Der
letzte Blog-Beitrag endete mit der Beobachtung, dass durch das Internet die
technischen Möglichkeiten der Beobachtung von Beobachtern immens erweitert
wurden und die Gesellschaft sich deswegen mit einem unglaublichen Maß an
selbsterzeugter Kontingenz konfrontiert. Dem gegenüber hat sich aber ein
Bewusstsein für die damit verbundene gewollte oder ungewollte Anziehung der
Aufmerksamkeit noch nicht in ausreichendem Maße gebildet obwohl Beobachtbarkeit
an sich nichts grundsätzlich Neues ist. Dieses Bewusstsein wurde auch als
Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit bezeichnet. Das mag zunächst eine recht
magere Diagnose sein. Berücksichtigt man aber, dass man sich hier auf
gesellschaftstheoretischer Ebene bewegt und von Funktions-, Organisations- und
Interaktionssystemen abgesehen wird, dann lässt sich nicht mehr sagen.
Gesellschaft ist das umfassende System. Außerhalb der Gesellschaft gibt es
keine sozialen Systeme. Die eingenommene Perspektive abstrahierte somit von
jeglichen Beobachtungsverhältnissen, weil es keine Fremdbeschreibungen von
gesellschaftsexternen Beobachtern geben kann. Bevor die innergesellschaftlichen
Beobachtungsverhältnisse in den Blick genommen werden, soll zunächst
verdeutlicht werden was mit Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit [1] gemeint ist
bzw. wie sich diese im Alltag bemerkbar macht.
Fast jeder musste in der Schule oder an der Universität schon mal einen Vortrag halten. Und die meisten werden dieses mulmige Gefühl kennen, das einen bei der Vorstellung überkommt sich vor einer Gruppe von Leuten produzieren zu müssen. Landläufig wird dieses Gefühl auch Lampenfieber genannt. Das Lampenfieber kann in seiner Intensität variieren, je nachdem wie viele Personen man im Publikum kennt und wie groß das versammelte Publikum ist. Im schlimmsten Fall geht es aber so weit, dass es das Bewusstsein blockiert und man nicht in der Lage ist den Erwartungen des Publikums zu entsprechen. Die Rahmung einer Vortragssituation durch die Teilung in Vortragenden und Publikum macht dem Vortragenden bewusst, dass er nun im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Psychisch gesehen, wird die Aufmerksamkeit des Vortragenden völlig von dieser Vorstellung eingenommen. Auf diese Art macht sich für jeden, der sich in solch einer Situation befindet, das bemerkbar, was hier als Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit bezeichnet wurde. Ursache dieser psychischen Blockade ist die Angst vor einer Blamage. Blamieren ist jedoch ein sozial induziertes Problem und resultiert aus den Beobachtungsverhältnissen – genauer aus der Differenz zwischen Selbstbeschreibung des Vortragenden und Fremdbeschreibung des Publikums – die vom Vortragenden als eine Beschädigung des eigenen Images wahrgenommen wird.
Fast jeder musste in der Schule oder an der Universität schon mal einen Vortrag halten. Und die meisten werden dieses mulmige Gefühl kennen, das einen bei der Vorstellung überkommt sich vor einer Gruppe von Leuten produzieren zu müssen. Landläufig wird dieses Gefühl auch Lampenfieber genannt. Das Lampenfieber kann in seiner Intensität variieren, je nachdem wie viele Personen man im Publikum kennt und wie groß das versammelte Publikum ist. Im schlimmsten Fall geht es aber so weit, dass es das Bewusstsein blockiert und man nicht in der Lage ist den Erwartungen des Publikums zu entsprechen. Die Rahmung einer Vortragssituation durch die Teilung in Vortragenden und Publikum macht dem Vortragenden bewusst, dass er nun im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Psychisch gesehen, wird die Aufmerksamkeit des Vortragenden völlig von dieser Vorstellung eingenommen. Auf diese Art macht sich für jeden, der sich in solch einer Situation befindet, das bemerkbar, was hier als Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit bezeichnet wurde. Ursache dieser psychischen Blockade ist die Angst vor einer Blamage. Blamieren ist jedoch ein sozial induziertes Problem und resultiert aus den Beobachtungsverhältnissen – genauer aus der Differenz zwischen Selbstbeschreibung des Vortragenden und Fremdbeschreibung des Publikums – die vom Vortragenden als eine Beschädigung des eigenen Images wahrgenommen wird.
Erving Goffmann definiert Image als den positiven sozialen Wert,
den man sich aufgrund des eigenen Verhaltens erwirbt und von dem andere
annehmen man verfolge ihn (Goffman 1986a). Das Image entsteht in der
Interkation mit anderen und in Abhängigkeit von den Images der anderen
Interaktionspartner. Die Aufrechterhaltung dieses positiven Wertes kann also
nicht vom Träger allein kontrolliert werden, sondern hängt auch vom Verhalten
der anderen Anwesenden ab. Damit ist das Image also nichts a priori Gegebenes
sondern ein Produkt der Interaktion selbst und insofern ein soziales Konstrukt.
In dieser Hinsicht gibt es eine Überschneidung mit dem Begriff der Person bei Niklas Luhmann. Person ist
die Form mit der Menschen von sozialen Systemen beobachtet werden. In diesem
Sinne werden auch Personen sozial konstruiert. Personenkonstruktionen sind aber
selbst keine Systeme. Über die Form „Person“ können Menschen thematisiert
werden und sie schränkt Verhaltensmöglichkeiten ein (Luhmann 1991). Menschen
gewinnen nur über die Form „Person“ Relevanz für soziale Systeme. Sie werden in
gewisser Weise für soziale Systeme adressierbar. Deswegen wird die Form
„Person“ auch als soziale Adresse (Fuchs 1997) bezeichnet. Aber auch die Form „Person“ kann von ihrem jeweiligen
Träger nicht kontrolliert werden, sondern ist das Produkt der Selbstbeobachtung
des Trägers und der Fremdbeobachtung der Kommunikationspartner. ebenso wie beim Image ist
man bei der Aufrechterhaltung der sozialen Adresse auf die Kooperation der
beteiligten Kommunikationspartner angewiesen. Deswegen werden die Begriffe Image, Person und soziale Adresse im Folgenden synonym verwendet [2]. Jeder Mensch benötigt eine soziale
Adresse um an Kommunikation teilnehmen zu können. Damit wird Adressabilität (Fuchs
1997) und Imagepflege (Goffman 1986a) [3] zu einem sozialen Problem mit
gesamtgesellschaftlicher Reichweite.
Um genauer zu beschreiben in
welcher Form Beobachtbarkeit zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem werden
kann, soll im Folgenden auf Luhmanns Bestimmung der Begriffe Risiko und Gefahr
zurückgegriffen werden (2005b, S. 140). Luhmann
bezeichnet mit Risiko den Fall in dem
der Verursacher eines Schadens zugleich der Betroffene ist. Für den Betroffenen
stellt der mögliche Schaden ein Risiko dar. Gefahr
bezeichnet dagegen den Fall in dem der Verursacher nicht der Betroffene des
Schadens ist. Für den Betroffenen stellt der mögliche Schaden eine Gefahr dar.
Die Unterscheidung von Risiko und Gefahr dient also zur Beobachtung der
Zukunft. Wenn das eigene Image auch von den Kommunikationspartnern abhängig
ist, besteht die Möglichkeit einer Imageverletzung durch die
Kommunikationspartner. Dies kann von grober Beleidigung bis zu subtilen
Taktlosigkeiten reichen. In diesem Fall ist der Verursacher der Imageverletzung
jemand anderes und der Imageträger der Betroffene. Sich an Kommunikation zu
beteiligen und sich damit der Beobachtbarkeit auszusetzen, impliziert damit die
Möglichkeit, dass man Gefahr läuft, dass das eigene Image verletzt wird. Dem
gegenüber gibt es aber auch die Möglichkeit dass man selbst der Verursacher
einer Imageverletzung sein kann. Dazu können Handlungen zählen die dem bisher
verfolgten Image widersprechen und es damit desavouieren. Dazu kann aber auch
die oben beschriebene Vortragsituation zählen, in der ebenfalls das eigene
Verhalten das Image beschädigt. Sich an Kommunikation zu beteiligen und sich
der Beobachtbarkeit auszusetzen, bedeutet also auch, dass man das Risiko einer
Imageverletzung in Kauf nehmen muss. Das Vorangegangene wurde zunächst im
Hinblick auf Interaktionssituationen formuliert und mit Hilfe der Begriffe
Risiko und Gefahr in eine Problembeschreibung gebracht [4].
Im Anschluss an den vorherigen
Blog-Beitrag, in dem von der Annahme ausgegangen wurde, dass sich
Kommunikation zwischen Anwesenden und Kommunikation zwischen Abwesenden nur
unter der Bedingung der Beobachtbarkeit vollzieht, stellt Beobachtbarkeit für
die Beteiligten entweder eine Gefahr oder ein Risiko dar. Wenn das Internet lediglich die Beobachtungsmöglichkeiten erweitert,
dann erweitert es auch die Gefahren und Risiken für Imageverletzungen. Daran
anschliessend, lässt sich nun die These formulieren, dass jede technische Innovation des Internets unter dem Gesichtspunkt
diskutiert wird, welche Gefahren und Risiken für die sozialen Adressen von
Menschen bestehen [5]. Diese These soll an drei Beispielen von bekannten
Internetdiensten plausibilisiert werden: Google Street View, Facebook und
youtube.
Das erste Beispiel, das unter
dieser Prämisse betrachtet wird, ist Google
Street View. Die Idee von Google Street View besteht darin, dass man die
herkömmlichen Landkarten durch das abfotografierte Gelände ersetzt. Durch die
Kombination der Fotos zu einem einzigen entsteht nicht nur eine Karte, sondern
man bekommt die Möglichkeit am Computer durch das abfotografierte Gelände zu
scrollen. Vereinfacht ausgedrückt, kann man statt vor die Haustür zu gehen nun
auch einen virtuellen Spaziergang unternehmen ohne sich vom Sofa erheben zu
müssen. Das ist praktisch, wenn man sich zum Beispiel vor einer anstehenden
Wohnungsbesichtigung schon mal ein Bild von der Wohngegend machen möchte.
Von einem interaktionstheoretisch
orientierten Standpunkt aus, mutete die Diskussion um Google Street View recht
absurd an, da Google Street View nichts Neues möglich machte, sondern nur Altes
in einer technisch neuen Form. Für jeden Passanten ist eine Hausfassade
sichtbar und diese Sichtbarkeit wurde niemals als Problem beobachtet. Dies
geschah erst vor dem Start von Google Street View als über das Fotografieren
von Straßenzügen informiert wurde. Das Abfotografieren wurde als Eingriff in
die Privatsphäre gesehen. Die Skepsis gegenüber Google Street View bezog sich auf die Möglichkeit,
dass durch das Abfotografieren einer Hausfassade und der Zugänglichkeit dieser
Abbildung im Internet Informationen über die Einwohner des abgebildeten Hauses
beobachtbar werden, die das Image der Einwohner beschädigen könnten. Was sich
eigentlich geändert hat, wenn die Hausfassade nicht durch einen Passanten
besichtigt wird sondern fotografiert wird, wurde durch die Protestierenden nie
expliziert. Mit dem Start von Google Street View legte sich die Aufregung
schnell wieder. Ob dies an der Möglichkeit der Verpixelung lag oder sich
einfach der Erkenntnis verdankte, dass mit diesem Onlinedienst nichts
qualitativ Neues eingeführt wurde, kann an dieser Stelle offen gelassen werden.
Bei der Einführung ähnlicher Dienste durch konkurrierende Anbieter blieb
jedenfalls jeglicher Protest aus.
Unter der hier angelegten
theoretischen Perspektive ist an der Diskussion um Google Street View
interessant, dass plötzlich etwas als Problem beobachtet wurde, was vorher
selbstverständlich war. Dies konnte vermutlich nur geschehen, weil sofort die
Gefahr der (Fremd-)Beobachtbarkeit gesehen wurde ohne kritisch zu hinterfragen,
dass der Grad an Öffentlichkeit, der hergestellt wurde, sich nicht von dem
unterscheidet, was ohne Google Street View möglich ist. Es scheint sich hierbei
um einen Effekt zu handeln, der eintrat als sich die Aufmerksamkeit auf die
Aufmerksamkeitsfokussierung richtete. Dabei ging es nicht mal um die stattgefundene
Verletzung von konkreten Adressen sondern nur um die Möglichkeit der
Fremdbeobachtung [6].
Während die Aufregung um Google
Street View aus heutiger Sicht unberechtigt war, kann man dies über das zweite
Beispiel nicht sagen. Die bekannt gewordenen Fälle von Cyber-Mobbing über Facebook belegen, dass die Gefahr
durchaus real ist. Im Gegensatz zu Google Street View, dessen Zweck es niemals
war Personen zu beobachten, ist das im Grunde die Idee von Facebook. Schaut man
sich die Geschichte von Facebook an, so ging es aus dem Vorgänger facemash
hervor. Dabei handelte es sich noch nicht um ein soziales Netzwerk, sondern um
eine Plattform zur Bewertung der Attraktivität von Personen. Hier steht schon
klar die Beobachtung im Vordergrund – allerdings die Fremdbeobachtung, die in
diesem Fall sicherlich aufgrund der Imageabwertungen von vielen als Gefahr
gesehen wurde. Mit Facebook wird von Fremdbeobachtung auf Selbstbeobachtung
umgestellt. Nun hat man die Möglichkeit ein Profil anzulegen und selbst zu
gestalten. Man fertigt auf diese Weise eine Beschreibung von sich selbst an.
Zugleich ist dieses Profil eine Art soziale Adresse. Die Besonderheit besteht
darin, dass sie im Gegensatz zu einer Postadresse delokalisert ist und im
Prinzip eine weltweite Erreichbarkeit für registrierte Nutzer von Facebook realisiert.
Das heißt aber auch, dass man selbst das
Risiko der Beobachtung eingeht. Dieses Risiko hat auch Facebook erkannt und die
Funktion der Privatsphäre-Einstellungen eingeführt, die es jedem selbst
überlässt in welchem Maße man dieses Risiko eingehen möchte. Konkret kann jeder
Facebook-Nutzer einstellen mit wem er Informationen über sich teilen will.
Nimmt man allerdings die Warnung von Facebook ernst, dass man nur
Freundschaftsanfragen von Personen annehmen soll, die man kennt, würde das im
Prinzip dazu führen, dass auf Facebook lediglich die bestehenden Beziehungen
zwischen Interaktionspartnern abgebildet werden. Im Zuge der Berichterstattung
über Daten-Lecks und Mobbingfälle via Facebook scheint das Risikobewusstsein zu steigen und die
Nutzer ziehen die Grenzen ihrer Facebook-Privatsphäre schärfer als noch zu
Anfangszeiten von Facebook [7]. Es ist also zu erwarten, dass
Beobachtungsmöglichkeiten der sozialen Adresse via Facebook wieder
eingeschränkt werden. Man kann dies schon fast als eine Art der Imagepflege via
Facebook bezeichnen.
Unter dem Gesichtspunkt der
Imagepflege springt noch eine weitere Funktion ins Auge: der Like-Button. Dieser
ermöglicht es seine geschmacklichen Vorlieben seinen Freunden mitzuteilen:
welche Musik, welche Filme, welche Bücher, welches Essen etc. Die Konstruktion
der eigenen Adresse erfolgt damit nur über positive, bejahende Informationen.
Man kann auf diese Art Überschneidungen in den Interessen mit anderen Freunden
finden und so affektiv besetzte Sinngehalte emotional verstärken – im Idealfall
daran anschließend auch in Face-to-Face-Begegnungen. Facebook lässt jedoch
keine entsprechende Beobachtung über geteilte Abneigungen zu. Möglicherweise
ist das eine Präventivmaßnahme nach den Erfahrungen mit facemash. Was auch
immer dahintersteckt, nach den Erfahrungen mit Shitstorms, also Empörungs- oder
Hasswellen via Internet, bekommt man eine Vorstellung davon, was dadurch
vermieden wird. Neben den Imageverletzungen wird auch gegen die Kommunikation
negativer Gefühle und Ressentimentbildung via Facebook vorgebeugt. Ganz verhindern
kann man derartige Kommunikation zwar nicht, aber Facebook lenkt auf diese
Weise die Aufmerksamkeit seiner Nutzer auf die positiven Seiten des Lebens.
Man kann dies als die gute Seite
von Facebook betrachten. Dem gegenüber gibt es noch eine dunkle Seite. Nach wie
vor steht Facebook unter dem Verdacht, dass es Daten über seine Nutzer sammelt
und diese unter Nichtbeachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen kommerziell
verwertet. Unklar ist aber welche Daten Facebook sammelt und wie diese
verwertet werden. Aufgrund unterschiedlicher nationaler Datenschutzrichtlinien
variiert die Sammlung und Verwertung wahrscheinlich schon zwischen einzelnen
Ländern. Welche Konsequenzen das auf einzelne Nutzer hat, ist ebenso unklar. Insofern
lässt sich kaum etwas über diese Gefahr der Fremdbeobachtung sagen. Bekannt ist
nur, dass nicht nur Facebook sondern auch viele Verkaufsportale im Internet die
Nutzungshistorie ihrer Kunden auswertet und aufgrund dessen Kaufempfehlungen
gibt. Bezüglich dieser Form der Kundenbeobachtung wurde die Befürchtung
geäußert, dass ein Ereignis verhindert wird das Serendipität genannt wird.
Es handelt sich dabei um einen glücklichen Zufall, dass man bei der Suche nach
etwas auf etwas anderes stößt, was man eigentlich nicht gesucht hat. Konkret heißt das, die Verkaufsportale
schlagen Produkte vor, die den Kunden interessieren könnten, auf die er aber
selbst vielleicht nicht stoßen wird. Folgt man dieser Logik, bedeutet das im
Umkehrschluss: Produkte, die den Kunden nicht interessieren, wird er vermutlich
nicht suchen und sie werden den Kunden auch nicht interessieren, wenn sie ihm
vorgeschlagen werden. Der Eindruck ist deswegen, dass diese Algorithmen, mit
denen das Kaufverhalten analysiert wird, Serendipität nicht verhindern sondern
fördern sollen. Wie passgenau bzw. erfolgreich die Vorschläge sind, ist eine
andere Frage.
Beobachtet man verschiedene
Plattformen im Internet unter dem Gesichtspunkt, ob diese als Gefahr oder
Risiko beobachtet werden, so zeigte sich, dass Google Street View mehr als
Gefahr wahrgenommen wurde und Facebook sowohl eine Gefahr als auch ein Risiko
darstellt. Das letzte Beispiel ist youtube.
Aufgrund der schlichten Funktion der Bereitstellung der Möglichkeit
audio-visuellen Content zugänglich zu machen, steht hier offensichtlich das
Risiko im Vordergrund, denn man weiß um die Beobachtbarkeit und nutzt youtube
genau zu diesem Zweck. Die Inhalte reichen von Belanglosem bis politisch
Relevantem. Gerade durch letzteres gerät youtube in Konkurrenz zu den
herkömmlichen Massenmedien. Durch die spezifische Selektivität der Massenmedien
und die Aufbereitung der verbreiteten Informationen geht ein Stück
Authentizität der mitgeteilten Informationen verloren. Die Bereitstellung von
Videomaterial aus erster Hand ohne redaktionelle Aufbereitung lässt die
verbreiteten Informationen authentischer erscheinen. Man wird sehen, ob dies
langfristig ein Wettbewerbsvorteil sein wird oder nicht doch eher ein Nachteil.
Der niedrige Professionalisierungsgrad der meisten Produktionen wirkt zwar
irgendwie authentischer zugleich aber häufig auch recht dilettantisch. So lässt
sich zwar die Faktizität des Gefilmten in den meisten Fällen nicht bestreiten –
im Wissen um die technischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung lassen sich Zweifel am Gesehenen aber
nicht völlig ausschliessen. Ohne kommentierende Berichterstattung wäre das
Gesehene für das Publikum nur schwer einzuordnen. Was die Relevanz des
Materials wiederum stark minimiert und im Extremfall nur für die einzuordnen
ist, die bei dem gefilmten Ereignis dabei waren.
Unter der hier angelegten
Perspektive ist jedoch ein anderes Phänomen bedeutsamer. Es geht um die
sogenannten youtube-Stars. Personen, denen es aufgrund ihrer über youtube
verbreiteten Videos gelungen ist eine gewisse Berühmtheit zu erlangen.
Inzwischen gibt es sogar Beratungsangebote für Content-Produzenten, wie sie ihr
Publikum weiter erhöhen können um schließlich die erlangte Aufmerksamkeit
kommerziell zu nutzen. Das heißt aber auch stärkere Professionalisierung der
Produktionsmethoden. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Aufmerksamkeit für
Aufmerksamkeit tatsächlich reflexiv geworden ist, denn man beobachtet andere
Produzenten darauf, wie es ihnen gelingt Aufmerksamkeit zu bekommen um dies
auch für die eigenen Angebote zu nutzen. Bei der so erlangten Aufmerksamkeit
geht es nicht darum wie beobachtet
wird, sondern nur dass beobachtet wird. Dass beobachtet wird, lässt sich an den
Klick-Zahlen ablesen – aber eben nicht wie. Deswegen wird noch nicht von
Beobachtung der Beobachtung gesprochen sondern nur von Aufmerksamkeit für
Aufmerksamkeit. Zwar ist auch das im Vergleich zu den Massenmedien nicht neu.
Neu ist lediglich, dass sich nun auch Amateure auf die Jagd nach Aufmerksamkeit
begeben können und dafür bewusst über youtube die Beobachtbarkeit suchen. Das
Geheimnis wie man Aufmerksamkeit bekommen kann, wird vermutlich noch lange
geheim bleiben. Staunen kann man bis jetzt lediglich darüber womit man alles
Aufmerksamkeit bekommt. Es lässt sich festhalten, dass Beobachtbarkeit mit
youtube gesucht und als Risiko in Kauf genommen wird. Vermutlich liegt darin
auch der Grund, warum youtube weit weniger kritisch gesehen wurde als Google
Street View oder Facebook.
Anhand der drei Beispiele Google
Street View, Facebook und youtube konnte gezeigt werden, dass Beobachtbarkeit
sowohl zur Gefahr als auch zum Risiko für die sozialen Adressen von Menschen
werden kann und auch so beobachtet wird. Je nachdem ob die Aufmerksamkeit
gesucht wird oder nicht, wird Beobachtbarkeit zum Risiko oder zur Gefahr. Imagepflege
gibt es jedoch nicht erst seit dem Internet. Beobachtbarkeit war deswegen nicht
erst seit dem Internet Gefahr und Risiko zugleich. Das Internet erweitert
lediglich die Gefahren und Risiken für Imageverletzungen – aber auch die Chancen
für Bestätigung und Aufwertung einer Person. Das ändert sich auch nicht, wenn
man berücksichtigt, dass Personen in verschiedenen sozialen Kontexten immer nur
durch bestimmte funktionsspezifische Merkmale relevant werden und nicht als
„ganzer Mensch“. Die Gefahr wird darin gesehen,
dass bestimmte Merkmale bzw. Informationen in einem Kontext die
Anschlussfähigkeit in einem anderen gefährden können. Besonders deutlich wird
die Problematik, wenn man daran denkt, dass Personen ein Doppelleben führen
können ohne dass die jeweiligen Interaktionspartner in einem Leben vom anderen
wissen. Würden sie davon wissen, wäre das Image des Betroffenen ruiniert. Auch
das ist nichts Neues und war schon vor dem Internet möglich. Unter diesem
Gesichtspunkt erweitert das Internet nicht nur die Gefahr der Imagebeschädigung
sondern steigert auch die Möglichkeiten sozialer Kontrolle und bindet die
Träger stärker an ein Image. Das Image ist zwar nicht ausschließlich
selbstbestimmt, aber zu einem hohen Maße und bedeutet daher immer auch
Selbstbindung bzw. Einschränkung der Verhaltensmöglichkeiten. Gerade darin sah
Luhmann die Leistung der Form „Person“, weil sie auch ausschließt, was nicht
zur Person gehört (Luhmann 1991, S. 142). In der modernen, funktional
differenzierten Gesellschaft sind soziale Systeme aufgrund ihrer funktionsspezifischen Fokussierung blind für alles was aus der jeweiligen Systemperpektive keinen Informationswert hat. Das ermöglicht allerdings auch größere Freiheiten – also in verschiedenen
sozialen Kontexten aktiv zu sein, die früher für unvereinbar gehalten wurden.
Dafür wird es allerdings notwendig gegen mögliche das Image beschädigende Fremdbeschreibungen
offensiver vorzugehen. Das bedeutet in erster Linie die Relevanz bestimmter
desavouierender Informationen in Frage zu stellen.
Peter Fuchs hat in seinem
Adressabilitäts-Text (1997) die
Vermutung geäußert, dass sich unter der Bedingung funktionaler Differenzierung
der Gesellschaft das Hobbesche Problem sozialer Ordnung neu stellt. Nach den
vorangegangenen Überlegungen lässt sich genauer beschreiben, was das bedeuten
könnte [8]. Wenn Imageverletzungen oder Beschädigungen der sozialen Adresse aus
der Differenz zwischen Selbstbeschreibung und Fremdbescheidung entstehen
können, dann wird der Konflikt zwischen Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung
zum Kampf um die Deutungshoheit des
Selbst. Das ist der Grund warum prominente Personen und viele
Organisationen heute die Dienste von Public-Relations-Managern in Anspruch
nehmen oder eigene PR-Abteilungen einrichten. Aber auch normale Menschen werden
sich diesem Kampf nicht entziehen können, auch wenn sie dabei nicht auf
professionelle Hilfe zurückgreifen können. Wenn sie sozial relevant – also
anschlussfähig – bleiben wollen, müssen sie sich den Gefahren und Risiken von
Beobachtbarkeit stellen. Aus den Studien Goffmans kann man auch lernen, dass dieser Kampf unter Anwesenden häufig gar
kein Kampf ist, sondern kooperative Formen annimmt. Gegenwärtig ist es noch
zu früh Aussagen darüber zu treffen, ob sich die Sitten bei der Kommunikation via Internet
verrohen und tatsächlich mehr Richtung Kampf tendieren. Indizien dafür gibt es
einige und es stellt sich die Frage, ob durch die fehlende Anwesenheit der Beteiligten die Hemmungen, die bei Anwesenden aufgrund der Rücksichtnahme auf die Images der anderen Anwesenden besteht, gesenkt werden? Historisch gesehen, befindet sich die Gesellschaft mit dem Internet
aber immer noch in einer Art Experimentierphase und wird noch einige
Lernprozesse durchlaufen müssen bis ein gelassenerer Umgang mit dem Internet
möglich ist als es heute der Fall ist. Es wird also noch eine Weile dauern bis sich zeigt, ob Imagepflege unter
Abwesenden mehr kämpferische oder kooperative Formen annehmen kann [9].
[1] Es handelt sich hierbei um
einen reflexiven Mechanismus. Vgl. Luhmann 2005a
[2] Damit soll nicht bestritten werden, dass es zwischen dem Image bei Goffman und der Form „Person“ bei Luhmann auch gravierende Unterschiede gibt. Speziell der emotionale Aspekt des Image-Begriffs wird in der Theorie sozialer Systeme nicht abgedeckt.
[3] Adressabilität ist eine
Problemformel bzw. ein Desiderat. Die Notwendigkeit einer sozialen Adresse,
welche sich aus der Funktionsweise von Kommunikation selbst ergibt, wird erkannt
und insofern wird die soziale Adresse für Partizipation an Kommunikation wünschenswert.
Kommunikation stellt zwar auch die Lösung dieses Problems dar, determiniert
aber noch nicht wie das Problem
gelöst wird. Die von Goffman beschriebenen Techniken der Imagepflege sind
Lösungsstrategien, die das Wie der Lösung spezifizieren.
[4] Dass dieses soziale Problem
zu ernsten psychologischen Problemen führen kann, welches die Betroffenen in
die soziale Isolation – also Exklusion –
treiben kann, siehe hier.
[5] Obwohl sich die Überlegungen
nur um die sozialen Adressen von Menschen drehen, gelten diese zu einem
gewissen Grad auch für die sozialen Adressen von Organisationen.
[6] Dass der vorauseilende
Alarmismus der Street-View-Gegner und deren unkonventionelles
Öffentlichkeitsverständnis diese selbst desavouierte, sei noch am Rande
erwähnt.
[7] Um dem Eindruck vorzubeugen,
hier soll die Schlussfolgerung nahegelegt werden, die Mobbingopfer sind selbst
schuld dass sie gemobbt wurden, weil sie ihre Privatsphäre nicht angemessen
eingestellt haben, sei angemerkt, dass in diesen Fällen wahrscheinlich viel Unerfahrenheit
im Umgang mit sozialen Netzwerken mit im Spiel war und die Sensibilität für die Risiken und Gefahren
von Beobachtbarkeit noch nicht sehr ausgeprägt war. Auffällig ist z. B. dass solche
Fälle überwiegend unter Schülern auftreten. Bedenklich ist in diesem
Zusammenhang, dass es inzwischen sogar spezielle Tratsch-Foren gibt, deren
einziger Zweck in der Bereitstellung der Möglichkeit zur gezielten
Imagebeschädigung zu liegen scheint.
[8] Der von Fuchs beschriebenen
Problemkonstruktion wird an dieser Stelle nicht gefolgt, weil sie das
Bewusstsein marginalisiert und das Soziale hypostasiert (Fuchs 1997, S. 77). Dass hier auf den
Image-Begriff von Goffman rekurriert wird, soll die emotionssoziologischen
Implikationen zumindest andeuten, die mit der systemtheoretischen Terminologie
nicht fassbar sind.
[9] Trollen als
Kommunikationsform, die nur im Internet vorkommt, stellt aus dieser Perspektive
eine kämpferische Form dar, da sie häufig auf Imageverletzungen abzielt. Vermutlich
handelt es sich beim Trollen um eine Form von Charakter-Wettkampf. Siehe für
Charakter-Wettkämpfe Goffman 1986b, S. 259 - 280.
Literatur
Fuchs, Peter (1997):
Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie, in: Soziale
Systeme 3, S. 57 – 79
Goffman, Erving (1986a):
Techniken der Imagepflege, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in
direkter Kommunikation, Frankfurt am Main, S. 10 – 53
Goffman, Erving (1986b): Wo was
los ist – wo es action gibt, in ders: Interaktionsrituale. Über Verhalten in
direkter Kommunikation. Frankfurt am Main. S. 164 – 292
Luhmann, Niklas (1991): Die Form
„Person“, in ders: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch,
Wiesbaden 2. Auflage, S. 137 – 148
Luhmann, Niklas (2005a):
Reflexive Mechanismen, in ders: Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur
Theorie sozialer Systeme, Wiesbaden 7. Auflage, S. 116 - 142
Luhmann, Niklas (2005b): Risiko
und Gefahr, in ders: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische
Perspektiven, Wiesbaden 3. Auflage, S. 126 – 162.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen