Die letzten beiden Beiträge
enthielten unter anderem die Beobachtung, dass sowohl die
neueren soziologischen Systemtheorien als auch andere
soziologische Theorien gegenwärtig des Öfteren durch einen Beobachtungsstil
gekennzeichnet sind, den Niklas Luhmann als Gorgonenbetrachtung
bezeichnete (vgl. 1991, S. 58).
Gorgonenbetrachtung bezeichnet den Umgang
mit Paradoxien. Luhmann versuchte verschiedene Möglichkeiten mit Paradoxien
umzugehen anhand der mythologischen Figuren der Gorgonen zu unterscheiden. Die
Gorgonen sind die drei schrecklichen Schwestern, deren Häupter mit Haaren aus
Schlangen besetzt sind. Jeder, der sie anblickt, wird zu Stein erstarren. Diese
Erstarrung ist das Risiko, dem man sich aussetzt, wenn man versucht die
Gorgonen zu betrachten. Und dieses Risiko besteht im übertragenen Sinne ebenso,
wenn man versucht Paradoxien zu beobachten. Es gibt jedoch verschiedene
Möglichkeiten mit diesem Risiko umzugehen. Jede der drei Schwestern steht für
eine bestimmte Form mit diesem Risiko umzugehen.
Medusa, die einzige Sterbliche im Bunde der Drei, konnte durch
Enthauptung getötet werden. Auf Paradoxien bezogen, bedeutet das, Paradoxien
auszuschließen bzw. zu vermeiden. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien stand
die Tradition der Logik, deren Bemühungen sich darauf konzentrierten Systeme
von Aussagen widerspruchsfrei zu halten. Die Zweite im Bunde ist Stheno. Ihre Unsterblichkeit zeigt an,
dass das Risiko der Erstarrung nicht zu eliminieren ist. So steht man
lediglich vor der Wahl sich abzuwenden und der Erstarrung zu entgehen oder man
schaut sie an und erstarrt. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien steht die
Tradition der Theologie mit ihren Versuchen Gott zu beobachten. Wobei das
Kunststück darin besteht, das Unbeobachtbare, das Transzendentale – nämlich
Gott – zu beobachten, was allerdings dann doch wieder zu sehr ambitionierten
Formen führte, dies zu tun. Auch die Beobachtungsgewohnheiten postmoderner
Theorien haben sich darauf spezialisiert Paradoxien zu beobachten. Doch im
Gegensatz zur Theologie beschränken sich diese Theorien darauf das Paradox
offen zu legen und sich an ihrer hypnotischen Macht zu berauschen. In den Bann
von Stheno gezogen, lässt man alle Hoffnung fahren. Die Schockstarre kann
jedoch selbst wieder zu ungeheurer, infantiler Geschwätzigkeit führen. Die
undifferenzierte Textproduktion der Postmodernen dient dann nur noch dem
Versuch andere mit den eigenen Ängsten und Unsicherheiten anzustecken. Die
dritte Schwester ist schließlich Euryale.
Auch sie kann nicht getötet werden. Euryale steht jedoch für den Versuch trotz
ihrer Existenz nicht zu erstarren. Statt sich auf die Beobachtung der Paradoxie
zu konzentrieren, versucht man kreative Möglichkeiten zu finden die Paradoxie
zu invisibilisieren. Für diese Form des Umgangs mit Paradoxien steht die
Tradition der Rhetorik. Paradoxieentfaltung bedeutet dann Unterscheidungen
anzusetzen um das scheinbar Sinnlose in eine sinnvolle Form zu überführen.
Im Umgang mit Paradoxien hat sich
der Versuch sie auszuschließen als wenig fruchtbar erwiesen. Selbst nach der
Enthauptung behält der Kopf der Medusa seine versteinernde Wirkung. Also muss
man sich wohl oder übel mit der Aussichtlosigkeit der Tötungsversuche abfinden.
Das Erstarrungsrisiko ist universell, denn das
Problem der Paradoxien ist universell. Man kann sie nicht ausschließen, man
kann lediglich versuchen mit ihnen umzugehen. So bleibt nur die Alternative
zwischen Erstarrung oder Wegschauen, zwischen Paradoxiebetrachtung oder
Paradoxieentfaltung, zwischen Sthenographie
oder Euryalistik. Die Ursache für
Sthenographie ist aber nicht zuerst in den betroffenen Theorien zu suchen. Mit
diesem Problem ist die Gesellschaft als Beobachtungsobjekt selbst behaftet und
gilt zuerst für Gesellschaft als Prozess. Versteht man unter Gesellschaft die Gesamtheit der
stattfindenden Kommunikationen, bezieht sich das auf die einzelnen
Ereignisse durch die sich die Gesellschaft als soziales System reproduziert. Kommunikation, und damit auch
Gesellschaft, ist unabhängig von jeglicher funktionalen Spezialisierung paradox konstituiert, wenn man sie
zugleich als ein sich selbst beobachtendes System begreift. Das Problem liegt
dann bereits in der paradoxen Konstitution ihrer Operationen als Beobachtungen
(vgl. Luhmann 1993).
Mit diesem Problem muss auch eine
wissenschaftliche Disziplin umgehen, die sich der Erforschung sozialer Prozesse
verschrieben hat – und das in doppelter Weise. Zum einen ist der
Beobachtungsgegenstand Gesellschaft mit diesem Problem behaftet. Die
Beobachtung der Gesellschaft kann zum anderen nur in der Gesellschaft
stattfinden. Die Soziologie ist wiederum ein Teilsystem im funktionalen
Subsystem der Wissenschaft der Gesellschaft und operiert damit in der
Gesellschaft. Sie kann keinen archimedischen Punkt außerhalb der Gesellschaft
einnehmen und sich wie ein externer Beobachter verhalten. Die soziologische Beobachtung der Gesellschaft ist nur in der
Gesellschaft mit den Mitteln der Gesellschaft möglich (vgl. Luhmann 1997,
S. 1128ff.). Die Soziologie ist daher
auch selbst von diesem Problem betroffen, auch sie ist paradox konstituiert. Jeder Versuch sich trotzdem wie ein
externer Beobachter zu verhalten, kommt dem Versuch gleich Medusa zu köpfen.
Das universelle Problem der
paradoxen Konstitution der Gesellschaft muss damit also auch bei soziologischer
Theoriebildung beachtet werden. Doch wenn man sich die aktuellen
Theorieangebote anschaut, fällt bei einem Großteil die fehlende Sensibilität
für dieses Problem auf. Statt sich an kreativer Paradoxieentfaltung zu
versuchen, beschränkt man sich bei der Theoriebildung darauf soziale Probleme
auf tautologische oder paradoxe Formulierungen zu zuspitzen ohne jedoch den
Versuch zu unternehmen sich wieder aus der selbstgestellten Falle zu befreien
[1]. Das Problem ist also weniger Gorgonenbetrachtung an sich, sondern die
Sthenographie, welche es bei der Problemkonstruktion belässt. Die häufig
konstatierte Krisenhaftigkeit der modernen Gesellschaft erscheint unter diesem Aspekt zunächst nur als Krise der Selbstbeschreibungsformen der Gesellschaft.
Die Krise resultiert nicht aus wie immer gearteten widersprüchlichen
Entwicklungsprinzipien der Gesellschaft, sondern ist zunächst ein Symptom, dass
immer dann auftritt, wenn man sich bei der Gesellschaftsbeschreibung für
Sthenographie oder gar das Köpfen der Medusa entscheidet. Das Risiko der Erstarrung liegt mit anderen Worten in den
Funktionsbedingungen von Kommunikation selbst, ebenso wie die Chance der
kreativen Paradoxieentfaltung. Konzentriert man sich aber nur auf den
Aspekt der Krise, kann sie auch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Einer der Wenigen, der den
Versuch Euryalistik zu betreiben – im vollen Bewusstsein des Problems -,
trotzdem gewagt hat, war Niklas Luhmann. Er entwickelte seine Systemtheorie der
Gesellschaft unter Berücksichtigung des Problems, dass die wissenschaftliche
Beobachtung der Gesellschaft nur in der Gesellschaft stattfinden kann und
niemals außerhalb. Deswegen schlug er
als eine Möglichkeit soziologischer Paradoxieentfaltung eine reflektierte Autologie vor (vgl. Luhmann
1997, S. 1128 – 1142), die sich dem Problem der Gesellschaftsbeschreibung in
der Gesellschaft stellt. Die Lösung besteht darin einen Begriff der Beobachtung zu entwickeln, der nicht bloß als vage
Analogie zur menschlichen Wahrnehmung verstanden werden kann, sondern eine
Beschreibung ermöglicht, wie soziale Systeme mit dem Problem ihrer paradoxen
Konstituierung umgehen und trotzdem Informationen produzieren und weiterverarbeiten
können.
Im Folgenden soll es deswegen
darum gehen die Grundzüge der systemtheoretischen Beobachtungstheorie nach zu
zeichnen. Es wird aber nicht allein bei einer reinen Darstellung von Luhmanns
Beobachtungstheorie bleiben. Die Darstellung ist von der Grundannahme geprägt,
dass es im Anbetracht der weiteren Theorieentwicklungen
nach dem Tode Luhmanns noch zu viele Unklarheiten hinsichtlich der einzelnen
Teile der Systemtheorie und ihrer Beziehungen zueinander gibt. Luhmanns
Systemtheorie ist, anders ausgedrückt, in sich selbst noch nicht ausreichend
differenziert, um noch das zu leisten, was sie verspricht. Dies trifft auch auf
die Beziehung zwischen Kommunikationstheorie und Beobachtungstheorie zu. Daraus
leitet sich die Notwendigkeit ab, für den hier verfolgten Zweck die
Kommunikationstheorie stärker gegen die Beobachtungstheorie zu differenzieren.
Dabei wird der von Luhmann vorgegebenen Richtung gefolgt. So wird im Folgenden
der Versuch unternommen Gregory Batesons Informationsbegriff, George
Spencer-Browns Kalkül der Form und Niklas Luhmanns Systemtheorie stärker
ineinander zu integrieren als es Luhmann getan hat. Das Ergebnis wird eine soziologische Informationstheorie sein,
mit der sich Identitäten, welche durch Unterscheidungsgebrauch konstruiert
wurden, rekonstruieren lassen. Dies war bereits das erklärte Ziel Luhmanns. Was
dabei herausgeschält wird, ist aber nicht nur eine soziologische
Informationstheorie, sondern zugleich der Versuch dem Erfordernis einer
reflektierten Autologie gerecht zu werden, denn es wird der Versuch unternommen
Informationen darüber zu gewinnen, wie Informationen gewonnen werden können.