerksamkeitsfokussierung präziser zu gestalten, damit er weiter seinen Zweck erfüllen kann. Dafür gibt es zunächst zwei Möglichkeiten.

Man kann zum einen versuchen für jeden einzelnen Sachverhalt, auf den verwiesen werden soll, einen einfachen Ausdruck zu kreieren. Bis zur letzten Konsequenz betrieben, führt dieses Vorgehen zu einer eindeutig bestimmten Welt, denn jeder Bezeichnung entspricht ein bezeichneter Sachverhalt. Jede Bezeichnung kann außerdem beliebig oft wiederholt werden. Es ist also nicht nur eine benennbare, sondern auch eine wieder benennbare und damit erinnerbare Welt. Einer der Zwecke einer Wiederholung ist daher das Erinnern.

Bei dieser Lösung handelt es sich allerdings um eine Überbetonung der Verschiedenheit der bezeichneten Phänomene, bei der die Gemeinsamkeiten unbeachtet bleiben. Der Zweck jedes einfachen Ausdrucks erschöpft sich dann in der Mitteilung »das da«. Wenn jeder dieser einfachen Ausdrücke eindeutig ist und seinen Zweck erfüllen kann, dann wird es bei dieser Vorgehensweise möglicherweise niemals passieren, dass ein Ausdruck auf sich selbst verweist. Es wird also nicht nur eine eindeutige, sondern auch eine widerspruchsfreie Welt geschaffen. Die daraus resultierende Sprache ist sehr rigide und lässt keine Veränderungen zu.

Aus diesem Problem ergibt sich die zweite Lösung. Es handelt sich um die Korrektur dieser Überbetonung der Verschiedenheit. Man konzentriert sich bei der Schaffung von Ausdrücken nicht auf die Verschiedenheit der beobachtbaren Sachverhalte, sondern auf ihre Gemeinsamkeiten. Man abstrahiert also vom Verschiedenen. Abstraktion bedeutet dabei, Unterschiede unbeachtet zu lassen. Durch Abstraktionen gewinnt das Ausdrucksvermögen eine gewisse Flexibilität mit der man auf eine Eins-zu-Eins-Entsprechung von Bezeichnung und Bezeichnetem verzichten kann. Dadurch werden einfache Ausdrücke aber notwendigerweise mehrdeutig, weil sie auf verschiedenes zugleich verweisen können, was ihren Zweck aufhebt.

Von verschiedenen Abstraktionen kann noch weiter abstrahiert werden. Mit jedem weiteren Abstraktionsschritt wird die Mehrdeutigkeit des so geschaffenen Ausdrucks erhöht bis ein Ausdruck geschaffen wird, der auf alle benennbaren Sachverhalte auf einmal verweist. Man hat es dann mit einer Variante des Hinweises auf Alles zu tun. Dieser Hinweis ist damit nicht nur mehrdeutig, er ist, wenn man so sagen darf, alldeutig. Doch gerade diese Alldeutigkeit kann den Anschein von Eindeutigkeit vermitteln.

Wird eine solche alldeutige, aber einfache Bezeichnung auch auf jedes einzelne Phänomen angewandt, erscheint der Gebrauch völlig beliebig. Die Bezeichnung wird lediglich fortlaufend wiederholt, ohne dass eine erinnerbare Bedeutung kondensiert. Vielmehr wird die Bedeutung mit jeder Wiederholung gekreuzt und der Zweck des Ausdrucks aufgehoben. Am Ende dieser Entwicklung wird der Ausdruck in seiner Bedeutung durch das ständige Wieder-Kreuzen leer und paradox. Da er bei jeder Anwendung etwas anderes bezeichnet, wird mit ihm nichts erinnert. Ein Ausdruck der auf Alles verweist, verweist auf nichts. Die durch diese Form der Beobachtung geschaffene Welt wird ebenfalls leer und paradox zugleich. Zwischen Alldeutigkeit und Bedeutungslosigkeit besteht daher kein Unterschied.

Bei den beiden vorgestellten Entwicklungsmöglichkeiten handelt es sich um regressive Entwicklungen, die sich als Regression zu Eindeutigkeit und Regression zu Alldeutigkeit bzw. Bedeutungslosigkeit voneinander unterscheiden lassen. Beide sind Idealtypen, die empirisch nur als Mischung von beiden auftreten. Das Verhältnis verschiebt sich bei einer konkreten Sprache mal mehr zur einen oder mal mehr zur anderen Richtung. Spencer-Brown bemerkt zum Bespiel die regressive Tendenz der deutschen Sprache zur Eindeutigkeit, wenn er die deutsche Übersetzung der »Gesetze der Form« folgendermaßen kommentiert:

»Unter den europäischen Sprachen ist die deutsche einzigartig, weil sie die meisten verschiedenen Worte für Bedeutungsnuancen enthält, welche im Englischen durch ein und dasselbe Wort ausgedrückt werden, und der Unterschied dabei durch den Kontext festgelegt wird. Daher geht das, was ich das Irisieren englischer Worte nennen will – ihre Fähigkeit, jeden Augenblick die Farbe zu verändern, die unserer Prosa und Poesie solche Magie verleiht – im Deutschen verloren, wo für jedes Wort eine exakte Farbe gewählt und fixiert werden muss, welche nicht das ganze erforderliche Spektrum besitzen mag. Das macht es ungewöhnlich schwierig, die Laws adäquat zu übersetzen.« (1999 [1969], S. ix)

Beide Varianten einer regressiven Entwicklung sind naive Formen die Aufmerksamkeitsfokussierung zu präzisieren und das Ausdrucksvermögen zu steigern, denn dem Prozess der Aufmerksamkeitsfokussierung selbst wird keine Beachtung geschenkt. Schenkt man diesem Prozess Beachtung, erkennt man, dass beide Entwicklungsrichtungen für die Präzisierung der Aufmerksamkeit notwendig sind. Werden sie jedoch jeweils für sich alleine, ohne Korrektur durch die andere, bis zur letzten Konsequenz vorangetrieben, werden sie das gesamte Denk- und Ausdrucksvermögen nachhaltig beeinträchtigen.


Kompensation des Wiedereintritts durch Differenzierung

Eine dritte Möglichkeit die Aufmerksamkeitsfokussierung präziser zu gestalten, besteht deswegen darin die Aufmerksamkeit auch auf den Prozess der Aufmerksamkeitsfokussierung selbst zu richtenUnterschiede, die Unterschiede machen, werden durch zwei Ausdrücke mit verschiedenen Zwecken erzeugt, zwischen denen man oszilliert. Dadurch erhalten beide Zwecke jeweils in Abhängigkeit vom Anderen ihren InformationswertGleichwohl muss es noch etwas geben, was diese Unterschiede erzeugt. 

Durch diese Frage wird die Aufmerksamkeit schließlich auf den Prozess des Unterscheidens selbst gerichtet. Das geschieht hier zunächst unabhängig von der Frage, wer unterscheidet. Die Paradoxie der Sozialdimension, also dass andere Personen anders beobachten können, bleiben in diesem Text unbeachtet, was nicht heißen soll, dass sie psychologisch und soziologisch irrelevant wäre. Hier soll jedoch der Fokus nur auf die durch die Beobachtung der Beobachtung erzeugten Paradoxie liegen.

Eine Unterscheidung ist durch die zwei Bezeichnungen noch nicht hinreichend bestimmt. Die Form der Unterscheidung wird hier als eine dreiteilige Form begriffen. Was neben den zwei Bezeichnungen noch fehlt, ist die Unterscheidung selbst als der dritte Bestandteil der Form der Unterscheidung. Je nach dem, worauf mit den beiden Bezeichnungen einer Unterscheidung die psychische Aufmerksamkeit gerichtet wird, ergibt sich die Funktion der Unterscheidung. Eine Unterscheidung ist die Kombination der zwei Zwecke, die durch die Bezeichnungen realisiert werden. Die Unterscheidung als Funktion muss also von den zwei Zwecken der Bezeichnungen unterschieden werden.

Doch gerade die Wiederholung der Funktion erzeugt sowohl Redundanz als auch Varietät, weil jede Wiederholung nicht exakt auf denselben Sachverhalt angewendet wird. Dieselbe abstrakte Idealform nimmt verschiedene Realformen an. Es gibt zum Beispiel nicht nur einen Tisch, sondern viele verschiedene Formen von Tischen, die jedoch alle als Tisch erkennbar bleiben, auch wenn sie sich in Höhe, Breite, Farbe etc. voneinander unterscheiden. Diese Variationen der Tischform können nun selbst wiederum beobachtet werden. Dadurch wird es möglich Tische als Tische zu bezeichnen und sie trotzdem als verschiedene Tische zu beschreiben.

Gemäß dem Gesetz des Kreuzens wäre ein Tisch nach nochmaligem Kreuzen kein Tisch mehr, wenn nicht exakt derselbe Tisch bezeichnet würde. Wenn etwas anderes bezeichnet wird als vorher, wäre zu klären, ob es sich auch um einen Tisch oder nicht vielleicht um einen Stuhl oder etwas anderes handelt. Dies kann jedoch nicht mehr mit einer Bezeichnung zum Ausdruck gebracht werden. Was ein Tisch ist und was er nicht ist, lässt sich nicht sinnhaft klären, wenn die Aufmerksamkeit nur durch eine bloße Bezeichnung auf ihn gerichtet wird.

Entscheidend ist der Unterschied zwischen dem, was ein Tisch ist, und dem, was er nicht ist. Was ein Tisch ist, lässt sich erst kognitiv erfassen, wenn man seine Aufmerksamkeit sowohl auf einen Tisch richtet als auch auf andere Dinge, von denen der Tisch unterschieden werden kann. Das kann der Boden sein, auf dem der Tisch steht, das Geschirr, mit dem er gedeckt ist, die Personen, die von ihm essen, die Schränke im Zimmer, das Zimmer selbst usw.. Theoretisch ließe sich der Tisch von allen anderen Phänomenen in der Welt unterscheiden. Das würde die Aufmerksamkeit für sehr lange Zeit binden. Man könnte im Prinzip unendlich viel Zeit damit verbringen, zu klären, was ein Tisch ist. Zeitaufwand und Nutzen stehen dabei aber in keinem akzeptablen Verhältnis zueinander. Den Tisch vom Rest der Welt, also von allem anderen, zu unterscheiden, ist daher wenig zielführend. Der Tisch erhält praktisch seine Bedeutung daher nur durch die Dinge, von denen er tatsächlich unterschieden wurde und nicht von denen, von denen er nicht unterschieden wurde. Das spart zum einen sehr viel Zeit und überfordert zum anderen nicht die kognitiven Fähigkeiten psychischer Beobachter.

Im Laufe der Zeit gewinnen die einzelnen Dinge durch Wieder-Nennen und Wieder-Kreuzen immer stärker an Kontur. Das können sie nur durch die Unterscheidungen, mit denen die Aufmerksamkeit abwechselnd auf sie gerichtet wird. Auf diese Weise werden nicht nur Bezeichnungen für Tische und alle seine Merkmale geschaffen, sondern ebenso für Stühle, Schränke, Menschen, Geschirr usw. und ihre Merkmale. Dieser Unterscheidungsprozess setzt sich endlos fort, wenn sich der Fokus der Aufmerksamkeit vom Tisch auf den Stuhl, vom Stuhl auf das Geschirr, vom Geschirr auf den Schrank usw. und irgendwann wieder auf den Tisch verlagert. Bei der Wiederholung wird der Tisch nicht mehr dieselbe Bedeutung haben, wie bei der erstmaligen Beobachtung.

Was sich auf diese Weise mit der Zeit immer deutlicher zeigt, ist das Wirken von Unterscheidungen als Funktion, aber nicht zwangsläufig die Form der Unterscheidung selbst. In diesem Beispiel war das zunächst die Unterscheidung »Tisch/Nichts«. Diese Unterscheidung fixiert die Aufmerksamkeit auf den Tisch, denn die andere Seite der Unterscheidung zerstreut sie. Nur wenn Nichts durch etwas ersetzt wird, können verschiedene Dinge beobachtet werden – unter anderem verschiedene Tische. Die Beobachtung eines Tisches ist dann immer das Ergebnis von mehreren Funktionen der Form »Tisch/etwas anderes«.

Der Zweck der »Regeln der Form« ist es auf das Wirken der Unterscheidungen aufmerksam zu machen. Mit ihnen wird nicht beschrieben, was eine Unterscheidung ist. Sie versuchen vielmehr die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was eine Unterscheidung tut. Was jedoch nicht ausschließt, dass es irgendwann gelingt auf die dreiteilige Form der Unterscheidung zu schließen – also sie zu beobachten.

Ausdrücke, die auf Nichts verweisen, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie zwingen einerseits zum Unterscheiden. Unterscheiden produziert andererseits, wie mit dem Gesetz des Kreuzens beschrieben, auch neue Hinweise auf Nichts, unabhängig davon ob das der Zweck war oder nicht. Dies ist unvermeidlich. Und gerade weil der Zweck, die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, nicht erfüllt wird, macht sich das Informationsmedium selbst bemerkbar. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass es auch als solches erkannt wird, denn man wird mit dem Ergebnis einer Aufhebung konfrontiert: mit Unterschiedslosigkeit. Dies geschieht immer dann, wenn eine Unterscheidung mit sich selbst, also eine ihrer Bezeichnungen, beobachtet wird.

Jede Aufhebung ist also das Ergebnis einer Selbstbeobachtung und führt zum Wiedereintritt einer Unterscheidung in sich selbst. Diese Operation produziert eine Tautologie mit folgender Aussage: »etwas ist, was es ist«. Auf diese Weise wird kein Unterschied markiert, der einen Unterschied macht. Etwas wird lediglich wiederholt genannt. Wenn eine Bezeichnung auf die Unterscheidung verweist, mit der sie getroffen wurde, dann wird eine unterschiedslose Welt eröffnet: eine Tisch ist ein Tisch, ein Stuhl ist ein Stuhl, eine Rose ist eine Rose, eine Unterscheidung ist eine Unterscheidung usw.. In jede dieser durch eine Unterscheidung eröffneten Welten müssen dann durch weitere Unterscheidungen wieder Unterschiede eingeführt werden, weil man ansonsten nichts beobachten kann. Dieses Vorgehen produziert eine Paradoxie»etwas ist nicht, was es ist«. Denn verschiedene Unterscheidungen können gerade nicht alle als Unterscheidungen bezeichnet werden, obwohl sie welche sind. Das würde nur Verwirrung auslösen  psychisch und sozial. 

Der Grund dafür ist, dass bei dem Wiedereintritt einer Unterscheidung in sich selbst Bezeichnung und Unterscheidung ebenfalls identisch sind. Weil zwei Bezeichnungen immer Bestandteile einer Unterscheidung sind, hat man es bei einer Selbstbeobachtung einer Unterscheidung mit demselben Problem zu tun, wie bei einem Hinweis auf Nichts: Bezeichnung und Bezeichnetes sind identisch. Deswegen ist auch in diesem Fall der Zweck der Bezeichnung funktional äquivalent mit einem Hinweis auf Nichts.

Aus dieser Aufhebung durch Wiedereintritt resultiert die Notwendigkeit der Kompensation. In Spencer-Browns Kalkül sind daher Aufhebung und Kompensation die zwei entgegensetzten Richtungen desselben Transformationsschrittes (vgl. 1999 [1969], S. 9f.). Die durch den Wiedereintritt geschaffene Leerstelle eröffnet die Möglichkeit die Bezeichnung für dasselbe zu verändern. Die Leerstelle ist also das Signal für eine Veränderung. Vor dem Wiedereintritt gibt es keine Notwendigkeit dafür. Die Notwendigkeit tritt erst mit dem Wiedereintritt auf. Das gilt für jede Unterscheidung. Indem Spencer-Brown schließlich die allgemeine Form der Unterscheidung als Form bezeichnete, hat er gezeigt, dass dieses erkenntnistheoretische Problem universell ist. Und in jedem Fall ist die Lösung eine andere Bezeichnung für die jeweilige Unterscheidung, um Gleiches auch als Verschiedenes beobachten zu können. Es darf keine Bezeichnung sein, die Teil der zu bezeichnenden Unterscheidung ist.

Der Wiedereintritt einer Unterscheidung in sich selbst ist damit die Triebkraft für die Entfaltung der dadurch aufgeworfenen Paradoxie. Ein beobachteter Sachverhalt wird im Vergleich zu einem anderen Sachverhalt immer als gleich und verschieden beobachtbar. Daraus ergibt sich die Andersartigkeit beider Sachverhalte, die sich mit einer Bezeichnung nicht angemessen begreifen lässt. Wenn Sachverhalte mit einem einfachen Ausdruck nicht angemessen beobachtet werden können, dann heißt das im Umkehrschluss, dass der beobachtete Sachverhalt komplex sein muss.

Das sich hier offenbarende Problem ist aber keins das durch die beobachteten Sachverhalte aufgeworfen wird, sondern durch das Mittel der Beobachtung. Das ist nicht die Sprache, sondern die Form der Unterscheidung, also der Form, wie es möglich ist seine Aufmerksamkeit auf etwas zu richten. Nichts ist damit nicht nur ein Signal zur Veränderung, sondern zunächst ein Hinweis auf die Selbstreferenz des Informationsmediums. Durch Nichts macht die Unterscheidung in ihrer allgemeinen Form auf sich aufmerksam. Sie lenkt damit zugleich von dem ab, was beobachtet werden soll. Dieser Kurzschluss darf jedoch nicht den Zweck einer Bezeichnung stören. Daher muss dasselbe anders bezeichnet werden, damit es unterscheidbar bleibt. Mit Nichts, einem Hinweis auf Nichts und allen funktionalen Äquivalenten wird damit immer das Selbstreferenzproblem des Unterscheidens, die Paradoxie der Form (vgl. Luhmann 1993), aufgeworfen. Bei einer Entfaltung dieser Paradoxie in der Sachdimension muss daher dasselbe anders beobachtet werden. Das bedeutet, innerhalb einer Unterscheidung wiederum eine Unterscheidung zu treffen.

Niklas Luhmann bezeichnete den Prozess der Systembildung in einem System als Differenzierung (vgl. 1997, S. 597ff.). Analog wird hier das Unterscheiden innerhalb einer Unterscheidung ebenfalls als Differenzierung bezeichnet. Das kann zweierlei bedeuten. Zum einen kann jede Bezeichnung einer Unterscheidung selbst wiederum zur Unterscheidung werden, damit etwas nicht nur benannt werden kann. Differenzieren kann zum anderen auch bedeuten, dass zwei Unterscheidungen voneinander unterschieden und bezeichnet werden, die vorher unabhängig voneinander betrachtet wurden. Wenn das geschieht, dann muss es in diesem Fall noch eine Unterscheidung geben in deren Rahmen die zwei Unterscheidungen bezeichnet werden konnten, die aber selbst gegebenenfalls noch nicht bezeichnet wurde. Somit lassen sich zwei Formen von Differenzierung unterscheiden: zum einen das Unterscheiden innerhalb einer Unterscheidung, was als Erweiterung bezeichnet wird; zum anderen zwei Unterscheidungen voneinander zu unterscheiden, was als Kontraktion bezeichnet wird (vgl. Spencer Brown 1999 [1969], S. 8ff.).

Die beiden regressiven Entwicklungen, die im vorangegangenen Abschnitt beschrieben wurden, können nicht als Differenzierungsprozesse bezeichnet werden, weil bei ihnen weder eine Unterscheidung innerhalb einer Unterscheidung getroffen wird noch zwei Unterscheidungen voneinander unterschieden werden. Bei der Regression zur Eindeutigkeit wird für die Bezeichnung jedes einzelnen Sachverhalts eine eigene Unterscheidung der Form »etwas/nichts« gebildet, die alle beziehungslos nebeneinander stehen. Bei der Regression zur Alldeutigkeit wird versucht alles mit einer Unterscheidung zu bezeichnen ohne diese Unterscheidung selbst zu bezeichnen. Eine Abstraktion ist daher eine besondere Form der Kontraktion, die durch die fehlende Selbstbeobachtung zustande kommt. Die beiden Regressionsformen können daher als Hinweise darauf verstanden werden, dass der Hinweis auf die Selbstreferenz der beobachtungsleitenden Unterscheidung nicht verstanden wurde.


Unkonditionierte und konditionierte Selbstreferenz

Wenn Hinweise auf Nichts auf die Selbstreferenz der Unterscheidung aufmerksam machen und Hinweise auf Nichts und Hinweise auf Alles funktional äquivalent sind, dann tritt die Selbstreferenz der Unterscheidung in zwei Formen auf. Zum einen in der Form des leeren Raums, als Nichts. In dieser Form gibt sie keinerlei Anhaltspunkte, wie der Hinweis verändert werden kann. Jede noch so willkürliche Bezeichnung kann als Kompensation dienen. Mit anderen Worten, Nichts liefert keine Anhaltspunkte im Sinne von Einschränkungen oder Bedingungen dafür, wie verändert werden kann. Es bietet absolute Freiheit bei der Wahl einer Lösung, denn Nichts verweist auf Alles. Ohne Kontext kann die Auswahl der Unterscheidung völlig beliebig erfolgen. Nichts bzw. der leere Raum ist damit ein Hinweis auf die allgemeine Form, die unkonditionierte Selbstreferenz der Unterscheidung.

Ein Ausdruck, der auf Alles verweist, ist dem gegenüber ein Hinweis auf eine bestimmte Form, die konditionierte Selbstreferenz der Unterscheidung, denn es liefert eine erste Einschränkung der Aufmerksamkeit. Es ist aber nur die erste und minimalste Form der Einschränkung, ohne das damit der bezeichnete Sachverhalt bereits vollständig bestimmt ist. Mit ihr eröffnet sich zwar eine Welt. Es ist aber eine unterschiedslose Welt, die lediglich den Kontext liefert, in dem alle weiteren Bezeichnungen ihren Informationswert erhalten. Mit der Bezeichnung der konditionierten Selbstreferenz wird damit zugleich die Funktion der Unterscheidung identifiziert. 

Spencer-Brown nutzt für die Indikation der Form einer Unterscheidung das leere Token (vgl. 1999 [1969], S. 5). Zugleich ist die konditionierte Selbstreferenz das, was er als den seichtesten Raum bezeichnet (vgl. 1999 [1969], S. 6). Es handelt sich dabei um die Unterscheidung, in der der daran anschließende Differenzierungsprozess stattfindet. Der Unterschied, der mit dem leeren Raum und dem leeren Token bzw. mit Nichts und Alles markiert wird, ist der zwischen Bedingungslosigkeit und Bedingtheit.


Komplexitätsreduktion durch Unterscheiden

Im Anschluss an die bisherigen Ausführungen kann man Unterscheiden auch als Prozess des Veränderns von Nichts verstehen, mit dem Zweck die Aufmerksamkeit auf etwas richten zu können. Tut man dies, so handelt es sich um ein Wechselspiel zwischen Steigerung und Reduktion von Komplexität. Unter Komplexität wird hier Mehrdeutigkeit verstanden. Im Unterschied dazu bedeutet Einfachheit dementsprechend Eindeutigkeit.

Der Null-Wert Nichts steigert die Komplexität, indem er die Mehrdeutigkeit bis ins Absolute treiben kann und dadurch einen unendlichen Horizont an Kompensationsmöglichkeiten öffnet. Aber genau deswegen wird ein Hinweis auf Nichts bedeutungslos. Ein Hinweis auf Alles reduziert die Komplexität dagegen auf einen endlichen, aber mitunter noch längst nicht überschaubaren Horizont an Kompensationsmöglichkeiten. Er liefert nur einen ersten, vagen Hinweis. Aus allem muss immer noch eine bestimmte Kompensationsmöglichkeit, also eine bestimmte Bezeichnung gewählt werden. Die Alldeutigkeit wird mit dem Hinweis auf Alles auf Mehrdeutigkeit reduziert, ohne das damit Eindeutigkeit hergestellt wäre.

Nichts ist damit ein Signal zur Auswahl eines Auswahlbereichs und Alles ist ein Signal zur Auswahl innerhalb eines Auswahlbereichs. Jeder Auswahlbereich wird durch eine Unterscheidung konstituiert. Die Bezeichnungen, die mit einer Unterscheidung realisiert werden können, sind die Auswahlmöglichkeiten. Bei einer Unterscheidung sind die Auswahlmöglichkeiten also noch sehr überschaubar. Gleichwohl ist damit die Wahl verbunden, auf welche Phänomene die Bezeichnung angewendet werden soll. Hier können die Auswahlmöglichkeiten mitunter schon unüberschaubar sein.

Wenn jede Unterscheidung aus zwei Bezeichnungen besteht und jede Unterscheidung auch bezeichnet werden kann, dann beginnt mit jedem Wiedereintritt einer Unterscheidung in sich selbst der Differenzierungszyklus von Kompensation durch Konditionierung erneut. Mit jeder Wiederholung dieses Vorgangs innerhalb einer Unterscheidung wird die Mehrdeutigkeit etwas weiter eingeschränkt, denn die Leerstelle entsteht nun innerhalb einer Unterscheidung. Der umgekehrte Weg, die Aufhebung durch Dekonditionierung – die entsprechende Methode ist bekannt unter der Bezeichnung »Dekonstruktion« –,  zerstreut die Aufmerksamkeit und erweitert die Mehrdeutigkeit bis zur Alldeutigkeit bzw. Bedeutungslosigkeit. Dies ist der Fall, wenn auch noch die konditionierte Selbstreferenz der beobachtungsleitenden Unterscheidung negiert oder aufgehoben wird. Der Fall der Dekonstruktion macht deutlich, dass es nicht ohne Risiko ist, seine Aufmerksamkeit auf den Prozess der Aufmerksamkeitsfokussierung zu richten, denn unreflektiert kann er zur Dissoziation und zum Sinnverlust führen.

Solange man seine Aufmerksamkeit ausschließlich durch Bezeichnungen, also mit einfachen Ausdrücken, auf verschiedene Sachverhalte richtet, ist das Bedeutungspotential der Bezeichnungen nur sehr begrenzt und genau deswegen sehr störanfällig. Sie funktionieren zwar kontextfrei. Das schränkt jedoch ihre Verwendbarkeit extrem ein, denn sie wird durch das Bezeichnete festgelegt. Der Zweck der Bezeichnung ist so stark eingeschränkt, dass nur ein wiederholtes Nennen, aber kein wiederholtes Kreuzen möglich ist. Das bedeutet auch, eine Entwicklung von einfachen zu komplexen Ausdrücken wäre dann unmöglich. Für die Entwicklung komplexer Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung müssen einfache Ausdrücke also notwendigerweise mehrdeutig sein.

Erst durch ihre Kombination schränken die einfachen Ausdrücke wechselseitig ihre Mehrdeutigkeit ein. Auf diese Weise werden bestimmte Bedeutungen ausgeschlossen, die die einzelnen Bezeichnungen alleine hätten, und übrig bleiben nur die Bedeutungen, die durch ihre Kombination noch möglich sind. Die Mehrdeutigkeit wird dadurch soweit reduziert, dass ein zusammengesetzter Ausdruck in einer Situation seinen Zweck, die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, erfüllen kann. So wird Komplexität im Sinne von Mehrdeutigkeit gerade dadurch reduziert, dass die Komplexität der Ausdrücke erhöht wird.

Beim Sprung von einfachen zu komplexen Ausdrücken stößt man wieder auf den Unterschied zwischen Bezeichnungen und den Beschreibungen dessen, was bezeichnet wird. Spencer-Brown spricht statt von Bezeichnungen und Beschreibungen von Kondensation und Konfirmation. In der Bezeichnung wird ihr Zweck, also der Sinn des Bezeichneten, kondensiert und durch die Beschreibung wird er konfirmiert. Als Ausdruck ist eine Beschreibung komplex im Vergleich zu einer einfachen Bezeichnung. Kondensation und Konfirmation sind im Kalkül ebenfalls zwei entgegengesetzte Richtungen desselben Transformationsschrittes (vgl. Spencer-Brown 1999 [1969], S. 9f.). Kondensation ist die Kontraktion eines komplexen Ausdrucks auf einen einfachen Ausdruck. Konfirmation ist die Erweiterung eines einfachen Ausdrucks zu einem Komplexen. Der Zweck der kondensierten Bezeichnung und ihrer konfirmierenden Beschreibung ist derselbe. Sie sind also funktional äquivalent, da sie beide auf dasselbe verweisen. 

Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass durch die Kombination der Ausdrücke die Aufmerksamkeit auch zerstreut werden kann. Ob ein komplexer Ausdruck seinen Zweck erfüllt, hängt davon ab, welche einfachen Ausdrücke wie miteinander kombiniert werden. Das gelingt nicht, wenn zwei Ausdrücke, die sich in ihrer Bedeutung gegenseitig ausschließen zu einem Ausdruck zusammengesetzt werden. Sie heben sich gegenseitig auf und bilden so ein funktionales Äquivalent zu einem Hinweis auf Nichts. Je komplexer ein Ausdruck ist, desto schwieriger gestaltet sich die Beobachtung, ob der betreffende Ausdruck sich gegenseitig aufhebende Ausdrücke enthält.

Die Kunst der Beobachtung mit komplexen Ausdrücken besteht dann darin, die Aufmerksamkeit durch die zusammengesetzten Ausdrücke auf etwas zu richten. Je größer die Mehrdeutigkeit des zusammengesetzten Ausdrucks ist, desto weniger wird die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet. Je geringer die Mehrdeutigkeit eines zusammengesetzten Ausdrucks ist, desto stärker wird die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet. Die Komplexitätsreduktion durch die Kombination einfacher Ausdrücke bewegt sich also in einem Kontinuum von Eindeutigkeit und Alldeutigkeit bzw. Bedeutungslosigkeit. Eindeutigkeit und Alldeutigkeit sind lediglich Extremfälle, die nur bei einer unbedingten Beobachtung mit einfachen Ausdrücken auftreten. Hinsichtlich komplexer Ausdrücke kann es daher nicht um die Frage gehen, ob durch die Zusammensetzung eines Ausdrucks Eindeutigkeit erreicht wird. Der Eindruck von Eindeutigkeit wird nur mit einfachen Ausdrücken erzeugt. Mehrdeutigkeit und damit die Fokussierung und Zerstreuung der Aufmerksamkeit wird durch die Zusammensetzung dagegen nur in graduellen Abstufungen erreicht. Entscheidend dafür sind die in einem komplexen Ausdruck enthaltenden Negationen und Aufhebungen.

Den Prozess der Komplexitätsreduktion durch die wechselseitige Einschränkung der Mehrdeutigkeit einfacher Ausdrücke kann man mit einem Begriff von Spencer-Brown auch als konditionierte Koproduktion (vgl. 1999 [1969], S. x) bezeichnen. Die Bezeichnung und Beschreibung der beiden Seiten einer Unterscheidung erfolgt in Abhängigkeit von einander, was nur eine andere Formulierung für wechselseitige Einschränkung ist. Worauf die Bezeichnung und Beschreibung dessen, was bezeichnet wird, die Aufmerksamkeit richten, hängt nicht nur davon ab, wie das Bezeichnete beschrieben wird, sondern auch davon, wie die jeweils andere Seite einer Unterscheidung beschrieben wird.

Die Beziehung bzw. Relation zweier Bezeichnungen wird also einzig und allein durch ihre Kombination zu einer Unterscheidung hergestellt. Und diese Beziehung trennt und vereint zugleich das, was zueinander in Beziehung gesetzt wurde. Das gilt im Weiteren dann auch für die Beschreibungen dessen, was jeweils bezeichnet wird. Die wechselseitige Abhängigkeit schränkt sowohl die Verwendung der Bezeichnung als auch den Spielraum der möglichen Beschreibung ein. Die durch die Beschreibungen ermittelte Andersartigkeit ist das, was dann den Informationswert im Rahmen einer Unterscheidung ergibt. Es kondensiert nicht nur der Zweck bzw. die Bedeutung beider Seiten. Durch das Oszillieren zwischen beiden Zwecken konfirmiert sich auch der Informationswert des Unterschieds, was jedoch, worauf bereits weiter oben hingewiesen wurde, nicht zwangsläufig zur Kondensation der Funktion der Unterscheidung führt. 


Konditionierte Koproduktion mit Nichts

Aus den bisherigen Ausführungen sollte die entscheidende Funktion des Nichts im Prozess des Unterscheidens deutlich geworden sein. Entscheidend schon allein deswegen, weil es im Rahmen dieses Prozesses zwei alternativen Zwecken dienen kann und daher bei der Verwendung eine Entscheidung verlangt.

Ausgehend von dem Sachverhalt das Nichts nur auf sich selbst verweist, kann es nur dann kreativ genutzt werden, wenn es lediglich als Platzhalter dient, um auf etwas anderes als sich selbst zu verweisen. Es richtet dann die Aufmerksamkeit auf etwas, für das es bisher noch keinen Ausdruck gibt. Dadurch wird Nichts ein imaginärer Zweck zugewiesen. Sobald durch wiederholtes Konfirmieren eine Ersatzbezeichnung kondensiert ist, verliert es seinen Zweck als Platzhalter. Die Alldeutigkeit des Nichts wird in diesem Fall reduziert, indem sein Zweck durch den wahrnehmbaren oder erschließbaren, aber noch nicht benennbaren Sachverhalt festgelegt ist. Durch eine Bezeichnung wird diese Leerstelle schließlich kompensiert. Solange Nichts noch nicht kompensiert wurde, darf der imaginäre Zweck jedoch nicht vergessen werden.

Destruktiv wird Nichts, wenn es nicht kompensiert wird – egal ob es als Hinweis auf sich selbst oder etwas anderes behandelt wird. Der Grund dafür ist einfach: Nichts verändert sich nicht. Es bleibt immer gleich und ist damit eine unveränderliche Konstante. Wenn Nichts eine unveränderliche Konstante ist, dann verändert sich auch sein Zweck, auf sich selbst bzw. die unkonditionierte Selbstreferenz der Unterscheidung zu verweisen nicht. Die einzige Ausnahme ist, wie im vorherigen Absatz erläutert, wenn man ihm bewusst einen anderen imaginären Zweck zuweist. Der imaginäre Zweck kommt Nichts nicht von selbst zu. Sollte trotzdem ohne bewusste Zuweisung eine Kompensation gelingen, wäre dies ein zufälliges Ereignis.

Weil Nichts sich nicht verändert, gilt das im Weiteren auch für alles, was zu Nichts in Beziehung gesetzt wird. Das heißt, alles, was ausschließlich von Nichts unterschieden wird, kann sich ebenfalls nicht verändern. Die Unterscheidung von unkonditionierter und konditionierter Selbstreferenz erhält ihre Funktion mit Blick auf den Prozess konditionierter Koproduktion. Da Nichts keine Beschränkungen setzt, handelt es sich bei einer konditionierten Koproduktion mit Nichts um eine unkonditionierte Koproduktion

Bei der konditionierten Koproduktion kommt zum Tragen, was Spencer-Brown im Kanon Null folgendermaßen formulierte: 
»Was ein Ding ist, und was es nicht ist, sind, in der Form, identisch gleich.« (1999 [1969], S. ix)
Was das negativ bedeutet, zeigt sich, wenn die Leerstellen nicht kompensiert werden. Je nachdem, ob eine der Bezeichnungen oder die Unterscheidung selbst unbestimmt bleibt, kommt es zu zwei verschiedenen Formen von unkonditionierter Koproduktion.

Auch wenn nur eine Bezeichnung bestimmt ist, um auf etwas zu verweisen, ist sie immer noch Bestandteil einer dreiteiligen Unterscheidung, selbst wenn die restlichen zwei Bestandteile unbestimmt bleiben. Wenn das der Fall ist, ist die Bezeichnung zugleich die Unterscheidung. Als einziger bekannter Bestandteil wird die Bezeichnung zum einzigen verfügbaren Maßstab für eine Reflexion und damit automatisch zum Reflexionswert. Da die andere Seite der Unterscheidung unbekannt bleibt, ist auch der Rejektionswert unbestimmt. Dadurch ist lediglich eine tautologische Identitätsprüfung möglich: etwas ist, was es ist. Man kann dann nur entscheiden, ob das Bezeichnete identisch ist mit dem, was bezeichnet werden soll, oder nicht. Identität wird zum Prüfkriterium, um zu bestätigen, ob die Bezeichnung das bezeichnet, was bezeichnet werden soll. Kann die Identität nicht bestätigt werden, konfirmiert das ebenfalls die Identität des Bezeichneten – nur eben negativ. Das ist die einzige Form von Feedback, die diese Form des Beobachtens zulässt.

Doch bei dieser Methode handelt es sich nicht um eine wirkliche Konfirmation, da unbestimmt bleibt, wovon sich die Identität des Bezeichneten unterscheidet. Durch wiederholtes Nennen des positiven und des negativen Ausdrucks für dasselbe kommt es nur zu einer Kondensation ohne Konfirmation. Der positive und der negative Ausdruck sind lediglich Variationen für den Hinweis auf dasselbe. So werden zwar verschiedene Ausdrücke realisiert. Da sie aber auf denselben Sachverhalt verweisen, hat man es informationstheoretisch mit einem wiederholten Nennen zu tun.

Ohne einen positiven Rejektionswert nützt also auch der Reflexionswert nichts, weil das Oszillieren zwischen Etwas und Nichts immer nur dasselbe, nämlich Etwas, bestätigen kann. Es macht keinen Unterschied, worauf man seine Aufmerksamkeit richtet, denn aufgrund der zerstreuenden Wirkung des Nichts wird die Aufmerksamkeit mangels weiterer Alternativen immer wieder auf die bestimmte Seite der Unterscheidung gelenkt. Diese Form der Beobachtung führt deswegen zu einer Fixierung der Aufmerksamkeit auf das bezeichnete Objekt.

Es kommt nur zum wiederholten Nennen, heißt dann auch, es kommt nicht zum Wieder-Kreuzen. Selbst wenn es bereits eine konfirmierende Beschreibung für die bekannte Seite der Unterscheidung geben sollte, wird sie sich nicht mehr verändern, denn es werden keine Variationen erzeugt. Da sich die Beschreibung ebenfalls nicht mehr verändern kann, verliert sie ihre konfirmierende Funktion und wird zu einer bloßen Behauptung. Jede Abweichung kann dann zur Negation oder zur Aufhebung der Behauptung führen, was dazu anregt entsprechende Abwehrmaßnahmen zu entwickeln, um sich davor zu schützen.

Die Objektfixierung ist außerdem an die benutzten Ausdrücke gebunden. Man ist damit nicht nur nicht in der Lage verschiedene Aspekte am selben Objekt zu registrieren, auf die die Aufmerksamkeit gerichtet wird. Ebenso wenig ist man in der Lage variierende Ausdrücke für dasselbe zu beobachten. Ohne Kenntnis funktionaler Äquivalente wird die psychische Aufmerksamkeit daher zu stark an die jeweiligen Mittel der Beobachtung gebunden. Dass sich mit der Zeit eine Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem einspielt, liegt also an der spezifischen Beobachtungsweise, auf die man sich mit der Unterscheidung von Etwas und Nichts einlässt.

Wenn Nichts als Platzhalter für etwas anderes verwendet wird, besteht darüber hinaus das Risiko einer Verwechslung von Bezeichnetem und Bezeichnendem. Gelingt es nicht Nichts zu kompensieren, wird die Aufmerksamkeit nicht auf das zu beobachtende Objekt, sondern sie wird stattdessen auf den Ausdruck gerichtet und er wird selbst für das Bezeichnete gehalten. Mit anderen Worten, Nichts verliert seinen Zweck als Platzhalter und wird in seinem eigentlichen Zweck benutzt – als Hinweis auf sich selbst. Deswegen ist es sehr wichtig, den imaginären Zweck bei der Suche nach einem passenden Ausdruck nicht zu vergessen.

Wenn dagegen die Unterscheidung als Funktion unbekannt bleibt, können sich zwar die beiden Seiten einer Unterscheidung in Abhängigkeit voneinander entwickeln, sofern sie bestimmt sind. Gleichwohl bleibt dann unklar welche Funktion die Unterscheidung hat. In diesem Fall wird Nichts automatisch zum Reflexionswert. Der Null-Wert ist jedoch nur mit sich selbst identisch. Somit gibt es auch keinen Maßstab mit dem die Identität des Beobachteten bestätigt werden könnte. Die Funktion der Unterscheidung bestätigt sich dann allein durch ihre erfolgreiche Verwendung. Erfolgreich bedeutet dabei lediglich, dass die Verwendung nicht abgelehnt wurde – aus welchen Gründen auch immer. Wichtig ist nur, dass die angebotene Betrachtungsweise als Prämisse für das weitere Beobachten angenommen wird.

So mögen ein Tisch und ein Stuhl insofern einen Unterschied machen als dass man von einem der beiden isst und auf dem anderen der beiden sitzt. Es ließen sich nun diverse Metaphern mit den Assoziationen Tisch-Essen und Stuhl-Sitzen kreieren, die mehr oder weniger präzise die Aufmerksamkeit auf etwas richten, um einen Sachverhalt verständlich zu machen, der nichts mit Tischen, Stühlen, Essen oder Trinken zu tun hat. Die Metapher richtet die Aufmerksamkeit aber nur im übertragenen, nicht im wörtlichen Sinne auf etwas. Wo der Unterschied zwischen Tisch und Stuhl wirklich relevant wird, weil er dort seine Funktion hat, macht sich erst in dem Moment bemerkbar, wenn das Essen angerichtet ist und die Stühle für die Gäste fehlen. 

Während man bei einer bekannten Bezeichnung nur noch zum Nennen in der Lage ist, erlaubt die unbestimmte Unterscheidung ein unreflektiertes Wieder-Kreuzen. Indem eine Analogie in wechselnden Situationen Anwendung findet, werden Variationen ihrer Anwendung produziert. Dadurch wird die Funktion der Unterscheidung wiederholt gekreuzt bzw. aufgehoben und ihr Anwendungsbereich weitet sich immer weiter aus. Es kommt zu einer Konfirmation ohne Kondensation. Zugleich lenken Metaphern und Analogien auf diese Weise von den Kontexten ihrer ursprünglichen Anwendung ab und tragen zum Vergessen der eigentlichen Funktion der Unterscheidung bei. Dadurch bestärken auch Metaphern und Analogien die Vorstellung man könnte kontextfrei beobachten.

Weil es nicht gelingt die Funktion der Unterscheidung zu kondensieren und ihre Verwendung zu begrenzen, werden Metaphern für Abstraktionsprozesse so attraktiv. Sie führen zu wesenhaften oder substantiellen Bestimmungen, bei der der wörtliche Sinn der Metapher für das Wesen oder die Substanz der verschiedenen Sachverhalte gehalten wird. Mit anderen Worten, der übertragende Sinn wird zum wörtlichen Sinn. Auch Metaphern und Analogien verleiten also zur Verwechslung. Das Verwechslungsrisiko macht es mit der Zeit umso schwieriger die aufmerksamkeitslenkende Funktion der benutzten Unterscheidung zu erkennen. Es entsteht eine sehr bildhafte, analogienbehaftete Sprache, deren fehlende Zweckmäßigkeit immer dann auffällt, wenn die Fokussierung der Aufmerksamkeit mit Hilfe des bemühten Bildes nicht gelingt, weil es für den zu beobachtenden Sachverhalt unpassend ist. Dann werden Metaphern und Analogien zu Ablenkungen, anstatt dass sie die Aufmerksamkeit auf etwas richten, und verzerren das weitere Beobachten der Objekte.

Beide Formen der unkonditionierten Koproduktion führen immer wieder zu einfachen Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung, weil Nichts keine Anhaltspunkte für Einschränkungen liefert. In beiden Fällen sind das, was ein Ding ist, und das, was es nicht ist, in der Form identisch, weil die Form bzw. die Unterscheidung, in der unterschieden wird, was ein Ding ist und was nicht, Nichts ist. In beiden Fällen lenken die bestimmten Teile der Unterscheidung von den unbestimmten Teilen ab. Das erschwert die Selbstbeobachtung bzw. den Rückschluss auf sich selbst. Dann macht es auch keinen Unterschied, ob der Reflexionswert bestimmt ist oder nicht. Der Effekt ist in beiden Fällen derselbe. Das beobachtende System behindert durch die fehlende Selbstbeobachtung seine weitere Entwicklung.

Sobald eine unkonditionierte Koproduktion anläuft, wird sich der Komplexitätsgrad verringern. Das gilt selbst dann, wenn das betreffende System bereits einen gewissen Komplexitätsgrad erreicht hat. Ob man diesen Prozess als Destruktion oder nur als Degeneration bezeichnet, hängt vom Ergebnis ab, je nachdem ob sich das beobachtenden System vollständig auflöst und damit selbst zerstört oder sich auf einem geringeren Komplexitätsniveau stabilisiert. Solange nicht alle Teile der Unterscheidung bestimmt sind, dominiert Nichts als seichtester Raum die Aufmerksamkeitsfokussierung.

Die Dominanz des Nichts ergibt sich aus seiner Einfachheit und Unbedingtheit, denn diese Eigenschaften machen unkonditionierte Beobachtungen psychisch so attraktiv. Nichts ist dann nicht nur der seichteste Raum, sondern es wird darüber hinaus zu dem, was Spencer Brown einen durchdringenden Raum nennt (vgl. 1999 [1969], S. 7). Das bedeutet, Nichts leitet den Unterscheidungsprozess und führt die psychische Aufmerksamkeit. Damit wird auch keine Irritationsfähigkeit für die geschilderten Probleme entwickelt. Der Zweck der Bezeichnungen und die Funktion der Unterscheidung beruht auf Willkür und genau das begünstigt ihre Aufhebung. Nur eine konditionierte Koproduktion hebt diese durchdringende und dominierende Wirkung des Nichts auf und führt zu komplexeren Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung. Dies gelingt nur, wenn alle drei Teile einer Unterscheidung bestimmt sind. Vereinfacht lässt sich daher sagen, Komplexität ist das Ergebnis von Bedingtheit und Einfachheit ist das Ergebnis von Bedingungslosigkeit. Kompensation durch Konditionierung wird damit zur Bedingung für eine Entwicklung von einfachen hin zur komplexen Formen, die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten.

Im Anschluss an diese Überlegungen erscheint jeder Wiedereintritt einer Unterscheidung in sich selbst gleichsam als eine Wegscheide, die zur präzisieren Aufmerksamkeitsfokussierung oder zur Zerstreuung der Aufmerksamkeit führen kann. Wird der Hinweis auf die Selbstreferenz des Informationsmediums nicht verstanden, kommt es zu einem Rückfall in die ursprüngliche Unterscheidung und zu den oben beschriebenen Regressionen. Sie sind Formen einer unkonditionierten Koproduktion. Zum Regress hin zu Eindeutigkeit kommt es, wenn lediglich der Zweck einer Bezeichnung bestimmt ist. Zum Regress hin zu Alldeutigkeit kommt es, wenn die Funktion der Unterscheidung unbestimmt ist.

Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass jeweils eine Regressionsvariante die jeweils andere korrigieren kann. Man muss genauer sagen, dass eine Regressionsform die jeweils andere kompensiert. Die Regression zu Eindeutigkeit kompensiert die Regression zu Alldeutigkeit und umgekehrt. So begrenzt eine rein wörtliche Verwendung von Bezeichnungen ist, so verwirrend kann eine ausschließliche Verwendung im übertragenden Sinne sein. Sie sind komplementär zueinander und gleichen sich gegenseitig aus. Lediglich ihre Ausprägungen können sich fallweise voneinander unterscheiden. Eine stärkere Ausprägung des Einen bedeutet eine schwächere Ausprägung des Anderen. Wird der Hinweis auf die Selbstreferenz des Informationsmediums nicht verstanden, sind die Folgen trotzdem in jedem Fall ein einfaches Ausdrucksvermögen. Die Aufmerksamkeit wird entweder zu stark fixiert oder zu stark zerstreut. Der Sinn- und Gedächtnisverlust ist in einem Fall partiell im anderen Fall vollständig. 

Die geschilderten Probleme der unkonditionierten Koproduktion sind auch der Grund, warum Gotthard Günthers Projekt einer Negativsprache (vgl. 2000 [1979]) bisher keine Früchte getragen hat. Für die Negativsprache wird die unkonditionierte Selbstreferenz der Unterscheidung als Reflexionswert gesetzt, der die Entwicklungsrichtung vorgibt. Das Besondere an der Negativsprache ist, dass das Nichts nicht naiv als Reflexionswert fungiert, sondern ganz bewusst als solcher gesetzt wird. Es dient also gerade nicht als Platzhalter. Wenn Nichts nur auf sich selbst verweist, führt es als Reflexionswert auch im wörtlichen Sinne zu nichts. Denn Nichts ist das Ergebnis der Negation von allem. Nichts kann damit auch keine Prämisse für das weitere Beobachten liefern. Die Negativsprache produziert dann lediglich eine unendliche Zahl an negativen Formulierungen, also variierende Ausdrücke für dasselbe. Der Regress hin zu Alldeutigkeit wird mit Nichts als Reflexionswert zur Methode gemacht.

Das Beispiel der Negativsprache macht deutlich, wieso stattdessen eine Verfahrensweise für den Umgang mit Nichts benötigt wird. Ohne eine Theorie über den Zweck des Nichts wird es nicht gelingen, diese Probleme zu lösen. Im Konzept der Negativsprache fehlt diese Theorie. Sie wird lediglich von der Hoffnung auf einen tieferen Sinn negativer Formulierungen getragen. Es sollte deutlich geworden sein, dass der Eindruck bodenloser Tiefe durch das unerschöpfliche Variationspotential des Nichts entsteht. Durch diese unbegründete Hoffnung läuft man mit der Negativsprache ständig Gefahr das Nichts zu mystifizieren und in die Mythologie abzudriften. Es wird zu einer Projektionsfläche für unreflektierte Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche, Enttäuschungen, Befürchtungen und Ängste. Mystifikation und Mythologie sind beides naive Kompensationsformen für eine misslungene Kompensation des Nichts [1].

Wird der Hinweis auf die Selbstreferenz des Informationsmediums dagegen verstanden, kommt es zum Wechsel der Unterscheidung. Die Folgen sind ein komplexeres Ausdrucksvermögen, eine präzisere Aufmerksamkeitsfokussierung, Bedeutungsanreicherung und ein Gedächtnis. Mit Bateson kann man diesen Wechsel auch als Kontextsprung bezeichnen (vgl. 1985 [1964]). Gleichwohl ist Komplexität keine Garantie, dass weitere Kontextsprünge gelingen. Hier spielt die Art der Selbstbeobachtung eine wichtige Rolle. Wird die eigene Beobachtungsweise nicht beobachtet, können auf jedem Entwicklungsniveau die beschriebenen Regressionen auftreten. Je komplexer das erreichte Entwicklungsniveau bereits ist, desto verworrener können sich die  Regressionstendenzen bei einem nicht gelungenen Kontextsprung gestalten. 

Je nachdem, ob ein Kontextsprung gelungen ist oder nicht, müssen zwei Formen der Kompensation voneinander unterschieden werden. Der Kontextsprung selbst ist eine Kompensation, wenn das Nichts durch einen anderen Ausdruck ersetzt und damit die unkonditionierte in eine konditionierte Selbstreferenz transformiert wird. Gelingt dieser Kontextsprung jedoch nicht, dann kommt es auch nicht zu einem Wechsel der Unterscheidung, sondern zu einem Rückfall in die indizierte Unterscheidung. Das hat das Auftreten der zwei Regressionen zu Folge, die sich wiederum gegenseitig kompensieren. Sie sind zusammen der Ausgleich für die nicht erfolgte Ersetzung des Nichts durch einen anderen Ausdruck. Von der Kompensation durch Konditionierung des Nichts muss also Kompensation als Ausgleich der nicht gelungenen Konditionierung von Nichts unterschieden werden.

Gleichwohl können die zwei Regressionsformen den Zweck der Konditionierung des Nichts nicht ersetzen, selbst wenn es dem beobachtenden System gelingen sollte ein Gleichgewicht zwischen beiden Formen herzustellen. Das Gleichgewicht kann die unausgefüllte Leerstelle nicht ersetzen. Denn der Regress zu Eindeutigkeit schränkt die Operationsmöglichkeiten zu stark ein und der Regress zu Alldeutigkeit schränkt die Operationsmöglichkeiten überhaupt nicht ein. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto unwahrscheinlicher wird der Rückschluss auf sich selbst. Weil die Unterscheidung unbestimmt bleibt, hat sich Nichts in diesem Fall als Reflexionswert realisiert – egal ob gewollt oder nicht. Auf diese Weise wird die unbestimmte Unterscheidung zu einer Reflexionsblockade. So führen die beiden parallel laufenden Regressionen trotz einer extensiven Vermehrung der Ausdrücke und zahlloser Kombinationen nicht zum Aufbau höherer Komplexität, sondern zum Abbau der bereits vorhandenen. Man kann die Konditionierung des Nichts daher auch als wirkliche Kompensation und die regressiven Entwicklungen als unwirkliche Kompensation bezeichnen.

Durch die Regressionen werden die realisierbaren Ausdrücke zwar vermehrt. Da jedoch eine große Zahl der Ausdrücke funktionale Äquivalente für die Beobachtung desselben sind, ist das Ausmaß an Redundanz zwischen den Ausdrücken höher als das Ausmaß an Varietät bzw. Komplexität. Ohne eine Reflexion der Beobachtungsmittel können die redundanten Ausdrücke nicht als solche beobachtet werden. Die Zeit und damit die Entwicklung eines beobachtenden Systems lässt sich jedoch nicht anhalten. Wird die eigene Beobachtungsweise nicht reflektiert, führt sie zu einer hohen Anzahl an redundanten Ausdrücken, die jedoch aus der Innenperspektive als verschiedene behandelt werden.

Reflektieren bedeutet im Anschluss daran nichts anderes als Leerstellen zu identifizieren und diese zu konditionieren. Leerstellen entstehen nicht nur durch fehlende Informationen, sondern auch durch überschüssige Informationen bzw. Redundanz. Reflektieren liefert aber keine Garantie, dass sich nicht wieder neue Leerstellen bilden können. Im Gegenteil, sie liefern sogar die Voraussetzungen für die Bildung neuer Leerstellen. Denn der Wiedereintritt einer Unterscheidung in sich selbst ist eine unvermeidbare Folge des Beobachtens. Er macht auf die paradoxe Konstitution der Beobachtungsoperation aufmerksam. Beobachten durch Unterscheiden beseitigt daher auf der einen Seite Unbestimmtheiten, auf der anderen Seite werden dadurch immer wieder neue Unbestimmtheiten erzeugt. Nur dadurch erreicht ein beobachtendes System informationelle Offenheit, obwohl es operativ geschlossen ist.

Statt von Unbestimmtheiten kann man auch von Unsicherheiten sprechen. Die Unsicherheiten kann man wiederum nur durch Beobachten absorbieren – also ein Hinweis auf Nichts in einen anderen verändern. Die paradoxe Konstitution der Beobachtung macht es unmöglich diese Unsicherheit jemals vollständig zu eliminieren. Es hängt vielmehr davon ab, wie die Unsicherheit absorbiert wird. Davon hängt es wiederum ab, ob sie weiterhin absorbiert oder gesteigert wird. Mit dieser selbst erzeugten Unsicherheit umzugehen, darin liegt die Herausforderung des Beobachtens.

Die zweite und dritte Regel der Form geben vor, was zu tun ist, wenn man im Unterscheidungsprozess auf die unkonditionierte oder die konditionierte Selbstreferenz der Unterscheidung trifft. Nichts verspricht eine trügerische Sicherheit, da es sich nicht verändert und die Versuchung ist groß es als letzten Orientierungspunkt zu wählen. Die »Regeln der Form« sollen helfen, dies zu erkennen. Orientierung und ein gewisses Maß an Sicherheit geben nur vollständig bestimmte Unterscheidungen. Die Bestimmung gelingt nur durch Veränderung des Nichts. Verändern bedeutet dann immer einen anderen Ausdruck zu wählen, egal ob der zu verändernde Ausdruck einfach oder komplex ist. Sicherheit lässt sich in begrenztem Maße also nur im Wandel finden. Die Regeln geben aber nur vor, dass der betreffende Ausdruck verändert werden soll. Sie geben nicht vor, wie das zu erfolgen hat. 

Doch erst die Frage nach dem Wie macht wählbare Alternativen sichtbar. Die »Regeln der Form« sollen in die Lage versetzen, die beschriebenen Probleme der Selbstreferenz und das Finden einer Lösung selbst zu beobachten. Sie richten also die Aufmerksamkeit auf den Prozess der Aufmerksamkeitsfokussierung durch Unterscheiden und welche Konditionierungen schließlich entwickelt werden. Dadurch findet Nichts als Wert seine Berücksichtigung im Kalkül. Es wird gleichsam in den Kalkül eingeschlossen, aber nur um ihn durch seine Veränderung wieder auszuschließen. Ansonsten würde Nichts den Unterscheidungsprozess dominieren und immer wieder auf sich selbst zurückführen. Nichts kann daher nur der Ausgangspunkt jeder Reflexion sein, aber niemals das Ergebnis.


Unterscheiden als evolutionärer Prozess

Wenn Unterscheiden ein Prozess ist, dann handelt es sich bei einfachen Ausdrücken um Ereignisse. Komplexe Ausdrücke setzen sich dann aus mehreren Ereignissen zusammen. Jeder Ausdruck ist als Ereignis immer beides, Wieder-Nennen und Wieder-Kreuzen. Wieder-Nennen produziert Redundanz. Wieder-Kreuzen produziert Variationen. Jeder Ausdruck ist sowohl eine Wiederholung als auch eine Variation seiner selbst.

Bezeichnungen und Beschreibungen liefern eine Möglichkeit mit Redundanz und Varietät umzugehen. In der Bezeichnung kondensiert der redundante Sinngehalt. In einer Beschreibung wird Redundanz und Varietät kombiniert, indem sie selbst wiederum differenziert wird in eine konstant bleibende Nominaldefinition und variierende Operationalisierungen der Nominaldefinition. Die Nominaldefinition kondensiert durch die Operationalisierungen und umgekehrt wird die Nominaldefinition mit Hilfe der Operationalisierungen konfirmiert. Auf diese Weise erreicht ein beobachtendes System seine informationelle Offenheit und Irritierbarkeit für seine Umwelt und findet heraus, was relevant ist und was nicht.

Begreift man eine Beschreibung als Einheit von konstanter Nominaldefinition und variierenden Operationalisierungen, so wird über beides die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz in die Beschreibung hinein copiert. Gleichwohl ist die Feedback-Schleife von Kondensation und Konfirmation dann dreistufig und besteht aus Bezeichnung, Nominaldefinition und ihrer Operationalisierung. Die Nominaldefinition fungiert als Interdependenzunterbrecher, damit die durch die Operationalisierung erzeugten Variationen nicht direkt die kondensierte Bedeutung der Bezeichnung aufhebt, wie es gemäß dem Gesetz des Kreuzens bei einer Beobachtung mit einfachen Ausdrücken passieren würde. 

Soweit lässt sich eine Feedbackschleife auch bei einer unkonditionierten Koproduktion ausbauen. Der Variationsspielraum für die Operationalisierungen ist jedoch sehr gering und tendiert mit der Zeit dazu immer kleiner zu werden bis eine Konfirmation der Nominaldefinition nicht mehr stattfindet und sie zu einer haltlosen Behauptung wird. Solange nicht weiter bestimmt wird, wovon sich eine Bezeichnung unterscheiden soll, sind die Konfirmations- und damit auch die Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschöpft.

Über die Bestimmung der Bezeichnung, der Nominaldefinition und der Operationalisierungsmethode der anderen Seite einer Unterscheidung lässt sich die Feedback-Schleife erweitern. Daraus ergibt sich die positive Bedeutung des Kanon Null. Die negative Bedeutung, wenn das Beobachtete lediglich von Nichts unterschieden wird, wurde im letzten Abschnitt vorgestellt. Wird das Beobachtete von einem oder mehreren anderen Dingen unterschieden, erhält der Kanon Null eine andere Bedeutung. Was ein Ding ist und was es nicht ist, ergibt sich dann aus den verschiedenen Unterscheidungen der Form »etwas/etwas anderes«. Der Informationswert kondensiert dann als das Ergebnis mehrere konfirmierender Feedbackschleifen, die sich durch die konditionierte Koproduktion nur in Abhängigkeit von einander entwickeln können. Was ein Ding ist und was es nicht ist, ist also das Ergebnis einer oder mehrerer Funktionen. Auf diese Weise wird die Irritationsfähigkeit bzw. die Resonanzfähigkeit des gesamten beobachtenden Systems – für die Umwelt und sich selbst – erhöht.

Gleichwohl bleiben die Nominaldefinitionen – nicht die Bezeichnungen! – der Maßstab bzw. der Reflexionswert für das Tolerieren von Variationen, denn in ihr wird der redundante Sinngehalt der jeweiligen Bezeichnung explizit ausformuliert. Die Toleranzgrenze ist erreicht, wenn der redundante Sinngehalt durch die Variationen nicht mehr konfirmiert wird. Darauf kann man wiederum mit einer Veränderung der Nominaldefinition oder mit der Veränderung ihrer Konfirmationsweise oder mit beidem reagieren. Das hätte wiederum Auswirkungen auf die anderen Nominaldefinitionen und ihrer Operationalisierungen. Wenn die variierenden Operationalisierungen eines bestimmten Sachverhalts den Sinn der Nominaldefinition aufheben, dann handelt es sich um einen Hinweis auf einen Wiedereintritt einer der verwendeten Unterscheidungen. Denn dasselbe ist nicht mehr dasselbe, sondern etwas anderes, was einer veränderten Beschreibung bedarf und damit einer weiteren Differenzierung.

Jeder komplexe Ausdruck verweist also auf Bekanntes und Unerwartetes. Unerwartetes bedeutet für das Beobachten mit einfachen Ausdrücken die Aufhebung des Bekannten. Im Ergebnis verweist der betroffene Ausdruck auf sich selbst. Das Unerwartete in Form von Neuen, Überraschenden oder Abweichenden muss nicht zwingend im Widerspruch zum bekannten Sinn stehen, sondern reichert ihn lediglich an. Weil dies aber nicht mehr mit einer einfachen Bezeichnung ausgedrückt werden kann, wird es notwendig die Konfirmationsmethoden, wie soeben beschrieben, zu erweitern. Ansonsten bleibt alles Unerwartete mysteriös und unbeschreiblich. Damit Neues, Überraschendes oder Abweichendes durch Beobachten präziser bestimmt werden kann, sind also komplexe Beobachtungsformen notwendig.

Wenn die »Regeln der Form« eine Verfahrensweise vorgeben, wie mit Nichts umgegangen werden soll, dann handelt es sich bei der Anweisung zur Änderung zugleich um eine Anweisung zur Variation der Ausdrücke. Daraus ergibt sich ein Anknüpfungspunkt, um den sich mit jedem Wiedereintritt wiederholenden Differenzierungszyklus von Kompensation durch Konditionierung mit Hilfe der Begriffe Variation, Selektion und Restabilisierung als evolutionären Prozess beschreiben zu können. Spencer-Brown hielt trotz der Operativität des Kalküls an einer logisch-mathematischen Betrachtungsweise des Beobachtungsprozesses fest. Gleichwohl bieten das Gesetz des Nennens und das Gesetz des Kreuzens im hier vorgestellten Sinne die Ansatzpunkte, um den Kalkül evolutionstheoretisch zu lesen.

Mit jedem Wiedereintritt werden zunächst Variationen bzw. funktionale Äquivalente für den Hinweis auf dasselbe erzeugt. Mit dem Wiedereintritt wird aber noch nicht der Kontextsprung vollzogen. Vielmehr treten zunächst die beiden Regressionsformen auf, welche die variierenden Ausdrücke für dasselbe erzeugen. Obgleich sie auch destruktiv wirken können, haben sie zugleich eine evolutionäre Funktion. Diese Funktion wird erst zum Problem, wenn keine Selektion erfolgt. Aus den variierenden Ausdrücken für dasselbe muss also eine Alternative ausgewählt werden, um die entstandene Leerstelle zu kompensieren. Anhand des anschließenden Beobachtungsverhaltens lässt sich erkennen, ob der Kontextsprung gelungen ist oder nicht. Die beiden Regressionsformen weisen damit zunächst auf eine Phase des Übergangs hin, welche sich vom Wiedereintritt bis zur Selektion erstreckt. Problematisch wird es erst, wenn der Übergang zum permanenten Zustand wird.

Aus einer evolutionstheoretischen Perspektive können die »Regeln der Form« auch als ein Variationsmechanismus (vgl. Luhmann 1997, S. 459) betrachtet werden. Zu beachten ist, dass die Regeln nicht im Rahmen einer Kommunikationstheorie, sondern im Rahmen einer Beobachtungstheorie aufgestellt werden. Sie beziehen sich also weder auf den Ja/Nein-Code der Sprache noch auf den Code »Annahme/Ablehnung« der Kommunikation. Der beobachtungsleitende Code ergibt sich aus dem Unterschied, ob ein Ausdruck – egal ob einfach oder komplex – auf etwas anderes verweist als er selbst oder nicht. Vereinfacht könnte man sagen, der Code lautet: »etwas/nichts«. Bei Spencer-Brown hat dieser Code die Form der Unterscheidung von leerem Token und leerem Raum.

Der Kalkül kann dann zunächst als eine Art Konsistenzprüfung verwendet werden, mit dem sich die innere Konsistenz einer Sinnform als Einheit von Bezeichnung, Nominaldefinition und Operationalisierungen prüfen lässt. Entscheidend ist dabei, ob die variierenden Operationalisierungen der konstanten Nominaldefinition entsprechen. Jedes Mal findet ein Abgleich von Selbstreferenz bzw. Nominaldefinition und Fremdreferenz bzw. Operationalisierung statt, bei dem über die Fremdreferenz die Selbstreferenz bestätigt wird oder nicht. 

Wenn sich die zwei Bezeichnungen einer Unterscheidung wechselseitig in ihrer Bedeutung festlegen, kommt hier die konditionierte Koproduktion zum Tragen. Je weiter die Feedbackschleifen sind, desto mehr Formen können von einer Veränderung in einer bestimmten Form betroffen sein. Da die Implikationen einer Selektion – egal ob reflektiert oder unreflektiert – nicht unmittelbar ersichtlich sind, besteht der Restabilisierungsprozess darin mit den Implikationen einer Selektion umzugehen. Diese Auswirkungen bestehen aus neuen Variationen, aus denen sich die Notwendigkeit neuer Selektionen und neuer Restabilisierungen ergibt. 

Die Evolution eines beobachtenden Systems vollzieht sich dann durch das Schaffen von Bezeichnungen inklusive ihrer konfirmierenden Beschreibungen und, da sie sich in Abhängigkeit voneinander entwickeln, die Beschreibungen aufeinander abzustimmen. So entsteht ein sich wiederholender Zyklus von Variation, Selektion und Restabilisierung, der die evolutionäre Differenzierung eines beobachtenden Systems vorantreibt. Die praktische Herausforderung besteht darin, die Evolution von einer oder mehrerer Sinnformen mit Hilfe von Spencer-Browns Kalkül nachzuvollziehen. Der Code »etwas/nichts« wird dafür im Hinblick auf den Prozess des Beobachtens in »kontrahiert/erweitert« modifiziert. Auf diese Weise lässt sich sowohl der redundante Sinngehalt als auch die variierenden Informationen berücksichtigen und die Evolution einer Sinnform oder die Koevolution mehrerer Sinnformen nachvollziehen. 

Mit der hier vorgestellten Theorie über Nichts wurde eine wichtige Konditionierung vorgenommen, damit das Nichts nicht zur Projektionsfläche für unbegründete Erwartungen, sondern zu einem heuristischen Instrument wird. Im Zuge der Erläuterung der Regeln sind die Indikatoren vorgestellt worden, die anhand des beobachtbaren Beobachtungsverhaltens anzeigen, ob ein Kontextsprung gelungen ist oder nicht. Die Regeln der Form sind damit lediglich eine Art Signalgeber, ob man es mit einem Wiedereintritt zu tun hat. Sie weisen, wenn man so sagen darf, auf die Spielfeldbegrenzung für die bekannten Beobachtungsmöglichkeiten hin. 

Man kann dies zunächst auch für eine bloß negative Konfirmation halten. Die Begrenzung rahmt jedoch das Spielfeld. Durch diese Rahmung wird die Aufmerksamkeit auf den Prozess des Beobachtens gelenkt. Hinter dieser Grenze beginnt der unmarkierte Raum bzw. das Nicht-Realisierte. Bis zum Überschreiten dieser Grenze bleibt unbekannt, welche realisierbaren Möglichkeiten der unmarkierte Raum bereithält. Für die Bestimmung dieser Möglichkeiten muss man die Grenze immer wieder kreuzen und weitet sie durch die Bestimmung der unbekannten Möglichkeiten aus. 

Mit dem Wiedereintritt der Unterscheidung tritt man in diesen Raum der unbekannten Möglichkeiten ein. Mit einer Selektion tritt man aus ihm wieder aus. Ohne das Wissen um den Zweck und die Funktion des Nichts kann man sich leicht in diesem irrealen Raum der Möglichkeiten verlieren. Nicht wenige Konzepte, die nicht über eine Theorie über den Zweck und die Funktion des Nichts verfügten, haben sich in diesem Raum verloren und jagen einer Illusion nach. Umso wichtiger ist es, die eigene Beobachtungsweise und den Umgang mit Nichts reflektieren zu können. Dadurch wird der Unterscheidungsprozess Schritt für Schritt zu einem Entscheidungsprozess.


Warum »Regeln« der Form?

Spencer-Brown bezeichnet seinen Kalkül als »Gesetze der Form«. Warum spreche ich nur von Regeln und nicht von Gesetzen? »Gesetz« ist ein ziemlich starker Begriff, der eine unbedingte Geltung behauptet und die ebenso unbedingte Befolgung verlangt. Dass Spencer-Brown diesen Begriff gewählt hat, liegt möglicherweise an seiner Lehrmethode. Er bezeichnet seine Lehrmethode als Befehl und Betrachtung (vgl. 1999 [1969], S. xf.), welche im Kalkül formalisiert wird. Die Gesetze befehlen gleichsam, wie ein Ausdruck zu verändern bzw. zu transformieren ist. Nach der Transformation soll man sich das Ergebnis anschauen. Die Formalisierung im Kalkül sichert die Wiederholbarkeit und damit die Nachvollziehbarkeit einer vollzogenen Transformation. 

Aus den »Regeln der Form« ergibt sich eine andere Methode, die vermutlich dem ähnelt, was Spencer-Brown als Gerede und Interpretation bezeichnen würde. Die »Regeln der Form« bestimmen nur den Zweck des Beobachtens und wie formal – nicht inhaltlich! – zu unterscheiden ist. Alle anderen Formen, die der Form entnommen werden können, werden durch Versuch und Irrtum der Form entnommen. Im Zuge dessen erschließen sich nicht nur die formalen, sondern auch die inhaltlichen bzw. qualitativen Beziehungen zwischen den Formen. Dies vollzieht sich weniger nach der strengen Vorgabe von Befehl und Betrachtung, sondern mehr nach dem losen, tastenden Gerede und dessen Interpretation. Der Zweck dieser Vorgehensweise besteht darin, die Aufmerksamkeit nicht zu stark an bestimmte Ausdrücke zu binden, sondern die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was mit welchen Ausdrücken beobachtet wird, um schließlich auch die jeweils gebrauchte Unterscheidung zu erschließen.

Dass Spencer-Brown auf die strenge Lehrmethode setzt, lässt sich ebenfalls von einem evolutionstheoretischen Standpunkt aus verstehen. Lehrmethode bedeutet, es geht um die Form der Wissensvermittlung. Eine Eins-zu-eins-Übertragung des Wissens vom Mitteilenden auf den Empfänger ist unmöglich. Gleichwohl stellt Spencer-Browns Methode einen Weg dar, dies trotzdem zu versuchen. Es geht darum durch Befehl und Betrachtung das Ausmaß der Variationen im Hinblick auf das mitgeteilte Wissens so gering wie möglich zu halten, wenn nicht gar vollständig zu unterdrücken. Spencer-Brown verfolgt mit seiner Methode das Ziel, seinen Schülern die »Gesetze der Form« weitestgehend ohne Informationsverlust vermitteln zu können.

Der Zweck dieser Methode ist nachvollziehbar. Fängt man zu früh an bestimmte Axiome in Frage zu stellen, erkennt man ihren Zweck nicht. Gleichwohl verhindert man durch diese strenge Methode die Weiterentwicklung der vermittelten Ideen. Hieraus ergibt sich die Funktion von Gerede und dessen Interpretation. Das Gerede erzeugt variierende Ausdrücke für dasselbe, die Interpretation soll schließlich die Selektion eines Ausdrucks ermöglichen. Die variierenden Ausdrücke ermöglichen es dasselbe nochmals aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Durch einen solchen Versuch eines Perspektivenwechsels sind auch die »Regeln der Form« entstanden. Sie sind eine Möglichkeit die »Gesetze der Form« zu variieren und dadurch auf andere Anwendungsgebiete zu übertragen – hier auf Soziologie und Psychologie.

Der Effekt beider Methoden ist, dass der Schüler durch Nachahmung und Erfahrung lernt. Eine Methode setzt stärker auf die Autorität des Lehrers, die andere mehr auf die Autonomie und Irritationsfähigkeit des Schülers. Mit Hilfe der Methode von Befehl und Betrachtung bleibt dem Schüler nichts anderes übrig als das angebotene Wissen des Lehrers anzunehmen. Der Schüler ist dann in der Lage Probleme zu lösen, die er aus der eigenen Erfahrung nicht kennt. Er erfährt nur, dass die Lösung offenbar funktioniert. Bei der Methode von Gerede und Interpretation, wie sie sich aus den »Regeln der Form« ergibt, trifft der Schüler zuerst auf die Probleme und muss sich selbst auf die Suche nach einer geeigneten Lösung machen. Bei dieser Suche kann man sich dann selbstverständlich mit den Lösungsverschlägen von anderen Autoren auseinandersetzen.

Auf diesem Wege können durch ein gesteigertes Problembewusstsein nach einer Weile auch die »Gesetze der Form« und andere Lösungen besser nachvollzogen werden. Die Methode von Befehl und Betrachtung findet sich aber in Form der expliziten Anweisung, dasselbe anders zu bezeichnen, und der impliziten Aufforderung, das Ergebnis zu betrachten, auch in den »Regeln der Form« wieder. Die Entscheidung, ob eine Bezeichnung auf etwas anderes als sie selbst, auf nichts oder auf sich selbst verweist, erfordert eine Betrachtung des Ergebnisses nach der Ausführung der Anweisung, dasselbe anders zu bezeichnen.

Die »Regeln der Form« sind damit ein Kompromiss zwischen beiden Methoden. Sie lassen in jedem Moment die Abweichung, die Ausnahme, die Variation in Form des leeren Raums zu, ohne dass das Nichts zum einzigen Reflexionswert wird und die Entwicklungsrichtung vorgibt. Zugleich zeigen sie, dass die »Gesetze der Form« unabhängig von einem bestimmten psychischen Beobachter gelten, denn selbst wenn sie nicht beachtet werden, zeigen die Folgen, dass sie trotzdem gelten. Denn auch diese können noch mit dem Kalkül nachvollzogen werden. Mit anderen Worten, die »Regeln der Form« können gebrochen werden, die »Gesetze der Form« nicht. Denn selbst durch das Brechen der »Regeln der Form« werden die »Gesetze der Form« noch bestätigt.





[1] Siehe zum Thema Negativsprache auch meinen Text »Negativsprache oder Formkalkül?«


Literatur
Bateson, Gregory (1985 [1964]): Die logischen Kategorien von Lernen und Kommunikation. In ders.: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 362 - 399
Bateson, Gregory (1987 [1979]): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Günther, Gotthard (2000 [1979]): Identität, Gegenidentität und Negativsprache. URL: http://www.vordenker.de/ggphilosophy/gunther_identitaet.pdf (letzter Aufruf 12.03.2016)
Luhmann, Niklas (1992): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1993): Die Paradoxie der Form. In: Baecker, Dirk (Hrsg.): Kalkül der Form. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 197 - 212
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Spencer-Brown, George (1999 [1969]): Laws Of Form. Gesetze der Form. 2. Auflage Bohmeier Verlag Lübeck


Eingangszitate aus:
Asimov, Isaac (2012 [1951 – 1953]): Die Foundation-Triologie. 3. Auflage Wilhelm Heyne Verlag München. S. 833
Serres, Michel (1987 [1980]): Der Parasit. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. S. 247

1 Kommentar:

  1. das theme haut einem die augen ein, eine form aus dem vor-ergonomischen zeitalter. guter witz.

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