Die letzten beiden Beiträge
enthielten unter anderem die Beobachtung, dass sowohl die
neueren soziologischen Systemtheorien als auch andere
soziologische Theorien gegenwärtig des Öfteren durch einen Beobachtungsstil
gekennzeichnet sind, den Niklas Luhmann als Gorgonenbetrachtung
bezeichnete (vgl. 1991, S. 58).
Gorgonenbetrachtung bezeichnet den Umgang
mit Paradoxien. Luhmann versuchte verschiedene Möglichkeiten mit Paradoxien
umzugehen anhand der mythologischen Figuren der Gorgonen zu unterscheiden. Die
Gorgonen sind die drei schrecklichen Schwestern, deren Häupter mit Haaren aus
Schlangen besetzt sind. Jeder, der sie anblickt, wird zu Stein erstarren. Diese
Erstarrung ist das Risiko, dem man sich aussetzt, wenn man versucht die
Gorgonen zu betrachten. Und dieses Risiko besteht im übertragenen Sinne ebenso,
wenn man versucht Paradoxien zu beobachten. Es gibt jedoch verschiedene
Möglichkeiten mit diesem Risiko umzugehen. Jede der drei Schwestern steht für
eine bestimmte Form mit diesem Risiko umzugehen.
Medusa, die einzige Sterbliche im Bunde der Drei, konnte durch
Enthauptung getötet werden. Auf Paradoxien bezogen, bedeutet das, Paradoxien
auszuschließen bzw. zu vermeiden. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien stand
die Tradition der Logik, deren Bemühungen sich darauf konzentrierten Systeme
von Aussagen widerspruchsfrei zu halten. Die Zweite im Bunde ist Stheno. Ihre Unsterblichkeit zeigt an,
dass das Risiko der Erstarrung nicht zu eliminieren ist. So steht man
lediglich vor der Wahl sich abzuwenden und der Erstarrung zu entgehen oder man
schaut sie an und erstarrt. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien steht die
Tradition der Theologie mit ihren Versuchen Gott zu beobachten. Wobei das
Kunststück darin besteht, das Unbeobachtbare, das Transzendentale – nämlich
Gott – zu beobachten, was allerdings dann doch wieder zu sehr ambitionierten
Formen führte, dies zu tun. Auch die Beobachtungsgewohnheiten postmoderner
Theorien haben sich darauf spezialisiert Paradoxien zu beobachten. Doch im
Gegensatz zur Theologie beschränken sich diese Theorien darauf das Paradox
offen zu legen und sich an ihrer hypnotischen Macht zu berauschen. In den Bann
von Stheno gezogen, lässt man alle Hoffnung fahren. Die Schockstarre kann
jedoch selbst wieder zu ungeheurer, infantiler Geschwätzigkeit führen. Die
undifferenzierte Textproduktion der Postmodernen dient dann nur noch dem
Versuch andere mit den eigenen Ängsten und Unsicherheiten anzustecken. Die
dritte Schwester ist schließlich Euryale.
Auch sie kann nicht getötet werden. Euryale steht jedoch für den Versuch trotz
ihrer Existenz nicht zu erstarren. Statt sich auf die Beobachtung der Paradoxie
zu konzentrieren, versucht man kreative Möglichkeiten zu finden die Paradoxie
zu invisibilisieren. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien steht die
Tradition der Rhetorik. Paradoxieentfaltung bedeutet dann Unterscheidungen
anzusetzen um das scheinbar Sinnlose in eine sinnvolle Form zu überführen.
Im Umgang mit Paradoxien hat sich
der Versuch sie auszuschließen als wenig fruchtbar erwiesen. Selbst nach der
Enthauptung behält der Kopf der Medusa seine versteinernde Wirkung. Also muss
man sich wohl oder übel mit der Aussichtlosigkeit der Tötungsversuche abfinden.
Das Erstarrungsrisiko ist universell, denn das
Problem der Paradoxien ist universell. Man kann sie nicht ausschließen, man
kann lediglich versuchen mit ihnen umzugehen. So bleibt nur die Alternative
zwischen Erstarrung oder Wegschauen, zwischen Paradoxiebetrachtung oder
Paradoxieentfaltung, zwischen Sthenographie
oder Euryalistik. Die Ursache für
Sthenographie ist aber nicht zuerst in den betroffenen Theorien zu suchen. Mit
diesem Problem ist die Gesellschaft als Beobachtungsobjekt selbst behaftet und
gilt zuerst für Gesellschaft als Prozess. Versteht man unter Gesellschaft die Gesamtheit der
stattfindenden Kommunikationen, bezieht sich das auf die einzelnen
Ereignisse durch die sich die Gesellschaft als soziales System reproduziert. Kommunikation, und damit auch
Gesellschaft, ist unabhängig von jeglicher funktionalen Spezialisierung paradox konstituiert, wenn man sie
zugleich als ein sich selbst beobachtendes System begreift. Das Problem liegt
dann bereits in der paradoxen Konstitution ihrer Operationen als Beobachtungen
(vgl. Luhmann 1993).
Mit diesem Problem muss auch eine
wissenschaftliche Disziplin umgehen, die sich der Erforschung sozialer Prozesse
verschrieben hat – und das in doppelter Weise. Zum einen ist der
Beobachtungsgegenstand Gesellschaft mit diesem Problem behaftet. Die
Beobachtung der Gesellschaft kann zum anderen nur in der Gesellschaft
stattfinden. Die Soziologie ist wiederum ein Teilsystem im funktionalen
Subsystem der Wissenschaft der Gesellschaft und operiert damit in der
Gesellschaft. Sie kann keinen archimedischen Punkt außerhalb der Gesellschaft
einnehmen und sich wie ein externer Beobachter verhalten. Die soziologische Beobachtung der Gesellschaft ist nur in der
Gesellschaft mit den Mitteln der Gesellschaft möglich (vgl. Luhmann 1997,
S. 1128ff.). Die Soziologie ist daher
auch selbst von diesem Problem betroffen, auch sie ist paradox konstituiert. Jeder Versuch sich trotzdem wie ein
externer Beobachter zu verhalten, kommt dem Versuch gleich Medusa zu köpfen.
Das universelle Problem der
paradoxen Konstitution der Gesellschaft muss damit also auch bei soziologischer
Theoriebildung beachtet werden. Doch wenn man sich die aktuellen
Theorieangebote anschaut, fällt bei einem Großteil die fehlende Sensibilität
für dieses Problem auf. Statt sich an kreativer Paradoxieentfaltung zu
versuchen, beschränkt man sich bei der Theoriebildung darauf soziale Probleme
auf tautologische oder paradoxe Formulierungen zu zuspitzen ohne jedoch den
Versuch zu unternehmen sich wieder aus der selbstgestellten Falle zu befreien
[1]. Das Problem ist also weniger Gorgonenbetrachtung an sich, sondern die
Sthenographie, welche es bei der Problemkonstruktion belässt. Die häufig
konstatierte Krisenhaftigkeit der modernen Gesellschaft erscheint unter diesem Aspekt zunächst nur als Krise der Selbstbeschreibungsformen der Gesellschaft.
Die Krise resultiert nicht aus wie immer gearteten widersprüchlichen
Entwicklungsprinzipien der Gesellschaft, sondern ist zunächst ein Symptom, dass
immer dann auftritt, wenn man sich bei der Gesellschaftsbeschreibung für
Sthenographie oder gar das Köpfen der Medusa entscheidet. Das Risiko der Erstarrung liegt mit anderen Worten in den
Funktionsbedingungen von Kommunikation selbst, ebenso wie die Chance der
kreativen Paradoxieentfaltung. Konzentriert man sich aber nur auf den
Aspekt der Krise, kann sie auch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Einer der Wenigen, der den
Versuch Euryalistik zu betreiben – im vollen Bewusstsein des Problems -,
trotzdem gewagt hat, war Niklas Luhmann. Er entwickelte seine Systemtheorie der
Gesellschaft unter Berücksichtigung des Problems, dass die wissenschaftliche
Beobachtung der Gesellschaft nur in der Gesellschaft stattfinden kann und
niemals außerhalb. Deswegen schlug er
als eine Möglichkeit soziologischer Paradoxieentfaltung eine reflektierte Autologie vor (vgl. Luhmann
1997, S. 1128 – 1142), die sich dem Problem der Gesellschaftsbeschreibung in
der Gesellschaft stellt. Die Lösung besteht darin einen Begriff der Beobachtung zu entwickeln, der nicht bloß als vage
Analogie zur menschlichen Wahrnehmung verstanden werden kann, sondern eine
Beschreibung ermöglicht, wie soziale Systeme mit dem Problem ihrer paradoxen
Konstituierung umgehen und trotzdem Informationen produzieren und weiterverarbeiten
können.
Im Folgenden soll es deswegen
darum gehen die Grundzüge der systemtheoretischen Beobachtungstheorie nach zu
zeichnen. Es wird aber nicht allein bei einer reinen Darstellung von Luhmanns
Beobachtungstheorie bleiben. Die Darstellung ist von der Grundannahme geprägt,
dass es im Anbetracht der weiteren Theorieentwicklungen
nach dem Tode Luhmanns noch zu viele Unklarheiten hinsichtlich der einzelnen
Teile der Systemtheorie und ihrer Beziehungen zueinander gibt. Luhmanns
Systemtheorie ist, anders ausgedrückt, in sich selbst noch nicht ausreichend
differenziert, um noch das zu leisten, was sie verspricht. Dies trifft auch auf
die Beziehung zwischen Kommunikationstheorie und Beobachtungstheorie zu. Daraus
leitet sich die Notwendigkeit ab, für den hier verfolgten Zweck die
Kommunikationstheorie stärker gegen die Beobachtungstheorie zu differenzieren.
Dabei wird der von Luhmann vorgegebenen Richtung gefolgt. So wird im Folgenden
der Versuch unternommen Gregory Batesons Informationsbegriff, George
Spencer-Browns Kalkül der Form und Niklas Luhmanns Systemtheorie stärker
ineinander zu integrieren als es Luhmann getan hat. Das Ergebnis wird eine soziologische Informationstheorie sein,
mit der sich Identitäten, welche durch Unterscheidungsgebrauch konstruiert
wurden, rekonstruieren lassen. Dies war bereits das erklärte Ziel Luhmanns. Was
dabei herausgeschält wird, ist aber nicht nur eine soziologische
Informationstheorie, sondern zugleich der Versuch dem Erfordernis einer
reflektierten Autologie gerecht zu werden, denn es wird der Versuch unternommen
Informationen darüber zu gewinnen, wie Informationen gewonnen werden können.
I.
Die folgenden Ideen und Gedanken
gründen auf Luhmanns formalen Begriff der Beobachtung. Was man heute problemlos
feststellen kann, ist, dass dieses Verständnis über die Operationsweise
sozialer und psychischer Systeme inzwischen einen Abstraktionsgrad angenommen
hat, der sich nur noch sehr schwer auf Alltagserfahrungen zurückbeziehen lässt.
Obgleich diese begriffliche Distanz zum Alltagsverständnis bewusst in Kauf
genommen wird, macht sie es zugleich extrem schwer das gewonnene Wissen zu
kommunizieren. Diese Schwierigkeit besteht aber nicht nur beim Transport dieses
Wissens in die außerwissenschaftliche Umwelt, sondern bereits
soziologie-intern. Selbst in der gegenwärtigen soziologischen Theoriebildung
werden die vollen Konsequenzen des systemtheoretischen Theoriedesigns nur
zögerlich berücksichtigt – speziell die konstruktivistischen Implikationen der
Beobachtungstheorie. Daher muss zunächst der theoretische Status innerhalb der
Systemtheorie Luhmanns als auch in Bezug auf die nach wie vor vorherrschenden
soziologischen Handlungstheorien geklärt werden.
Luhmann selbst hat seine
Systemtheorie in drei Theoriestränge untergliedert (vgl. 1997). Das ist zum
einen die Evolutionstheorie, welche auf
die Zeitdimension gesellschaftlicher
Selbstbeschreibungen abzielt. Sie ist in der Lage deren historische Veränderungen
zu beschreiben. Der zweite Theorieteil ist die Differenzierungstheorie, welche sich auf die Sachdimension gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen konzentriert.
Mit ihm können Gesellschaftsbeschreibungen darauf hin untersucht werden, wie
die Gesellschaft sich selbst als Gesamtsystem beschreibt oder wie sie von einem
ihrer Teilsysteme beschrieben wird oder wie Teilsysteme sich selbst
beschreiben. Der dritte Theorieteil ist schließlich die Kommunikationstheorie, welcher die Sozialdimension gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen
berücksichtigt. Dieser Teil stellt auf die Unterschiede in den
gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen verschiedener Beobachter ab.
Aus der Perspektive der
Systemtheorie wird Gesellschaft zunächst als Kommunikationsprozess verstanden. Dabei
ist jedes Ereignis des
Kommunikationsprozesses immer eine dreifache Selektion von Mitteilung,
Information und Verstehen (vgl. Luhmann 1984, S. 194ff.). Der
Mitteilungsaspekt eines Ereignisses unterscheidet den Informationsträger von
der mitgeteilten Information. Folglich unterscheidet der Informationsaspekt die
mitgeteilten Informationen von der Form der Mitteilung. An einem Ereignis muss
demnach immer die Form der Mitteilung von den mitgeteilten Informationen
unterschieden werden. Damit kann aber ein Ereignis noch nicht als Kommunikation
beobachtet werden. Zur Kommunikation wird es erst, wenn es sich auf ein
zeitlich vorangegangenes Ereignis bezieht. Somit schließt jedes Kommunikationsereignis
an ein vorangegangenes Ereignis an. Dieser Zeitaspekt des nacheinander
Anschließens wird als Verstehen bezeichnet. Jedes Anschlussereignis kann sich dann
entweder auf die mitgeteilten Informationen oder die Form der Mitteilung
beziehen. Bereits aufgrund der Alternative entweder an die Information oder die
Mitteilung anzuschließen zu können, wird Kommunikation zu einem selektiven Geschehen. Da der
kommunikative Anschluss zeitlich nicht unmittelbar folgen muss, kommt noch ein
drittes Moment der Selektivität dazu. Selektivität impliziert Alternativen: man
hätte andere Mitteilungen wählen können, man hätte andere Informationen
mitteilen können und man hätte zu anderen Zeitpunkten anschließen können. Jedes
Ereignis eines Kommunikationsprozesses hätte somit in dreifacher Hinsicht so,
aber auch anderes realisiert werden können. Damit ist jedem Ereignis sachlich, sozial
und zeitlich seine eigene Kontingenz eingeschrieben (vgl. Luhmann 1984, S. 158).
Jedes Ereignis eines
Kommunikationsprozesses kann also in dreierlei Hinsicht anders beobachtet
werden. Mithin ist schon jedes Ereignis selbst eine Beobachtung. Das trifft
sogar auf die hier angebotene Beschreibung des Basiselements sozialer Prozesse
zu. Andere soziologische Theorien definieren das Basiselement sozialer Prozesse
anders. Hier ist nach wie vor der Handlungsbegriff
ein beliebter Kandidat. Luhmann war angetreten mit der Beschreibung von
Kommunikationsereignissen als Synthese von drei Selektionen eine kontingente
Beschreibung im Vergleich zu den etablierten soziologischen Theorien, welche
von Handlungen als Basiselement sozialer Prozesse ausgehen, anzubieten. Dabei
ging es weniger darum das Basiselement sozialer Prozesse neu zu bestimmen,
sondern nur darum Handlungen aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ohne
auf einzelne Handlungstheorien einzugehen, besteht das Problem im Allgemeinen
darin, dass die jeweiligen Handlungsbegriffe nicht in der Lage sind analytisch
der dreifachen Selektivität jeder Handlung als Ereignis im Rahmen einer
Kommunikationssequenz Rechnung zu tragen. Es fehlt damit ein Blick für die
sachliche, soziale oder zeitliche Kontingenz jeder Handlung. Schemata wie z. B.
Konformität/Devianz können die Tragweite des systemtheoretischen
Beobachtungsangebots nicht differenziert genug erfassen. Der Begriff Devianz
operationalisiert Kontingenz über abweichende Handlungen im Unterschied zu
erwünschten Handlungen und sieht Abweichungen dann als normatives Problem der
zu vermeidenden Handlungen. Diese Fassung ist aber schon nicht mehr in der Lage
zu reflektieren, dass Handlungen, die in einer Situation als wünschenswert
betrachtet werden, in einer anderen Situation als unerwünscht betrachtet werden
können. Dieses Problem lässt sich noch über eine Unterscheidung von
verschiedenen Werten, die konformes Handeln verlangen, beheben. Nun wird zwar
der Kontingenz des Handelns Rechnung getragen, nicht jedoch der Kontingenz der
Werte. Letzteres wird als Wertekonflikt registriert ohne jedoch die Kontingenz
der Beharrung auf Werte als theoretischen Bezugsrahmen reflektieren zu können [2].
Auf einer handlungstheoretischen Ebene
ist es nicht mehr möglich dieses Problem zu erkennen, denn sie stellt keinen
begrifflichen Rahmen zur Verfügung mit dem das Problem der Kontingenz
handlungstheoretischer Beschreibungsangebote des Basiselements reflektiert
werden könnte. Luhmanns Kommunikationsbegriff bietet dagegen eine Möglichkeit
die Kontingenz verschiedener Beschreibungsangebote mit zu reflektieren. Der
Theorieteil, der dies im Rahmen der Systemtheorie leisten kann, ist die
Beobachtungstheorie. Der Kommunikationsbegriff
ist aber nicht mit dem Beobachtungsbegriff
identisch. Soziale Systeme sind zwar zugleich Kommunikationssysteme und beobachtende
Systeme. Die Beobachtung als Operation sozialer Systeme muss aber scharf von
Kommunikation abgegrenzt werden. Viele Probleme der Weiterentwicklung und
Anwendung von Luhmanns Systemtheorie lassen sich darauf zurückführen, dass die
Unterschiede zwischen Kommunikation und Beobachtung noch nicht präzise genug
herausgearbeitet wurden.
Deswegen werden die beiden
Begriffe nun stärker gegeneinander differenziert. Kommunikationsereignisse
wurden weiter oben als Synthese einer dreifachen Selektion von Mitteilung,
Information und Verstehen beschrieben. Der
Beobachtungsbegriff bezieht sich nur auf die mitgeteilten Informationen. Er
gewinnt seine Funktion im Rahmen der Kommunikationstheorie nur durch diese
Engführung auf den Informationsaspekt eines Kommunikationsereignisses, der klar
von der Form der Mitteilung und des zeitlichen Anschlusses unterschieden werden
muss. Es ist deswegen wichtig festzuhalten, dass die Beobachtungstheorie in den
kommunikationstheoretischen Teil der Systemtheorie eingelassen ist und nur auf
den Informationsaspekt einer Handlung abzielt. Wenn ein Kommunikationsereignis
eine Beobachtungsoperation ist, dann kann mit Hilfe der Beobachtungstheorie
beobachtet werden, wie beobachtet wird. Was diese zunächst tautologische
Formulierung im Rahmen der soziologischen Systemtheorie bedeutet, soll im
Folgenden entfaltet werden. Die aus dieser begrifflichen Präzisierung
resultierende Beobachtungstheorie hat weitreichende theoretische und
methodologische Konsequenzen, die bereits weit unterhalb des
handlungstheoretischen Radars fliegen und eher bei Semiologie, Logik und
Sozialpsychologie andocken.
II.
Die soziologische Systemtheorie
ist eine Theorie beobachtender Systeme [3]. Beobachtende Systeme sind in der
Lage sowohl ihre Umwelt als auch sich selbst zu beobachten. Das trifft auf
soziale und auf psychische Systeme zu. Beide Formen von Systemen sind
füreinander Umwelt. Wenn die systemtheoretische Beobachtung auf den
Informationsaspekt einer Handlung abzielt, dann ist damit nicht gesagt, dass
die Mitteilung wie ein Behälter objektiv Informationen enthält oder
transportiert. Diese Vorstellungen von der Funktionsweise von Kommunikation
suggeriert letztlich immer noch die Vorstellung von einer Determinierung eines
Systems durch seine Umwelt. Prominent wird ein derartiger Ansatz gegenwärtig
von Bruno Latour mit seiner Akteur-Netzwerk-Theorie (vgl. 2010) vertreten, die
davon ausgeht, dass Dinge oder Objekte durch den ihnen innewohnenden
Informationsgehalt Akteure – und das müssen nicht mal Menschen sein – zum
Handeln bringen. In der ANT heißt das dann Handlungsträgerschaft und reproduziert
damit die Transportmetapher in dem Sinne, dass Objekte Informationsträger sind
und auf diese Weise auf Systeme einwirken.
Von solchen Vorstellungen hat
sich die soziologische Systemtheorie längst verabschiedet. Sowohl durch
biologische als auch durch psychologische Forschung ist die operative
Geschlossenheit derartiger Systeme empirisch belegt und lässt sich auch auf die
Operationsweise sozialer Systeme übertragen. Mithin bildet das Problem der
operativen Geschlossenheit psychischer Systeme den Katalysator für die Emergenz
sozialer Systeme. Geht man von der operativen Geschlossenheit von Systemen aus,
kann die Annahme einer Umweltdeterminierung von Systemen nicht länger
aufrechterhalten werden. Vielmehr können sich Systeme nur noch selbst
determinieren. Kommunikationsereignisse schließen nur an
Kommunikationsereignisse an, Gedanken schließen nur an Gedanken an. Systeme
werden nur noch von ihrer eigenen Operationsgeschichte bestimmt und operieren
damit pfadabhängig. Das ist gemeint, wenn von Autopoiesis die Rede ist. Ein System reproduziert sich nur aus
Systemelementen und diese Elemente sind operativ gesehen Ereignisse.
Begreift man Systeme als operativ
geschlossene, sich selbst bestimmende Systeme lässt sich die Transportmetapher
unmöglich aufrechterhalten, weil nichts in das System hinein gelangt und nichts
hinaus. Die Metapher verführt dazu vom beobachteten Gegenstand her zu denken
und unterstützt die Annahme der Gegenstand trägt objektive Informationen in
sich, welche das System anregen zu agieren. Stattdessen wird mit der
Systemtheorie die Beobachtung vom Beobachteten auf den Beobachter umgestellt. Dem
zu folge bringen nicht mehr Objekte in der Umwelt Systeme dazu irgendetwas zu
tun, sondern Systeme bringen sich nur selbst dazu etwas zu tun. Die Frage, was
der beobachtete Gegenstand objektiv sein könnte, wird damit irrelevant. Es
interessiert lediglich, wie der Beobachter den Gegenstand beobachtet. Epistemologisch
ist damit keine unmittelbare Erkenntnis der Umwelt durch ein System möglich,
sondern nur durch die systeminternen Mittel, die zur Verfügung stehen um zu
Beobachten. Für die soziologische Systemtheorie wird damit Beobachten zur empirischen
Faktizität (Luhmann 1992, S. 76f.). Zudem impliziert dieser Sachverhalt,
dass die Realität beobachtender Systeme die einzige beobachtbare Realität ist unabhängig
von der Frage, ob es noch eine jenseits der Beobachtung liegende Realität gibt
(vgl. Luhmann 1992, S. 82). Methodisch kann dann nur noch die Konsequenz
gezogen werden Beobachter zu beobachten. Womit die soziologische Systemtheorie
genau dasselbe tut wie ihr Gegenstandsbereich.
Damit läuft man bereits auf eine
Paradoxie – besser gesagt eine Tautologie – auf: die Welt besteht nur aus
Beobachtungen. Diese Tautologie vereinheitlicht den Gegenstandsbereich und
macht ihn unterschiedslos. Man blickt nun auf die Einheit des Verschiedenen, in
einen unmarkierten, unendlichen Raum und damit den Gorgonen direkt ins Gesicht.
Das Verschiedene ist Eins und damit alles und nichts zugleich. Hier trifft man
auf Chaos, Entropie und Unsicherheit – vielleicht auch auf Gott. Die Frage ist
nun, soll dies ein Dauerstand werden oder nur eine Übergangsphase bleiben [4]?
Hier wird dafür optiert, diesen Zustand als eine Übergangsphase zu betrachten.
Genug Sthenographie, nun ist Euryalistik gefragt.
III.
Die reine Welt der Beobachtung
ist unterschiedslos. Alles ist Beobachtung. Es ist nichts zu erkennen. Diese Blindheit
ist methodisch gewollt. Aber sie kommt erst bei einem so hohen Abstraktionsgrad
in voller Klarheit zu Geltung und macht zugleich auf die Notwendigkeit
aufmerksam einen Schlüssel zu finden um dieses Chaos zu ordnen. Um das durch
diese radikale Abstraktion aufgeworfene Problem der Unterschiedslosigkeit der
Empirie zu lösen, greift Luhmann auf den Formenkalkül von George Spencer-Brown
(vgl. 1997) zurück. Spencer-Brown [5] war Mathematiker und hat die Gesetze der
Form in der Auseinandersetzung mit grundlegenden Problemen der Arithmetik und
der Algebra entwickelt. Er beanspruchte allerdings nicht nur einen
mathematischen Kalkül vorzustellen. Die Leistung des Kalküls besteht vielmehr
darin die grundlegenden Prinzipien menschlicher Erfahrung nachvollziehen zu
können um ein Verständnis davon zu entwickeln wie Erkenntnis möglich ist (vgl.
Spencer-Brown 1997, S. XXXIII). In der Gestalt der Form findet man das universelle Funktionsprinzip wie Systeme
– soziale, psychische oder biologische – Informationen generieren und
weiterverarbeiten. Deswegen sah Spencer-Brown in der Gestalt der Form auch eine
archetypische Struktur (vgl. Spencer-Brown 1997, S. XXX). Unabhängig von der
Darstellungsform die Spencer-Brown gewählt hat, nimmt er für sich in Anspruch
etwas darzustellen, was nicht bloße Ansichtssache oder bloße Meinung ist (vgl.
1997, S. XXXIV). Die Funktionsprinzipien der Form lassen sich selbst im Alltag
entdecken. Man kann sie nicht bestreiten ohne bei dem Versuch dies zu tun doch
wieder die Funktionsweise der Form vorzuführen.
Diesem Umstand ist es auch
geschuldet, dass er für seine Darstellung der Gesetze der Form nicht die Form
einer Beschreibung gewählt hat (vgl. Simon 1999, S. 57). Er gibt vielmehr
Anweisungen, denen man folgen kann oder auch nicht. Folgt man ihnen kann man
sehen, was Spencer-Brown sieht. Ob man ihm aber für soziologische
Theoriebildung durch die vollständigen Gesetze der Form folgen muss, ist nach
wie vor strittig. Luhmann hat es für die Integration des Formenkalküls in seine
Systemtheorie nicht getan. Er hatte vielmehr die Vermutung, dass Spencer-Browns
Darstellung des Formenkalküls vor jeglicher Arithmetik und Algebra ausreichen würde
um mit dem Kalkül zu arbeiten (vgl. 1992, S. 73f.). Die universellen
Funktionsprinzipien der Form sind bereits bis zu dem Punkt dargestellt wo
Spencer-Brown zur Arithmetik übergeht. Von da an wechselt man bereits zur
Mathematik. Während Spencer-Brown darauf besteht, dass der Kalkül nicht nur als
Mathematik verstanden wird, geht Luhmann den umgekehrten Weg und sieht im
Kalkulieren mit der Form eine Form des Rechnens. Auf diese Weise können selbst
Alltagsbeobachter als Mathematiker beschrieben werden (vgl. 1992, S. 74). Ob
die Metapher des Rechnens gelungen ist oder nicht, braucht hier nicht weiter
diskutiert werden. Sie hilft aber für eine Annährung um genauer zu verstehen,
was durch das Kalkulieren mit der Form ermöglicht wird.
Die Gesetze der Form sind aus der
Abstrahierung von Arithmetik und Algebra hervorgegangen und bilden somit die
Einheit von beidem. Ganz allgemein kann man von Arithmetik als Rechnen mit vollständig
bekannten Zahlen sprechen und von der
Algebra als Rechnen mit teilweise unbekannten
Zahlen. Wenn in den Gesetzen der Form diese beiden Prinzipien vereinigt
werden, dann handelt es sich beim Kalkulieren mit der Form um das Kalkulieren mit unvollständigen
Informationen. Aufgrund der Gestalt bzw. der Funktionsweise der Form kann,
ähnlich wie bei der Algebra von den bekannten Zahlen auf die unbekannten
Variablen geschlossen wird, von den bekannten Informationen auf die unbekannten
Informationen geschlossen werden. Daraus hat Luhmann eine Methode des
Schließens bzw. des Inferenzierens abgeleitet und implizit sowohl auf den
Forschungsgegenstand angewendet als auch beim Design der eigenen Theorie
berücksichtigt ohne die Methode, wie Spencer-Brown, formal darzustellen. Luhmann
hat zwar in vielen seiner Veröffentlichungen Bemerkungen zu seiner Interpretation
der Gesetze der Form gemacht und daraus seinen Begriff der Beobachtung
abgeleitet aber niemals den Versuch einer systematischen Darstellung unternommen.
Da die in den Gesetzen der Form enthaltenen Prinzipien den traditionellen soziologischen
Denkgewohnheiten so sehr entgegenstanden, konzentrierte er sich darauf die
Unterschiede zwischen beiden aufzuzeigen.
Der Hauptunterschied besteht
darin, dass Paradoxien bei der
Aufstellung von Theorien nicht mehr ausgeschlossen werden, sondern als
Problem zugelassen sind um ihnen selbst wiederum eine Funktion innerhalb der
Theorie zu geben. Paradoxien als Probleme
können nach Luhmann nur durch die Beobachtung von Beobachtern gelöst werden
(Luhmann 1991, S. 62). Dieses Paradox wird als eine Methode des Inferenzierens
entfaltet. Auf der Grundlage der Funktionsprinzipien der Form wird von
bekannten Informationen auf unbekannte Informationen geschlossen. Luhmanns
Beobachtungstheorie wird dann im Wesentlichen zu einer Informationstheorie, die
dazu genutzt werden kann zu beobachten, wie soziale Systeme unter der Bedingung
unvollständiger Informationen operieren. Im Folgenden wird versucht die
Grundzüge dieser Informationstheorie vorzustellen.
IV.
Um die Paradoxie der Beobachtung
der Beobachtung zu entfalten, müssen als Erstes die Begriffe Beobachtung und Operation voneinander unterschieden werden. Die Beobachtung ist
zwar eine Operation. Zugleich ist der Begriff der Beobachtung selbst auch ein
Ergebnis des Operierens und muss deswegen vom Begriff des Operierens
unterschieden werden. Besteht man auf der Differenz zwischen beiden, muss nun
weiter spezifiziert werden, was unter dem Begriff Operation zu verstehen ist,
damit er vom Begriff der Beobachtung unterschieden werden kann. Dafür wird im
Anschluss an Spencer-Brown die Idee der Unterscheidung
und die Idee der Bezeichnung als
gegeben angenommen. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass keine Bezeichnung erfolgen
kann ohne eine Unterscheidung zu treffen (vgl. Spencer-Brown 1997, S. 1). Operieren kann mit diesen beiden Ideen
nun spezifiziert werden als Unterscheiden
um etwas zu bezeichnen. Zum Operieren gehört notwendig immer beides, eine
Unterscheidung und eine Bezeichnung. Sichtbar,
d. h. in ihrer empirischen Faktizität gegeben, ist immer nur die Bezeichnung.
Die Unterscheidung bleibt im Moment des Bezeichnens unsichtbar. Die Bezeichnung
ist aber nicht nur sichtbar, ihre Funktion ist es, etwas sichtbar zu machen.
Deswegen gibt Spencer-Brown die Anweisung „Triff eine Unterscheidung“ (1997, S.
3). Nur durch eine Unterscheidung ist eine Bezeichnung möglich und nur durch
die Bezeichnung wird etwas markiert, hervorgehoben und sichtbar gemacht. Die
Markierung grenzt das nun Sichtbare von allem anderen ab. Vor der Bezeichnung
war nichts sichtbar. Mit ihr ist etwas sichtbar. Die Aufmerksamkeit wird also
auf dieses etwas konzentriert. Eine Bezeichnung macht demnach nicht nur etwas
sichtbar, sondern es fokussiert auch die Aufmerksamkeit auf dieses Etwas
indem dieses Etwas von allem anderen abgegrenzt wird.
Für psychische Systeme bedeutet
das ein Bewusstsein, ein Bild, eine Vorstellung von diesem Etwas zu haben, z.
B. dieser Apfel im Unterschied zu allen anderen Äpfeln. Im Moment der
Bezeichnung fokussiert das Bewusstsein seine Aufmerksamkeit auf diesen einen Apfel.
Für soziale Systeme übernimmt diese Funktion ein Wort bzw. ein Zeichen. Das
Zeichen konzentriert die psychische Aufmerksamkeit auf einen bestimmten,
essbaren Apfel. Dieser Apfel ist weder das Zeichen, das auf ihn verweist, noch
die psychische Vorstellung von dem Apfel, auf die sich die Aufmerksamkeit
konzentriert. Die soziale Funktion des
Zeichens ist es trotz der unüberwindlichen Verschiedenheit zwischen dem Bezeichnetem
und dem Bezeichnendem die psychische Aufmerksamkeit über den Umweg seiner
selbst auf diesen bestimmten Apfel zu richten und ein Bewusstsein von diesem
Apfel hervorzurufen. Die Bezeichnung lässt ihn Wirklichkeit werden. Etwas zu bezeichnen ist dann sozial gesehen,
die Aufforderung diese Operation ebenfalls zu vollziehen und den imaginären
Wert der Bezeichnung für den Moment anzunehmen. Man könnte auch sagen, eine
Bezeichnung ist eine Aufforderung zur Nachahmung einer bestimmten Vorstellung
von etwas [6].
Der Vorteil des Zeichens bzw. der
Bezeichnung kann allerdings ein Nachteil werden. Es konzentriert die
Aufmerksamkeit zunächst nur auf etwas im Unterschied zu allem anderen. Es macht
etwas sichtbar, aber nur um den Preis alles andere nicht zu sehen. Blindheit
wird zur notwendigen Voraussetzung, damit man etwas zu sehen bekommt. Und genau
das kann mit der Zeit zum Problem werden, denn die Wiederholung der Bezeichnung ist die Bezeichnung. Spencer-Brown
bezeichnet dies als das Gesetz des
Nennens (vgl. 1997, S. 2). Mehrmaliges Nennen oder Bezeichnen verweist auf
bereits bekanntes. Es erzeugt lediglich reine Redundanz. Es wird nichts anderes
sichtbar. Die reine Markierung von
etwas durch eine Bezeichnung konzentriert zwar die Aufmerksamkeit, stellt sie
bei Wiederholung aber auch still. Dieses Problem stellt sich immer dann, wenn
man versucht, etwas im Unterschied zu allem anderen oder etwas im Unterschied
zu nichts hervorzuheben. Stillstand lässt ein System wieder in einen
entropischen Zustand zurückfallen. Daher muss die Aufmerksamkeit fließen. Sie
muss auf etwas anderes gerichtet werden.
Ein erster Schritt dazu besteht
darin das Alles oder das Nichts, von dem das Etwas unterschieden wurde, zu
spezifizieren und das kann nur heißen es ebenfalls zu bezeichnen. Das kann
allerdings nicht in der Weise geschehen, dass man einen Apfel von einem anderen
Apfel unterscheidet. Man stünde wie Buridans Esel vor der
Wahl zwischen Gleichem und kann sich nicht entscheiden bzw. man kann nicht unterscheiden.
Das würde ebenso bloße Redundanz erzeugen. Die Äpfel müssen also von etwas
anderem als sich selbst unterschieden werden, z. B. von Birnen. Damit hat man
einen Übergang [7] oder Wechsel vollzogen. Spencer-Brown bezeichnet diesen
Schritt als das Kreuzen der Grenze (vgl.
1997, S. 2). Und in der Tat musste man eine Grenze überschreiten, denn die
Aufmerksamkeit wurde mit der neuen Bezeichnung auf etwas anderes gerichtet. Der
imaginäre Wert der Bezeichnung ist ein anderer. Man sieht nun etwas anderes,
nämlich Birnen im Unterschied zu Äpfeln.
Wenn man zum ursprünglichen
Zustand zurückkehren will, muss man die Grenze erneut überqueren. Wieder am
Ausgangspunkt angekommen, wird man feststellen, dass sich der Ausgangswert
verändert hat. Der Apfel ist nun nicht mehr einfach nur ein Apfel, sondern er
ist ein Apfel im Unterschied zu Birnen. Durch das Kreuzen der Grenze sind zwei Seiten entstanden. Die imaginären
Werte beider Seiten gewinnen ihren jeweiligen Wert nur in Bezug aufeinander. Durch
wiederholtes Kreuzen der Grenze ist es nun möglich in der Zwei-Seiten-Form zu
oszillieren, also zwischen den Seiten hin und her zu springen und Äpfel oder
Birnen zu beobachten. Es entsteht eine Welt aus Äpfeln und Birnen. Doch auch
hier kommt wieder das Gesetz des Nennens zum Tragen. Man kann nun abwechselnd Äpfel
oder Birnen beobachten, aber sonst nichts. Durch das Oszillieren in der
Zwei-Seiten-Form wird allerdings noch ein weiterer imaginärer Wert erzeugt,
nämlich der Wert, der durch die beiden Werte zusammen erzeugt wird. Dieser
dritte imaginäre Wert kann aber nicht mit Hilfe von einer der beiden Seiten
bezeichnet werden (vgl. Spencer-Brown 1997, S. 2). Er ist vielmehr ihre
Einheit. Aus der Zwei-Seiten-Form heraus lässt sich dieser Wert deswegen nicht
mehr identifizieren oder allenfalls noch paradox ausdrücken. Im Rahmen der
Zwei-Seiten-Form bekommen dann Aussagen wie „Äpfel sind Birnen“ und „Birnen
sind Äpfel“ ihre eigene Wahrheit. Zugleich kollabiert damit die Grenze und die
zwei Bezeichnungen können ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Die zwei Werte
sind doch nur einer – ein dritter Wert.
Die Aufmerksamkeit hat sich nun
auf die Einheit des Verschiedenen fokussiert und steht wieder still. Es scheint
als würde man wieder vom Gesetz des Nennens eingeholt werden. Nur das nun nicht
mal eine Bezeichnung zu Verfügung steht um diesen dritten Wert zu bezeichnen.
Trotzdem wird durch die erzeugte Redundanz die Aufmerksamkeit auf die Einheit
der beiden Werte konzentriert. Mithin nimmt die Einheit der beiden Werte wieder
die Form des Alles oder die Form des Nichts an. Ebenso wie wiederholtes
Bezeichnen nur Redundanz erzeugt, erzeugt auch wiederholtes Kreuzen nur Redundanz. Der zeitliche Verlauf des
Kreuzens gestaltete sich im Beispiel folgendermaßen: Markierung des Apfels im
Unterschied zu allem/nichts, Unterscheidung der Birne im Unterschied zum Apfel
- 1. Kreuzen -, Unterscheidung des Apfels im Unterschied zur Birne - 2. Kreuzen
-, Unterscheidung der Birne im Unterschied zum Apfel - 3. Kreuzen. Beim letzten
Schritt, dem 3. Kreuzen, wird vollständige Redundanz erzeugt, denn es wird nur
der imaginäre Wert des 1. Kreuzens widerholt. Wieder-Kreuzen heißt also
wiederholt bezeichnen. Somit fällt auch dieser Fall unter das Gesetz des
Nennens. Deswegen ist Wieder-Kreuzen als ob nicht gekreuzt wurde (vgl. Spencer-Brown
1997, S. 2) [8]. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen dem Markieren von etwas im Unterschied zu
nichts oder allem anderen und dem Unterscheiden
im Unterschied zu etwas bestimmten. Wann das Gesetz des Nennens beim Kreuzen
zum Tragen kommt, hängt davon ab welche Seite gemäß dem dargestellten Ablauf
als erste markiert wurde. Zum wiederholten Kreuzen kommt es erst, wenn man vom
Ausgangspunkt – der ursprünglichen Markierung – wieder zur anderen Seite
kreuzt.
Die Lösung dieses Redundanzproblems
und der fixierten Aufmerksamkeit ist daher auch dieselbe wie oben, nämlich dem
Nichts einen Namen zu geben, es also zu bezeichnen um sich ein Bild davon
machen zu können und es zugleich von dem zu unterscheiden, was es nicht ist,
nämlich die zwei imaginären Werte, die jeweils durch die eine oder die andere
Bezeichnung aktualisiert wurden. Im Fall der Bezeichnungen Äpfel und Birnen
könnte man z. B. deren Einheit als Frucht bezeichnen und hätte damit einen
Kontext in dem beide Seiten einen Unterschied machen.
Bis hier hin hat sich die
Darstellung auf die Beobachtung als
Operation konzentriert. Das heißt seine Aufmerksamkeit auf Bezeichnungen
bzw. Zeichen zu richten. Daraus erhält der Kalkül der Form seine empirische
Relevanz. Sobald Bezeichnungen sichtbar sind, wurden Unterscheidungen getroffen.
Doch mit der Bezeichnung der Einheit des Differenten wurde ein wichtiger
Schritt vollzogen, der zwei Formen von Beobachtungen von einander
unterscheidet. Die Bezeichnung von Äpfeln und Birnen unterscheidet sich von der
Bezeichnung beider als Früchte. Während die Bezeichnung von Äpfeln und Birnen
die Beobachtung einer Operation war, beobachtete man mit der Unterscheidung von
Früchten Operationen als Beobachtung.
Diese so bezeichnete Einheit des Verschiedenen entspricht der Idee der
Unterscheidung. Die Beobachtung als Bezeichnung einer Unterscheidung wird daher
streng von einer Beobachtung durch Bezeichnen unterschieden (vgl. Luhmann 1992,
S. 77). Letzteres wird als Beobachtung 1.
Ordnung und ersteres als Beobachtung
2. Ordnung bezeichnet. Zu beachten ist jedoch, dass auch eine Beobachtung
2. Ordnung eine Beobachtung 1. Ordnung ist, eben weil auch sie Bezeichnungen
realisiert. Der Unterschied besteht darin, was bezeichnet wird. Das sind bei
der Beobachtung 2. Ordnung Unterscheidungen.
V.
Es wurde von der Annahme
ausgegangen, dass Paradoxien durch die Beobachtung der Beobachtung entfaltet
werden müssen. Das wurde im Anschluss daran versucht. Doch man kommt nicht davon
los wieder in paradoxen Formulierungen zu enden. Man könnte das zunächst für
ein Darstellungsproblem halten. Das ist es auch zum Teil. Der eigentliche Grund
liegt aber darin, dass die Beobachtung einer Paradoxie selbst wiederum nur
paradox erfolgen kann. Wenn die Paradoxie der Beobachtung ein universelles
Problem ist, dann ist auch jeder Darstellungsversuch mit diesem Problem
behaftet, denn jede Beobachtung der Beobachtung durch unterscheidendes
Bezeichnen kann selbst wiederum nur durch unterscheidendes Bezeichnen erfolgen.
Man wird, anders ausgedrückt, immer wieder auf die Selbstreferenz der
Unterscheidung zurückgeworfen. Das gilt nicht nur, wenn man die Unterscheidung als
Zwei-Seiten-Form beschreibt sondern auch, wenn man sie, wie oben geschehen als
dreiwertige Form beschreibt und versucht in dieser Form zu kreisen. Eigentlich
sollte Euryalistik betrieben werden, aber bisher scheint es so als würde
weiterhin nur Sthenographie betrieben. Wie man es auch dreht und wendet, man
kommt nicht von paradoxen Formulierungen weg. Und auch dies lässt sich nur
paradox ausdrücken, denn die Dreiwertigkeit der Unterscheidung ist die Einheit
von Zweiwertigkeit (Bezeichnungen) und Einwertigkeit (Unterscheidung). Die Form
der Unterscheidung ist paradox konstituiert und auch die Beobachtung ihrer Form
kann daher immer nur paradox ausfallen. Luhmann bezeichnete das als die
Paradoxie der Form (vgl. 1993).
Bei seinem Versuch die Paradoxie der Form zu beobachten, hat er
gezeigt, dass es sich nicht nur um eine
Paradoxie handelt, sondern um eine dreifache.
Die erste Paradoxie der Unterscheidung liegt in der Sachdimension, denn die Unterscheidung ist die Identität der
Differenz. Zwei Bezeichnungen gehören zu einer Unterscheidung. Das zweite
Paradox der Unterscheidung liegt in der Zeitdimension,
denn sie ist die Gleichzeitigkeit des Nacheinander. Man kann immer nur eine
Bezeichnung in einem bestimmten Moment ausführen, niemals beide zugleich. Will
man die andere Bezeichnung ausführen ist Zeit notwendig. Die Operationen können
also nur nacheinander ausgeführt werden. Die Unterscheidung zwingt damit zur
Sequenzierung. Die dritte Paradoxie liegt schließlich in der Sozialdimension als Einheit
verschiedener Beobachter. Wenn die Unterscheidung in ihrer Form universell ist
und jegliche soziale und psychische Informationsbildung und –verarbeitung an
sie gebunden ist, dann besteht sie
unabhängig von sozialen und psychischen Systemen, wodurch die verschiedenen
sozialen und psychischen Beobachter in der Unterscheidung als identisch
beobachtet werden können.
Wenn hier die Form der Unterscheidung als imaginäre,
dreiwertige Struktur beschrieben wird, dann kann man auch sagen, dass diese
Form basal instabil ist. Man
oszilliert immer zwischen ihrer Zweiwertigkeit und ihrer Einwertigkeit und
damit zwischen Struktur und Strukturzerfall, Negentropie und Entropie. Man
könnte es nun bei dieser Feststellung belassen, denn jede Beschreibung ist mit
demselben Problem behaftet. Möglicherweise ist aber Sthenographie auch nur die
Voraussetzung um Euryalistik betreiben zu können. Auf diese Weise wird man zumindest
mit dem immer nur zeitweise lösbaren
Problem der dreiwertigen Form vertraut. Da die Beobachtungstheorie im
Rahmen der Kommunikationstheorie angesiedelt ist, wird deswegen nun der Versuch
unternommen die Paradoxie der Form
informationstheoretisch zu reformulieren. Dazu ist als erstes ein
Informationsbegriff notwendig, der mit der Idee der Unterscheidung und der Idee
der Bezeichnung kompatibel ist. Er muss sich also mit der Dreiwertigkeit der
Form vereinbaren und zugleich auf zwei oder gar nur einen Wert reduzieren
lassen. Mit anderen Worten, mit ihm muss sich sowohl Strukturbildung und
Rückfall in die Strukturlosigkeit im Rahmen einer dreiwertigen Form beschreiben
lassen. Ein solcher Begriff steht mit Gregory Batesons Definition der
Information zur Verfügung: „Informationen
bestehen aus Unterschieden, die einen Unterschied machen.“ (1982, S. 123,
Hervorhebung im Original)
Unterschiede sind nach Bateson
„Beziehungen und daher nicht in der Zeit oder im Raum lokalisiert“ (1982, S.
122). Er macht dies am Beispiel eines weißen Punkts auf einer Tafel deutlich.
Weder der Punkt noch die Tafel machen den Unterschied, sondern die Beziehung
zwischen beiden. Hier trifft man wieder auf das Gesetz des Nennens. Wird die
Aufmerksamkeit auf den Punkt fixiert, gibt es nur den Punkt. Wird die
Aufmerksamkeit auf die Tafel fixiert, gibt es nur die Tafel. Beim Oszillieren
zwischen Punkt und Tafel fällt man wieder in die Unbestimmtheit zurück, denn Punkt
und Tafel erweisen sich in der Unterscheidung als Eins. Diese Einheit ist die
Beziehung, die zwischen den beiden Werten besteht, und sie lässt sich weder
zeitlich noch räumlich fixieren. Es handelt sich dabei um ein rein geistiges
Phänomen. Und nur mit Hilfe dieser Beziehung gewinnen beide Seiten ihren
Informationswert. Das hatte bereits William James gesehen und sprach von dieser
Beziehung im Sinne eines Kontextes in den ein bestimmter Inhalt gesetzt werden
muss damit eine Erfahrung als bewusst gelten kann (vgl. 2006b, S. 77) [9].
Bewusstseinsinhalte sind demnach niemals kontextfrei gegeben. Reine Erfahrung
als Bewusstsein von etwas ohne etwas anderes (vgl. James 2006a, S. 47) ist zwar hypothetisch denkbar, aber praktisch
nur sehr schwer zu realisieren.
Wie immer man sich dann das
psychische Erleben vorstellen muss, entsteht daraus die Notwendigkeit für die
Teilnahme an Kommunikation, die Komplexität des psychischen Erlebens zu
reduzieren und zu sequenzieren. Die geäußerten Bezeichnungen geben der
psychischen Aufmerksamkeit anderer Kommunikationspartner eine aus Sprache oder
Schrift geformte Bahn vor, in der es gleiten kann. So ist Kommunikation
operativ gesehen zwar kontextfrei, was allerdings nicht heißt, dass dieser bei
Kommunikationsproblemen nicht auch kommuniziert werden kann. Hinzu kommt
außerdem, dass psychische Systeme wesentlich mehr Informationen prozessieren
können als soziale Systeme. Das zum Kommunikationsprozess parallel laufende
psychische Geschehen ist also viel komplexer, so dass davon ausgegangen werden
kann, dass psychische Systeme in der Lage sind nebenbei auch zu reflektieren
und zu erinnern, wie die aktuelle Situation zu deuten ist. Kontexte in Form von
Unterscheidungen sind damit zunächst nur dem Bewusstsein gegeben. Nichts desto
trotz kann zur Unterstützung des sozialen und psychischen Gedächtnisses die
materielle Umwelt so gestaltet werden, das eine soziale Situation durch bestimmte
Markierungen gerahmt wird [10].
VI.
Wichtig ist an dieser Stelle
festzuhalten, dass zwei Bezeichnungen, wie ideosynkratisch auch immer
kombiniert, eine Beziehung bilden,
die nicht auf den imaginären Wert einer der beiden Bezeichnungen reduziert
werden kann. Diese Beziehung kann man auch als Kontext oder Rahmen
bezeichnen. Diese Beziehung wird hier als Unterscheidung
bezeichnet und ist der dritte imaginäre Wert. Diese Beziehung bildet zugleich
die Voraussetzung für Informationsgewinne, denn nur durch eine Unterscheidung
machen Unterschiede einen Unterschied. Wenn nicht klar ist, welche
Unterscheidung mit im Spiel ist, ist kein Informationsgewinn möglich. Damit ist
die Darstellung wieder bei der dreiwertigen Form angekommen. Der Vorteil dieser
Darstellungsform liegt darin, dass sich alle für eine soziologische
Informationstheorie notwendigen Begriffe auf diese dreiwertige Form projizieren
und in ihr darstellen lassen. Dies soll im Folgenden geschehen:
Wenn eine Information ein Unterschied ist, der einen Unterscheid macht, dann
ist ein Unterschied, der keinen Unterschied macht, keine Information. Information
ist damit die Einheit der Unterscheidung von Information und Nicht-Information.
Diese Definition lässt sich auf
die Unterscheidung von Paradoxie und Tautologie übertragen. Definitionen
können paradox oder tautologisch erfolgen. Unter einer Definition wird hier die
begriffliche Spezifizierung eines Begriffs bzw. einer Bezeichnung verstanden.
Eine tautologische Definition hat die Form: etwas ist, was es ist. Eine
paradoxe Definition hat die Form: etwas ist nicht, was es ist. Eine Tautologie
ist damit ein Unterschied, der keinen Unterschied macht; eine Paradoxie ein
Unterschied, der einen Unterschied macht. Eine tautologische Definition liefert
damit keine Information (vgl. Luhmann
1987, S. 170). Eine paradoxe Definition liefert dagegen unendlich viele Informationen.
Warum ist das so? Alles und Nichts bilden ebenfalls zwei Seiten einer Unterscheidung. Aus der Unterscheidung
heraus beobachtet, sind beide Seiten in der Form identisch, denn sie sind
formlos (vgl. Spencer-Brown 1997, S. IX). Diese Erkenntnis wird hier dazu
benutzt, um dieser Unterscheidung eine Funktion im Rahmen der hier zu
entfaltenden Informationstheorie zu geben. Wenn beide Seiten in der Form
identisch sind, bekommen beide die Funktion eines All-Quantors und einer
Negation. Damit werden sie zur Markierungen
von Leerstellen verwendet.
Alles und Nichts können auch als eine
Form von Komplexität beobachtet
werden. Komplexität bezeichnet den Sachverhalt, wenn in einer endlichen Menge
von Elementen nicht mehr jedes Element mit jedem kombiniert werden kann (vgl.
Luhmann 2005c, S. 60ff.). Das Gegenteil von Komplexität ist daher der Fall,
wenn in einer endlichen Menge von Elementen jedes Element mit jedem anderen
Element kombiniert werden kann. Beide Fälle können bereits in der dreiwertigen
Form abgebildet werden. Komplex ist die Form, wenn die beiden imaginären Werte
der Bezeichnungen getrennt gehalten werden. Dann kann die Unterscheidung ihre
informationsgenerierende Funktion erfüllen. Das funktioniert aber nur solange
nicht versucht wird, die Form aus der Form heraus zu beobachten. Dann bricht
die Unterscheidung zusammen, denn nun können die beiden imaginären Werte der
Bezeichnungen nicht mehr auseinander gehalten werden. Sie sind also eins. Alle
Elemente der Form sind damit eins und bilden einen Fall von Einfachheit. Damit
liefert die Unterscheidung keine Informationen mehr. Alles ist wieder
nichts. Die dreiwertige Form bricht zusammen. Alles und Nichts können also als
Formen von Einfachheit beobachtet werden und sind damit eine Seite einer
Unterscheidung, dessen andere als Komplexität bezeichnet wird.
Komplexität macht auch die
Möglichkeit anderer Kombinationen sichtbar und lassen die Kombinationen
untereinander als kontingent erscheinen. Kontingenz
ist ein weiterer Begriff, der im Rahmen der dreiwertigen Form dargestellt
werden kann. Kontingenz bezeichnet den Sachverhalt, wenn etwas nicht notwendig
so realisiert werden musste, wie es realisiert wurde. Damit hätte es auch
anders realisiert werden können. Wenn die Unterscheidung ihre
informationsgenerierende Funktion erfüllen soll, müssen beide Seiten der
Unterscheidung, also die Bezeichnungen, bekannt sein. Damit liefert die
Unterscheidung einen Hinweis darauf, dass auch anders hätte beobachtet werden
könnte. Dasselbe hätte also mit beiden Seiten einer Unterscheidung bezeichnet
werden können. Es bestand keine Notwendigkeit so zu beobachten. Auch damit
bricht die dreiwertige Form wieder zusammen. Die Unterscheidung ist allerdings
notwendig um die Kontingenz ihrer eigenen Bezeichnungsmöglichkeiten zu sehen.
Mit den Unterscheidungen Information/Nicht-Information,
Paradoxie/Tautologie, Alles/Nichts, Komplexität/Einfachheit und Kontingenz/Notwendigkeit
steht nun ein Satz an Reflexionshilfen zur Verfügung um die Paradoxie der Form
zu beobachten. Mit ihnen zeigt sich noch einmal der fundamentale Doppelstatus der
Form der Unterscheidung. Sie kann immer mit beiden Seiten dieser
Unterscheidungen beobachtet werden. Das Problem liegt darin, dass Paradoxien und Tautologien als
Identitätsprobleme selbstreferentieller Systeme nicht eliminiert werden können
(vgl. Luhmann 1987, S. 163). Wenn Paradoxien zugleich eine Form reiner
Selbstreferenz darstellen (vgl. Luhmann 1993, S. 247), dann ist die dreiwertige Form die minimalste Form eines
selbstreferentiellen Systems, wenn sie mit Werten aufgefüllt wird. In
dieser Form ist das System aber konstitutiv instabil. Es ermöglicht als Beobachtung
der Umwelt Strukturaufbau in Form von Informationsgewinnen und als
Selbstbeobachtung Strukturabbau. Ersteres ist der Fall, wenn beide Seiten der
Unterscheidung getrennt gehalten werden. Letzteres ist der Fall, wenn eine
Unterscheidung auf sich selbst angewendet wird. Dann ist es nicht mehr möglich durch
eine Unterscheidung Informationen zu gewinnen. Das System löst sich auf. Die
basale Instabilität der Form ist Voraussetzung für Informationsgewinnung, aber nur
bei einem minimalen Grad an Komplexität und Kontingenz zeitweise möglich.
VII.
Den Fall der Selbstbeobachtung
der Unterscheidung bezeichnet Spencer-Brown als Wiedereintritt (re-entry) der
Form in Form (vgl. 1997, S. 61ff.). Eine Unterscheidung kann mit sich
selbst nur paradox bezeichnet werden. Man wird durch das Gesetz des Nennens
eingeholt. Die Unterscheidung tritt auf einer der beiden Seiten ihrer selbst
wieder ein und blockiert auf diese Weise das weitere Beobachten. Auf die
Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung angewendet kann das entweder
paradox ausgedrückt werden: Die Unterscheidung ist die Bezeichnung; oder
tautologisch: Die Unterscheidung ist die Unterscheidung. Selbstbeobachtung bzw. Reflektion
führt damit zur Selbstblockade. Bedeutet das nun, dass jeder Versuch ein System
in sich selbst zu reflektieren zur Selbstauflösung führt? Das Risiko der
Selbstauflösung ist zwar mit jeder Selbstbeobachtung einer Form mit sich selbst
gegeben. Man steht wieder am Null-Punkt, man sieht entweder Alles oder Nichts.
Und es wurde inzwischen gezeigt, dass beide Alternativen eine Beobachtung
überfordern, weil das System entweder keine Informationen erhält oder
unendliche Informationslasten zu bewältigen hat. Also alles wieder auf Anfang. Vor
dem Problem steht auch die hier zu entwickelnde Informationstheorie. Der
einzige Weg sich von dieser selbsterzeugten Unbestimmtheit zu befreien, besteht
darin wieder Spencer-Browns Anweisung zu folgen: Triff eine Unterscheidung! - wie
ideosynkratisch auch immer das geschehen mag. Für den Fall der Form der
Unterscheidung heißt das, die Tautologie „die Unterscheidung ist die
Unterscheidung“ als erstes in eine Paradoxie zur überführen: „die
Unterscheidung ist nicht die Unterscheidung“. Wenn die beiden Alternativen
Unterscheidung und Bezeichnung als mögliche Lösungen ausfallen, dann muss eine
andere Bezeichnung her. Um trotzdem weiter beobachten zu können, hat Luhmann an
diese Leerstelle die Bezeichnung „Beobachtung“ gesetzt.
Doch der Weg aus der Form ist der Weg in die Form. Man hat nun für die
Form der Unterscheidung zwei Bezeichnungen, die nichts Unterscheiden – also
wieder eine Tautologie. Es muss also die andere Seite der Bezeichnung „Beobachtung“
gefunden werden. Weiter oben wurde bereits die Unterscheidung von Beobachtung
und Operation vorgestellt. Wenn beobachtbare Operationen eines Systems
Bezeichnungen sind und zwei Bezeichnungen einer Unterscheidung einen
Unterschied machen, der einen Unterschied macht – also eine Information -, dann
lässt sich nun im Rahmen der dreiwertigen Form Informationsgewinnung als
sachliche, zeitliche und soziale Entfaltung der Paradoxie der Form beobachten.
Um dies tun zu können, benötigt
man ein flexiblen Begriffsapparat, der zum einen eine differenzierte
Beobachtung erlaubt, aber zum anderen auch sehr viele Redundanzen zulässt, um
nicht ständig auf die Selbstreferenz einer Unterscheidung auf zu laufen. Anders
ausgedrückt, man benötigt Regeln für das Gleiten in der Form. Diese wurden
implizit bereits eingeführt. Der erste Regel
lautet: Triff eine Unterscheidung! Sowohl das Beobachten in der Form als auch
das Beobachten der Form mit der Form kann zur Selbstauflösung der Form führen,
weil die Aufmerksamkeit still gestellt wird. Die Beobachtung wird also an
irgendeinem Zeitpunkt keine Informationen oder unendlich viele Informationen
liefern. Um diese Überforderung oder Selbstverunsicherung - man könnte auch
Stress sagen [11] - aufzulösen, muss wieder eine Unterscheidung getroffen
werden, um weiter machen zu können. Das heißt, von einer Form in eine andere zu
wechseln. Und das Spiel beginnt von neuem. Für das Gleiten in der Form bekommt
das Schema Alles/Nichts also eine Signalfunktion. Sobald die Beobachtung keine
Informationen oder unendlich viele Informationen liefert, wird eine Leerstelle
markiert. Dies ist zugleich das Signal eine andere Unterscheidung zu treffen. Deswegen
lautet die zweite Regel: Wird die
Beobachtung durch Fixierung oder Reflektion blockiert, triff eine andere Unterscheidung!
Um die Beobachtung der Form in
der Form zu halten, bekommt das Schema Alles/Nichts
die Funktion der Negation der Negation.
Mit anderen Worten, es werden keine Leerstellen zugelassen. Alles muss positiv
bestimmt werden. Alles und Nichts bleiben Möglichkeiten, die aber anders
realisiert werden müssen, damit die Beobachtung nicht blockiert wird. Die
Methode über bloße Negationen zu beobachten hat zwar für Generalisierungen ihre Berechtigung (vgl. Luhmann 2005a, S. 43f.)
und für die Theologie mag diese Beobachtungsmethode funktional sein, da sie
erlaubt Gott indirekt über den Umweg der Negation zu beobachten ohne sich ein
Bild von ihm machen zu können. Für wissenschaftliche Methoden kann diese Form
der Informationsgewinnung allerdings nicht akzeptiert werde. Die
Generalisierungsleistungen der Negation führen lediglich zu paradoxen oder
tautologischen Abschlussformeln, die jedoch keine Spezifizierung der so
bezeichneten Sachverhalte mehr erlauben. Sie markieren lediglich
Problemstellen, sind aber keine angemessenen Darstellungen der Probleme, denn
dazu müsste man die angesetzte Unterscheidung wechseln und anders neu ansetzen.
Wenn man beim Gleiten in der Form auf Negationen setzt, besteht somit das Risiko
bei entsprechend hoher Generalisierung die Beobachtung auf die Selbstreferenz
der jeweils in Anwendung befindlichen Unterscheidung zu fixieren. Es wird zu viel Redundanz erzeugt. Die
Beobachtung wird in einem dead end
gestoppt. Der religiöse Ausweg heißt Mystik.
Wenn hier stattdessen eine
positive Bestimmung durch Bezeichnung vorgeschlagen wird, dann heißt das Spezifizierung durch Differenzierung. Das
kommt einer Kehrtwende um 180 Grad gleich. Differenzierung bedeutet
Systembildung in Systemen. Für die Form der Unterscheidung heißt das, die
Bezeichnungen einer Unterscheidung müssen selbst Unterscheidungen werden. Die
Bezeichnungen müssen, mit anderen Worten, in zwei Seiten gespalten werden. Doch
auch in der Spezifizierung liegt ein nicht unbeträchtliches Risiko, was im
Alltag mit der Formulierung „Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“
ausgedrückt wird. Informationstheoretisch bedeutet das, mit der Differenzierung
einer Bezeichnung kann zwar der Informationsgehalt der Bezeichnung erhöht
werden, womit der imaginäre Wert der Bezeichnung spezifiziert wird. Eine
vollständige sinnhafte Bestimmung ist jedoch unmöglich. Man kann versuchen, ein
Element in Elemente zu zerlegen und wiederum diese Elemente in Elemente. Der
Weg eine Einheit in Teile zu zerlegen um auf die Teile diese Methode wieder
anzuwenden, führt in einen unendlichen Regress. In der Quantenphysik ist dieses
Problem als Heisenbergsche
Unschärferelation bekannt. Je näher man dem beobachteten Gegenstand kommt,
desto unklarer stellt er sich dar. Michel Serres drückt dieses Problem
folgendermaßen aus: „Der Bericht treibt vor sich her, was er erzählt“ (1987, S.
367). Man produziert immer mehr Komplexität und zugleich zu viel Varietät ohne jedoch diese Komplexität zu reduzieren bzw.
eine Selektion vorzunehmen. Die Informationslasten sind mit der Zeit kaum noch
zu bewältigen und tendieren in Richtung Alles. Auch an diesem Punkt muss eine
Unterscheidung getroffen werden, was nun heißt mit der Differenzierung zu
stoppen und auf Reflektion umzustellen. Mit anderen Worten, um 180 Grad drehen
und wieder zum Generalisieren ansetzen, was bedeutet die Einheit im Verschiedenen zu finden. Das funktioniert über das Ausschlussprinzip, also durch Negation.
Bei der Reflektion kommt es zum
Wiedereintritt der Form in die Form und man muss die wieder eingetretene
Unterscheidung anders bezeichnen. Die formale dreiwertige Struktur der
Unterscheidung ist immer in Anwendung. Ihrer operativen Selbstreferenz bzw.
ihrer Funktionsweise kann man nicht entkommen, egal ob man naiv oder reflektiert
beobachtet. Allerdings bietet die Reflektion
die Möglichkeit einer operativen
Schließung der Unterscheidung zu einem autopoietischen, selbstreferentiellen
System. Denn Reflexion ist das Zulassen von Selbstbezüglichkeit und nur diese
Rekursion auf sich selbst bietet die Möglichkeit – aber keine Sicherheit! –
kreativer Paradoxieentfaltungen. Die Tautologie muss paradoxiert werden und die
Paradoxie muss in endliche Informationslasten umgewandelt werden indem die Markierungen
Alles oder Nichts in die Form „etwas Bestimmtes/etwas anderes Bestimmtes“ überführt
werden. Das ständige Auflaufen auf über- oder unterbestimmte Stellen treibt die
Systemdifferenzierung voran und es entsteht Eigenkomplexität in Form eines rekursiven Netzwerks von Unterscheidungen
[12]. Das ermöglicht es nicht nur in einer Form zu oszillieren, sondern in einem
rekursiven Netzwerk von Formen. Durch das wiederholte Oszillieren in einzelnen
Unterscheidungen werden variierende und redundante Informationen zugleich
erzeugt. Auf diese Weise entsteht ein immer größeres Informationsvolumen, was
zum Aufbau von systemintern erzeugter Komplexität führt, die selbst wiederum
reduziert werden muss damit stabile Identitäten oder Eigenwerte des Systems
entstehen können. Das kann gemäß den Regeln nur durch eine Unterscheidung und
eine Bezeichnung geschehen. Erst die Reflektion bietet die Möglichkeit
komplexere und damit auch stabilere, wiedererkennbare Eigenwerte zu bilden. Unreflektiert
schwankt eine Form als System immer zwischen Allopoesie und Autopoesie
(vgl. Luhmann 2005c, S. 63ff.). Erst bei der Umstellung auf Beobachtungen 2.
Ordnung kann es zu einer operativen Schließung kommen und damit zur
Einschränkung der Kombinierbarkeit der Systemelemente. Ohne Reflektion kommt es
demnach nicht zu einer rekursiv geschlossenen, autopoietischen Reproduktionsweise.
Durch das Oszillieren in einem
rekursiven Netzwerk von Unterscheidungen zum Erzeugen von Identitäten oder
Eigenwerten des Systems müssen diese Identitäten geprüft werden. Diese Prüfung
erfolgt durch wiederholtes Kondensieren und Konfirmieren dieser Eigenwerte (vgl. Spencer-Brown, S. 9ff.,
Luhmann 1992, S. 108). Kondensieren bedeutet in diesem Zusammenhang eine
generalisierende Reduktion und Konfirmieren eine Art spezifizierendes
Operationalisieren. Durch die Fähigkeit zu letzterem erhält ein System seine
informationelle Offenheit für die Umwelt. Jeder Sachverhalt, jede Idee oder
jedes Konzept benötigt bestimmte Indikatoren mit denen einem Sachverhalt auch
eine empirische Entsprechung zugeordnet werden kann. Diese Indikatoren machen
ein System irritierbar und ermöglichen dadurch gegebenenfalls die Änderung des
Konzepts oder einer Theorie über einen Sachverhalt. Mit anderen Worten, ein
System benötigt Sensoren um Feedback erhalten zu können. Für beobachtende Systeme bestehen diese
Sensoren aus Unterscheidungen.
Im Rahmen des Gleitens in der
Form gestaltet sich das Konfirmieren dann als Bestätigung bestimmter
Sachverhalte anhand der Indikatoren, was sowohl redundante als auch variierende
Informationen erzeugt. Kondensieren vollzieht sich im Gegensatz dazu als eine Operation, die aus den redundanten
Informationen einen konsistenten, wiedererkennbaren Sachverhalt extrahiert.
Anders ausgedrückt, geht es beim Kondensieren um Mustererkennung. Das Ergebnis
ist schließlich die Formulierung eines Konzepts oder einer Theorie über einen
bestimmten Sachverhalt, der aus den katalysierten Informationen hervorgeht. Ein
Konzept oder eine Theorie kann man dann als generalisierende Beschreibung bezeichnen, welche das Resultat der Beobachtungsleistung eines
Netzwerks von Unterscheidungen und nicht der Leistung einer Unterscheidung
allein ist. Diese kann aber nochmals durch eine Unterscheidung auf eine Bezeichnung reduziert werden. Jeder
Bezeichnung kann damit eine Beschreibung zugeordnet werden. Generalisierungen
und Spezifizierungen werden damit zu einem mehrstufigen
Verfahren, dass auf jeder Stufe über das Kondensieren und Konfirmieren von
Konzepten über Sachverhalte zu einer Verschachtelung von Bezeichnungen und
Beschreibungen führen. Die Verschachtelung bietet für einen soziologischen
Beobachter den Ansatzpunkt, um sich in ein System von Unterscheidungskombinationen
einzuspiegeln und die systemintern konstruierten Feedbackschleifen
nachvollziehen zu können. Jede Beschreibung kann in ihre Bezeichnungen zerlegt werden.
Bezeichnungen verweisen auf andere Bezeichnung und ergeben damit eine
Unterscheidung. Durch die jeweilige Verknüpfung von Bezeichnungen zu
Unterscheidungen können Beschreibungen daraufhin analysiert werden, welche Unterscheidungen
im Spiel waren, um notwendig zu einer bestimmten Beschreibung zu kommen und zu
keiner anderen.
Grundsätzlich kann das
Kondensieren und Konfirmieren beliebig angesetzt werden. Das Oszillieren
tendiert zunächst nur zur Differenzierung des Systems. Das kann ausreichen um
einen Grad an Eigenkomplexität aufzubauen, der eine relativ reibungslose
Informationsgewinnung ermöglicht. Ohne Reflexion neigen solche Systeme aber zur
Überspezifizierung. Das bedeutet, das System versucht seine interne Komplexität
durch immer genauere Beschreibung seiner Umwelt zu ordnen und dem Grad der
systemexternen Komplexität anzugleichen. Es wird jedoch niemals gelingen die Komplexität
der Umwelt eins zu eins in das System zu spiegeln. Diesem Problem kann man
entgehen, wenn man nicht nur versucht zu Konfirmieren sondern auch zu
Kondensieren. Dazu ist es notwendig, dass sich das System selbst kontingent
setzt. D. h. das System muss zur Selbstreflexion übergehen, den Wiedereintritt
der Form in die Form aushalten und eine Unterscheidung treffen, um sich selbst
von anderen Systemen zu unterscheiden. Erst diese Beobachtung 2. Ordnung eröffnet die Möglichkeit zum Lernen. Die Unterscheidung einer Unterscheidung von
anderen Unterscheidungen kann man als einen Kontextsprung
im Sinne von Bateson betrachten. Unter Kontextsprüngen versteht er das Erkennen
eines übergeordneten allgemeinen Musters (vgl. Bateson 1985, S 360f.). Jedes
kommunikativ erzeugte Muster wird durch eine Unterscheidung hervorgerufen. Sie
ist die Konstante in den verschiedenen Erscheinungen. Je höher die Komplexität
eines Systems ist, desto schwerer ist es dessen Einheit zu identifizieren, weil
man es unter Umständen bereits mit Kontexten in Kontexten in Kontexten usw. zu
tun hat. Deswegen ist Lernen als Kontextsprung nur durch Versuch und Irrtum
möglich und daher psychologisch oft auch mit Enttäuschungen, Frustration und
Stress verbunden.
VIII.
Weiter oben wurde die Bezeichnung
mit dem Zeichen als Einheit der Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem
gleichgesetzt. Das Bezeichnete bleibt operativ unerreichbare Umwelt der Form.
Die Funktion der Bezeichnung ist es die psychische Aufmerksamkeit auf etwas
Bestimmtes zu richten und eine Vorstellung des Bezeichneten hervorzurufen. Für
soziale Systeme bleibt auch die psychische Vorstellung des Bezeichneten
operativ unerreichbar. Die Beobachtung wird also wieder auf die Beobachtung
sozialer Systeme gelenkt, denn auch die Vorstellung von Etwas muss durch unterscheidendes Bezeichnen geäußert werden. Im Rahmen der Form kann sowohl das Bezeichnete als auch
die Vorstellung des Bezeichneten also nur durch Beobachtung spezifiziert
werden. Das lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie ein imaginärer Wert durch unterscheidendes Bezeichnen konstruiert wird. Dieser Sachverhalt wird genutzt um die
vorgestellte Informationstheorie selbst operativ zu schließen. Das erfolgt mit
Hilfe der Unterscheidung von Bezeichnung
und Beschreibung. Die Paradoxie der Bezeichnung als Einheit von
Bezeichnendem und Bezeichnetem wird als Unterscheidung von Bezeichnung und
Beschreibung entfaltet. Der Wiedereintritt der Form in
die Form bietet damit die Chance zur Bildung eines Systems zur Beobachtung von Beobachtungen. In diesem Fall trat die Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem auf der Seite des Bezeichnendem wieder ein, denn das Bezeichnete bleibt operativ unerreichbar. Deswegen muss das Bezeichnete als Beschreibung auf der Seite der Bezeichnung operationalisiert werden.
Die soziologische Beobachtung
kann sich zusätzlich noch an den drei Sinndimensionen als Orientierungslinien
halten. Was allerdings nicht heißt, dass man sie nicht auch im Alltag anwenden
darf. Historisch ist dies jedoch nicht immer der Fall gewesen. Deswegen kann
nicht vorausgesetzt werden, dass immer in diesen drei Sinndimensionen
beobachtet wird. Informationstheoretisch lassen sie sich folgendermaßen
operationalisieren. In der Zeitdimension
muss danach gefragt werden, wann mit
welchen Unterscheidungen beobachtet wird. In der Sachdimension muss gefragt werden, was mit welchen Unterscheidungen beobachtet wird. Und in der Sozialdimension muss schließlich gefragt
werden, wer mit welchen
Unterscheidungen beobachtet. Damit sind die Leerstellen bzw. die Unbestimmtheiten
der soziologischen Informationstheorie bezeichnet. Durch diese Unbestimmtheiten
gewinnt sie ihre informationelle Offenheit für die Umwelt, denn hier müssen die
entsprechenden Beobachtungen der beobachteten Systeme eingesetzt werden. Da nur
Bezeichnungen und Beschreibungen beobachtet werden können, müssen die bekannten
Beschreibungen in ihre Bezeichnungen und die bekannten Bezeichnungen in die
noch unbekannten Unterscheidungen zerlegt werden. Auf diese Weise werden, mit
anderen Worten, die Referenzen identifiziert. In der Zeitdimension wird damit
die Aufmerksamkeit auf die Beobachtung der Selbstreferenz sozialer Systeme
gelenkt. In der Sozialdimension wird die Aufmerksamkeit auf die Selbstreferenz
psychischer Systeme konzentriert. In der Sachdimension wird schließlich
beobachtet, wie durch soziale oder psychische Systeme fremdreferenziert wird.
Vereinfacht ausgedrückt, geht es darum zu beobachten, wie soziale oder
psychische Systeme die Grenze zwischen System und Umwelt ziehen und sich selbst
und ihre Umwelt systemintern konstruieren. Den Ausgangspunkt bildet die
Sachdimension und man beginnt mit der Unterscheidung von Bezeichnung und
Beschreibung.
Über die Bezeichnungen kann man
sich in verschiedene Beschreibungen einspiegeln. Mithilfe der Unterscheidungen
von Alles/Nichts, Kondensieren/Konfirmieren und Generalisierung/Spezifizierung lassen sich die sachliche, zeitliche und soziale Entfaltung eines Sachverhalts
nachvollziehen. Am Ende lassen sich die verschiedenen Unterscheidungen
identifizieren, die in Anwendung waren, um eine bestimmte Beschreibung bzw. den
imaginären Wert zu konstruieren. Auf diese Weise lassen sich, anders
ausgedrückt, die Fremdreferenzen (Vorstellung vom Bezeichneten) als die
Selbstreferenzen (bezeichnenden Unterscheidungen) sozialer Systeme im Rahmen einer
soziologischen Informationstheorie rekonstruieren.
Das gilt nicht nur für die
beobachteten Systeme, sondern auch für die beobachtenden Systeme. Mit Hilfe der
Unterscheidung von Bezeichnung und Beschreibung kann die Bildung von systeminternen
Eigenwerten in Form ihrer eigenen Beobachtungsergebnisse reflektiert werden.
Die vorgestellten Unterscheidungen liefern damit ein Instrumentarium um beim
Gleiten in der Form mit unbestimmten Leerstellen umgehen zu können. Sie liefern
aber keine Garantie für richtigen Formgebrauch. Sie ermöglichen nur die
Erkennung von bestimmten Unterscheidungskombinationen, die ein bestimmtes
Muster hervorrufen. Zugleich können auf diese Weise auch pathologische Unterscheidungskombinationen
identifiziert und Lösungen aufgezeigt werden. Da sich letzteres bereits bei
Psychotherapien als äußerst schwierige Angelegenheit erweist, ist kaum zu
erwarten, dass sich dies soziologisch einfacher gestalten wird. Man sollte eher
vom Gegenteil ausgehen.
Ein Ziel der informationstheoretisch
geleiteten Beobachtung ist es also die beobachtungsleitenden
Unterscheidungen zu identifizieren. Im Zuge dessen lassen sich dann mögliche
Probleme bei der Informationsverarbeitung finden, die zu charakteristischen
Kommunikationsmustern führen. Weiter oben wurde beschrieben, dass erst der
Wiedereintritt der Form in die Form, also die Selbstreflektion, zu einer
operativen Schließung und zur selbstrefentiellen Operationsweise führt. Die
Anwendung der Selbstreferenz auf sich selbst wird zur unabdingbaren
Voraussetzung für eine selbstreferentielle, autopoietische Operationsweise. Die Selbstreferenz eines
Systems ist aber nicht frei wählbar. Die Einheit der Unterscheidung ist die
Selbstreferenz der Unterscheidung. Die Selbstreferenz legt damit das Innen und
das Außen, also das beobachtende System, fest. Wiedereintrittsfähig ist nur die Selbstreferenz – die Innenseite – des
Systems. Nichts desto trotz ist es möglich im Rahmen der Form einen
scheinbaren Wiedereintritt auf der Außenseite einer Unterscheidung zu
vollführen. Es kommt, mit anderen Worten, zu einer Verwechslung von Innen
und Außen bzw. System und Umwelt. Dieses Problem ist unter dem Begriff double bind bekannt (vgl. Bateson 1985).
Mit Hilfe einer informationstheoretischen Analyse von Kommunikationssequenzen
lassen sich dann nicht nur die in Anwendung befindlichen Unterscheidungen
identifizieren, sondern auch ob möglicherweise ein double bind in einer oder mehreren beobachtungsleitenden
Unterscheidungen vorliegt.
So machen die vorgestellten Unterscheidungskombinationen das Gleiten in der Form nur stressfreier. Sie führt aber nicht zu absoluten Wahrheiten. Vielmehr besitzt jede Form ihre eigene Wahrheit bzw. Realität. Diesen Ratschlag sollte man unbedingt beherzigen, wenn man sich in das unendliche Labyrinth der Unterscheidungsnetzwerke begibt. Wer nicht in der Lage ist, sich auf die imaginären Werte der Bezeichnungen einzulassen und in ihrer Realität anzuerkennen, wird weder sich noch andere verstehen können. Man sollte aber auch genug Distanzierungsfähigkeit besitzen, die beobachteten Beobachtungen nicht einfach unkritisch zu übernehmen. Da man aber nicht die Möglichkeit hat sich voluntaristisch in das Labyrinth zu begeben oder nicht, sondern man immer schon darin operiert und auch nicht herauskommt, ist das einzige, was auf dem Spiel steht, die mehr oder weniger erfolgreiche Teilnahme an Kommunikation mit entsprechenden emotionalen Gratifikationen. Für soziale Systeme steht auf der anderen Seite auf dem Spiel, wie effektiv oder ineffektiv sie Kommunikationserfolge ermöglichen und Anreize für Menschen bieten sich weiterhin an einer bestimmten Kommunikationsform zu beteiligen. Soziale Systeme müssen, mit anderen Worten, Menschen für die Teilnahme an Kommunikation Möglichkeiten bieten in den flow (vgl. Csikszentmihaly 2010) zu kommen [13].
So machen die vorgestellten Unterscheidungskombinationen das Gleiten in der Form nur stressfreier. Sie führt aber nicht zu absoluten Wahrheiten. Vielmehr besitzt jede Form ihre eigene Wahrheit bzw. Realität. Diesen Ratschlag sollte man unbedingt beherzigen, wenn man sich in das unendliche Labyrinth der Unterscheidungsnetzwerke begibt. Wer nicht in der Lage ist, sich auf die imaginären Werte der Bezeichnungen einzulassen und in ihrer Realität anzuerkennen, wird weder sich noch andere verstehen können. Man sollte aber auch genug Distanzierungsfähigkeit besitzen, die beobachteten Beobachtungen nicht einfach unkritisch zu übernehmen. Da man aber nicht die Möglichkeit hat sich voluntaristisch in das Labyrinth zu begeben oder nicht, sondern man immer schon darin operiert und auch nicht herauskommt, ist das einzige, was auf dem Spiel steht, die mehr oder weniger erfolgreiche Teilnahme an Kommunikation mit entsprechenden emotionalen Gratifikationen. Für soziale Systeme steht auf der anderen Seite auf dem Spiel, wie effektiv oder ineffektiv sie Kommunikationserfolge ermöglichen und Anreize für Menschen bieten sich weiterhin an einer bestimmten Kommunikationsform zu beteiligen. Soziale Systeme müssen, mit anderen Worten, Menschen für die Teilnahme an Kommunikation Möglichkeiten bieten in den flow (vgl. Csikszentmihaly 2010) zu kommen [13].
IX.
Als Letztes muss schließlich die
Frage geklärt werden, wie sich Informationen
von Sinn unterscheiden? Auffällig
ist, dass die Projektion des Informationsbegriffs in die dreiwertige Form dem
Sinnbegriff (vgl. Luhmann 1984, S. 92 – 147) sehr ähnlich ist. Die basale
Instabilität, Selbstreferentialität, Komplexität und Kontingenz sind alles
Probleme mit denen das Medium Sinn ebenso wie die dreiwertige Form jeder
Unterscheidung als Medium für Informationsgewinnung behaftet ist. Die Lösung
ist in beiden Fällen Formenbildung. Der Informationsbegriff scheint also mit
dem Sinnbegriff zu konvergieren. Der Unterschied ist daher auch nur ein kleiner
aber feiner und wichtiger Unterschied. Der Informationsbegriff wurde im Rahmen
der Informations-/Beobachtungstheorie operativ bestimmt. Informationen sind
Ereignisse. Ereignisse realisieren sich aber nur in Form von Bezeichnungen und
konzentrieren somit die Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes. Als Information
verweisen sie bereits auf etwas Abwesendes, eben die Unterscheidung in der die
Bezeichnung getroffen wurde. Ein weiterer wichtiger Aspekt von Informationen
ist ihr Neuigkeitswert. Eine
Information ist nur eine Information, wenn sie neu ist. Gemäß Spencer-Browns
Gesetz des Nennens ist der imaginäre
Wert einer Bezeichnung bei wiederholter Bezeichnung wieder nur der imaginäre
Wert der ersten Bezeichnung. Sie unterscheiden sich nicht voneinander. Sie sind
redundant und haben damit keinen Informationswert mehr (vgl. Luhmann 1984, S.
102). Genau hier liegt der Unterschied zwischen Information und Sinn.
Informationen sind unbekannt und damit neu. Sinn dagegen ist eine bekannte Information also eine bereits wiederholte Bezeichnung. Informationen
sind dann nur aus der Differenz zwischen ihrer Aktualität und den potentiell
anderen Unterscheidungsmöglichkeiten als solche erkennbar. Dieser Vergleich
zwischen aktueller Bezeichnung und potentiell möglichen Bezeichnungen ist aber
nur möglich, wenn die anderen, potentiell möglichen Bezeichnungen bekannt sind.
Mithin erweist sich die aktuell realisierte Bezeichnung nur im Lichte
kontingenter Möglichkeiten als neu und damit als Information. Das bedeutet
umgekehrt ohne Bekanntes, ohne Sinn keine
Information.
Unbekanntes ist nur im Vergleich
zu Bekanntem erkennbar. Sinn ist damit der Kontext in dem sich eine Information
als solche erweist. Informationstheoretisch heißt das, es gibt weder
vollständig unbekannte Formen noch vollständig bekannten Sinn.
Informationsverarbeitung ist nur mit einem gewissen Maß an Redundanz und
Varietät möglich. Bei vollständig bekanntem Sinn würde ein System in einen
entropischen Zustand zurückfallen. Bei vollständig unbekannten Formen könnte
sich aufgrund der Unterschiedlosigkeit kein System bilden. Genau aus diesem
Sachverhalt leitet sich daher die Notwendigkeit eine Unterscheidung zu treffen
ab, wenn es nicht mehr weitergeht. An diesem Sachverhalt wird zugleich die
Aussichtslosigkeit kritischer und dekonstruktivistischer Ansätze deutlich, systeminterne
Widersprüche oder die Widersprüchlichkeit bestimmter gesellschaftlicher
Entwicklungsprinzipen aufzuzeigen, die zum vermeintlichen Niedergang der
Gesellschaft führen. Diese Widersprüche sind vielmehr Gründe trotzdem weiter zu
machen. Aufzuhören und neu anzufangen ist keine Lösung, denn auch diese
Versuche werden irgendwann von ihren immanenten Widersprüchen eingeholt. Der
eigenen Selbstreferenz kann man nicht entkommen, denn Tautologien und
Paradoxien können als Identitätsprobleme nicht eliminiert werden. Man muss also
lernen mit Selbstreferentialität umzugehen. Die Frage nach pathologischen
Kommunikationsformen hat sich damit aber nicht erledigt, denn Systeme können trotzdem
real an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gehen. Die Beobachtung treibt die
Paradoxie immer vor sich her und wird zugleich ständig von ihr verfolgt (vgl.
Luhmann 1993, S. 248). Wenn man die treibende Kraft der Paradoxie anerkennt,
stellt sich das Problem der Korruption durch innere Widersprüche als
Unterscheidung von re-entry und double bind neu. Der double bind kann tatsächlich zur Systemauflösung führen, denn man kann nicht dauerhaft operieren, wenn man die eigene Selbstreferentialität ignoriert. Der Versuch es trotzdem zu tun, hinterlässt
charakteristische Spuren, welche sich mit der vorgestellten soziologischen
Informationstheorie analysieren lassen.
Für eine soziologische
Beobachtung wäre Sinn aber nur eine mögliche Analysedimension. Bereits Luhmann
hat die Unterscheidung der drei Sinndimensionen – sachlich, sozial und zeitlich
– eingeführt (vgl. 1984, S. 112ff.). Weiter oben wurde gezeigt, dass auch die
Form idealerweise in die drei Sinndimensionen entparadoxiert werden sollte um
ihr volles Informationspotential zu entfalten. Obwohl es empirisch durchaus
möglich ist, dass eine der drei Dimensionen ein blinder Fleck bleibt, kann eine
soziologische Beobachtung keine der drei vernachlässigen, denn sonst könnte sie
eben solche Fälle nicht erkennen. Wichtig ist, zu beachten, dass an dieser
Stelle der zweite Fall eines Wiedereintritts der Form in die Form im Rahmen dieser
Informationstheorie auftritt [14]. Die drei Sinndimensionen werden auf Sinn
selbst angewendet. Informationen werden damit reflexiv und kontingent gesetzt.
Wenn eines der Ziele ist, die beobachtungsleitenden Unterscheidungen zu finden,
dann wird Sinn zum Analysegegenstand
in der Sachdimension. Somit bleiben
noch die Zeit- und die Sozialdimension.
Wenn Beobachten bedeutet die
Aufmerksamkeit zu fokussieren, dann transformiert sich die Frage nach der
Informationsverarbeitung durch unterscheidendes Bezeichnen in der Sozialdimension in die Frage, wie Aufmerksamkeit gelenkt wird? Aufmerksamkeit
bringen aber nur psychische Systeme auf. Die Funktion sozialer Systeme ist es
die psychische Aufmerksamkeit zu fokussieren und zu lenken. Die Sozialdimension
kann aber nicht unabhängig von der Sachdimension analysiert werden. In der
Sachdimension kann man beobachten, welcher Sachverhalt wie beobachtet wird. In
der Sozialdimension wird nun gefragt, welche Person oder welches soziale
Systeme diesen Sachverhalt so konstruiert. Das lenkt die soziologische
Aufmerksamkeit auf die Beobachtung der strukturell gekoppelten Systeme und
damit auf die Interpenetration (vgl.
Luhmann 1984, S. 286 – 345) sozialer und psychischer Systeme. Hier stellt
sich dann die Frage, wie Systeme ihre Umwelt systemintern konstruieren.
Autopoietische Systeme operieren immer geschlossen und selbstreferentiell und
bleiben damit für einander operativ unerreichbare Umwelten. Durch ein
Verhältnis struktureller Kopplung werden beide Systeme aber füreinander irritierbar.
Die strukturelle Kopplung selbst erfolgt über Aufmerksamkeitslenkung. Dieses
Verhältnis wechselseitiger Irritierbarkeit
kann nun über den hier entfalteten Informationsbegriff beschrieben werden. Im
Rahmen der Unterscheidung von Sinn und Information wird jedes
Informationsereignis zunächst als eine Irritation begriffen. Die Frage lautet dann, wie es dazu kommen kann,
dass nicht mehr jedes Ereignis zu einer Operationsblockade führt und damit zu
einer potentiellen Gefährdung für ein System wird. Diese Frage lässt sich aber
nicht nur durch Beobachtung der Sozial- und der Sachdimension beantworten.
In der Zeitdimension transformiert sich das Sinnproblem schließlich in die
Frage, wie Systeme ein Gedächtnis
entwickeln können? An dieser Stelle reicht zunächst die Feststellung, dass
Systeme wiederholbare Formen entwickeln müssen, die hinreichend robuste
Redundanzen im System einrichten, sodass nicht mehr jede neue Form das System
so stark irritiert, dass die Informationsverarbeitung, also die Beobachtungen,
zum Erliegen kommen. Die dreiwertige Form besteht unabhängig von Menschen und
sozialen Systemen. Sie ist ihnen also äußerlich. Beide sind aber in ihren
Operationen an diese Form gebunden und müssen sie entfalten, um Informationen
verarbeiten zu können. Da die drei Leerstellen der Form bereits sozial mit
imaginären Werten aufgefüllt wurden, kann die Form der Unterscheidung hier als
Selbstreferenz sozialer Systeme begriffen werden. Für psychische Systeme
bedeutet Beobachten dann den Bezeichnungen zu folgen und die Aufmerksamkeit von
entsprechenden sozial angebotenen Formen faszinieren zu lassen. Gedächtnisbildung bedeutet dann wiederholbare Formen für
Aufmerksamkeitsfokussierung zu finden.
In evolutionärer Perspektive
gestaltet sich Gedächtnisbildung dann als Wechselspiel zwischen variierenden Sinnkontexten zur
Informationsverarbeitung, Selektion
bewährter Formen der Informationsverarbeitung und Restabilisierung der Sinnkontexte für weitere
Informationsverarbeitung. Dieses Wechselspiel ließe sich auch als Integration im Sinne einer
wechselseitigen Einschränkung von Freiheitsgraden beschreiben. Eingeschränkt
werden die möglichen Unterscheidungsmöglichkeiten, die durch bestimmte
Beschreibungen von Sachverhalten vorgegeben werden. Diese werden mit der Zeit
immer komplexer und ermöglichen dadurch die Identität eines imaginären Wertes
immer präziser zu beobachten. Wobei eine optimale Anpassung in einem flexiblen
Grad an Rekombinationsmöglichkeiten erreicht wird, was sich zum einen in einem
hohen Integrationsgrad niederschlägt, anderseits aber auch in einem hohen
Desintegrationsgrad. Wie robust ein
System mit Irritationen umgeht, damit es nicht früher oder später in einen
entropischen Zustand zurückfällt, ergibt sich aus Integrations- und
Desintegrationsgrad der Unterscheidungskombination. An dieser Stelle liegt dann
auch das Potential psychischen Stress soziologisch erklären zu können. Es
verweist auf die Frage, wie psychische Systeme durch ihre sozial geformten
Beobachtungsgewohnheiten ihre Aufmerksamkeit leiten und leiten lassen, um
Informationen abzugreifen. Redundante Informationen können dann immer noch
emotionale Unterschiede machen, denn die imaginären Werte der Bezeichnungen
konzentrieren nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern rufen damit auch mehr oder
weniger starke Emotionen hervor [15].
X.
Damit sind die Grundzüge einer
soziologischen Informationstheorie skizziert. Batesons Informationsbegriff
wurde in das Formenkalkül von Spencer-Brown integriert indem er mit der Idee
der Unterscheidung und der Idee der Bezeichnung verknüpft wurde. Die beiden
gegebenen Ideen von Unterscheidung und Bezeichnung wurden wiederum von Luhmann
in seine soziologische Systemtheorie integriert. Der Beitrag, der hier
geleistet wurde, besteht darin, die Beziehungen im Rahmen von Luhmanns
Systemtheorie stärker herausgearbeitet zu haben, was es auch mit sich brachte
die Kommunikationstheorie und die Beobachtungs-/Informationstheorie stärker
gegeneiner zu differenzieren. Das Ergebnis ist nicht nur eine
Informationstheorie sondern auch ein minimaler Formalismus mit dem die Leerstellen
der dreiwertigen Form aufgefüllt und entfaltet werden können.
Grundlage dafür ist lediglich die
einfache Idee, dass man ohne zu unterscheiden nicht bezeichnen kann. Es gibt
immer eine andere Seite der Unterscheidung und damit auch die Unterscheidung
selbst. Informationen werden in diesem Theorierahmen nun als Bezeichnungen, die
Unterschiede machen verstanden. Auf dieser Grundlage wurde die Selbstreferenz der
dreiwertigen (Leer-)Form entfaltet. Das Ergebnis ist eine dreistufige Theorie
darüber, wie Informationen durch beobachtende Systeme gewonnen und verarbeitet
werden. Die erste Stufe ist die Theorie der dreiwertigen Form bevor ihre
Leerstellen durch soziale oder psychische Systeme mit konkreten Werten
aufgefüllt wurden. Doch selbst wenn konkrete Werte im Spiel sind, bleibt die
konstitutive Instabilität ihr wesentliches Charakteristikum. Sie ist die
Voraussetzung dafür, dass Unterscheidungen getroffen werden müssen. Zugleich
ist die Form der Ausgangspunkt für den Aufbau höherer Komplexität, kann sie
aber in sich selbst nicht stabilisieren. Kontingenz und Komplexität
transformieren sich damit zu Minimalanforderungen an ein
informationserzeugendes System. Es muss Vergleichsmöglichkeiten und
Verknüpfungssperren geben, damit nicht mehr jedes Systemelement mit jedem
verbunden werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, stehen keine
oder nur geringe Kapazitäten zur Informationsverarbeitung zur Verfügung und
damit auch keine ausreichenden Toleranzschwellen, um mit Irritationen umgehen zu
können. Die Aufmerksamkeit wird fixiert und Redundanz erzeugt.
Die zweite Stufe ist die
eigentliche Theorie der Information. Hier wurde ein erster Wiedereintritt der
Form in die Form vollzogen. Formen wurden kontingent gesetzt und erst dadurch
als Unterschiede, die im Rahmen einer Unterscheidung Unterschiede machen
beobachtbar. Der Wiedereintritt der Form in die Form ist ein erster Schritt zu
höherer Komplexität und Stabilität. Die in diesem Moment zu treffende
Unterscheidung wird die weitere Operationsweise des Systems bestimmen. Aber
selbst wenn die Unterscheidung einer Unterscheidung gelingt, stellt sich die
Paradoxie der Form erneut, denn der Weg aus der Form führt immer zurück in die
Form. Ihrer basalen Funktionsweise kann man nicht entkommen, man kann nur die Unterscheidung
wechseln. Mit Hilfe der Unterscheidungen Bezeichnung/Beschreibung, Kondensieren/Konfirmieren und Generalisierung/Spezifizierung lässt sich nachvollziehen,
wie der Aufbau von systeminterner Komplexität durch die Verknüpfung von Unterscheidungen gelingt und zugleich die
Irritationsfähigkeit des Systems dadurch beeinflusst wird. Die Unterscheidung
von Differenzierung und Integration (vgl. Csikszentmihaly 2010, S. 63ff.) gehört ebenfalls dazu. Sie muss allerdings
evolutionstheoretisch operationalisiert werden über Variation, Selektion und
Restabilisierung.
Die dritte Stufe ist schließlich
die Theorie des Sinns. Diese entsteht durch einen 2. Wiedereintritt der Form in
die Form. Informationen werden kontingent gesetzt und dadurch als wiederholte
Informationen bzw. Sinn erkennbar. Sinn wurde dann sachlich, zeitlich und
sozial entfaltet. Die mit Hilfe der Informationstheorie gewonnenen Beobachtungsergebnisse
müssen anhand der Fragen analysiert werden, wie beobachtende Systeme die
Aufmerksamkeit fokussieren und leiten, welcher Sinn durch die angesetzten
Unterscheidungen entsteht und wie es schließlich gelingt ein Gedächtnis
aufzubauen. Auf diese Weise lässt sich schließlich der Aufbau extrem hoher
Komplexität aus der einfachen dreiwertigen Form beschreiben und sie lässt sich
auch wieder auf die Form zurückführen. Der Schlüssel dafür ist eine einfache
Inferenzmethode mit dessen Hilfe von bekannten Bezeichnungen auf unbekannte Unterscheidungen
geschlossen werden kann. Ziel einer soziologischen Analyse kann es zunächst nur
sein den Letztkontext zu finden in dem Informationen einen Sinn ergeben. Zugleich
kann geprüft werden, ob ein double bind
– also eine Art Kurzschluss – im Netzwerk vorliegt. Die Eigenschaften und die Funktionsweise
der dreiwertigen Form bleiben aber der theoretische Hintergrund bzw. Kontext in
dem die gewonnen Informationen einen soziologischen Sinn ergeben.
Das Inferenzverfahren ist im
Grunde nichts weiter ist als der Versuch systeminterne Leerstellen auszufüllen.
Es handelt sich damit nicht nur um eine Methode, um Beschreibungen bzw.
Semantiken zu entschlüsseln, sondern zugleich um eine Reflexionsmethode das eigene
Beobachtungssystem durch autologisches
Lernen zu optimieren. Hier wird der Lern- bzw. Erziehungsbegriff von
Luhmann zugrunde gelegt. Nach Luhmann erfordert Erziehung, „ daß man zunächst
lernt, was man nicht weiß, und sieht,
was man nicht sieht, und dann dazu
ansetzt, die Lücke zu füllen“ (2002, S. 53; Hervorhebung im Original). Vereinfacht
ausgedrückt, bedeutet Lernen nichts anderes als die eigenen blinden Flecke zu
finden. Die soziologische Informationstheorie macht daraus eine Methode – möglicherweise
auch ein Spiel – in und mit der Form. Wie sich gezeigt hat, unterliegt auch der
vorgestellte Beobachtungsapparat dem Gesetz der Form, denn auch in ihm tritt
das Problem der Selbstreferenz auf. Was in der Theorie so einfach klingt,
gestaltet sich in der Praxis jedoch immer wieder als äußerst schwierig - spätestens
wenn es um die Selbstreflexion geht.
Warum dieser Übergang so
beunruhigend und schwierig ist, hatte bereits Durkheim am Beispiel der
Unterscheidung von Heiligem und Profanem erkannt. Diese Erkenntnis lässt sich
informationstheoretisch für jeden Fall der Anwendung einer Form auf sich selbst
hinsichtlich der psychischen Wirkungen verallgemeinern: „Wenn […] eine rein
hierarchische Unterscheidung sowohl zu allgemein wie zu ungenau ist, dann bleibt
nur mehr ihre Andersartigkeit übrig, um den Unterschied […] zu definieren. Die
Andersartigkeit genügt aber, um die Klassifizierung der Dinge erschöpfend zu
charakterisieren.“ (Durkheim 1981, S. 64) Die Einsicht in die eigene
Nicht-Notwendigkeit bzw. der eigenen Kontingenz, ist die Voraussetzung um über
sich selbst hinauszugehen und auch wieder zu sich selbst zurück zu finden. Das
gilt dann nicht nur für psychische Systeme, sondern auch für soziale. Erst wenn
man diese Hemmschwelle überwunden hat, bekommt man eine Vorstellung davon, was
Spencer-Brown gemeint haben könnte, wenn er mit dem Formkalkül die Hoffnung
verband, dass das Oszillieren zwischen psychischer Innenwelt und physischer
Außenwelt zu einer immer weiteren Annährung an die gemeinsame Grenze zwischen
beiden führen könnte (vgl. 1997, S. XXXI). Wobei es aber immer bei der
Annährung bleiben wird, ohne diese Grenze jemals zu erreichen oder gar zu
überschreiten.
Systemtheoretisch betrachtet ist
mit dieser Annährung der Prozess der Differenzierung gemeint. Diese Annährung
gelingt aber nur, wenn man die Aufmerksamkeit auf das richtet, was Latour aus
einer theoretischen Verlegenheit heraus das „Reich der Mitte“ (2008, S. 104)
nannte, welches bereits durch Luhmann einer wesentlich präziseren Bestimmung zugeführt
wurde und die Bezeichnung „soziale Systeme“ erhalten hat (vgl. 1984). Das
wiederum heißt den Gorgonen direkt in die Augen zu schauen. Gesellschaft ist
Kommunikation. Kommunikation heißt Beobachten im Informationsmedium der Form –
und sie ist damit paradox konstituiert. Ist man sich dieses Problems bewusst,
kann sich auch eine soziologische Analyse nicht damit begnügen lediglich
Sthenographie zu betreiben. Diese Methode kann nur mehr oder weniger gute
Problembeschreibungen liefern. Davon ausgehend kann man dann zur Euryalistik
übergehen.
In einem früheren
Beitrag wurde mit Blick auf das gegenwärtige Verständnis von Öffentlichkeit
mehr Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeitsfokussierung
angemahnt. Diese Mahnung lässt sich auch an die Soziologie richten.
Inzwischen kann ein gewisser Mangel an Reflexion der eigenen Beobachtungsformen
nicht mehr ignoriert werden. Das gilt vor allem für die Teile der Soziologie,
die einer modischen - aber keinesfalls modernen - Theorie [16] anheimgefallen sind,
die ernsthaft davon ausgeht, man könnte kontextfrei beobachten (vgl. Latour
2010, S. 289ff.). Mit der hier vorgestellten soziologischen Informationstheorie
lässt sich sowohl das eigene Unterscheidungsarrangement als auch das der Umwelt
reflektieren und damit das Erfordernis einer stärkeren Fokussierung der
Aufmerksamkeit auf die Aufmerksamkeitsfokussierung methodisch umsetzen. Dazu muss man aber
akzeptieren, dass die eigenen Bezeichnungen nicht mehr oder weniger Wahrheit oder
Realität besitzen als die Bezeichnungen der Umwelt. Beobachten ist ein
empirischer Fakt. Soziale und psychische Systeme tun das. Somit kann es nicht bloß
um die Feststellung gehen, dass
beobachtet wird. Das kann lediglich der Ausgangspunkt sein, um festzustellen, wie beobachtet wird. Die Feststellung,
dass beobachtet wird, ebnet alle Unterschiede ein. Erst die Klärung wie beobachtet
wird, macht soziale und damit auch soziologisch relevante Unterschiede sichtbar.
Twittern
[1] Einer der wenigen außerhalb
eines systemtheoretischen Theorierahmens, der auf dieses Problem aufmerksam
geworden ist, ist Hartmut Rosa. Wie gelungen sein Versuch der
Paradoxieentfaltung (vgl. Rosa 2012) ausgefallen ist, kann an dieser Stelle
nicht beurteilt werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Vorstudie zur
Beschleunigung (vgl. Rosa 2005) sich ausschließlich in Sthenographie erging und
ihren Abschluss in Tautologien wie „Verzeitlichung der Zeit“ oder
Paradoxien wie „rasender Stillstand“
gefunden hat. Für das Thema Entfremdung wird man nicht darum herumkommen sich
in letzter Konsequenz auf die hier zu entfaltende Beobachtungstheorie
einzulassen. Aus einer konstruktivistischen Perspektive, wie sie hier vertreten
wird, stellt sich das Problem der Entfremdung als Frage nach der Form, wie das
Selbst und die Umwelt durch das System beobachtet wird, dar. Die jeweilige Form
der Beobachtung ist die Beziehung zur Welt. Siehe für einen ersten Versuch, das
Thema Entfremdung aus einer systemtheoretischen Perspektive zu behandeln, den
Text „Vorüberlegungen
zu einer systemtheoretischen Image-Theorie am Beispiel des Amokläufers“.
Der dort angedeutet Zusammenhang zwischen positiver und negativer Rückkopplung
des Image durch Kommunikation und der Aufmerksamkeitsfokussierung und -distraktion
lässt sich erst durch die Beobachtungstheorie näher klären.
[2] Es sei darauf hingewiesen, dass
mit dem obigen Beispiel kein konkreter Ansatz gemeint ist, sondern lediglich
das Problem der Kontingenzbeobachtung vorgeführt werden sollte. Es besteht
allerdings eine nicht unbeträchtliche Gefahr für jeden Ansatz, der noch auf
einer normativen/kritischen Grundlage aufbaut, die zu
vertretenden Werte absolut zu setzen und ins dogmatische abzugleiten. Zugleich
ist nochmal zu betonen, dass es nicht um einen Gegensatz zwischen System und
Handlung geht, sondern um Handlung im System (vgl. Luhmann 2005b, 58ff.). Es soll
also keine Gegnerschaft reproduziert werden. Vielmehr geht es um eine
gesteigerte Reflexivität für das eigene Theoriedesign. Auch die Systemtheorie
kennt Handlungen. Sie bekommen nur durch die Berücksichtigung der dreifachen
Kontingenz jeder Handlung eine andere theoretische Relevanz als in anderen
Handlungstheorien. Was dann auch andere Beobachtungsergebnisse hervorbringen
kann.
Die neuste Lösung des Kontingenzproblems besteht darin statt auf Werte auf normativ/ideologisch unverdächtige Begriffe wie "Netzwerk" zurückzugreifen, wie er z. B. von Bruno Latour vorgeschlagen wurde (vgl. 2010). Das entlastet zwar davon mit Wertehierarchien zu arbeiten, die eine Priorisierung – und damit Entscheidungen – verlangen. Der Preis ist jedoch, dass der Handlungsbegriff von jeglicher Selektivität gereinigt wird und damit auch von Kontingenz. Der daraus resultierende Handlungsbegriff lässt sich dann zwar auch auf Objekte anwenden. Ob die daraus resultierende flache Theoriekonstruktion aber ein Vorteil ist, darf bezweifelt werden. Die kontextfreie Entfaltung von Kontroversen – also von Kontingenz – in Form von Berichten bringt lediglich naive und unkritische Ergebnisse hervor. Die wissenschaftliche Leistung der ANT beschränkt sich zumeist darauf die Faktizität der Realität festzustellen, ohne auch nur ein soziales Ordnungsprinzip angeben zu können, warum die soziale Ordnung so realisiert wurde, wie sie realisiert wurde. Es wird lediglich das Offensichtliche bestätigt, nämlich dass verschiedene Beobachter gleiche Sachverhalte verschieden beobachten. Das ist jedoch nur eine viel elaboriertere Methode der Konstruktion des soziologischen Bezugsproblems, welches hier unter der Formel der Handlungskoordination bei divergentem Erleben behandelt wird. Damit ist die Arbeit aber noch längst nicht getan, sondern sie fängt an dieser Stelle erst richtig an. Deswegen scheint es fast so, als könnte sich die ANT nicht entscheiden, ob sie Soziologie betreiben will. Sie steht noch auf der Schwelle und ist sich unsicher, ob sie eintreten will oder nicht. Stattdessen wird, wenn auch äußerst raffiniert, eine wieder ins Materialistische gewendete Vorstellung der Umweltdeterminierung eines Systems eingeführt. Wie das geschieht, siehe Abschnitt II.
So darf auch von den politischen Anregungen der ANT nicht mehr als blinder Aktionismus erwartet werden. Gerade der Versuch Normativität zu vermeiden, führt dazu, dass sie in ihrer außerwissenschaftlichen Wirkung umso normativer bzw. politischer werden muss. In diesem Fall wird aber nicht lediglich Normativität vermieden, sondern durch fehlende Reflektion Kontingenz im Allgemeinen. Dass die Selbstreflektion vermieden wird, zeigt sich unter anderem an der Karikatur einer Soziologie des Sozialen, die Latour zeichnen muss, um davon ausgehend die eigenen Theorieentscheidungen zu begründen. Kennt man die von Latour kritisierten Theorieentscheidungen, sieht man sofort, dass seine Theorieentscheidungen kaum auf eine intensive Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Problemen zurückgehen können. Deshalb wird ein direkter Vergleich lieber gemieden. Das funktioniert indem man absurde Zerrbilder seiner Gegner zeichnet, die scheinbar keiner weiteren Aufmerksamkeit würdig sind.
Die neuste Lösung des Kontingenzproblems besteht darin statt auf Werte auf normativ/ideologisch unverdächtige Begriffe wie "Netzwerk" zurückzugreifen, wie er z. B. von Bruno Latour vorgeschlagen wurde (vgl. 2010). Das entlastet zwar davon mit Wertehierarchien zu arbeiten, die eine Priorisierung – und damit Entscheidungen – verlangen. Der Preis ist jedoch, dass der Handlungsbegriff von jeglicher Selektivität gereinigt wird und damit auch von Kontingenz. Der daraus resultierende Handlungsbegriff lässt sich dann zwar auch auf Objekte anwenden. Ob die daraus resultierende flache Theoriekonstruktion aber ein Vorteil ist, darf bezweifelt werden. Die kontextfreie Entfaltung von Kontroversen – also von Kontingenz – in Form von Berichten bringt lediglich naive und unkritische Ergebnisse hervor. Die wissenschaftliche Leistung der ANT beschränkt sich zumeist darauf die Faktizität der Realität festzustellen, ohne auch nur ein soziales Ordnungsprinzip angeben zu können, warum die soziale Ordnung so realisiert wurde, wie sie realisiert wurde. Es wird lediglich das Offensichtliche bestätigt, nämlich dass verschiedene Beobachter gleiche Sachverhalte verschieden beobachten. Das ist jedoch nur eine viel elaboriertere Methode der Konstruktion des soziologischen Bezugsproblems, welches hier unter der Formel der Handlungskoordination bei divergentem Erleben behandelt wird. Damit ist die Arbeit aber noch längst nicht getan, sondern sie fängt an dieser Stelle erst richtig an. Deswegen scheint es fast so, als könnte sich die ANT nicht entscheiden, ob sie Soziologie betreiben will. Sie steht noch auf der Schwelle und ist sich unsicher, ob sie eintreten will oder nicht. Stattdessen wird, wenn auch äußerst raffiniert, eine wieder ins Materialistische gewendete Vorstellung der Umweltdeterminierung eines Systems eingeführt. Wie das geschieht, siehe Abschnitt II.
So darf auch von den politischen Anregungen der ANT nicht mehr als blinder Aktionismus erwartet werden. Gerade der Versuch Normativität zu vermeiden, führt dazu, dass sie in ihrer außerwissenschaftlichen Wirkung umso normativer bzw. politischer werden muss. In diesem Fall wird aber nicht lediglich Normativität vermieden, sondern durch fehlende Reflektion Kontingenz im Allgemeinen. Dass die Selbstreflektion vermieden wird, zeigt sich unter anderem an der Karikatur einer Soziologie des Sozialen, die Latour zeichnen muss, um davon ausgehend die eigenen Theorieentscheidungen zu begründen. Kennt man die von Latour kritisierten Theorieentscheidungen, sieht man sofort, dass seine Theorieentscheidungen kaum auf eine intensive Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Problemen zurückgehen können. Deshalb wird ein direkter Vergleich lieber gemieden. Das funktioniert indem man absurde Zerrbilder seiner Gegner zeichnet, die scheinbar keiner weiteren Aufmerksamkeit würdig sind.
[3] Siehe für ausgewählte
Literatur zum Thema beobachtende Beobachter Fußnote 10 in Luhmann 1995, S. 98.
[4] Wenn Ethnologen beim
Stichwort Übergang aufhorchen, dann zu recht. Neben Chaos, Entropie und
Unsicherheit hätte man hier auch Victor Turners Begriff der Liminalität (vgl.
2005) nennen können. Speziell die Übergangsriten in Stammesgesellschaften mit
einer ausgeprägten liminalen Phase können als frühe Form betrachtet werden das
Paradox der Selbigkeit des Verschiedenen zu entfalten.
[5] Siehe zur Biographie von
Spencer-Brown und den Gesetzen der Form (1997) auch Dirk
Baeckers Blog-Post anlässlich des 90. Geburtstags von Spencer-Brown am
02.04.2013.
[6] Auch Latours Aufforderung den
Akteuren zu folgen (vgl. Latour 2010), müsste an dieser Stelle angesiedelt
werden. Wobei die Betonung auf der Aufforderung zum Folgen liegt. Wie sich
Latours Akteur-Netzwerke aus systemtheoretischer Sicht darstellen, folgt an einer
späteren Stelle.
[7] Bei diesem Übergang handelt
es sich um einen mitbewussten Übergang im Sinne von James (vgl. 2006a, S. 32).
[8] Spencer-Browns 2. Axiom – das
Gesetz des Kreuzens (vgl. Spencer-Brown 1997, S. 2) – wird damit lediglich als
ein Fall des 1. Axioms – das Gesetz des Nennens – interpretiert. Es ist damit
selbst redundant und kann herausgekürzt werden. (Nachtrag: Es muss betont werden, dass sich diese Aussage nur auf das Beobachten mit Bezeichnungen, Spencer-Brown spricht von einfachen Ausdrücken, bezieht. Sobald es um die Entstehung von zusammengesetzten bzw. komplexen Ausdrücken ist es nicht mehr redundant, sondern dann kommt seine fundamentale Bedeutung für die Evolution der Beobachtung zum Tragen. Siehe dazu „Die Regeln der Form“. R. W. 12.06.2016)
[9] Das, was James als
verbindende Beziehung beschrieb (vgl. 2006a, S. 30ff.), wird hier als
Unterscheidung interpretiert.
[10] Latours Kritik, dass es
keinen Rahmen oder Kontext über oder hinter
der Interaktion gibt, welcher die Interaktion wie eine unsichtbare Hand steuert
(vgl. Latour 2010, S. 289ff.), trifft zwar zu, muss aber vor der Notwendigkeit
gelesen werden, dass psychisches Erleben für die Teilnahme an Kommunikation in
eine zeitliche Reihenfolge gebracht, also sequenziert, werden muss. Weil Rahmen
und Kontext nur andere Bezeichnungen für die weder zeitlich noch räumlich
lokalisierbare Beziehung sind, kann man diesen Rahmen nicht in der materiellen
Umwelt von sozialen Systemen und
Menschen finden. Vielmehr handelt es sich dabei um den psychischen Hintergrund
vor dem Kommunikationspartner für sich erschließen können, wie eine bestimmte
Situation zu deuten ist. Dieser kann aber, soviel sollte inzwischen schon klar
geworden sein, unterschieden und bezeichnet werden. Hier geht es also nicht um
ein handlungstheoretisches sondern ein epistemologisches Problem. Insofern geht
Latours Kritik fehl, da sie auf einer handlungstheoretischen Ebene formuliert
ist. Auch der aus der Semiologie entlehnte Aktanten-Begriff ändert an diesem
Umstand nichts. Zudem muss man feststellen das Latour die Rahmen-Metapher im
Sinne eines Bilderrahmens in naiver Weise wörtlich nimmt, wodurch es noch
schwieriger wird, dass zugrunde liegende Problem zu erkennen. Mithin kann auch
das als ein Versuch gelesen werden Medusa zu köpfen.
[11] Die informationstheoretische
Fassung von Paradoxien und Tautologien als Probleme von zu viel oder zu wenig
Informationen bietet Anknüpfungspunkte um durch den beobachtbaren Gebrauch von
Unterscheidungen psychischen Stress zu operationalisieren. Siehe dazu Simon
1999, S. 136ff.
[12] Möchte man dem
Netzwerk-Begriff eine präzise systemtheoretische Bestimmung geben, so ist dies
nur im Rahmen der Informationstheorie möglich. Luhmann spricht ebenfalls nur in
diesem theoretischen Zusammenhang von rekursiver Vernetzung oder von rekursiven
Netzwerken (vgl. 1992, S. 83). Zugleich liefert diese Beschreibung eine
Vorstellung vom gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit zu Konkurrenzunternehmen
wie der ANT, die dasselbe Phänomen mit dem Begriff des Akteur-Netzwerks belegt
(vgl. Latour 2010, S. 228ff.). Die ANT arbeitet sich an der Paradoxie ab, dass
sie nicht davon ausgeht, dass den beobachteten Sachverhalten ein
Netzwerkcharakter innewohnt und die Netzwerk-Metapher deswegen lediglich als
ein Leitkonzept zum Verfassen von Berichten versteht. Entsprechend muss sie ihr
Verständnis von Assoziationen über materielle Gegenstände operationalisieren, um
der Netzwerk-Metapher ihre Plausibilität zu verleihen. Erkennt man aber die
Realität der Unterscheidung an und betrachtet die Unterscheidung als eine weder
räumlich noch zeitlich fixierbare Beziehung, die sich als dreiwertige Form
darstellen lässt, dann ergibt ihre Entfaltung tatsächlich eine Art von
Netzwerk. Dieses lässt sich aber nicht einfach, wie eine Karte flach
ausbreiten. Um ein reibungsloses Gleiten in der Form zu ermöglichen, muss das
rekursive Netzwerk von Unterscheidungen in sich selbst zurückgefaltet werden, um
sowohl genügend Redundanz als auch genügend Varietät zur Verfügung zu stellen –
vereinfacht gesagt, um genügend Bewegungsfreiheit bzw. Informationsfreiheit
beim Gleiten zu haben. Spencer-Browns Notation stellt einen Versuch dar, dieses
Netzwerk darzustellen. Inwieweit die Notation auch für soziologische
Beobachtungen angewendet werden kann, kann an diese Stelle nicht geklärt
werden. Mithin wird aus dieser
informationstheoretischen Perspektive auch sichtbar, wieso es Latour nicht
gelingt diesen Sachverhalt weiter zu präzisieren. Ihm stehen zum einen nicht
die begrifflichen Mittel zur Verfügung, um auf dieser kommunikationstheoretischen
oder semiologischen Ebene anzusetzen. Zum anderen verleitet ihn seine Methode,
über Metaphern Theoriebildung zu betreiben, dazu alle kommunikations- und
sprachwissenschaftlich akzeptierten Allgemeinplätze über Bord zu werfen. Das führt
letztlich dazu, dass er versucht Grenzen zu überschreiten, die nicht
überschritten werden können.
[13] Durkheim (vgl. 1981) und mit
ihm Collins (vgl. 2005) würden an dieser Stelle von Efferveszenz sprechen.
Ebenso muss Goffmans action (vgl.
1986) in diesem Kontext gelesen werden.
[14] Der erste Fall trat beim
Übergang von der Form zur Information auf. Siehe Abschnitt VII. Die Form der
Form wurde auf sich selbst angewendet und als Information entfaltet. Nun wird
die Form der Information auf sich selbst angewendet und als Sinn entfaltet.
[15] Auch an dieser Problemstelle
macht es sich die ANT zu einfach, wenn sie von Plug-Ins spricht (vgl. Latour
2010, S. 352 – 368). Bei diesen Plug-Ins handelt es sich um das, was hier als
Unterscheidungen beschrieben wurde. Die Plug-In-Metapher suggeriert, dass man
sich einfach mal ein paar Plug-Ins aus der Umwelt runterladen kann und schon
hätte man lokale Handlungskompetenz. Schon der Vorgang des Runterladens stellt
sich praktisch wesentlich schwieriger dar, denn es handelt sich dabei um Lern-
und Anpassungsprozesse von operativ geschlossenen Systemen. Die
Plug-In-Metapher suggeriert dann auch dass eine ebenso schnelle Deinstallation von
nutzlos gewordenen Plug-Ins möglich sei. Bei kurzweiligen Moden mag dies noch
zutreffen. Sobald es sich aber um über Jahre oder Jahrzehnte eingeübte
Beobachtungsgewohnheiten handelt, gestaltet sich der Prozess des Vergessens weitaus
schwieriger als das Lernen. Wäre es so einfach, wie Latour es mit der Plug-In-Metapher
darstellt, wären alle Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten sofort
arbeitslos. So bleibt denn auch völlig unklar, wie sich mit der ANT Lernprozesse konzeptualisieren lassen. Gerade wenn man sich ausmalt,
welche sozialpsychologischen Implikationen die ANT hat, wird die geradezu
bestürzende Naivität deutlich.
[16] Siehe zur Nicht-Modernität
der ANT Fußnote 7 im Text „Doppelte
Kontingenz und die Schematismen der Interaktion“.
Literatur
Bateson, Gregory (1982): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt am Main
Bateson, Gregory (1985): Double bind, 1969. In: ders: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt am Main. S. 353 – 361
Collins, Randall (2005): Interaction Ritual Chains. Princeton
Csikszentmihaly, Mihaly (2010): Flow. Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart 15. Auflage
Durkheim, Emile (1981): Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt am Main
Goffman, Erving (1986): Wo was los ist – wo es action gibt, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt am Main. S. 164 – 292
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James, William (2006a): Eine Welt der reinen Erfahrung. In: ders:
Pragmatismus und radikaler Empirismus. Frankfurt am Main. S. 28 – 57
James, William (2006b): Wie sich zwei Geister eines Dinges bewußt sein können. In: ders: Pragmatismus und radikaler Empirismus. Frankfurt am Main. S. 77 – 84
Latour, Bruno (2008): Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt am Main
Latour, Bruno (2010): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main
James, William (2006b): Wie sich zwei Geister eines Dinges bewußt sein können. In: ders: Pragmatismus und radikaler Empirismus. Frankfurt am Main. S. 77 – 84
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Luhmann, Niklas (1987): Tautologie und Paradoxie in den
Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. In: Zeitschrift für Soziologie
Jg. 16 Heft 3, S. 161 - 174
Luhmann, Niklas (1991): Sthenographie und Euryalistik. In: Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, K. Ludwig (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen und Sinnzusammenbrüche. Frankfurt am Main. S. 58 – 82
Luhmann, Niklas (1992): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1993): Die Paradoxie der Form. In: ders: Aufsätze und Reden. Stuttgart. S. 243 – 261
Luhmann, Niklas (1995): Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (2005a): Über die Funktion von Negation in sinnkonstituierenden Systemen. In: ders: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. Wiesbaden 4. Auflage. S. 41 – 57
Luhmann, Niklas (2005b): Handlungstheorie und Systemtheorie. In: ders: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. Wiesbaden 4. Auflage. S. 58 - 76
Luhmann, Niklas (2005c): Haltlose Komplexität. In: ders: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. Wiesbaden 3. Auflage. S. 58 - 74
Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen der Moderne. Frankfurt am Main
Rosa, Hartmut (2012): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik. Frankfurt am Main
Serres, Michel (1987): Der Parasit. Frankfurt am Main
Simon, Fritz B. (1999) Unterschiede, die Unterschiede machen. Klinische Epistemologie: Grundlagen einer systemischen Psychiatrie und Psychosomatik. Frankfurt am Main. 3. Auflage
Spencer-Brown, George (1997): Laws Of Form. Gesetze der Form. Lübeck
Turner, Victor (2005): Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Frankfurt am Main
Luhmann, Niklas (1991): Sthenographie und Euryalistik. In: Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, K. Ludwig (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen und Sinnzusammenbrüche. Frankfurt am Main. S. 58 – 82
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Spencer-Brown, George (1997): Laws Of Form. Gesetze der Form. Lübeck
Turner, Victor (2005): Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Frankfurt am Main
Ein sehr lehrreicher Text. Aufgefallen ist mir diese Stelle:
AntwortenLöschen"Die Darstellung ist von der Grundannahme geprägt, dass es im Anbetracht der weiteren Theorieentwicklungen nach dem Tode Luhmanns noch zu viele Unklarheiten hinsichtlich der einzelnen Teile der Systemtheorie und ihrer Beziehungen zueinander gibt."
Wodurch rechtfertigt sich die Annahme, dass durch eine Euryalistik Unklarheiten beseitigt werden können? Warum überhaupt sind Unklarheiten problematischer als Klarheiten? Warum Unklarheiten vermeiden, warum nicht auch Klarheiten, zumal Kommunikation beides herstellen muss, damit Kommunikation darüber möglich ist?
Nüchtern betrachtet würde ich annehmen, dass Paradoxien und der Umgang mit ihnen geradezu erzwingt, dass die operative Balance zwischen Klarheit und Unklarheit gar nicht eingehalten werden kann, dies als Voraussetzng dafür, dass Ordnung möglich wird. Ordnungsfindung wird ja nicht durch Unklarheiten behindert oder blockiert. Eher im Gegenteil scheint viele dafür zu sprechen, dass ohne eine Differenz zwischen Klarheit und Unklarheit Ordnung kaum entstehen könnte.
Und außerdem, genauso prinzipiell gefragt: wie kommt man zu der Festellung, eine Theorie enthalte zuviele Unklarheiten? Und nicht auch zuviele Klarheiten?
Euryalistik ist ein Versuch Unklarheiten zu beseitigen, wo es notwendig sein könnte. Es gibt natürlich keine 100%ige Sicherheit, sondern ist immer geprägt von Versuch und Irrtum. Ob es eine operative Balance zwischen Klarheit und Unklarheit gibt, weiß ich nicht. Ich würde diesbezüglich lieber von der dreifachen Kontingenz jedes Ereignisses sprechen.
AntwortenLöschenNeben der operativen Paradoxie der Form gibt es ja noch, die durch re-entry oder double bind erzeugten Paradoxien. Warum das soziologisch relevant ist, werde ich voraussichtlich im nächsten Beitrag behandeln. Es betrifft natürlich die Bildung von Erwartungen.
Dass Luhmanns Systemtheorie noch zu viele Unklarheiten enthält, ist mein persönlicher Eindruck. Warum ich das so sehe, hatte ich eigentlich versucht im Text anzugeben. Ich habe bei Luhmann an keiner Stelle eine so klare Abgrenzung bzw. Präzisierung der Beziehung zwischen Kommunikationstheorie und Informations-/Beobachtungstheorie gelesen - zumindest ist mir keine bekannt. Möglicherweise kann man mir vorwerfen, dass das, was ich da geschrieben habe, nicht neu ist, sondern, dass man das alles schon bei Luhmann lesen kann. Soweit ich sehen kann, hat aber noch niemand auf diese Art die Aufmerksamkeit auf Luhmanns Systemtheorie und auch auf empirische Phänomene gerichtet - also beobachtet. Speziell der Aspekt der Aufmerksamkeitsfokussierung scheint mir sehr unterbelichtet zu sein.
Wo siehst Du zu viele Klarheiten bei Luhmann?
"Wo siehst Du zu viele Klarheiten bei Luhmann?"
AntwortenLöschenDas kann ich nicht sagen.
Was ich sagen will ist: nachdem es mit Luhmann nun gelungen ist, Selbstreferenz, Tautlogien und Paradxoien für eine Theoriebildung nicht mehr zu vermeiden, werden nun die Vermeidungsversuche nichtetwas aufgegeben, sondern sie werden auf einen Punkt verlagert, der genauso aussichtslos ist, aber trotzdem noch einmal ventiliert wird. Dieser Punkt betrifft die Schaffung von Klarheit. Jetzt soll immer noch Unklarheit vermieden werden, und dies obgleich bei Nichtvermeidung von Selbstreferenz, Tautologien und Paraxdoxien dieses Geschäft nun vollendes aussichtslos ist.
Das Argument lautet, dass für eine Ordnungsbildung Klarheit nicht wichtiger ist als Unklarheit; dass also auch genügend Unklarheiten zustande müssen, damit Ordnung gelingt. Andersherum mag das nicht gelten, dass für die Bildung Unordnung genügend Klarheiten gebraucht würden, jedenfalls müssten auch im Fall von Unordnung immer noch genügend Klarheiten für Systeme auffallen, damit dann doch wieder Ordnung entstehen kann.
Daraus folgt eher die Frage nach der Beobachtung von Ordnung und Unordung und weniger die Absicht, für Klarheit zu sorgen. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist: wenn ich mir Luhmanns Schriften angucken finde ich immer beides: genügend Klarheiten und Unklarheiten. Und kann mir unmöglich einbilden, dass ich beides weder auf den Autor noch auf mich als Leser zurechnen müsste, weil für jeden Leser etwas anderes klar oder unklar bleibt. Also rechne ich dies auf Kommunikation zu und nur darauf.
Ich vermute nun, dass Luhmann darauf vorbereitet war und seine Schriften für die Kommunikation geschrieben hat, nicht für Leser, woraus man ableiten kann, dass für den Erfolg der Theorie Klarheiten wie Unklarheiten unbedingt gebraucht werden, wenn die Plausibilisierung durch Anschlussdiskusion erbracht wird und nicht durch Wahrheit.
Und dann wundert es nicht, dass viele Unklarheiten zustande kommen, aber es wundert der Versuch, noch einmal mit der aussichtslosen Findung von Klahrheit anzufangen.
Das ist sehr beachtlich.
Nun ja, dass Texte ein Thema niemals erschöpfend behandeln können, soviel sollte doch wohl klar sein. Insofern kann immer irgendwie an einen Text angeschlossen werden.
AntwortenLöschenWas ich mit Klarheit im speziellen Fall von Luhmanns Theorie gemeint habe, habe ich versucht anzugeben. Ich würde Klarheit allerdings nicht in dem generalisierten Sinne verwenden, wie Du es tust. Da muss ich wiederum zurückfragen, was verstehst Du unter Klarheit, was über ein Alltagsverständnis von Eindeutigkeit oder Verständlichkeit hinausgeht? Was ich hinsichtlich der erschöpfenden Behandlung eines Themas im Rahmen eines Textes geschrieben habe, gilt ja im Prinzip auch für Kommunikation allgemein. Kein Kommunikationsereignis kann erschöpfend über etwas informieren und genau deswegen geht's weiter.
Das würde ich aber strikt von der Frage nach sozialer Ordnungsbildung trennen, denn dabei geht es um die Bildung von Erwartungen. Dann geht es nicht um Klarheit, sondern um Unterschiede, die Unterschiede machen. Und das kann, abhängig vom Beobachter, sehr verschieden sein. Ebenso geht es dann nicht mehr darum Paradoxien zu vermeiden, sondern damit umzugehen. Denn es wird immer mal wieder vorkommen, dass man auf Paradoxien bzw. blinde Flecke hin beobachtet und damit konfrontiert wird. Ob die angebotene Lösung dann andere Beobachter überzeugt, ist schon die nächste Frage. Auch aus diesem Problem ließen sich genug Gründe herleiten Kommunikation immer weiter fortzusetzen. Aber es lassen sich auch genauso viele Gründe finden nicht mehr weiter zu machen.
Anders ausgedrückt, geht es um die positive oder negative Rückkopplung von Erwartungen. Da man sich nicht ewig mit demselben Sachverhalt rumschlagen kann, handelt man sich damit allerdings auch das Risiko der Exklusion ein.
Mal eine andere Frage: Was wird durch die Unterscheidung von Normalität und Seltsamkeit durch Ausschluss eingeschlossen?
AntwortenLöschenHervorragende Analyse! Man merkt auch Ihre praxische Erfahrung, die in die Theorie einfließt und diese zu entfalten versteht.
AntwortenLöschenWenn ich diesen Abschnitt zugrunde lege,
"Um ein reibungsloses Gleiten in der Form zu ermöglichen, muss das rekursive Netzwerk von Unterscheidungen in sich selbst zurückgefaltet werden, um sowohl genügend Redundanz als auch genügend Varietät zur Verfügung zu stellen – vereinfacht gesagt, um genügend Bewegungsfreiheit bzw. Informationsfreiheit beim Gleiten zu haben. Spencer-Browns Notation stellt einen Versuch dar, dieses Netzwerk darzustellen. Inwieweit die Notation auch für soziologische Beobachtungen angewendet werden kann, kann an diese Stelle nicht geklärt werden."
dann stelle ich die These auf, dass Spencer-Brown's "Notation" dieses Netzwerk auf vergleichsweise einfache Art und Weise auch mit Heinz von Foerster's Ansatz sowie Maturana/Varela's "Baum der Erkenntnis" zusammenzubringen sind.
Komplexität kann einfach sein, wenn man sie nicht immer wieder trivialisierend verkompliziert. Und auf dieser Basis können auch die "Laws of Form" als Instrument für soziologische Beobachtungen in korrekter Form angewendet werden. Und können auch dazu dienen, die schier unausrottbaren synaktischen Verdrehungen und Verzerrungen durch falsche Anwendung von Begriffen aufzudröseln, damit Information anschließend auch wieder Sinn macht.
Denn gerade hierin liegt in der Regel der Hund begraben:
"Was in der Theorie so einfach klingt, gestaltet sich in der Praxis jedoch immer wieder als äußerst schwierig - spätestens wenn es um die Selbstreflexion geht."
Die Vorstellungen eines Beobachters sein operatives Kalkül folge auch den Anweisungen den "Laws of Form" in Selbstreferenz, erweist sich in der Tat zumeist als ein und dasselbe Dilemma, das lediglich etwas anders verpackt erscheint:
"Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.
Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt vorauszusetzen und es sich ebenso gefallen zu lassen; mit allem Hin- und Herreden kommt solches Wissen, ohne zu wissen wie ihm geschieht, nicht von der Stelle.
Hegel, Vorrede zur Phänomenologie des Geistes
Üblicherweise wird der Erste Kanon allzu gerne unterschlagen, obgleich er zum Kern der "Laws of Form" führt.
“ERSTEN KANON. VEREINBARUNG ÜBER DIE ABSICHT.
Laß den ZWECK eines Signals (einer Botschaft, eines Textes, einer Abhandlung, einer Handlung, eines operativen Vorgehens etc.) auf dessen VERWENDUNG BESCHRÄNKT sein.
Im Allgemeinen: „WAS NICHT ERLAUBT IST, IST VERBOTEN“.”
("Laws of Form", Vorwort zur Internationalen Ausgabe, S. X)
Dieser Hinweis ebenso:
“Mit anderen Worten geht dieser Text NIRGENDWO nach der SELBSTBETRÜGERISCHEN Methode von GEREDE und INTERPRETATION vor, sondern nach der SELBSTKORRIGIERENDEN FORM von Befehl und Betrachtung.“
Es empfiehlt sich schon, die Anweisungen zunächst lesen, sonst fällt ein Beobachter, der die Anweisungen zur Übernahme von Eigenverantwortung in Selbstreferenz nicht beachtet, bereits vom Ansatz her auf die Nase. Mit etwas Übung ist dies auf einen Blick erkennbar.
Diese Handwerkskunst muss man, gerade wenn es sich um Grundlagen der Kommunikation dreht schon beherrschen.
Kunst wird auch dann nicht zur Kunst, wenn man es anschließend dranschreibt.
"IN DER TAT beginnt die gesamte Disziplin der Kunst dort, wo der denkende Theoretiker aufhört" (George Spencer-Brown)
Ihnen herzlichen Glückwunsch für Ihre Arbeit.
Bleiben Sie auf der begonnenen Spur. Die Einheit der Zwei-Seiten-Form in ihrer konditionierten Struktur ist vergleichsweise einfach zu verstehen.
Der Rest per mail
Vielen Dank für den ermutigenden Kommentar.
AntwortenLöschen"dann stelle ich die These auf, dass Spencer-Brown's "Notation" dieses Netzwerk auf vergleichsweise einfache Art und Weise auch mit Heinz von Foerster's Ansatz sowie Maturana/Varela's "Baum der Erkenntnis" zusammenzubringen sind.
Komplexität kann einfach sein, wenn man sie nicht immer wieder trivialisierend verkompliziert. Und auf dieser Basis können auch die "Laws of Form" als Instrument für soziologische Beobachtungen in korrekter Form angewendet werden. Und können auch dazu dienen, die schier unausrottbaren synaktischen Verdrehungen und Verzerrungen durch falsche Anwendung von Begriffen aufzudröseln, damit Information anschließend auch wieder Sinn macht."
Grundsätzlich gehen meine Überlegungen in eine ähnliche Richtung. In wie weit von Förster und Maturana/Varela noch das Potential haben, meinen Ansatz zu präzisieren kann ich nicht beurteilen. Kann Ihre These irgendwo nachgelesen werden?
Dirk Baecker verdanke ich den wichtigen Hinweis, dass mein Ansatz sehr stark Nathaniel S. Hellerstein's Diamond Logic ähnelt. Siehe hier die Kommentare:
http://catjects.wordpress.com/2013/04/02/george-spencer-brown-wird-90/
Der wichtige Unterschied zu Hellerstein ist, dass er anscheinend Spencer-Browns "Laws Of Form" nicht kennt und statt nach der Einheit der Unterscheidung bzw. des Paradox zu fragen, nur das Paradox variiert. Bei einer Visualisierung tritt der Netzwerkcharakter deutlich hervor. Meine eigene "Notation" - sofern man das überhaupt so nennen kann - geht in diese Richtung. Im Prinzip ist es nicht mehr als Mindmapping auf der Grundlage der dreiwertigen Form. Die Spielregeln stehen oben.