Donnerstag, 6. Dezember 2012

Über die Kommunikation der Internet-Trolle*



Im letzten Blog-Beitrag wurde dargelegt, dass Kontingenz als Effekt der Beobachtung 2. Ordnung ein spezifisch modernes Konzept ist. Für Kritik gilt dies ebenfalls, da Kritik auch erst durch Beobachtung 2. Ordnung möglich ist. Bloße Negation um der Negation willen ist noch keine Kritik. Das Internet als technische Infrastruktur zur Informationsverbreitung erweitert die Möglichkeiten für Beobachtungen 2. Ordnung und damit auch für Kritik. Damit erzeugt das Internet ein Überangebot an Kommunikationsofferten und insofern einen Verweisungsüberschuss an kommunikativen Anschlussmöglichkeiten. Der Verweisungsüberschuss kann aber nicht allein mit Kommunikation via Internet bewältigt werden. Aufgrund fehlender Möglichkeiten für eine räumliche Integration lassen sich im Internet nur sehr schwer stabile Formen der kommunikativen Selbstorganisation etablieren. Auf diese Weise erfüllt das Internet in der modernen Gesellschaft die Funktion einer laufenden Irritation der Gesellschaft. Sobald es jedoch darum geht durch Entscheidungen irreversible Sachverhalte zu schaffen, spielen Kommunikationsprozesse via Internet nur eine marginale Rolle. Wer etwas verändern möchte, wird es nicht vermeiden können direkt mit Menschen in Kontakt zu treten.


Während der letzte Beitrag das Thema Kontingenz, Kritik und Internet gesellschaftstheoretisch beleuchtete, wird im Folgenden diese Thematik um eine interaktionstheoretische Perspektive erweitert mit besonderem Fokus auf dem was an anderer Stelle als Kampf um die Deutungshoheit des Selbst bezeichnet wurde. Damit rücken die Formen der personenbezogenen Kritik in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Insbesondere geht es um das Wie der Kritik und nicht darum, dass kritisiert wird. Heute kann sich jeder eine Meinung bilden - auch mit Hilfe des Internets – und gegebenenfalls Kritik via Internet üben. Wenn jeder kritisieren kann, drängt sich die Frage nach den Erfolgsbedingungen für Kritik auf. Aus einer evolutionstheoretischen Perspektive betrachtet, erfüllt Kritik im Rahmen der drei Komponenten des Evolutionsprozesses Variation, Selektion, Restabilisierung die Funktion Variationen zu erzeugen. Variationen führen jedoch zur Selbstblockade eines Systems, wenn keine Selektion stattfindet welche wiederum eine Restabilisierung des Systems ermöglicht. Als eine wichtige Bedingung wurde bereits die Anwesenheit der Kommunikationspartner benannt. Aber Anwesenheit allein ist noch kein Erfolgsgarant. Auch bei Kommunikation unter Anwesenden kann noch einiges schiefgehen. Im Folgenden geht es aber weniger darum Kommunikationsbedingungen zu identifizieren, die einen Erfolg garantieren sondern um eine Analyse eines leidlich bekannten Internetphänomens, nämlich das sogenannte Trollen. Es geht um die Beleidigungen und Sticheleien, die man heute in den Kommentaren zu Blogs und Artikeln der Online-Medien findet. Unter Trollen wird hier eine auf Kommunikation via Internet beschränkte Kommunikationsform verstanden. Es wird lediglich angenommen, dass es sich beim Trollen um eine Form von personenbezogener Kritik handelt. Zunächst sind jedoch einige Vorüberlegungen notwendig um den theoretischen Kontext darzustellen in dem dann eine Analyse des Trollens erfolgen wird. Dabei handelt es sich um eine Kombination der Interaktionstheorie Erving Goffmans und der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns. Daran anschließend wird untersucht, wie beim Trollen kritisiert wird und welche Funktion Trollen erfüllt. 


I. 

Interaktion meint hier Kommunikation unter Anwesenden. Die Besonderheit von Interaktionssituationen liegt darin, dass die Anwesenden sich gegenseitig Wahrnehmen und sich darüber auch bewusst sind. Die Interaktion strukturiert sich um ein gemeinsames Zentrum auf das sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden richtet (vgl. Collins 2005, S. 48). Das kann ein Objekt sein auf das sich die Handlungen der Anwesenden beziehen oder ein Thema über das sich die Anwesenden unterhalten. Wahrnehmung gewährleistet nicht nur eine raum-zeitliche Kontinuität der Situation sondern auch eine gewisse Kontrolle des Verhaltens der Anwesenden. So lässt sich nur unter dem Risiko der Exklusion bestreiten, dass man eine bestimmte Handlung nicht ausgeführt hat obwohl es mehrere Zeugen dafür gab, die ebenfalls anwesend waren. Genau wie bei einem Briefwechsel oder beim Telefonieren wird bei der Kommunikation via Internet die Wahrnehmung die beteiligten Menschen eingeschränkt. Man kann den Kommunikationspartner nicht mehr sehen und hören. Bei der Kommunikation unter Abwesenden fällt also die Wahrnehmung als wichtige Stütze zur Orientierung des Kommunikationsprozesses weg. Unter diesem Gesichtspunkt behindern die technischen Mittel zur Kommunikation unter Abwesenden die Wahrnehmung der beteiligten Menschen. Erving Goffman bezeichnete daher Kommunikationsformen unter Abwesenden wie z. B. Telefonieren oder Briefwechsel als „blinde Transaktionen“ (Goffman 1974b, S. 107). Kommunikation via Internet kann man ebenfalls dazuzählen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Interaktionssituationen ist die symbolische Ordnung, die durch die Images der Anwesenden konstituiert wird. Jeder der Anwesenden erzeugt im Laufe der Interaktion durch sein Verhalten ein bestimmtes Bild von sich selbst von dem die anderen Anwesenden annehmen man verfolge es. Dieses Bild von sich selbst wird auch als Image bezeichnet (vgl. Goffman 1986a, S. 10.). Mit dem Image werden vor allem positive Eigenschaften verbunden, die es den beteiligten Anwesenden ermöglicht weiterhin ein Bestandteil der entstandenen symbolischen Ordnung zu sein. Ohne ein Image oder mit einem falschen Image ist es nur sehr schwer möglich an einer Interaktion teilzunehmen. Kein Image und falsches Image bezeichnen Verhaltensstrategien die nur schwer in die symbolische Ordnung integriert werden können (vgl. Goffman 1986a, S. 10ff.). Ein Image bzw. eine soziale Adresse entsteht im Laufe von Kommunikationsprozessen automatisch, denn jeder Kommunikationsprozess benötigt Zurechnungsinstanzen auf die ein bestimmter Beitrag zugerechnet werden kann (vgl. Fuchs 1997). Diese Zurechnungsinstanzen sind die anwesenden Menschen. Dass man ohne ein Image bzw. eine soziale Adresse nicht an einer Interaktion teilnehmen kann, bedeutet jedoch nicht, dass sich die Beteiligten vor Beginn der Interaktion kennen müssen. Es bedeutet lediglich, dass Kommunikation ermöglicht wird. Wenn sich Menschen begegnen, die sich nicht kennen und miteinander in eine Interaktion eintreten, so können sie das weil ihre sozialen Adressen noch unbeschriebene Blätter sind. Sobald die Anwesenden sich gegenseitig wahrnehmen und sich dessen auch bewusst sind, beginnt der Prozess der Imagebildung.

Wenn sich zwei für einander unbekannten Menschen begegnen ist diese Situation weitest gehend unbestimmt. Niklas Luhmann bezeichnet eine Situation sinnhafter Unbestimmtheit als eine Situation doppelter Kontingenz (vgl. Luhmann 1984, S. 148 – 190). Von Kontingenz wird gesprochen, wenn etwas als nicht notwendig und deswegen anders möglich beobachtet wird (vgl. Luhmann 1984, S. 152). Anders gesagt, weist Kontingenz auf Alternativen hin. Etwas erweist sich als kontingent, wenn man weiß, dass es auch anders möglich gewesen wäre. So kann jeder der füreinander unbekannten Anwesenden aus einem Horizont von Handlungsmöglichkeiten wählen um eine erste sinnhafte Bestimmung der Situation vorzunehmen, z. B. durch ein Grußwort. Hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten von einem der Anwesenden spricht man von einfacher Kontingenz. Da aber eine Interaktion erst durch mindestens zwei Personen zustande kommt, muss auch der Horizont der Handlungsmöglichkeiten der zweiten Person berücksichtigt werden. Deswegen spricht man von einer Situation doppelter Kontingenz. In diesem Sinne erzeugt eine Interaktionssituation nicht nur gegenseitige Wahrnehmung sondern auch doppelt kontingente Beobachtungsmöglichkeiten.

An anderer Stelle wurde Beobachtbarkeit als Risiko und Gefahr für die Images der an einer Interaktion Beteiligten beschrieben. Doppelte Kontingenz ist eine andere Beschreibung dieses Problems. Die Handlungsmöglichkeiten des Interaktionspartners können verletzend oder bestätigend sein. Dadurch wird Beobachtbarkeit zur Gefahr und zur Chance für das eigene Image. Umgekehrt stellen dann auch die eigenen Handlungsmöglichkeiten für das Image des Interaktionspartners potentielle Gefahren dar. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten können aber ebenso das eigene Image verletzen oder bestätigen. Somit wird das eigene Verhalten zum Risiko und zur Chance für das eigene Image. Das gilt in gleicher Weise für die Handlungsmöglichkeiten und das Image des Interaktionspartners. Ein falsches Image entsteht z. B. dann, wenn Information in die Interaktion eingebracht werden, die nicht mit der Verhaltensstrategie vereinbar sind von der angenommen wurde, dass sie vom Träger des falschen Images bisher verfolgt wurde. Diese Informationen können durch das eigene Verhalten oder durch das des Interaktionspartners entstehen. Kein Image entsteht, wenn für einige der an einer Interaktion Beteiligten nicht ersichtlich wird, welche Verhaltensstrategie von einem der Beteiligten verfolgt wird (vgl. Goffman 1986a, S. 13). In beiden Fällen geht es um die Erwartungen, die aus einer Verhaltensstrategie entstehen. Spätestens wenn Erwartungen durch Imageverletzungen enttäuscht werden, erweisen sich die selbstverständlichen Umgangsformen als kontingent. Denn Erwartungsenttäuschungen weisen darauf hin, dass es auch anders gehen könnte. 


II. 

Wenn Interaktionssituationen zustande kommen, ergeben sich automatisch Möglichkeiten für Bestätigungen und Verletzungen der Images der partizipierenden Anwesenden. Das gilt grundsätzlich auch für Kontakte via Internet. Um jedoch genauer analysieren zu können, welche Auswirkungen die Einschränkungen der Wahrnehmung auf die Kommunikation unter Abwesenden haben, wird ein weiteres Konzept von Erving Goffman herangezogen. Es handelt sich dabei um die Territorien des Selbst (vgl. Goffmann 1974). Als Territorien bezeichnet Goffman verschiedene Formen der sozialen Organisation, die sich jeweils an einem bestimmten Objekt orientieren. Das Objekt verweist auf eine konkrete Person, welche dieses Objekt für sich in Anspruch nimmt. Solche Territorien des Selbst können das eigene Grundstück sein, ein ergatterter Sitzplatz in der S-Bahn, der Platz in einer Schlange, der mit einem Handtuch markierte Platz am Strand, persönliche Gegenstände wie das Portemonnaie, die Jacke, der Hut, die Zigarettenschachtel, auch der eigene Körper oder sogar Informationen, die etwas über die eigene Person verraten. In allen diesen Fällen ergeben sich aus dem jeweiligen Objekt, das mit einer Person in Verbindung  steht, bestimmte Interaktionsformen bezüglich dieser Objekte. Goffman unterscheidet drei Merkmale von Territorien des Selbst, die sich aus dem raum-zeitlichen Anspruch auf ein bestimmtes Objekt ergeben. Territorien des Selbst können ortsgebunden, situativ oder egozentrischen sein. Ortsgebunden meint einen räumlich begrenzten Anspruch, der aber für eine unbestimmte Zeit besteht. Situative Territorien des Selbst sind sowohl räumlich als auch zeitlich begrenzt. Egozentrische Territorien des Selbst sind weder räumlich noch zeitlich begrenzt, sondern an die Person gebunden und bewegen sich deswegen mit ihr mit.

Davon ausgehend untersuchte Goffman wie Menschen in Situationen gegenseitiger Wahrnehmung versuchen ihre Territorien durch sichtbare Zeichen zu markieren. Dabei unterschied er zwischen zentralen Markierungen, die auf einen territorialen Anspruch hinweisen, Territoriumsmarkierungen, die auf die Grenzen zwischen zwei Territorien hinweisen, und sogenannte Stempel, die auf oder an dem beanspruchten Objekt angebracht oder eingeprägt werden (vgl. Goffman 1974a, S. 71). Diese sichtbaren Zeichen sind ebenfalls Bestandteil der durch die Images der anwesenden Beteiligten gebildeten symbolischen Ordnung einer Interaktionssituation. Aufgrund der Assoziation von Person und Gegenstand wird erwartet, dass dem Gegenstand derselbe Respekt entgegengebracht wird wie der Person auf die der Gegenstand verweist. Eine Missachtung der Markierungen kommt einer Verletzung der Person gleich. Mit der Markierung von Territorien des Selbst durch sichtbare Zeichen findet eine sinnhafte Verschränkung von Person und Objekt statt, die einen persönlichen Anspruch begründen.

Neben einem persönlichen Anspruch auf bestimmte Objekte können aus sozialen Beziehungen auch Ansprüche auf eine bestimmte Person entstehen. Auch und gerade solche persönlichen Ansprüche auf Verfügbarkeit einer anderen Person erfordern Zeichen, die einen solchen Anspruch für die beanspruchte Person akzeptabel machen. Goffman zeigte, dass Gruß- und Abschiedsrituale diese Funktion erfüllen (vgl. Goffman 1974b, S. 118ff.). Sie markieren den Anfang und das Ende einer Phase erhöhter persönlicher Zugänglichkeit. Während dieser Phase kann die Zeit einer anderen Person mit größerer Berechtigung in Anspruch genommen werden als außerhalb dieser Phase. Gruß- und Abschiedsrituale werden deswegen auch als „Zugänglichkeitsrituale“ (Goffman 1974b, S. 119) bezeichnet. Die Markierung solcher Phasen erhöhter Zugänglichkeit kann durch verbale und nonverbale Zeichen erfolgen. Zugänglichkeitsrituale können ebenfalls als Markierungen von Territorien des Selbst betrachtet werden. Die Territorien sind in diesem Fall situativ und egozentrisch. Wobei die Images der Beteiligten selbst zu den Objekten werden an denen sich das Verhalten der Anwesenden orientiert. Während einer Interaktionssequenz kommen sowohl sichtbare, verbale und nonverbale Zeichen zum Einsatz um persönliche Bezüge herzustellen. Egal was im Zentrum der gemeinsamen Aufmerksamkeit steht, es wird mit Markierungen der Territorien des Selbst durchsetzt sein. Weil immer mindestens zwei Personen an einer Interaktion beteiligt sind und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Territorien des Selbst überschneiden, hat jede Interaktionssituation ein gewisses Potential Vorfälle auszulösen, die einen oder mehrere Beteiligte in Verlegenheit bringen können. Die Funktion von Interaktionsritualen ist es solche Situationen zu vermeiden oder mit diesen Situationen umzugehen und die Verlegenheit aufzulösen (vgl. Goffman 1986b). 


III. 

Das Wissen um solche Verhaltensformen, die Menschen in die Lage versetzen mit Vorfällen umzugehen, scheint in der heutigen Zeit immer stärker abzunehmen. In vormodernen Gesellschaften wurden die Verhaltensregeln aus der sozialen Herkunft, wie z. B. dem Stamm oder dem Stand, abgeleitet. Als Mitglied war man mit den angemessenen Umgangsformen vertraut und wusste, wie man sich gegenüber anderen Personen zu verhalten hatte. Mit dem Übergang zur Moderne wurden aber diese externen Bestimmungen der sozialen Adresse durch geographische Herkunft oder biologischer Abstammung immer fragwürdiger. Einen großen Einfluss hatte dabei die funktionale Differenzierung der Gesellschaft. Für die Inklusion in die Wirtschaft, das Recht, die Politik, die Liebe, die Kunst oder die Wissenschaft spielt die geographische oder biologische Herkunft keine Rolle mehr. Jedes Funktionssystem der Gesellschaft hat sein eigenes Inklusionsmuster und stellt jeweils andere Erwartungen an eine Person. Damit gibt die eigene soziale Position keine Hinweise mehr, wie man sich verhalten muss. Aufgrund der heterarchischen Struktur der funktional differenzierten Gesellschaft lassen sich auch keine allgemeinen Verhaltensregeln mehr institutionalisieren, die für alle Menschen gelten könnten. Aufgrund der geschlossenen Operationsweise sozialer Systeme hat die Trennung zwischen Sozialsystem bzw. Gesellschaft und Mensch immer bestanden, semantisch wurde diese Trennung erst in der Moderne vollzogen. Die Forderung nach einer freien und selbstbestimmten Lebensweise ist das semantische Komplement zu den Autonomiesemantiken der einzelnen Funktionssysteme. Dass Menschen reflexions- und entscheidungsfähig sind, wird zur notwendigen Erwartung seitens der einzelnen Funktionssysteme. Gerade bei unklaren Erwartungen wird damit ein hohes Maß an sozialer und emotionaler Intelligenz bei den Menschen vorausgesetzt. Angesichts der hohen Anforderungen, die eine Interaktionssituation an die Beteiligten stellt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Interaktionen in den meisten Fällen nicht reibungslos, d. h. erwartungsgemäß, verlaufen werden.

Die von Goffman beschriebenen Interaktionsrituale sind Lösungen dieses Problems. Diese haben sich jedoch von starren Verhaltensabfolgen immer mehr zur Verfahren mit offenem Ausgang entwickelt. Es geht also nicht mehr einfach darum erlerntes Wissen – in diesem Fall über angemessenes Verhalten – abzurufen sondern um den Einsatz der Kompetenz mit Unbestimmtheit, Doppeldeutigkeit und Kontingenz umzugehen, also sich auf neue und unerwartete Situationen einzustellen. Dieses Erfordernis verlangt von Menschen in hohem Maße eine spontane Lernbereitschaft hinsichtlich der Interaktionspartner ab. Anders ausgedrückt, geht es um die Penetrationsfähigkeit psychischer Systeme in dem Sinne, dass sie systemeigene Komplexität bereitstellen müssen um die relevante Umwelt in Form der Interaktionspartner systemintern konstruieren zu können. Sozial gesehen besteht dieses Erfordernis wechselseitig und wird Interpenetration genannt (vgl. Luhmann, 1984, S. 290). Der einzige Anhaltspunkt der dafür noch soziale und psychische Orientierung geben kann, ist das eigene Image. Nur über das eigene Image kann ein Abgleich zwischen eigenen und fremden Erwartungen erfolgen. Psychisch entstehen dadurch zum einen systemintern Information über die Umwelt. Zum anderen wird man bei Erwartungsenttäuschungen unter Umständen auf die eigenen blinden Flecke hingewiesen. Diese Irritationen können dann auch zu Lernprozessen führen. Voraussetzung dafür ist, dass man eine Vorstellung von sich selbst hat und wie diese zu der symbolischen Ordnung einer Interaktionssituation passt.

Empirisch gesehen, scheint es gegenwärtig aber gerade beim Umgang mit Unerwartetem, Kontingentem und Mehrdeutigem einige Defizite zu geben. Der hohe Beratungs- und Therapiebedarf ist dafür ein wichtiger Indikator, der zum Aufstieg dessen geführt, was Eva Illouz als therapeutischen Diskurs beschreibt (vgl. 2009). Der Mangel an allgemein verbindlichen Verhaltensregeln scheint eine wichtige Ursache dafür zu sein. Vieles muss heute situativ erarbeitet werden und setzt eine hohe Irritations- bzw. Lernbereitschaft auf emotionaler und semantischer Ebene voraus. Das bedeutet man muss die sichtbaren, verbalen und nonverbalen Zeichen für die Territorien des Selbst verstehen und gegebenenfalls mit den daraus entstehenden Vorfällen umgehen können. Mit steigendem Individualisierungsgrad erhöhen sich damit aber die Anforderungen für eine erfolgreiche Teilnahme an Kommunikation. Es kann dann nicht nur darum gehen, dass kommuniziert wird, sondern wie kommuniziert wird.

Im Zuge dessen nehmen auch die Risiken und Gefahren für störende Vorfälle zu, die einen oder mehrere Interaktionspartner in Verlegenheit bringen können. Treten solche Fälle häufiger auf, kann sich die Verlegenheit in Unbehagen (vgl. Goffman 1986b) steigern und schließlich zur Entfremdung (vgl. Goffman 1986c) von wiederkehrenden sozialen Situationen, wenn nicht sogar zur Entfremdung gegenüber Kommunikation selbst führen. Sozial heißt das Exklusion und soziale Isolation. Diese Entwicklung minimiert auch die Chancen für Lernprozesse. Kommunikationsvermeidung wird zur Fehlervermeidung und Fehlervermeidung zur Lernvermeidung. Und Personen von denen man schon weiß, dass sie peinliche Situationen provozieren können, geht man lieber aus dem Weg. Häufig sind das Personen, die wenig Gespür für die Territorien des Selbst ihres Interaktionspartners haben. Sie halten zum Beispiel beim Gespräch keinen Abstand, setzen sich auf Plätze trotz Markierung oder können Gesten nicht deuten, die auf eine baldige Beendigung eines Gesprächs hinweisen. Psychologen bezeichnen eine derartige Symptomatik als Dyssemie (vgl. Golemann 1995, S. 158f.). Dabei handelt es sich um eine Unfähigkeit nonverbale Zeichen zu deuten, die auf die Territorien des Selbst eines Interaktionspartners verweisen. Häufig sind es Außenseiter, Sonderlinge und Eigenbrötler die Anzeichen von Dyssemie aufweisen. Sie können die emotionalen Mitteilungen der  Körpersprache ihres Gegenübers nicht deuten und senden selbst unpassende Signale aus. Das erzeugt Unsicherheit bei den Interaktionspartnern und Abweisungen sind die Folge ohne das den Betroffenen bewusst ist warum sie abgewiesen wurden. Das Beispiel Dyssemie macht darauf aufmerksam, dass bereits die Kommunikation unter Anwesenden bestimmte Schwierigkeiten bereithält, die gemeistert werden müssen. In Zeiten hoch individualisierter Personen kann davon ausgegangen werden, dass die Verständnisschwierigkeiten nicht mehr nur auf nonverbale Zeichen beschränkt bleiben sondern sich inzwischen auch auf verbale und sichtbare Zeichen ausgeweitet haben. Damit wäre aber emotionale Intelligenz im Sinne Golemans nur ein erklärender Faktor für die Kommunikationsschwierigkeiten vieler Menschen. Ein weiterer ist der Mangel an gemeinsamem Wissen über passende Techniken der Imagepflege. 


IV. 

Wenn bereits Kommunikation unter Anwesenden aufgrund hoch individualisierter Wissensbestände und differierender Empathiefähigkeit bei den Interaktionspartnern die Annahme eines Kommunikationsangebots immer unwahrscheinlicher werden lässt, kann davon ausgegangen werden, dass Kommunikation unter Abwesenden aufgrund des Wegfalls der gegenseitigen Wahrnehmung der Kommunikationspartner noch viel schwieriger und damit unwahrscheinlicher ist. Zum einen geht das Bewusstsein für die eigene Beobachtbarkeit verloren. An anderer Stelle wurde dieses Problem auch als fehlende Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeitsfokussierung bezeichnet. Das zeigt sich schon allein daran, dass viele Menschen über die sozialen Netzwerke Informationen über sich Preis geben, die nicht für jeden zugänglich sein sollten. Zum anderen geht der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit verloren. Wahrnehmung gewährleistet in Interaktionssituationen über den gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit auch die Koordination des Verhaltens und Synchronisation der emotionalen Tönung des Ausdrucks. Durch die entstehenden Erwartungsstrukturen wird der menschliche Körper der Beteiligten in hohem Maße mit einbezogen – und sei es nur durch Anwesenheit. Das fällt bei der Kommunikation unter Abwesenden weg. Der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit ist nur noch imaginär gegeben. Das erfordert ein gutes Vorstellungsvermögen bzw. eine gesteigerte Penetrationsfähigkeit seitens der Kommunikationspartner um ein angemessenes Verhalten gegenüber dem gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit zu gewährleisten.

Die meisten Trollangriffe finden in schriftlicher Form in Internetforen, Blogs und Kommentarspalten statt. Deswegen konzentrieren sich die folgenden Überlegungen auf schriftliche Kommunikation via Internet. Schrift wird zum einzigen Medium, das als Informationskanal zur Verfügung steht. Kommunikation wird damit, wenn man so sagen darf, eindimensional.  Die Handlungsmöglichkeiten der Kommunikationspartner – Alter (Beobachteter) und Ego (Beobachter) – reduzieren sich auf Schreiben und ihr Erleben müssen beide durch Schreiben ausdrücken. Im Gegensatz zu den Präferenzcodes der Funktionssysteme hat Sprache bzw. Schrift jedoch keine Präferenz. Ja oder Nein, Annahme oder Ablehnung, beide Alternativen sind gleich wahrscheinlich. Weiterhin muss man berücksichtigen, dass es bei der Kommunikation unter Abwesenden keine Möglichkeiten für räumliche und zeitliche Integration gibt. Das gilt zwar nicht erst seit dem Internet. Das Internet ermöglicht aber durch die schnellen Reaktionsmöglichkeiten eine schriftliche Kommunikation, die sich in ihrer dialogischen Form immer mehr einem Gespräch annähert.
Integration meint in diesem Zusammenhang wechselseitige Einschränkung von Freiheitsgraden (Luhmann 2005b, S. 227) bzw. wechselseitige Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten der Kommunikationspartner. Das Internet ermöglicht aber keine irreversiblen Selbstbindungen von Personen bzw. Einschränkungen von Handlungsmöglichkeiten. Eine Handlungsmöglichkeit, die im Rahmen der Schrift möglich ist, kann niemals endgültig ausgeschlossen werden. Das ist die Möglichkeit des Widerspruchs. Das betrifft sowohl die Möglichkeit den Mitteilungen des Kommunikationspartners zu widersprechen als auch den eigenen. Darin liegt auch der Grund warum sich bei ausschließlicher Kommunikation via Schrift keine symbolischen Generalisierungen bilden lassen. Zudem lässt sich bei Kommunikation unter Abwesenden kein wirksamer Körperbezug herstellen, der den Unterschied zwischen Annahme und Ablehnung einer Kommunikation erfahrbar macht. Speziell ein gewaltsamer Zugriff ist nicht möglich. Aber schon unterhalb funktionssystemrelevanter Kommunikationen wirkt sich der fehlende Körperbezug und die fehlende Körperbeteiligung aus. Man kann die Mimik und Gestik der Kommunikationspartner nicht mehr wahrnehmen um die Mitteilungen in ihrer emotionalen Tönung und Intensität auf einander abzustimmen. Das ist die wesentliche Behinderung der Kommunikation, die aus den technischen Möglichkeiten der Kommunikation unter Abwesenden resultiert. Randall Collins hat daraus den Schluß gezogen, dass Menschen Kommunikationsmöglichkeiten unter Anwesenden den Kommunikationsmöglichkeiten unter Abwesenden vorziehen werden (Collins 2005, S. 63).

Aus der Reduktion der Ausdrucksmöglichkeiten bei der Kommunikation unter Abwesenden durch Schrift ergibt sich ein gravierendes Problem. Sowohl Referenzen auf den gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit als auch Referenzen auf die Images der Kommunikationspartner müssen im selben Medium ausgedrückt werden. Das Image bzw. die soziale Adresse der Beteiligten wird bei Kommunikation unter Abwesenden virtuell. Imaginär war die soziale Adresse bereits bei der Kommunikation unter Anwesenden, weil die Penetrationsfähigkeit im Sinne der Vorstellungskraft der Beteiligten schon immer in Anspruch genommen wurde. Deswegen spricht Goffman vermutlich auch vom Image. Virtuell wird das Image, weil es keine sichtbaren, physischen Zeichen mehr gibt, die auf ein Territorium des Selbst hindeuten. Stattdessen wird das jeweilige Thema als der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit selbst zu einem Territorium des Selbst. Es findet also eine Assoziation zwischen Thema und Person statt. Man denke hier als Beispiel an das Facebook-Profil. Als weltweit erreichbare soziale Adresse setzt sich das Facebook-Profil aus den jeweiligen Vorlieben einer Person zusammen, sowie aus den biographischen Angaben, die jemand öffentlich zugänglich machen will. Speziell die persönlichen Vorlieben markiert man über den Like-Button. Den Like-Button kann man als funktionales Äquivalent zur Ja-Seite im Rahmen der Ja/Nein-Codierung der Sprache betrachten. Facebook hat jedoch keinen Dislike-Button eingeführt. Unter anderem mit der Begründung, dass es ziemlich merkwürdig wäre, wenn bezüglich eines Posts neben dem Like eines Freundes auf einmal das Dislike eines anderen Freundes erscheinen würde. Die Betreiber von Facebook sind sich sehr bewusst über die Irritationen, die eine solche Konstellation auslösen würden. Die aktuelle Gestaltung der Benutzeroberfläche von Facebook kann als eine Reaktion darauf betrachtet werden, dass es zu einer sinnhaften und emotionalen Assoziation zwischen der eigenen sozialen Adresse und dem Objekt der persönlichen Vorliebe kommt. Immerhin sind die Likes konstitutive Elemente bei der Konstruktion des Facebook-Profils. Das Territorium des Selbst weitet sich auf die Objekte der persönlichen Vorliebe aus und diese Objekte werden selbst zu Markierungen der virtuellen Territorien des Selbst. Sie sind weder situativ noch ortsgebunden sondern nur noch egozentrisch. Entsprechend besteht die Gefahr, dass ein Dislike als eine Imageverletzung verstanden werden könnte. 


V. 

Kommunikation unter Abwesenden via Schrift ist also sehr voraussetzungsreich, da es an die Beteiligten sehr hohe Anforderungen stellt. Das Wahrnehmungsfeld wird sehr stark eingeschränkt und die Vorstellungskraft wird in hohem Maße in Anspruch genommen. Dadurch besteht die Gefahr, dass jedes Objekt oder Thema zu dem eine Person eine emotionale Beziehung hat als eine Markierung des virtuellen und egozentrischen Territoriums des Selbst werden kann. Kommunikation via Internet wird dann zu einer Art Lauf über ein Minenfeld und jede Äußerung über ein bestimmtes Thema kann als persönliche Beleidigung verstanden werden, die entsprechend vergolten werden muss. Damit sind die Bedingungen skizziert, denen jede Mitteilung via Internet unterliegt, und die zum Kampf um die Deutungshoheit des Selbst führen. Dieser lange theoretische Vorlauf war notwendig um zu verdeutlichen, dass es sich bei Kommunikationsphänomenen im Internet um hoch komplexe Phänomene handelt, die leicht missdeutet werden können, wenn man nicht die Unterschiede zur Kommunikation unter Anwesenden berücksichtigt.

Im Anschluss daran kann Trollen als unbeholfene Form der Kritik bestimmt werden. Der Bezugspunkt der Kritik ist das verhandelte Thema, welches zugleich der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit ist. Trollen fällt primär dadurch auf, das es schnell sehr persönlich wird. Dadurch kann man Trollen auf den ersten Blick für nichts weiter als Beleidigen halten – also als Verletzung des Images des Kommunikationspartners. Häufig beschränkt sich das Trollen auch nur darauf. Aber warum sollte jemand Beleidigen als Selbstzweck betreiben und sich als Ziele Personen aussuchen, die er nicht mal persönlich kennt? Gerade die Funktionslosigkeit der reinen Beleidigung lässt Zweifel an dieser Deutung aufkommen. Vielmehr dient die Beleidigung als Verlegenheitslösung für eine Kommunikationsstrategie, die im Internet nicht funktioniert – nämlich die Annahme eines Kommunikationsangebots durch Argumentation. Denn das Internet behindert nicht nur die Wahrnehmung der Beteiligten sondern auch die Möglichkeiten raum-zeitlicher Integration – also der wechselseitigen Einschränkung des Spielraums möglicher Handlungsalternativen.

Argumentation dient der Einschränkung von Freiheitsgraden durch das Aussortieren möglicher Gegenargumente in Bezug auf das gemeinsame Thema. Während Organisationen und Interaktionen die Möglichkeit haben Konflikte zu isolieren und im Extremfall zur Exklusion von einem der Beteiligten führen, um den Konflikt zu beenden, steht diese Möglichkeit im Internet nicht zur Verfügung. Organisationen und Interaktionen verfügen für diese Fälle über Verfahren und Techniken, die auch dem Verlierer klar machen, warum er am Ende der Unterlegene war. Die Verfahrensweise selbst und nicht das Ergebnis schafft die notwendige Legitimität des Verfahrens. Zuschauer können darauf vertrauen im Konfliktfall auch diese Verfahren in Anspruch nehmen zu können und ein Ergebnis nach transparenten Regeln erwarten können – auch wenn das Ergebnis selbst inhaltlich noch nicht bestimmt ist [1]. Am Ende kann der Verlierer nicht auf einen früheren Stand des Verfahrens zurückkehren, sondern hat die getroffene Entscheidung zu akzeptieren. In Bezug auf Funktionssysteme wird durch Verfahren auf die Annahme hoch unwahrscheinlicher Kommunikationsangebote hingearbeitet. Bei der Kommunikation via Internet stehen diese Formen der Konfliktbewältigung nicht zur Verfügung. Stattdessen riskiert jedes Kommunikationsangebot direkt auf die Alternative zwischen Annahme und Ablehnung aufzulaufen. Aufgrund der Schwierigkeiten mit denen Kommunikation via Internet belastet ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine Ablehnung wahrscheinlicher ist als eine Annahme. Das gilt auch für Argumentation. Sie ist der Versuch eine Art Konditionalprogrammierung in Anschlag zu bringen und abzuarbeiten, um zu einem Ergebnis zu kommen. Sobald die Aussichtslosigkeit dieser Verfahrensweise im Laufe der Kommunikation registriert wird, stellt die Kommunikation auf die Person als Ziel der Kritik um. Möglicherweise bildet sich der Troll sogar ein, dass er durch die Beleidigung dem Diskussionsgegner doch noch dazu bringt ihm Recht zugeben. Aber genauso wie die Anwendung von Gewalt das Scheitern von Macht anzeigt (vgl. Luhmann 2003,S. 61), weist die persönliche Beleidigung auf das Scheitern der Überzeugungsversuche auf der Sachebene hin.

Das gilt unabhängig davon ob jemand anonym oder unter seinem Klarnamen trollt. Im Falle des Trollens mit Klarnamen hat die trollende Person zusätzlich noch wenig Gespür für Markierungen der Territorien des Selbst - weder für die der anderen noch seine eigenen. Ein Thema ist für die trollende Person emotional so stark aufgeladen, dass das Thema selbst zu einem Territorium des Selbst wird. Thema und Person fallen gleichsam zusammen. Die Sicht des Trolls verengt sich auf das Thema. Die Images der Beteiligten und das eigene Image werden irrelevant. Der Troll beteiligt sich in gewisser Weise selbstlos an Kommunikation. Jede Äußerung, die nicht in die Sicht des Trolls passt, wird als eine Verletzung des eigenen Territoriums aufgefasst. Entsprechend heftig fallen die Reaktionen auf Verletzungen aus. Persönliche Beleidigungen werden zum legitimen Mittel der Auseinandersetzung und die Imageverletzungen der vermeintlichen Gegner werden als Kollateralschäden in Kauf genommen. Wenn jemand unter seinem Klarnamen trollt, scheint die Person keine Vorstellung von seiner Rolle in der symbolischen Ordnung der Images zu haben. Diese unreflektierte Kommunikationsweise zeugt vom fehlenden Selbstbewusstsein des Trolls und es liegt die Vermutung nahe, dass die betreffende Person auch bei der Kommunikation unter Anwesenden für ähnliche Vorfälle sorgt.

Die Betroffenen hat ihre Kommunikationsweise möglichweise schon in die soziale Isolation getrieben und das Internet ist die einzige Möglichkeit überhaupt noch zu kommunizieren. Die Häufigkeit der Trollversuche weist darauf hin, dass es mehr Menschen als gedacht gibt, die sowohl semantisch wie emotional Probleme haben den richtigen Ton zu treffen [2]. Das Internet macht das nun beobachtbar und weist so darauf hin, dass Kommunikation relativ leicht zustande kommt, denn auch Ablehnung kann kommuniziert werden und bietet vortreffliche Anlässe trotzdem weiter zu machen. Die Annahme eines Kommunikationsangebots ist dagegen nach wie vor ein sehr unwahrscheinliches Ereignis. Das wird gerade dann besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass auch eine Ablehnung annehmbar kommuniziert werden muss damit sie nicht in Feindschaft endet. So schlüssig eine Ablehnung formuliert sein kann, wird sie kaum Akzeptanz finden, wenn es ihr an der nötigen Empathie fehlt. 


VI. 

Trollen mit Klarnamen ist das deutlichste Signal für mangelndes Selbstbewusstsein der trollenden Person. Neben dieser unreflektierten Form des Trollens gibt es aber auch eine Menge von Trollangriffen, die sehr gezielt vorgehen. Diese Trolle sind sich über die symbolische Ordnung durchaus bewusst. Ein Indiz dafür ist die Verwendung eines Pseudonyms, das keine Rückschlüsse auf die Person dahinter zulässt [3]. Dadurch macht sich der Troll im Verhältnis zu seinem Kommunikationspartner unangreifbar sofern der Partner einen Klarnamen benutzt. Während sich das Image des Trolls allein aus den Informationen ergibt die im Rahmen der Diskussion preisgegeben werden, sind über den Klarnamen-Nutzer möglicherweise auch Informationen über Google, Google+ oder Facebook zugänglich, die in der Diskussion gegen ihn verwendet werden können. Der Klarnamen-Nutzer bietet somit eine größere Angriffsfläche als der anonyme Troll und ist dementsprechend verletzlicher. Die Angriffe des Trolls können deswegen viel persönlicher ausfallen als die Angriffe gegen den Troll. Die logische Konsequenz daraus ist die Symmetrie wieder herzustellen und ebenfalls ein Pseudonym zu benutzen.

Anonymität weist damit auf einen wichtigen Unterschied in den Formen des Trollens hin. Es gibt unreflektiertes und reflektiertes Trollen. Wenn hier von reflektiertem Trollen die Rede ist, bezieht sich das auf die Verhaltensweise des Trolls, die Rückschlüsse darüber zulässt, ob der Troll eine Vorstellung von seiner Rolle innerhalb der symbolischen Ordnung hat. Anonymisierung ist der wichtigste Beleg dafür, das sich die Trolle über ihre Rolle bewusst sind und sich vor dem, was man anderen antut, zu schützen versucht [4]. Ein weiterer Indikator ist die Art und Weise wie der Troll auf die Markierungen der Territorien des Selbst seiner Kommunikationspartner eingeht. Man kann die unreflektierte und die reflektierte Variante des Trollens auch in der Unterscheidung von Trollen 1. Ordnung und Trollen 2. Ordnung beschreiben. Das Folgende bezieht sich nur auf Trollen 2. Ordnung [5].
 
Wenn im Rahmen der Diskussion das Kräfteverhältnis ausgeglichen ist indem die Kommunikationspartner nur noch anonym miteinander diskutieren, kommt ein weiterer wichtiger Aspekt zutage. Beleidigungen haben nun nicht mehr dieselbe emotionale Schlagkraft und Schicksalhaftigkeit wie bei einem Klarnamen-Nutzer. Der Fokus der Aufmerksamkeit kann sich nun wieder auf das Thema der Diskussion konzentrieren und nicht mehr auf die Teilnehmer. Die Diskussionen werden dann zu dem was Goffman als Charakterwettkämpfe bezeichnet (vgl. Goffman 1986d, S. 260f.). Unter Charakter versteht Goffman die Fähigkeit unter Druck standhaft zu bleiben. Der Charakter zeigt sich aber nicht darin dass eine bestimmte Handlung ausgeführt wird sondern wie sie von einer bestimmten Person ausgeführt wird (vgl. Goffman 1986d, S. 236). Bei einer schriftlichen Diskussion unter Abwesenden via Internet entsteht der Druck durch das Angebot einer Kommunikationsofferte, z. B. einer bestimmten Meinung, und dem Standhalten gegenüber der erwartbaren Kritik. Der Charakter zeigt sich in der Art und Weise, wie der Träger dieser Meinung auf die Annahme seiner Kommunikationsofferte hinarbeitet. Was dabei auf dem Spiel steht, ist die Fähigkeit Einfluss auf einen Kommunikationspartner auszuüben. Aufgrund der fehlenden Möglichkeiten raum-zeitlicher Integration bei der Kommunikation via Internet ist es aber nicht möglich Einfluss zu generalisieren, d. h. situationsunabhängig erwartbar zu machen. Die Herausforderung bei einer Auseinandersetzung via Internet besteht nun darin eben dies trotzdem zu versuchen. Daraus entwickelt sich ein Wettkampf der etwas produziert, was Goffman als action bezeichnet (vgl. Goffman 1986d, S. 203). Action-lastige Verhaltensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ungewiss und folgenreich für die Gegner sind, die sich am Wettkampf beteiligen. Die Ungewissheit bei einer Auseinandersetzung via Internet entsteht schon allein aus der hohen Unwahrscheinlichkeit der Annahme eines Kommunikationsangebots. Gerade dann wird der Versuch es trotzdem zu versuchen zu einem großen Risiko für das eigene Image und in dieser Hinsicht folgenreich für die Stellung des eigenen Image im Rahmen der durch die Gegnerschaft konstituierten symbolischen Ordnung. Recht-Bekommen bzw. Recht-Geben ist das Ergebnis und der Preis des Wettkampfs. Preis in diesem Fall in einem doppelten Sinne. Für den Sieger ist der Preis die Bestätigung des eigenen Image und eine Anerkennung seines Einflusses. Für den Verlierer ist der Preis die Unterordnung unter den Einfluss des Siegers, was zugleich auch einen Ansehensverlust bedeuten kann. Somit begründet das Ergebnis des Wettkampfs ein personales Verhältnis der Über- und Unterordnung. Der Imagegewinn bzw. –verlust macht den Reiz der action aus.

Ein gravierendes Problem von Charakterwettkämpfen über das Internet ist jedoch dass es keine festgelegten Regeln gibt. Während ein Spiel ein Verfahren ist dass nach festgelegten Regeln ein Ergebnis produziert, gibt es für Auseinandersetzungen via Internet keine Anhaltspunkte nach denen sich einer der beiden Kontrahenten als legitimer Sieger betrachten kann. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es kein Publikum gibt dass das Ergebnis bestätigen könnte. Das heißt aber nicht unbedingt, dass es kein Publikum gibt. Gelegentlich kann sich ein Beobachter des Wettkampfs an der Diskussion beteiligen oder sogar selbst mit in den Ring steigen. Aber genauso wie das Publikum im Prinzip virtuell bleibt, so ist auch der Imagegewinn bzw. –verlust virtuell und bleibt der Deutung der Kontrahenten überlassen. Das vermeintliche Ergebnis des Charakterwettkampfs kann sogar selbst der Gegenstand des nächsten Wettkampfs werden. 


VII. 

Charakterwettkämpfe via Internet sind also Spiele ohne Spielregeln. Oder anders ausgedrückt, die einzige Spielregel von Charakterwettkämpfen ist, dass es keine Spielregeln gibt. Den einzigen Orientierungspunkt für die Auswahl eines angemessenen Beitrags ist der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit – also das Thema der Diskussion. Wenn es das Ziel ist Einfluss auf den Kontrahenten auszuüben, dann geht es in anderen Worten darum Macht zu demonstrieren. Auf das Handeln Alters hin, der ein Kommunikationsangebot macht, handelt Ego in dem er das Kommunikationsangebot annimmt und Alter Recht gibt. Es geht aber um Macht in einem unpolitischen Sinne. Luhmann unterscheidet drei Dimensionen in denen Einfluss generalisiert werden kann (vgl. Luhmann 2012, S. 61ff.). Sachlich kann Einfluss über Autorität generalisiert werden. Die Übernahme einer Anweisung oder einer Meinung beruht darauf, ob sich diese bereits in der Vergangenheit bewährt hat und auf Rückfrage auch plausibel begründet werden kann. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit von Widerspruch und Kritik gesenkt werden. Sozial kann Einfluss über Führung generalisiert werden. Ob eine Weisung oder Befehl durch den Befehlsempfänger übernommen wird, richtet sich danach, wie viel Annahmebereitschaft der Befehlende unabhängig von der konkreten Situation bei anderen Personen erwarten kann. Anders ausgedrückt, hängt soziale Generalisierung von Einfluss von der Annahme des Befehlsempfängers ab, wie viele andere Personen bereit sind dem Führenden zu folgen. Autorität und Führung sind Generalisierungen, die nicht nur in der Politik zum Tragen kommen sondern auch in Organisationen, die sich anderen Funktionssystemen zuordnen lassen. Die dritte Möglichkeit ist schließlich die zeitliche Generalisierung von Einfluss. Damit Ego aufgrund des Handelns von Alter handelt, muss Alter Ego eine Vermeidungsalternative anbieten, die von Ego noch weniger präferiert wird als die Handlung die Alter von Ego erwartet. Alter hat nur in dem Maße über Ego Einfluss als er Ego eine glaubwürdige Vermeidungsalternative anbieten kann. Die Besonderheit politischer Macht liegt lediglich darin, dass die Vermeidungsalternative, die Anwendung physischer Gewalt, auf Dauer gestellt werden kann. Jede Situation in der Vermeidungsalternativen eröffnet werden, die nicht in der Anwendung physischer Gewalt bestehen, können deswegen nicht der Politik zugerechnet werden. Gerade bei der Kommunikation via Internet kann nur schwerlich glaubwürdig mit der Anwendung von Gewalt gedroht werden. Obwohl es also im Falle der Annahme eines Kommunikationsangebots via Internet nicht um die Demonstration politischer Macht geht, sondern um Einfluss, wird aus dieser Nähe zur Macht verständlich warum es Personen gibt, die trotz der niedrigen Erfolgswahrscheinlichkeit das Risiko des Gesichtsverlusts in Kauf nehmen. Es ist die erfolgreiche Machtdemonstration, welche dieses hohe Risiko rechtfertigt. Dabei steht aber weniger der Gewinn sozialer Anerkennung durch das Publikum im Vordergrund. Da das Publikum zunächst nur virtuell gegeben ist und im Extremfall stumm bleibt, geht es vielmehr um den emotionalen Gewinn aus der action für den vermeintlichen Sieger. Ob dieser Gewinn sozial gerechtfertigt ist – also auch vom Publikum honoriert wird –, bleibt sekundär. Durch die Anonymität der Kontrahenten verbleibt der Wettkampf im Spielerischen und entschärft auf diese Weise die Schicksalhaftigkeit des Gesichtsverlusts, der eintreten könnte, würden die Beteiligten mit Klarnamen trollen.

Der Troll wird zunächst versuchen seinen Einfluss über Autorität geltend zu machen, indem er seine überlegene fachliche bzw. thematische Kompetenz zu Schau stellt. Dazu wird er sich die Schwachstellen einer Argumentation heraussuchen und darauf besonders eingehen. Gegebenenfalls wird er sich die Widersprüche herauspicken und den Kontrahenten damit konfrontieren. Häufig tut er das jedoch in einem sehr angriffslustigen Ton, der mindestens eine kleine Herabwürdigung seines Kontrahenten beinhaltet. So berechtigt die vorgetragene Kritik auch sein mag, macht es die Herabwürdigung für den Kontrahenten schwer auf die Kritik ernsthaft einzugehen. Denn das würde schon bedeuten, dem Troll Recht zu geben und die von ihm aufgedrängte Rolle zu spielen. Die erste Möglichkeit mit einem Trollangriff umzugehen, ist daher diesen mit Ignoranz zu strafen. Man entspricht also nicht den Erwartungen des Trolls. Der Angriff ist darauf angelegt den Kontrahenten aufgrund der Verletzung seines Image aus der Fassung zu bringen. Bleibt eine Reaktion aus, findet auf diese Weise weder eine positive noch negative Verstärkung des Troll-Verhaltens statt. Ignorieren ist im Prinzip eine Vermeidung oder ein Abbruch der Kommunikation, denn weder an die Information noch an die Mitteilung wird angeschlossen. Erst wenn an das Angebot angeschlossen wird, fand eine Kommunikation statt. Der Troll hat im Grunde schon gewonnen, wenn man überhaupt reagiert, denn das bedeutet ihn als Kommunikationspartner zu akzeptieren. Bleibt ein Anschluss aus, wird der Troll nicht als Kommunikationspartner anerkannt und nimmt ihm damit schon die Genugtuung, dass man auf sein Kommunikationsangebot eingegangen ist. Das ist vermutlich gemeint, wenn der Ratschlag gegeben wird „don’t feed the troll“. Der Ratschlag ist in dieser Formulierung sicher nicht falsch, denn er empfiehlt eine Möglichkeit mit dem Trollangriff umzugehen. Besser wäre jedoch denselben Ratschlag in die Form „don’t take the bait“ zu bringen. Die Imageverletzung ist der Köder, der dazu verleiten soll auf den Trollangriff einzugehen. Und genau darin liegt die Macht des Trolls. Die Imageverletzung ist die Vermeidungsalternative. Man wird von dem Troll bei der eigenen Ehre gepackt. Dass die Vermeidungsalternative realisiert wird, ist eine Besonderheit der Trollkommunikation. Die Illusion man könnte durch eigenes Zutun die Imageverletzung korrigieren, indem man auf den Troll eingeht, ist der Anreiz es auf eine Konfrontation mit dem Troll ankommen zu lassen. Mit einer Reaktion ist man aber schon in die Falle des Trolls gegangen. Das Handeln des Trolls hat zum eigenen Handeln motiviert. Aufgrund der Unannehmbarkeit seines Angebots hat er gewonnen, wenn man darauf reagiert. Hinsichtlich der Art und Weise, wie dieses Angebot gemacht wird, lassen sich zwei Formen des Köderns unterscheiden: zum einen den aktiven Trollangriff, der direkt an jemanden adressiert ist; zum anderen das passive Trollen, bei dem lediglich eine allgemeine Provokation gepostet wird, die an niemanden direkt adressiert ist und der Troll wartet einfach, wer darauf reagiert.

Die sicherste Methode mit einem Troll umzugehen, besteht also darin ihn zu Ignorieren. Riskanter ist es dagegen auf den Troll einzugehen. Wenn es der Troll aber nur darauf angelegt hat, dass man auf ihn reagiert und ihn als Kommunikationspartner akzeptiert, wie kann man dann aus der Konfrontation mit dem Troll unbeschadet hervor gehen? Die Chancen dafür sind nicht sehr groß, denn man muss den Troll mit seinen eigenen Waffen schlagen, d.h. seine Kommunikationsweise auf ihn anwenden. Mit einer Beleidung zu reagieren, bedeutet man lässt sich moralisch aber nicht sachlich auf den Troll ein. Das ist die einfachste Art den Troll zu bestätigen, denn man zeigt, dass man nicht besser ist als er. Auf der Sachebene auf den Troll einzugehen, würde wahrscheinlich weitere Spitzen zur Folge haben, denn der Troll verfährt nach demselben Prinzip wie die Polizei. Alles was geäußert wird, kann und wird gegen den Herausgeforderten verwendet. Nichts desto trotz liegt die einzige Möglichkeit auf den Troll angemessen zu reagieren darin ihn in eine Diskussion zu verwickeln und seine eigenen Methoden auf ihn anzuwenden. Dazu gilt es seine Schwachstellen auf inhaltlicher Ebene ausfindig zu machen und auf ihn als Person zu beziehen. Ziel muss es sein die Erwartungen und Ansprüche des Trolls herauszufinden und auf ihn selbst anzuwenden. Wenn es dem Troll wirklich darauf ankommt, seine vermeintliche fachliche Autorität unter Beweis zu stellen, dann kann für den Troll nichts Schlimmeres passieren als dass man ihn ernst nimmt. Das macht ihn selbst angreifbar. Nun bietet sich die Möglichkeit ihn mit seinen eigenen Widersprüchen zu konfrontieren. Der Troll schließt von den vermeintlichen argumentativen oder fachlichen Fehlern auf die moralische Qualität der angegriffenen Person.  Hat der Troll genug über sich preisgegeben, kann man zum Gegenangriff übergehen und den Spieß umdrehen. Dabei wird sich herausstellen, dass der Troll die hohen fachlichen und moralischen Maßstäbe, die er an andere anlegt, für sich selbst nicht gelten lassen will. Der Grund dafür wird sich in der Diskussion ebenso herauskristallisieren. Er selbst kann den eigenen Ansprüchen nicht genügen. Ist man in der Diskussion bis an diesen Punkt gekommen, kann man den Troll mit seiner Doppelmoral konfrontieren. Man sollte sich aber nicht in der Illusion wiegen den Troll auf diese Art zu überzeugen. Bei moralischer Kommunikation geht es darum, dass Alters Erleben von Ego übernommen wird und genauso erlebt. Bei der Auseinandersetzung mit einem Troll geht es darum, wie der Kommunikationspartner jeweils vom anderen gesehen wird. Beide Kommunikationspartner versuchen sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass ihre Vorstellung vom Gegenüber die richtige ist. Es ist offensichtlich, dass es sich hierbei um ein aussichtsloses Unterfangen handelt. Daher ist zu erwarten, dass die Konfrontation wahrscheinlich zur Eskalation führen wird, denn spätestens jetzt wird auch der Troll merken, dass er selbst getrollt wurde. Er wird die Diskussion entweder abbrechen oder sich in Selbstverleugnung gepaart mit wüsten Beschimpfungen flüchten. Nachdem der Troll nicht seine fachliche Überlegenheit demonstrieren konnte, wird ihm auch die Genugtuung moralischer Überlegenheit genommen.

Weiter oben wurde zwischen Trollen 1. Ordnung und Trollen 2. Ordnung unterschieden im Hinblick auf den Reflexionsgrad des Trolls. Dies ist zunächst eine analytische Unterscheidung, die ein Kontinuum zwischen zwei Extremwerten eröffnet. Auf der einen Seite befindet sich der Troll, der aufgrund der emotionalen Aufladung des Themas kaum einen Unterschied zwischen sich selbst und dem Thema machen kann. Das Thema selbst wird zum Territorium seines Selbst und eine Gelegenheit sich selbst als Person zu profilieren. Jede andere Meinung wird dann zur Beleidigung für den Troll. Das mangelnde Selbstbewusstsein des Trolls, das es ihm erschwert seine eigene Position in der symbolischen Ordnung zu bestimmen, dessen Teil er ist, macht ihn zum Spielball seiner Kontrahenten. Auf der anderen Seite befindet sich der reflektierte Troll, dem zwar seine Position bewusst ist aber im Schutze der Anonymität trotzdem versucht seine fachliche und moralische Autorität zu demonstrieren. Das allerdings mit moralischen Maßstäben, die der Troll auf seinen Gegner anwendet, aber nicht für sich selbst gelten lassen will. Empirisch wird der Troll meistens in einer Mischung aus reflektiertem und unreflektieren Verhalten auftreten. Weder wird der Troll überhaupt kein Selbstbewusstsein haben noch wird er ein lückenloses Selbstbewusstsein haben. Lässt man sich auf eine Auseinandersetzung mit einem Troll ein, wird es nur darum gehen die Lücke bzw. den blinden Fleck im Selbstverständnis des Kontrahenten zu finden und ihn damit zu konfrontieren. Das unreflektierte Verhalten, das mit seinem verfolgten Image nicht im Einklang steht, bildet diese Lücke und verweist auf den blinden Fleck des Troll. Würden das allerdings beide Beteiligten konsequent ausführen, würde das allerdings in einen unendlichen Regress führen.

Ohne dass die trollende Kommunikationsweise einem bestimmten Funktionssystem zugeordnet wurde, konnte bereits die Macht und die Moral des Trolls beschrieben werden. Nun lässt sich noch ein weiterer Aspekt erkennen. Bei der Suche nach dem blinden Fleck handelt es sich um einen Versuch der Erziehung durch den Troll. Der Troll sucht nach dem blinden Fleck im Selbstverständnis des Kontrahenten. Das kann der Troll nur aus den Äußerungen seines Kontrahenten erschließen und beobachtet auf diese Weise das Erleben seines Kontrahenten. Auf der Grundlage des Erlebens seines Kontrahenten (Alter) wird der Troll (Ego) seine Handlungen auswählen um seinen Kontrahenten mit seinem blinden Fleck zu konfrontieren. Wenn Erziehung „erfordert, daß man zunächst lernt, was man nicht weiß, und sieht, was man nicht sieht, und dann dazu ansetzt, die Lücke zu füllen“ (Luhmann 2002, S. 51), dann handelt es sich bei Trollkommunikation um den Versuch zu erziehen. Grundlage für diese Deutung ist die Kreuztabellierung der Zurechnungskonstellationen von Erleben oder Handeln von Alter (Beobachteter) und Ego (Beobachter):



Diese Konstellationen sind zugleich die Problemstellungen an denen sich die einzelnen Funktionssysteme ausdifferenziert haben. Man beachte, dass Erziehung und Liebe dieselbe Problemstellung als Ausgangspunkt haben. Wenn man die oben beschriebenen Hürden für erfolgreiche Kommunikation via Internet berücksichtigt, erweist sich Erziehung via Internet als eine extrem voraussetzungsreiche Kommunikation, denn sie stellt sehr hohe Anforderungen an die Penetrationsfähigkeit des Trolls. Die Anforderungen sind so hoch dass Liebe fast zur Voraussetzung für erfolgreiche Erziehung via Internet wird. Liebe motiviert die Übernahme der hoch individualisierten Weltsicht der geliebten Person durch die liebende Person. Das müsste auch dem Troll gelingen, damit er eine geeignete Handlungsalternative auswählen kann, die seinen Kommunikationspartner dazu bringt seine Lücke zu füllen. Praktisch scheint dies den Trollen aber nicht zu gelingen. Das liegt allerdings daran, dass es den Trollen nicht darum geht die Weltsicht des Kontrahenten inklusive seines Selbstbildes zu bestätigen, sondern zu negieren. Wenn es allerdings nicht um Bestätigung sondern um Ablehnung des Kontrahenten geht, dann wird mit Trollkommunikation nicht Liebe sondern das Gegenteil – nämlich Hass – kommuniziert. Da Trollkommunikation häufig im Negieren stecken bleibt, scheint Trollkommunikation häufig eine starke Tendenz in diese Richtung zu haben. 


VIII. 

Wenn hier von Liebe und Hass die Rede ist, dann sind damit bestimmte Erwartungen gemeint, die sich aus der Kommunikation ergeben. Die Alltagssprache dagegen assoziiert mit Liebe oder Hass starke romantische oder ablehnende Emotionen. Die Emotionen drücken sich in der Kommunikation ebenfalls aus und es stellt sich die Frage, was diese Kommunikation bei den Kommunikationspartnern auslöst? Für das hier untersuchte Problemfeld kann die Frage auch folgendermaßen formuliert werden: Welche Wirkungen hat Kritik auf die Kritisierten? In der Paartherapie und der Unternehmensberatung gibt es dazu bereits umfangreiche Untersuchungen und Erfahrungen aus der Praxis [6]. Diese machen in erster Linie deutlich, dass es darauf ankommt wie kritisiert wird. Ein Unterschied, der dabei eine wichtige Rolle spielt, ist der zwischen der Kritik an einer Handlung und der Kritik an der Person. Sei es, dass in einer Ehe die Handlung des Partners kritisiert wird oder dass ein Vorgesetzter das Arbeitsergebnis eines Mitarbeiters kritisiert. Immer kommt es darauf an, dass die Kritik sich auf die Handlung bezieht und nicht so formuliert wird, dass sie als eine Kritik an der Person verstanden werden kann. Wenn weiter oben die persönliche Beleidigung durch einen Troll als Verlegenheitslösung für die gescheiterte Kritik an einer Handlung beschrieben wurde, dann könnte man auch vermuten, dass Trolle Probleme damit haben eine annehmbare Kritik an einer Handlung zu formulieren.

Kritik ist eine Form von Feedback, die einer Person mitteilt, wie ihr Verhalten durch die Umwelt beobachtet wird. Sie formuliert, was von der kritisierten Person erwartet wird und ermöglicht ihr Verhalten auf die Umwelt abzustimmen. Ohne Feedback wissen Personen nicht, wo sie in der symbolischen Ordnung einer Partnerschaft oder eines Kollegiums stehen. Sie werden über ihre Leistungen und ihre soziale Position im Unklaren gelassen. Ihnen wird die Möglichkeit genommen ein Image aufzubauen bzw. zu verändern. Wenn es zu Problemen kommt, wissen sie nicht wie sie sich verhalten sollen, weil sie nicht wissen, was von ihnen erwartet wird. Anders ausgedrückt, sie können nicht lernen, um sich in eine Gruppe zu integrieren. Gerade in Unternehmen wird es daher zu einer wichtigen Kompetenz von Führungskräften, die Leistungen ihrer Untergebenen so zu kritisieren, dass die Leistungsbereitschaft nicht demotiviert wird, sondern auf eine Art und Weise, die es dem Kritisierten ermöglicht an seinem Verhalten konstruktiv zu arbeiten und seine Leistungen im Sinne des Teams zu verbessern. Der falsche Weg ist es daher pauschale und undifferenzierte Kritik zu äußern und das Verhalten des Kritisierten auf unveränderliche persönliche Eigenschaften zurückzuführen. Der Kritisierte wird als inkompetent, dumm oder unfähig hingestellt. Er wird in eine defensive Position gedrängt ohne einen Hinweis darauf zu bekommen, wie er seine Leistungen verbessern kann. Die Form dieser Kritik fördert auch nicht die Bereitschaft die Kritik anzunehmen, sondern führt zu einer Abwehrhaltung. Die Folge sind Verärgerung, Hilflosigkeit, Zorn und Protest. Sowohl die Beziehung zum Vorgesetzen als auch zum Rest des Teams wird bei einer derartigen negativen emotionalen Aufladung des eigenen Images dauerhaft belastet.

Die Kunst richtig zu kritisieren besteht stattdessen darin die Kritik mit Lob zu verbinden. Wie dies gelingen kann, dafür werden unter anderem folgende Ratschläge gegeben (vgl. Goleman 1995, S. 197f.). Die Kritik sollte zu allererst präzise sein. D. h. es genügt nicht nur dem Mitarbeiter darüber zu informieren, dass er etwas falsch gemacht hat, sondern dies an konkreten Beispielen zu verdeutlichen. An den gewählten Beispielen sollten aber nicht nur die negativen Aspekte der Leistungen des Mitarbeiters hervorgehoben werden, sondern genauso die positiven. Dafür sollte eine klare, verständliche Sprache gewählt werden, damit der Mitarbeiter nachvollziehen kann, was gemeint ist. Als zweites sollte der Vorgesetzte für das bestehende Problem Lösungen aufzeigen, auf Alternativen aufmerksam machen. Hier geht es in gewisser Weise darum das Kontingenzbewusstsein des Mitarbeiters zu fördern und den Auswahlhorizont für funktionale Äquivalente zu erweitern. Drittens sollte die Kritik dem Mitarbeiter direkt mitgeteilt werden. D. h. die Kritik soll dem Mitarbeiter in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt werden. Dies gibt dem Mitarbeiter die Gelegenheit direkt auf die Kritik zu reagieren. Wird die Kritik indirekt über Memos oder E-Mails mitgeteilt, bleibt sie unpersönlich und es wird dem Mitarbeiter die Gelegenheit genommen auf die Kritik zu reagieren. Viertens sollte die Kritik sensibel bzw. reflektiert vorgetragen werden. Der Vorgesetzte sollte seine Kritik im Vorfeld darauf prüfen, wie das was er sagen wird beim Empfänger ankommt. Hier geht es darum verletzende und herabsetzende Bemerkungen zu vermeiden, die als Kritik an der Person verstanden werden können. Ansonsten führt dies bei dem Kritisierten zu einer Abwehrhaltung, zu Groll und zur Distanzierung. Die Kritisierten sollten schließlich die Kritik als eine Gelegenheit betrachten Informationen über ihr Verhalten zu bekommen und wie man es besser machen kann. Sie sollte nicht als Angriff auf die eigene Person verstanden werden und man sollte den entsprechenden negativen emotionalen Impulsen wiederstehen sofort eine Abwehrhaltung einzunehmen. Vorgesetzter und Mitarbeiter arbeiten zusammen für ein bestimmtes Team- oder Unternehmensergebnis. Somit geht es bei Kritik nicht darum eine Feindschaft zu begründen und zu pflegen sondern gemeinsam an Lösungen für Probleme zu arbeiten, von denen beide betroffen sind.

Es ist nicht überraschend dass derselbe Unterschied zwischen Kritik an einer Handlung und Kritik an der Person auch bei partnerschaftlichen Beziehungen eine große Rolle spielt. Hier ist die generalisierende Kritik, die sich auf die Person als Ganzes bezieht, ein Beziehungskiller. Die Partner lassen sich bei Konflikten immer wieder von ihren Gefühlen überwältigen und lassen ihrem Frust in einer Art freien Lauf, die dann den Partner als Ganzes herabwürdigt. Beleidigungen, Drohungen oder Einschüchterungen fördern beim Partner nicht die Offenheit für die vorgetragene Kritik. Stattdessen führen die Angriffe, je größer die emotionale Intensität ist, dazu dass der kritisierte Partner sich in Ausreden flüchtet, seine Verantwortung leugnet, zum Gegenangriff übergeht oder komplett abblockt. Es wird ein selbstverstärkender Prozess in Gang gesetzt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Eskalation enden wird, was nichts anderes heißt als dass die Beziehung ein Ende finden wird. Die Konfliktfähigkeit der Partner wird zum Prüfstein für die gemeinsame Beziehung. Die Tipps um einem derartigen Prozess vorzubeugen ähneln daher auch dem für eine bessere Kommunikation in Unternehmen. Auch hier sollte präzise und nachvollziehbar die störende Handlung kritisiert werden und nicht die ganze Person. Ebenso sollten klare Erwartungen kommuniziert werden, wie es anders gemacht werden könnte. Ein wichtiger Unterschied zur Kommunikation in Unternehmen besteht darin, dass hier die Gefühle der Partner offen thematisiert werden. Neben der präzisen Kritik an einer konkreten Handlung ist es genauso wichtig die eigenen Gefühle bezüglich der kritisierten Handlung des Partners auszudrücken, ohne dass dies als ein Angriff auf die ganze Person verstanden wird. Hierzu ist es unter Umständen notwendig zunächst einen gewissen zeitlichen Abstand zur störenden Handlung zu gewinnen, weil die intensiven Gefühle im Moment des Ereignisses so stark sind dass sie die Aufnahmebereitschaft bei den Partnern beeinträchtigen. Beide müssen sich zunächst beruhigen, damit sie die nötige Offenheit für die Gefühle des Partners aufbringen können. Dann können mit Kommunikationsmethoden wie dem nichtdefensiven Sprechen oder dem Spiegeln das Verständnis für die Probleme und Nöte des Partners gefördert werden und zu einer emotionalen Harmonisierung führen. Konsequent angewendet können diese Kommunikationsmethoden zur Prävention von verletzender Kritik betragen und verhindern dass die Kritik an konkreten Handlungen zu einer allgemeinen Kritik an der Person ausartet (vgl. Goleman 1995, S. 187). Streitigkeiten gehören zu jeder Beziehung dazu. Es kommt lediglich darauf an, wie man damit umgeht [7].

Für die Kommunikation unter Anwesenden gibt es also Methoden, wie man Kritik so formulieren kann, dass sie nicht zu einer Abwehrhaltung beim Kritisierten führen. Dass die Kritik vor allem direkt also in Anwesenheit vorgetragen werden sollte, gibt bereits einen wichtigen Hinweis, dass die fehlende Anwesenheit bei Kritik via Internet die Erfolgschancen senkt. Einen weiteren gibt Goleman, wenn er darauf aufmerksam macht, dass die Wahrscheinlichkeit für persönliche Angriffe steigt, wenn der Kritiker das Gefühl hat, dass seine Kritik ignoriert wird (vgl. Goleman 1995, S. 173f.). Oben wurde dargestellt, dass es bei Kommunikation via Internet keine Möglichkeiten für raum-zeitliche Integration gibt. Das impliziert auch, dass man sich nicht auf Kritik via Internet einlassen muss. Direkte Konsequenzen auf den Kritisierten wird das Ignorieren nicht haben. Die Leistung der Form „Person“ liegt nach Luhmann aber darin, dass sie Handlungsmöglichkeiten einschränkt (2005a, S. 142). Überträgt man diesen Gedanken auf den Prozess der Imagebildung via Internet dann bietet es gerade für Trolle eine vortreffliche Möglichkeit für die Bildung eines falschen Images. D. h.  widersprüchliche Informationen werden mit demselben Image verbunden. Früher oder später wird das Image durch das eigene Verhalten desavouiert. Imagebildung heißt sozial gesehen Erwartungsbildung. Dafür reicht eine Zurechnungsinstanz mit der sich bestimmte Erwartungen verbinden lassen. Was zählt ist das Verhalten einer Person. Dafür ist es unwichtig ob man mit Klarnamen oder anonym trollt, denn die Erwartungen bezüglich der Verhaltensmuster bleiben gleich. Selbstdarstellung via Internet birgt dann ein besonderes Risiko für Personen, die das Internet als eine Art Umgehungslösung zur Selbstdarstellung nutzen, ohne sich den Konsistenzerwartungen der Kommunikationspartner stellen zu müssen.

Die Möglichkeit Kritik via Internet zu ignorieren, bildet außerdem den Ausgangspunkt für Ressentimentbildung. Max Scheler benennt in seiner Studie über das Ressentiment, dass die fehlende Möglichkeit für Rache oder Vergeltung einer erlittenen Kränkung die Entstehung eines Ressentiments begünstigt (2004, S. 8ff.). Dies gilt zuerst für die durch den Troll erlittene Kränkung. Bei einer Auseinandersetzung mit einem Troll wird es kaum eine Hoffnung auf Genugtuung geben. Vielmehr führt die Spirale der Eskalation auch zu einer Verstärkung negativer Gefühle, denn mit jeder Beleidigung wird negativen Gefühlen Ausdruck verliehen. Das Risiko bei einer Auseinandersetzung mit einem Troll besteht darin, dass man sich auf das negative emotionale Niveau des Trolls herunter ziehen lässt. Ist man selbst auch nicht in der Lage seinen Stolz zu überwinden, wird es langfristig vermutlich zur Bildung eines Ressentiments gegen das geben, wofür der Troll im Einzelfall steht.

Es bleibt aber die Frage, woher kommen die starken negativen Gefühle des Trolls? Neben der aktuellen Frustration über fehlgeschlagene Überzeugungsversuche scheinen viele grobe unmotivierte Beleidigungen, wie sie häufig in den Kommentarspalten der Massenmedien zu finden sind, auf ein tief sitzendes Ressentiment zurück zu gehen. Die Intensität und Heftigkeit vieler Trollangriffe wurde unter anderem damit begründet, dass die Anonymität des Internets eine emotionale Enthemmung begünstigt. Die Anonymität des Internet macht es leichter zu Beleidigen. Das liegt aber daran, dass man keine Konsequenzen für sein Verhalten erwarten muss. Die Intensität resultiert vermutlich aus tiefsitzenden Ressentiments, die sich über lange Zeit angestaut haben und - wenn überhaupt - nur anonym kommuniziert werden können. Gerade was die Kommunikation über politische, religiöse oder moralische Themen angeht, gebietet der streitstiftende Charakter dieser Themen Zurückhaltung bei der Kommunikation unter Anwesenden. Nicht ohne Grund wird davon abgeraten bei geselligen Zusammenkünften solche Themen anzusprechen. Viele Menschen haben so kaum eine Möglichkeit ihre Ansichten differenziert zu diskutieren. Das Internet bietet diesen Personen eine Möglichkeit ihrem Frust Ausdruck zu verleihen. Man kann seine Ablehnung sogar an eine Person, die für eine bestimmte Position steht, direkt richten. Trotz der großen Unpersönlichkeit und Distanz im Internet haben Frust, Empörung und Zorn genügend gemeinschaftsbildendes Potential für virtuelle Frustgemeinschaften gegen etwas. Man denke hier an die Shitstorms. Und obwohl der Frust dadurch nicht abgebaut sondern verstärkt wird, gibt er den Betroffenen zumindest eine kleine Befriedigung, so dass immer wieder Situationen oder Gelegenheiten angestrebt werden diesem Frust Ausdruck zu verleihen. Da das Internet auch sichtbar macht, dass man nicht alleine mit seinen Gefühlen ist, werden diese Gefühle bestätigt, verstärkt und ihr Ausdruck bekommt eine gewisse Normalität. Auf diese Weise kann das Internet die Bildung von Ressentiments unterstützen. Bedenklich wird es, wenn dieser Kommunikationsstil auch in der Kommunikation unter Anwesenden zur Normalität wird.

Die Kommunikationsbedingungen, die mit dem Internet geschaffen wurden, begünstigen also zu einem gewissen Grad die Verstärkung negativer Gefühle und einer pessimistischen Sichtweise, die dann an allen Dingen auch nur die schlechten Seiten zu erkennen vermag. Hierbei handelt es sich auch um eine Technik mit Kontingenz umzugehen. In diesem Fall aber negativ. Die Notwendigkeit der eigenen Gefühle schaltet das Bewusstsein für alternative Lösungen aus. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Vorstellung, dass das Internet keine Integrationsmöglichkeiten bietet kaum beruhigen. Es kann zwar vermutet werden, dass es sich bei den meisten Trollen um Personen handelt, die sich aufgrund ihrer strengen moralischen, politischen oder religiösen Ansichten mehr oder weniger selbst isoliert haben. Trotzdem sollte man sich darüber im Klaren sein, was es bedeutet, wenn eine Person mit einer derartig hohen Aufladung an negativen Emotionen wieder in die Lebenswelt anderer Menschen einbricht. Durch das Mobbing via Internet kann man eine vage Ahnung davon bekommen. Das Spektrum reicht wahrscheinlich von Mobbing über Stalking bis tätlichen Angriffen, Terror und im schlimmsten Fall Amokläufen. 

Insofern kann einer Sichtweise, die Trollen mehr in die Nähe harmloser Streiche rücken will nur vehement widersprochen werden wie sie z. B. durch Stefan Krappitz vertreten wird. Er versucht Trollen von den Motiven der Trolle her zu verstehen und rückt dabei den Spaßfaktor in den Mittelpunkt (vgl. Krappitz 2012, S. 35). Es gibt zwar gewisse Übereinstimmung in der Rollenverteilung zwischen Streiche Spielen und Trollen. Trotzdem kann Spaß nicht das Kriterium sein, denn Trollen ist nicht Spaß mit jemandem sondern – wenn überhaupt – nur Spaß über jemanden. Die Rollenverteilung des Trollens und des Streiche-Spielens benötigt ein Opfer auf dessen Kosten der Spaß gemacht wird. Das Ziel ist die Imageverletzung indem das Opfer der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Für die meisten Menschen hört an diesem Punkt wahrscheinlich der Spaß auf, denn hier wird bereits die Würde eines Menschen tangiert – entweder durch den Troll selbst oder indem der Troll zu unwürdigem Verhalten provoziert. Daher reicht es nicht Trolle, die man nicht mehr witzig findet für verrückt zu erklären wie Kappitz es tut (vgl. 2012, S. 114). Eine derartige Sichtweise unterschätzt die komplexen sozialpsychologischen Problemlagen, die sich hinter den trolligen Pseudonymen verbergen. Ziel dieses Textes ist aber weniger die Trolle moralisch zu verurteilen, sondern auf Kommunikationsdefizite aufmerksam zu machen, die zu Exklusionen bzw. sozialer Isolation führen. 


IX. 

Unter den Stichworten Kontingenz und Kritik wurde im Vorangegangen das Internetphänomen des Trollens untersucht. Zunächst wurde von der Vermutung ausgegangen das Trollen eine Art unbeholfene Kritik ist. Bei der anschließenden Analyse zeigte sich jedoch, dass Trollen nur eine Verlegenheitslösung darstellt für Kommunikationstechniken die im Internet nicht mehr funktionieren. Das Internet erlaubt keine wechselseitigen Einschränkungen von Freiheitsgraden der Kommunikationspartner. Sobald Trolle registrieren dass sie ihren Kommunikationspartner sachlich nicht überzeugen können, wechseln sie auf eine moralische Ebene und fangen an ihre Kommunikationspartner persönlich anzugreifen. Lässt man sich auf eine Auseinandersetzung mit einem Troll ein zeigt sich, dass es dem Troll darum geht seine Autorität zu demonstrieren. Sollte er dabei einen ebenbürtigen Gegner finden, kann möglicherweise die aus dem Wettkampf entstehende action Befriedigung genug sein. In der Regel geht es aber darum seine vermeintliche fachliche oder moralische Überlegenheit bestätigt zu sehen. In dieser elaborierten Form wird Trollen zu einem Charakterwettkampf. Die meisten Trolle machen sich jedoch nicht so viel Mühe. Sie beschränken sich darauf ihre über lange Zeit angestauten Frust und Ressentiments ungezügelt Ausdruck zu verleihen, weil ihnen sonst keine andere Möglichkeit dafür geblieben ist. Sofern man Kritik nicht nur als bloße Negation versteht, kann Trollen dann nur sehr bedingt als Kritik betrachtet werden und beschränkt sich in der Regel auf den Ausdruck der Ablehnung eines Kommunikationsangebots. Trollen wird damit zu einer Form des Umgangs mit der durch das Internet erzeugten gesellschaftlichen Kontingenz, denn sowohl über fachliche Autorität oder Moral wird versucht Kontingenz in Notwendigkeit zu transformieren. Wobei es dem Troll darum geht seine eigene Weltsicht als die einzig notwendige darzustellen. Doch gerade mit dem Versuch die Welt von der Notwendigkeit der eigenen Weltsicht zu überzeugen, trägt der Troll nur dazu bei die gesellschaftliche Kontingenz weiter zu steigern.

Dadurch wird Trollen auch zu einem spezifisch modernen Phänomen. Die soziale Position wird in der modernen Gesellschaft nicht mehr durch biologische Abstammung oder geographische Herkunft bestimmt. Für die autonom operierenden Inklusionsmechanismen der Funktionssysteme sind solche Zuschreibungen irrelevant. Stattdessen sind die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen um ein eigenes Image aufzubauen und dieses für verschiedene soziale Kontexte anschlussfähig zu halten. Trolle versuchen zunächst nur die Images ihrer Kommunikationspartner zu verletzen. Auf diese Weise gewinnen sie aber auch ihr eigenes Image. Sofern es den Trollen tatsächlich darum geht sich über ein bestimmtes Thema zu profilieren und andere Menschen von ihrem Anliegen zu überzeugen, liegt die Tragik dieser Versuche darin, dass die Chancen andere Menschen via Internet zu überzeugen relativ gering sind und man bei diesen Versuchen sehr schnell ein falsches Image aufbaut. Sofern man sich für eine bestimmte Sache einsetzen möchte, sollte man dafür andere Aktionsmöglichkeiten suchen als das Internet. Die Imagebeschädigungen, die man sich durch eigenes Verhalten zufügt, können auch auf die Sache selbst abfärben.

Aufgrund der fehlenden Möglichkeiten raum-zeitlicher Integration ist es nur schwer möglich stabile Formen der Selbstorganisation für Kommunikation via Internet zu etablieren und so gut wie unmöglich dass die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien der Funktionssysteme im Internet funktionieren. Kommunikation via Internet forciert stattdessen die Ja/Nein-Codierung der Sprache. Bezieht man diesen Umstand wieder auf Kommunikation außerhalb des Internets so macht Trollkommunikation auf zwei gesellschaftliche Konfliktlinien aufmerksam. Die eine ist der Konflikt zwischen Experten- und Laienkulturen. Die einzelnen Funktionssysteme der Gesellschaft stellen heute hoch konditionierte Erwartungen an die Träger von Leistungsrollen die eine berufliche Karriere in diesem oder jenem Berufsfeld anstreben. Entsprechend hoch ist die Ablehnungswahrscheinlichkeit und die Enttäuschung bei den von der Ablehnung Betroffenen. Das Internet bietet nun die Möglichkeit ihrem Frust freien Lauf zu lassen und das Ansehen und Reputation der vermeintlich Verantwortlichen zu beschädigen. In gleicher Weise stellt sich das Problem, wenn es Personen nicht gelingt den Komplementärrollen zu entsprechen. Das Resultat ist Exklusion und Isolation. Und auch in diesem Fall kann der Frust via Internet artikuliert werden. In anderen Worten, das Internet wird auch und gerade für die Exkludierten zu einem wichtigen technischen Hilfsmittel für Kommunikationsversuche. In gewissem Maße erleichtert das Internert deswegen Ressentmentbildung.  Exklusion bezeichnet aber nur das Ereignis aktueller, kommunikativer Nicht-Relevanz in einen situativen Kontext. Das heißt weder dass nicht in der Zukunft die Chance auf Inklusion in denselben Kontext besteht noch dass der Betroffene sofort aus allen anderen sozialen Kontexten exkludiert wird. Gerade bei den durch Verfahren Isolierten fällt häufig auf, dass sie nicht mehr in der Lage sind die in die Inklusionsmechanismen eingelassenen Zeichen und Symbole zu verstehen und folglich auch nicht begreifen, was von ihnen erwartet wird. Die Chancen für eine zukünftige Inklusion stehen dann entsprechend schlecht. Ein aktuelles Beispiel für eine Bewegung, die aus dem Internet wieder in die Kommunikation außerhalb des Internets zurückschwappt, ist die Piratenpartei. Eine wie auch immer ausgeprägtes Problembewusstsein begründet aber noch keine Kompetenz hinsichtlich der möglichen Lösungen. Insofern können sich funktionssystemspezifische Inklusionsmechanismen nicht auf Emotionen einlassen sondern nur auf Erwartungen. Das gilt selbst für Liebe.

Die zweite Konfliktlinie ist die zwischen Redefreiheit und Persönlichkeitsschutz. Redefreiheit bedeutet heute, dass sich jeder zu jedem Thema äußern kann. Das Internet als technologische Infrastruktur zur Informationsverbreitung und Kommunikation unterstützt diesen Zweck. In der Konsequenz bedeutet das mehr Beobachtbarkeit, mehr Informationen, mehr Kontingenz. Aber auch Personen können zum Thema werden. Sofern sie (fremd-)beobachtet werden, ergeben sich auch Gefahren wie Beleidigungen, Diffamierungen, Verleumdungen oder Rufmord. Zum Teil werden solche Angriffe auf das Image der Betroffenen sogar mit dem Recht auf Redefreiheit gerechtfertigt. Bei solchen Vorfällen werden die Grenzen der Redefreiheit tangiert und es stellt sich die Frage, wo legitime Meinungsäußerung aufhört und Rufschädigung anfängt? Aber genauso wie unter dem Deckmantel der Meinungsäußerung Imageverletzung betrieben werden kann, kann umgekehrt unter dem Deckmantel des Persönlichkeitsschutzes die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden. Das Problem wird noch weiter verschärft, wenn man bedenkt, dass auch Äußerungen, die niemanden direkt verletzen auch als Verletzung verstanden werden können, weil sie trotzdem jemanden in der Öffentlichkeit schlecht aussehen lassen und dieser sich beleidigt fühlt. Wo das hinführt, kann man an den regelmäßigen Protesten der Muslime gegen vermeintliche Verletzungen ihrer religiösen Gefühle sehen. Am Ende würde eine Befindlichkeitsdiktatur mit entsprechender Zensur stehen. Man kann sich zu keinem Thema mehr äußern, weil sich immer irgendjemand angegriffen fühlt. Die Lösung kann aber auch nicht darin liegen die Meinungsfreiheit so weit zu fassen, dass Gefühle überhaupt nicht mehr zählen und man sich alles gefallen lassen muss. Beobachtbarkeit wird dann nur noch erleidet und hingenommen. Dieses Extrem scheint aktuell die post-privacy-Bewegung zu favorisieren. Unter dem Stichwort Transparenz wurde ein radikaler Öffentlichkeitsbegriff eingeführt. Performance-Aktionen, die auf diese neuen Bedingungen hinweisen wollen, oder öffentliche Sitzungen der Piratenpartei legen jedoch die Vermutung nahe, dass diese Form der Öffentlichkeit nur unter Preisgabe der eigenen Würde zu haben ist. Es kann also ebenso wenig darauf hinauslaufen mehr Beleidigungsbereitschaft einzufordern. Das würde nur bedeuten, dass das eigene Image zur öffentlichen Verfügungsmasse wird, an dem sich jeder mal abreagieren darf.

Trollkommunikation besetzt den Kreuzungspunkt zwischen den zwei Konfliktlinien Experten vs. Laien und Redefreiheit vs. Persönlichkeitsschutz. Sie macht auf die damit verbundenen Probleme aufmerksam. Die Lektion, die Trolle erteilen, liegt letztlich darin, dass sie auf die Unvollkommenheit der sozialen Adresse und die menschliche Verletzlichkeit - auch ohne physische Gewalt - hinweisen. Zur Lösung dieses Problems trägt Trollkommunikation aufgrund der Art und Weise wie das geschieht jedoch nichts bei. Stattdessen verschärft sie das Problem. Unter diesem Aspekt muss der aktuelle Trend einer positiven Umdeutung des Trollphänomens eher skeptisch betrachtet werden. Speziell wenn der Begriff des Trollens auch auf Kommunikationsweisen außerhalb des Internets Anwendung findet, wird man den Verdacht nicht los, dass es darum geht schlechtes Benehmen zur Normalität zu erklären. Möglicherweise ist es sogar die Normalität. Das heißt aber nicht, dass man sich damit abfinden muss. Der Text sollte zumindest andeuten, dass man auch anders kritisieren kann. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob man heute noch auf jeden blinden Fleck, den man vorgehalten bekommt, beleidigt reagieren sollte? Möglicherweise handelte es sich bei einer derartige Mitteilung gar nicht um einen Angriff auf das eigene Image. Vielleicht wäre es intelligenter von Beleidigungsbereitschaft auf Bereitschaft für Überraschungen umzustellen. Insofern kann es nicht darum gehen Trollen zur Normalität zu erklären, sondern die Sensibilität für die sozialpsychologischen Probleme zu erhöhen, die sich hinter Verhaltensweisen verstecken, die als Trollen bezeichnet werden. In diesem Lichte entpuppt sich der Begriff des Trollens selbst als eine Verlegenheitslösung für die Bezeichnung unbeholfenen Negierens und Kritisierens. Trollen zeigt wie es nicht geht und richtet dadurch die Aufmerksamkeit auf die Frage wie es gehen könnte? Beispiele für erfolgreiche Kommunikationsversuche gibt es genug. An ihnen wird sich möglicherweise zeigen, dass das Internet nicht das geeignete Mittel ist um mit unbekannten Personen erfolgreich zu kommunizieren.





*Der Text hatte ursprünglich den Titel „Kontingenz, Kritik und das Internet – Teil 2“.
[1] Siehe exemplarisch am Beispiel des Gerichtsverfahrens Luhmann 1983. Verfahren können als die praktische Anwendung einer Konditionalprogrammierung begriffen werden.
[2] Hinsichtlich der Verschmelzung von Person und Sache wäre zu prüfen inwiefern diese Personen in der Lage sind die Unterscheidung von Mitteilung und Information zu treffen. Falls nicht, würden sie im genauen Sinne nicht an Kommunikation teilnehmen sondern nur reflexartig auf einen externen Stimulus reagieren. Die starke emotionale Besetzung des Themas würde aus den Betroffenen eine Art Trivialmaschine machen, die auf den gleichen Stimulus in verschiedenen Situationen auf die gleiche Weise reagiert.
[3] Die Web-Site Reddit, die unter anderem dem Troll Violentacrez für die Verbreitung von anzüglichen, rassistischen, sexistischen und pädophilie-nahen Inhalten eine Plattform bot, stellt die Anonymität ihrer Nutzer – Violentacrez eingeschlossen – über die Anstößigkeit der verbreiteten Inhalte. Anonymität wird als die Voraussetzung gesehen, damit Personen sich überhaupt trauen derartige Inhalte via Internet zu veröffentlichen. Siehe hier.
[4] Violentacrez hatte es über Reddit sogar zu einer gewissen Berühmtheit gebracht und seine fragwürdigen Leistungen wurden durch die Reddit-Macher sogar durch Preise gewürdigt. Aber trotzdem wollte er nicht geoutet werden. Aus verständlichen Gründen, denn nach dem Outing wurde er von seinem Arbeitgeber entlassen. Interessanterweise hatte er keine Angst vor seinen Familienangehörigen geoutet zu werden. Laut eigener Aussage wussten die von seinen Aktivitäten als Violentacrez und waren zum Teil sogar selbst aktive Nutzer bei Reddit. Siehe auch dazu den verlinkten Artikel aus Fußnote 3.
[5] Da Anonymisierung inzwischen schon zu einer Art Konvention geworden ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige der anonymen Trolle nicht auch Trollen 1. Ordnung betreiben. Hier müsste genauer analysiert werden, wie getrollt wird. Dazu weiter unten Näheres.
[6] Für einen Überblick siehe Goleman 1995, S. 167 – 209
[7] Wenn in der Luhmannschen Systemtheorie der Mensch zur Umwelt sozialer Systeme gehört, dann handelt es sich bei der Kommunikation von Gefühlen und über Gefühle um ökologische Kommunikation im eigentlichen Sinne der Theorie. 


Literatur
Collins, Randall (2005): Interaction Ritual Chains. Princeton
Fuchs, Peter (1997): Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie, in: Soziale Systeme 3, S. 57 – 79
Goffman, Erving (1974a): Die Territorien des Selbst, in ders.: Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung, Frankfurt am Main, S. 54 – 96
Goffman, Erving (1974b): Der bestätigende Austausch, in ders.: Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung, Frankfurt am Main, S. 97 - 137
Goffman, Erving (1986a): Techniken der Imagepflege, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt am Main, S. 10 – 53
Goffman, Erving (1986b): Verlegenheit und soziale Organisation, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt am Main. S. 106 – 123
Goffman, Erving (1986c): Entfremdung in der Interaktion, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt am Main. S. 124 – 150
Goffman, Erving (1986d): Wo was los ist – wo es action gibt, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt am Main. S. 164 – 292
Goleman, Daniel (1995): Emotionale Intelligenz, München
Illouz, Eva (2009): Die Errettung der modernen Seele. Frankfurt am Main
Krappitz, Stefan (2012): Troll Culture
Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (2003): Macht. Stuttgart
Luhmann, Niklas (2005a): Die Form „Person“, in ders: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Wiesbaden 2. Auflage, S. 137 – 148
Luhmann, Niklas (2005b): Inklusion und Exklusion, in ders: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Wiesbaden 2. Auflage, S. 226 - 251
Luhmann, Niklas (2012): Macht im System. Berlin
Scheler, Max (2004): Das Ressentiment im Aufbau der Moralen. Frankfurt am Main 2. Auflage

7 Kommentare:

  1. Ein beeindruckender und soziologisch sehr kenntnisreicher Text. Am besten hat mir folgende Stelle gefallen:

    "Auf der Sachebene auf den Troll einzugehen, würde wahrscheinlich weitere Spitzen zur Folge haben, denn der Troll verfährt nach demselben Prinzip wie die Polizei."

    Und am wenigsten hatte mich diese Formulierung überzeugt:

    "Die sicherste Methode mit einem Troll umzugehen, besteht also darin ihn zu Ignorieren."

    Weil die bekannte Vermeidungsparole "don't feed the troll" schon wieder der nächste Fortsetzungsversuch ist, der schon allein deshalb für jeden Troll anschlussfähig ist, weil man niemand genau wissen kann, mit wie
    vielen Adressen ein Troll involviert ist. Und außerdem: niemand kann die Polizei ignorieren und das nicht allein deshalb, weil sie bewaffnet ist. Eine Polizei könnte sich mit Gewalt allein nicht dauerhaft durchsetzen, sie braucht sehr gute kommunikative Techniken der Verwicklungen von Verdächtigen in ihre Selbstwidersprüche. Genau das macht diese Trollkommunikation: Sie macht auf die transzendentale Selbstverdächtigung aufmerksam, ungeachtet dessen, ob ein Menschen das will oder nicht.

    Es zeigt sich eigentlich, dass Internetkommunikation nicht nur Kommunikation zwischen Unbekannten herstellen kann, sondern - aufgrund der Kontingenzüberflutung - auch hinsichtlich der Sacherverhalte Unbekanntheit garantiert. Diese Garantie ergibt sich daraus, dass allein Differenzen die Kommunikation steuern und nicht etwa Einheit, Identität, Sachlichkeit, Konsens, guter Wille oder Vereinbarung. Es sind allein Differenzen, so banal die Gegenstände der Verhandlung auch immer erscheinen mögen, die Kommunikation herstellen und offensichtlich auch genügend Anlässe ermöglichen um sie fortsetzen zu wollen, bzw. zu können. Die Unbekanntheit bezieht sich darauf, dass Klärungen, Eindeutigkeiten, wenn zwar prinzipiell nicht unmöglich, so doch enorm unwahrscheinlich werden. Und mir scheint, dass gerade diese Unwarscheinlichkeit das Faszinosum darstellt, um mit Unbekannten über für einander unbekannte Angelegenheiten zu sprechen. Überflüssig hinzuzufügen, dass der Unterschied zwischen bekannt/unbekannt selbst kontigent ist. Und auch dieser Sachverhalt, also die Kontingenz dieses Sachverhaltes, ist noch nicht einmal eindeutig.
    Dieser Schlusssatz allerdings: "An ihnen wird sich möglicherweise zeigen, dass das Internet nicht das geeignete Mittel ist um mit unbekannten Personen erfolgreich zu kommunizieren" ist eine völlig Verkennung der Möglichkeiten des Internets. Es ist das Gegenteil der Fall. Nur das Internet ermöglicht wie kein anderes Medium die Kommunikation zwischen Unbekannten. Und dass diese Zumutungen durch die Trollkommunikation nicht der letzte Stand der Dinge bleiben müssen, liegt daran, dass ja auch eine Internetpolizei involviert ist, nämlich: die Trolle selbst. Denn alle soziale Ordnung impliziert sich selbst, weil sie auf der Unterscheidung von Selbstorganisation und Organisation beruht, einer Unterscheidung, die auf beiden Seiten ihrer selbst wiederholt werden kann, die alle ihre Beobachter in sich selbst einschließt und in der deshalb Unruhestifter, Störer und Ordnungshüter oder Polizisten nicht zuverlässig auseinander zu halten sind.
    Kurz: die Kommunikation zwischen Unbekannten erzwingt eine radiale Versachlichung der Kommunikation. Ansätze dafür finden sich z.B. in der viralen Ironie, die ja nur besagt, dass nicht nur alles auch ganz anders gemeint sein könnte, sondern auch, dass alles ganz genauso und nicht anders verstehbar ist. Die radikale Sachlichkeit besteht darin, auf eine Treffsicherheit des Urteils zu verzichten und sich auf nicht-überzeugte Verständigung zu verlegen. Ich nenne das: Paranoik. Dabei handelt es sich nicht um ein Konzept, sondern um eine Übung im Sinne Peter Sloterdijks: "Du musst dein Leben ändern" und darin der Begriff "Übungssysteme".

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    1. @ kusanowsky: Freut mich, dass der Text Anklang findet. Und vielen Dank für die Werbung.

      Zum Thema Unbekanntheit vielleicht noch einige Anmerkungen, da der letzte Satz von dir am meisten kommentiert wurde. Ich bestreite nicht, dass Kommunikation mit Unbekannten im Internet unmöglich wäre. Der Text legt bloß implizit die Idee nahe, dass es aus Gründen des Selbstschutzes am besten wäre nur mit Psydonym via Internet zu Kommunizieren. Das könnte man auch als Kommunikation unter Unbekannten interpretieren. Darauf zielt dieser Satz ab: Kommunikation unter Psydonym gleich Kommunikation unter Unbekannten.

      Bezüglich des Konzepts paranoischer Systeme, die Kommunikation unter Unbekannten auf Dauer stellen könnten, hätte ich eine Gegenfrage. Was ist in diesem Zusammenhang mit unbekannt gemeint? Je länger die Kommunikation zwischen Unbekannten läuft, desto weniger unbekannt werden sich die Kommunikationspartner. Dafür ist es unerheblich, ob mit Klarnamen oder mit Psydonym kommuniziert wird. Denn ohne Zurechnungsinstanz in Form eines Klarnamens oder Psydonyms kann man auch nicht via Internet kommunizieren. Und sobald die Kommunikation läuft beginnt Imagebildung bzw. Erwartungsbildung. Die anfängliche Unbestimmtheit der sozialen Adresse verwandelt sich also langsam in Bestimmtheit. Das kann man dann als bekannt oder vertraut bezeichnen. Auf jeden Fall aber nicht mehr als unbekannt – es sei denn man stellt auf eine Bekanntheit ab, die auf Begegnungen außerhalb des Internets zielt. Ansonsten kann ich nur auf den Text von Peter Fuchs verweisen, der ja ziemlich gut zeigt, dass quasi als Nebenprodukt von Kommunikation automatisch soziale Adressen produziert werden. Diese Prämisse liegt auch meinen Überlegungen zu Grunde und gilt ebenso für das Internet. Das Internet bricht nur mit den konventionellen Vorstellungen davon, was eine soziale Adresse ist – Stichwort Klarname. Man kann die Zwangsläufigkeit der Adressbildung auch negativ formulieren: wenn die Bildung einer sozialen Adresse bzw. eines Image vermieden werden soll, dann muss Kommunikation vermieden werden.

      Dein Konzept der Kommunikation unter Unbekannten kann man dann auch so verstehen, dass aus der Trias Information/Mitteilung/Verstehen die Mitteilung rausgekürzt wird. Also nicht mehr zwischen Information und Mitteilung unterschieden wird. Diesbezüglich verweise ich auf Fußnote 2 des Textes. Kommunikation unter Unbekannten klingt dann wie die theoretische Begründung dessen was ich im Text als selbstlose Kommunikationsweise bezeichnet habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das damit gemeint ist.

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  2. Das stimmt, und alle anschließenden Überlegungen stimmen auch, insbesondere das: “Dein Konzept der Kommunikation unter Unbekannten kann man dann auch so verstehen, dass aus der Trias Information/Mitteilung/Verstehen die Mitteilung rausgekürzt wird.”

    https://differentia.wordpress.com/2012/12/07/paranoik-kommunikation-von-anonymitat-systemtheorie-internet/

    (Das ist der Link zu meiner Antwort. Leider hatte deine Kommentarfunktion meinen Kommentar abgelehnt, weil er zu lang war. Schönes Beispiel dafür, dass Kritik schon von Maschinen betrieben wird.)

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  3. "Der Troll beteiligt sich in gewisser Weise selbstlos an Kommunikation."

    Nicht teilen möchte ich deine Spekulationen über die Motive, über Absichten, über Wünsche, über Vermögen- oder Unvermögen des Trolls, weil all dies unter semantischen Voraussetzungen einer Kommunikation verstehbar wird, die Subjekte als kommunikaitonsverursachende Instanz vorsieht - der Troll will, kann etwas oder kann etwas nicht und das diese erlebende Subjekt wäre nur zur Analyse, zur Reflexion, zur Distanz gezwungen und könnte dessenthalben seine Unschuld retten.
    Höchst aufschlussreich wäre das von mir heraus gegriffene Zitat allerdings dann, wenn man den Troll nicht als handelndes und damit auch als verantwortliches, schuldfähiges, zurechnungsfähiges Subjekt sieht, sondern als paranoisches Phantom, als Schreckens- und Wahngestalt einer Kommunikation, die so sehr auf Erwartungsweisen transzendentaler Subjektivität eingespielt ist, dass die Möglichkeit der Selbstlosigkeit nur, wenn sie schon eingerechnet werden könnte, in Anführungszeichen einer Vermeidungssemantik gesetzt werden kann: "in gewisser Weise selbstlos" - das heißt: da ein Subjekt nicht selbstlos handeln, man aber "Selbstlosigkeit" dennoch bemerken kann, so ergibt sich nur die Vermeidungslösung, die Treffsicherheit der eigenen Beobachtung herab- und sie in Anführungszeichen zu sezten: "in gewisser Weise" - das heißt: auf bestimmte Weise etwas sehr Unbestimmtes, als ob da ein Reflexionsstopp gerechtfertigt werden müsste.
    Was wäre denn dagegen einzuwenden, wenn man annimmt, dass diese Trollerei als paranoische Beobachtung auf eine Beobachtung von paranoischen Strukturen angepasst ist und man damit tatsächlich nur auf die Paradoxie eines selbstlosen Selbst stößt, also auf kein Subjekt, schon gar nicht auf ein handelndes.

    Noch einmal: alle deine Spekulationen über Motive, Absicht, Vermögen und Unvermögen des Trolls sind sozial-astrologische Spekulationen, die so gesehen, nach Maßgabe ihrer eigenen Diffferenzen, selbst Trollerei sind; sind empiriefreies, spekulative Spinnereien, die obednrein höchst fantasielos erscheinen. Nach Maßgabe paranoischer Differenzen sind diese Speulationen dann erst wieder relevant, wenn man diese Formulierung ohne Anführungszeichen verwendet: diese Trollerei zeigt, dass Selbstlosigkeit möglich ist und zwar in ungewisser, nicht in gewisser Weise.


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  4. @kusanowsky

    Es steht dir völlig frei das so zu sehen. Ich weise aber darauf hin, dass du lediglich deine subjektphilosophische Position in meinen Text hinein liest. Was ich für eine verkürzte Lesart des Textes halte. Ich gehe nicht von Subjekten als kommunikationsverursachende Instanzen aus sondern von struktuell gekoppelten sozialen und psychischen Systemen. Daher spricht auch nichts dagegen davon auszugehen, dass Menschen - nicht Subjekte - an Kommunikation teilnehmen können. Das ist sogar die Voraussetzung damit Kommunikation zustande kommt, denn ohne Menschen gibt’s auch keine Kommunikation. Und die an Kommunikation beteiligten Menschen sind immer beides Beobachter und Beobachteter - oder in deiner Sprache Subjekt und Objekt zugleich. Die Pointe des von dir zitierten Satzes ist aber – und deswegen ‚in gewisser Weise‘ – dass es nicht möglich ist selbstlos an Kommunikation teilzunehmen. Umso faszinierter beobachte ich natürlich deine Versuche genau das trotzdem theoretisch zu begründen. Ich halte das allerdings für den aussichtslosen Versuch die Teilnahmefähigkeit der Menschen an Kommunikation zu bestreiten.

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  5. " ... dass es nicht möglich ist selbstlos an Kommunikation teilzunehmen." Genau so betrachte ich das auch: das ist nicht nicht möglich, aber unmöglich ist auch nicht die Beobachtung, sich "in gewisser Weise selbstlos an Kommunikation" zu beteiligen. Diese Betrachtung mündet in eine Paradoxie, die zugleich ihre Kontingenz mit einschließt, nämlich: ein selbstloses Selbst zu unterstellen und dem logischen Problem dadurch aus dem Wege zu gehen, dass man den Weg der Paradoxiebildung durch einen Täuschungs- bzw. Selbsttäuschungsversuch verschleiert. Selbstlosigkeit sei nur in "gewisser Weise" möglich - das heißt: es sei etwas anderes als etwas Gewisses gemeint, nämlich: etwas sehr Ungewisses. Das ist: Selbstlosigkeit.
    Die Beobachtung deckt also eine ihrer Möglichkeiten auf, in dem sie den Begriff der "Selbstlosigkeit" zur Anschlussfindung vorschlägt, und deckt diese Möglickeit zugleich wieder zu, wenn in im Fall der Anschlussfindung die Möglichkeit der Selbstlosigkeit akzeptiert wird. Die Verdeckung geschieht wiederum durch das gleiche Verfahren: es sei ja klar, was schon klar war, dass es Selbstlosigkeit nur in gewisser, also in höchst ungewisser Weise gäbe, weshalb jeder kritische Einwand immer schon berücksichtigt und darum gegenstandlos sei. Das stimmt.

    "Ich halte das allerdings für den aussichtslosen Versuch die Teilnahmefähigkeit der Menschen an Kommunikation zu bestreiten." - Das wäre tatsächlich ziemlich aussichtslos - wer hat den Versuch jemals ernsthaft unternommen?

    Vielmehr versuche ich zu verstehbar zu machen, dass die Wissensform transzendentaler Subjektivität durch das Internet an die Grenzen ihrer Möglichkeit gekommen ist, was man an den hilflosen Versuchen ablesen kann, sie für das Internet zu retten. Siehe dazu diesen Artikel:

    http://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2012/06/25/das-kleine-trollhandbuch-2/

    Ein Wissenschaftler denunziert die Trollerei auf dem gleichen Wege, auf dem sie beobachtbar wird und lässt sich in der Folge unverdrossen wieder auf eine Diskussion ein, die diese Trollerei betreibt und fortsetzt.

    Meine These lautet deshalb: die kritische Diskussion ist bereits entfaltete Trollkommunkation. Die Wissensform tranzendentaler Subjektivtät ist nur durch eine soziale Differenzierungsform gedeckt und bedingt, welche diese Wissensform ermöglicht. Daraus könnte man die Schlussfolgerung ziehen: Ändert sich die Differenzierungsform, so ändert sich auch die Wissensform und andersherum. Da aber beides - die sich ändernde Wissensform genauso wie die sich ändernde Differenzierungsform - sich gegenseitig deckt, bedingt und ermöglicht, kann beides nicht beobachtet werden, solange die Unterscheidungsroutinen der tranzendentalen Wissensform die Kommunikation determinieren. Es gelingt mir nicht, etwas Unbekanntes beobachtbar zu machen (und selbstverständlich allen anderen auch nicht.) Umso spannender ist der Gedanke, dass etwas Unbekanntes im Spiel ist.
    Diese Überlegung abzulehnen ist übrigens denkbar einfach, indem man sich auf den trivalen Standpunkt stellt: "Mir ist alles klar - ich verstehe, also ist mir alles, sofern ich verstehe, Entscheidende bekannt."
    Dagegen gibt es keine überzeugenden Einwände.





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